- Revolution von 1848/49
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Die Revolutionen von 1848/49 waren Aufstände und bürgerlich-revolutionäre Erhebungen gegen die zu dieser Zeit herrschenden Mächte der Restauration und deren politische und soziale Strukturen in mehreren Ländern Mitteleuropas.
Die Welle der revolutionären Unruhen wurde zunächst − nach ersten Aufständen in Sizilien gegen die Herrschaft der spanischen Bourbonen und in der Lombardei gegen die des österreichischen Habsburgerreichs (Januar 1848) – wesentlich mit der französischen Februarrevolution von 1848 und der Ausrufung der Zweiten französischen Republik als „Initialzündung“ ausgelöst.
In einzelnen Regionen eskalierte das Geschehen bis hin zu zwischenstaatlichen Kriegen (in Norditalien im ersten italienischen Unabhängigkeitskrieg und in Holstein/Schleswig/Dänemark im ersten Schleswig-Holsteinischen Krieg), oder nahm bürgerkriegsähnliche Ausmaße an (z. B. Wien: Oktober 1848, während der Reichsverfassungskampagne in Baden: Mai bis Juli 1849, Sachsen: Mai 1849 und der zu der Zeit bayrischen Pfalz: Mai/Juni 1849, sowie in Ungarn: März bis Oktober 1849).
Die Erhebungen waren in den jeweiligen Staaten und Regionen von unterschiedlicher Intensität und Dauer. Spätestens im Oktober 1849 endeten die letzten revolutionären Kämpfe mit der endgültigen Kapitulation der ungarischen Unabhängigkeitsbewegung dieser Zeit.
Neben Frankreich gelten insbesondere die Staaten des Deutschen Bundes (unter anderen Preußen, Baden, Holstein, Sachsen, Bayern, die Freie Stadt Frankfurt, Österreich und sein Kronland Böhmen), der italienischen Halbinsel (u. a. Toskana, Lombardei und Venetien, Sardinien-Piemont, der Kirchenstaat, Neapel-Sizilien), das dreigeteilte Polen (dort hauptsächlich die unter preußischer Herrschaft stehende Provinz Posen), und das zum österreichisch-habsburgischen Reich gehörende, nach Unabhängigkeit strebende Ungarn als bedeutende Zentren der „Europäischen Revolution“ von 1848/49. Im Osten Europas strahlten die Aufstände bis in die Donaufürstentümer, nach Siebenbürgen, Walachei und Moldau aus (vgl. Rumänische Revolution von 1848).
Inhaltsverzeichnis
Bedingungen, Inhalte und Ziele
Bereits im Vorfeld hatte es Liberalisierungstendenzen in einigen Fürstentümern (so etwa schon ab 1846 im Kirchenstaat und in der Folge in weiteren italienischen Staatsgebilden in Form der Einführung von Verfassungen mit bürgerlichen Rechten) oder auch revolutionäre Entwicklungen gegeben, wie beispielsweise der Sonderbundskrieg von November 1847 zwischen den katholisch-konservativ und den liberal geprägten Kantonen in der Schweiz, der die Umwandlung der Eidgenossenschaft von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat mit der einheitlichen Verfassung von September 1848 zur Folge hatte; – Entwicklungen, die die Erhebungen in Frankreich und den Staaten des deutschen Bundes (vgl. Märzrevolution) ab Februar/März 1848 begünstigten. Diese bisweilen als Völkerfrühling bezeichneten Prozesse hielten teils bis ins Jahr 1849 an. Es handelte sich dabei im Wesentlichen um Erhebungen, die sich gegen die nach dem Wiener Kongress von 1814/15 beschlossene Restaurationspolitik der mächtigsten mitteleuropäischen Fürstentümer und Monarchien der sogenannten Heiligen Allianz richteten. Die Restaurationsmächte – ihnen voran die am Absolutismus des 18. Jahrhunderts und der Vorstellung des Gottesgnadentums orientierten Monarchen Österreichs, Preußens, Russlands und (eingeschränkt) Frankreichs – waren seit dem Ende der napoleonischen Kriege bestrebt gewesen, die Macht- und Sozialstrukturen in Europa wieder herzustellen, wie sie vor der französischen Revolution von 1789 geherrscht hatten (vgl. Ancien Régime).
Getragen wurden die Erhebungen gegen die Restauration von den in der Aufklärung fußenden Ideen des klassischen Liberalismus, der sich mit dem zu der Zeit als progressiv geltenden Nationalstaatsgedanken (Nationalismus) und dem Prinzip der Volkssouveränität verband. Insofern waren viele der Revolutionen von 1848/49 auch das Ergebnis von jeweils unterschiedlich entwickelten nationalen Einheits- und Unabhängigkeitsbewegungen, die sich bereits in den vorausgehenden Jahrzehnten – oft im politischen Untergrund – entwickelt hatten (vgl. auch Vormärz und Demokratische Bewegung (Deutschland)). Gefordert wurden Verfassungen für die jeweiligen Staatsgebilde, Presse-, Meinungsfreiheit und weitere demokratische Rechte, Volksbewaffnung und Aufstellung von Bürgermilizen, Bauernbefreiung, Liberalisierung der Wirtschaft, Aufhebung der Zollschranken bis hin zur Abschaffung monarchischer Herrschaftsstrukturen zugunsten der Etablierung republikanischer Staatsgebilde, oder zumindest die Beschränkung der Fürstenmacht in Form von konstitutionellen Monarchien.
Auf der sozioökonomischen Ebene bildeten die sozialstrukturellen Begleiterscheinungen der Industriellen Revolution, die mit neuartigen technologischen Entwicklungen in Produktion und Gewerbe Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts ihren Anfang in Großbritannien genommen, und im Lauf des 19. Jahrhunderts auch den europäischen Kontinentalraum erfasst hatte, einen wichtigen Nährboden für die Erhebungen. Bedingt durch ein starkes Bevölkerungswachstum während der Frühindustrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bei gleichzeitig stagnierendem Produktivitätszuwachs und einer krisenhaften Entwicklung im Handwerk (vor allem dem Textilgewerbe) und in der Landwirtschaft, verstärkt durch Missernten und in deren Folge Hungersnöte (Hungerwinter 1847/48), nahm der Unmut gegenüber den herrschenden sozialen Verhältnissen auch in der zunehmend notleidenden Bevölkerung der landlosen Bauern und der neu entstehenden Schicht des Industrieproletariats zu. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich eine neue revolutionäre Basis, auf die bereits frühsozialistische Ideen einwirkten (vgl. auch Pauperismus, die vorindustrielle Massenarmut, und Soziale Frage).
Die Revolutionen, die anfangs in einigen (z. B. italienischen und deutschen) Ländern durch Zugeständnisse der herrschenden Fürsten in Form von Verfassungszusagen und der Einführung liberaler Reformen in ihrer Stoßkraft abgeschwächt wurden, gelten insbesondere in Bezug auf den Vorstellungsraum Deutschland und Österreich − zumindest hinsichtlich ihrer unmittelbaren Niederschlagung dort bis Spätsommer 1849 – als gescheitert. Viele Aktivisten emigrierten oder wanderten danach endgültig aus ihren Herkunftsländern oft nach Übersee aus. Insbesondere in den USA wurden die neuen Immigranten dieser Zeit als Forty-Eighters gegenüber anderen Einwanderern früherer oder späterer Zeitabschnitte in der Bezeichnung differenziert herausgestellt.
Längerfristige Entwicklungsstränge
Obwohl insbesondere die nationalstaatlichen Zielsetzungen der meisten europäischen Revolutionen von 1848/49 mit ihren grundsätzlichen Veränderungsanliegen vorerst gescheitert waren und speziell in den deutschen Staaten in eine Periode der politischen Reaktion mündeten (vgl. Reaktionsära), bilden diese Revolutionen in der rückblickenden historischen Betrachtung den Endpunkt eines längerfristigen Prozesses, der mit der ersten bürgerlichen Revolution in Europa, der französischen Revolution von 1789 begonnen hatte, und der die Etablierung des vormalig politisch relativ einflusslosen Dritten Standes – des Bürgertums – als einflussreichen Wirtschafts- und Machtfaktor neben der Aristokratie langfristig festigte. In diesen Prozess, der bisweilen als „Zeitalter der bürgerlichen Revolutionen“ bezeichnet wird, sind auch verschiedene Ereignisse und Entwicklungen vor 1848/49 eingebunden, ohne die die Revolutionen um die Mitte des 19. Jahrhunderts kaum denkbar wären. Dazu gehören beispielsweise die napoleonische Hegemonie mit der Verbreitung des Code Civil zwischen ca. 1799 und 1812 ebenso wie die Spanische und die Griechische Revolution in den 1820er Jahren, die französische Julirevolution von 1830 und die Abspaltung Belgiens als konstitutionelle liberale Monarchie von den Niederlanden (Belgische Revolution) ebenfalls 1830, sowie die verschiedenen Aufstände des frühen Risorgimento in den italienischen Staaten. Spätestens ab 1848 wurde die Bourgeoisie, im engeren Sinn das Großbürgertum, zur ökonomisch herrschenden Klasse der Gesellschaften Mitteleuropas. Die Jahre 1848/49 markieren nach marxistischer Diktion auch die Trennung der Arbeiterklasse bzw. des Proletariats als neue potenziell revolutionäre Klasse vom Bürgertum.
Die revolutionären Schübe zwischen 1789 und 1848/49 prägten die politische Kultur und das pluralistische Demokratieverständnis der meisten Staaten Mitteleuropas in der Moderne langfristig und nachhaltig. So z. B. in der Bundesrepublik Deutschland, deren Grundgesetz auf dem 1848/49 in der ersten gesamtdeutschen Nationalversammlung ausgearbeitetem Verfassungsentwurf basiert, in Österreich, Frankreich, Italien, Ungarn, Polen, Dänemark, der Tschechoslowakei bzw. im heutigen Tschechien und der Slowakei. Mit den Ereignissen von 1848/1849 wurde der Siegeszug der bürgerlichen Demokratie in die Wege geleitet, der auf lange Sicht die spätere historische, politische und soziale Entwicklung fast ganz Europas bestimmte.
Die Revolutionen von 1848 gaben in zwischenstaatlichen Grundzügen zusätzlich zu vorherigen, in der Aufklärung begründeten Entwicklungen einige ideelle Impulse für die Entwicklung der Europäischen Union (EU) im späten 20. Jahrhundert. So vertrat der italienische Revolutionär Giuseppe Mazzini schon vor den revolutionären Wirren um 1848 ein Europa der Völker. Er stellte diese Utopie gegen das Europa der autoritären Fürstentümer und nahm damit eine politisch-soziale Grundidee der EU vorweg.
Die revolutionären Erhebungen von 1848/49 im Einzelnen (Verweise auf die Unterartikel)
- in Frankreich
- in den Staaten des Deutschen Bundes (z. B. Preußen, Österreich, Baden, Sachsen u. a.)
- Deutsche Revolution 1848/49 (Märzrevolution)
- Revolution von 1848/49 im Kaisertum Österreich
- Wiener Oktoberaufstand
- Prager Pfingstaufstand
- Badische Revolution
- Revolution in Sigmaringen
- Schleswig-Holsteinischer Krieg (1848–1851); Krieg zwischen dem Deutschen Bund (vor allem vertreten durch preußische Truppen) und Dänemark, im Zusammenhang mit den nationaldeutschen Erhebungen in den Herzogtümern Schleswig und Holstein (vgl. Unterabschnitt zur deutschen Nationalbewegung in Schleswig und Holstein)
- Reichsverfassungskampagne zwischen Mai und Juli 1849: Die republikanischen Erhebungen während der Endphase der Revolution in den deutschen Ländern (in Folge der Ablehnung einer deutschen Kaiserkrone durch den preußischen König (vgl. Kaiserdeputation) und der Auflösung der Frankfurter Nationalversammlung, deren verbliebene Mitglieder kurzzeitig noch im Stuttgarter Rumpfparlament weiter tagten):
Zu den österreichischen Provinzen und Kronländern außerhalb des Deutschen Bundes siehe z. B. Slowakischer Aufstand und Ungarische Revolution 1848/1849 bzw. die Unterkapitel bei 'Deutsche Revolution 1848/49': Ungarn bzw. bei 'Revolution von 1848/49 im Kaisertum Österreich' das Unterkapitel Ungarn und Kroatien, ansonsten im folgenden einen Teil der unter österreichischer Hoheit stehenden italienischen Provinzen:
- in den italienischen Staaten und Regionen (Lombardo-Venetien, Kirchenstaat, Sardinien-Piemont, Toskana, Neapel-Sizilien u. a.)
- Erster italienischer Unabhängigkeitskrieg
- 1848er Revolution in Italien
- Römische Republik (Rom/Kirchenstaat 1849)
- Repubblica di San Marco (Venedig 1848/49)
- in den polnischen Provinzen Preußens, Russlands (Kongresspolen) und Österreichs
- Schweiz
- Sonderbundskrieg, Bürgerkrieg vom 3. bis zum 29. November 1847
- Durch die Bundesverfassung vom 12. September 1848 wurde die Schweiz vom Staatenbund zum Bundesstaat
Literatur
- Manfred Botzenhart: 1848/49. Europa im Umbruch (UTB für Wissenschaft; 2061). Schöningh Verlag, Paderborn 1998, ISBN 3-506-97003-8.
- Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt, Dieter Langewiesche (Hrsg.): Europa 1848. Revolution und Reform (Politik- und Gesellschaftswissenschaft; 48). Dietz Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-8012-4086-X.
- Wolfgang Hardtwig (Hrsg.): Revolution in Deutschland und Europa 1848/49 (Sammlung Vandenhoeck). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-01368-X.
- Dieter Langewiesche (Hrsg.): Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte. Ergebnisse und Nachwirkungen. Oldenbourg Verlag, München 2000, ISBN 3-486-64429-7.
- Wolfgang J. Mommsen: 1848. Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830–1849. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 2000, ISBN 3-596-13899-X.
- Eric Hobsbawm: Europäische Revolutionen. 1789 bis 1848 („The age of revolution“). Parkland Verlag, Köln 2004, ISBN 3-89340-061-3 (Nachdr. d. Ausg. Zürich 1965).
- Eric Hobsbawm: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780 („Nations and Nationalism since 1780“). 3. Aufl. Campus-Verlag, Frankfurt/M. 2005, ISBN 3-593-37778-0.
- Heinz Rieder: Die Völker läuten Sturm. Die europäische Revolution 1848/49. Fourier Verlag, Wiesbaden 2000, ISBN 3-925037-94-2.
- Louis Bergeron, François Furet, Reinhart Koselleck (Hrsg.): Das Zeitalter der europäischen Revolution 1780–1848. Neuaufl. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 2003, ISBN 3-596-50734-0 (Fischer Weltgeschichte; Bd. 26).
- Patrik Verley, Jean-Pierre Daviet, Guy Palmade (Hrsg.): Das bürgerliche Zeitalter. Neuaufl. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 2003, ISBN 3-596-50734-0 (Fischer Weltgeschichte; Bd. 27).
Weblinks
Commons: Revolutionen von 1848 – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienWikisource: Revolution von 1848 – Quellen und Volltexte- Literatur zum Schlagwort Revolution von 1848/49 im Katalog der DNB und in den Bibliotheksverbünden GBV und SWB
- Arnd Bauerkämper: Die Revolution von 1848/49. Gemeinsames Erleben und Scheitern in Europa?. Essay zur gesamteuropäischen Dimension der revolutionären Bewegung von 1848/49 auf clio.online
- Europäische Dimension der Revolution von 1848/49 (PDF-Datei) - einleitendes Essay von Wolfram Siemann, gefolgt von Beurteilungen der Revolutionen von 1848/49 durch verschiedene moderne deutschsprachige Historiker (Dieter Hein zum Stellenwert der nationalen Idee; danach Beurteilungen von Walter Grab, Heinrich August Winkler, Hans-Ulrich Wehler)
- Europäische Dimensionen der deutschen Revolution von 1848/49 von Wolfram Siemann (Einführung aus Deutschland und Europa, Ausgabe 2/97: 1848/49 Revolution, ganze Ausgabe online als Pdf-Datei)
- Themenüberblick/Register (Links) zu quellenbasierten Einträgen über die europäischen Revolutionen der Jahre 1848/49 und deren Vorgeschichte - Revolutionslexikon des historischen Seminars der Universität Düsseldorf - Unterseite von [1]
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