Tagbeobachtung

Tagbeobachtung
Venussichel bei Tage, nur 17° östlich der Sonne, links eine nahende Gewitterwolke.

Tagbeobachtung nennt man in der Astronomie und Geodäsie die Beobachtung von Gestirnen am hellen Tageshimmel. Sie ist bei der Sonnenbeobachtung selbstverständlich und beim Mond nicht ungewöhnlich, doch wird sie auch manchmal bei anderen Himmelskörpern angewandt, insbesondere bei den unteren Planeten Venus und Merkur.

Tagbeobachtungen haben zahlreiche Nachteile gegenüber solchen am Nachthimmel, bringen aber auch einige Vorteile mit sich. Je klarer die Luft und je tiefer das Himmelsblau, desto besser ist es. Mit zunehmender Meereshöhe wird der Himmel dunkler, wie im Hochgebirge und bei Flugreisen leicht festzustellen ist.

Inhaltsverzeichnis

Himmelsobjekte und Instrumente für Tagbeobachtungen

Sonne und Venus. Venustransit vom 8. Juni 2004, Aufnahmeserie mit 4"-Maksutovteleskop und Filterfolie der Stärke ND 4

Die Venus, nach der Sonne und dem Mond das hellste Gestirn, kann man am Tag oft schon mit bloßem Auge sehen, andere Planeten und Sterne erster Größe in einem guten Feldstecher, Sterne 2. bis 5. Magnitude aber erst in einem Fernrohr von entsprechender Größe (siehe Bild).

Das Fernrohr bzw. Fernglas sollte jedoch eine kleine Austrittspupille haben (maximal 4 mm), weil die Pupille des Auges bei Tageslicht enger als in der Nacht ist. Deshalb sind Taschenferngläser (z. B. Trinovid 8 × 20 oder Optolyth 10 × 25) durchaus geeignet, obwohl sie für Nachtbeobachtungen zu lichtschwach sind.

Spiegelfernrohr C8, auf Venus gerichtet (40° rechts der Sonne)

Die Sonne dient schon seit der Antike für Zeit- und Ortsbestimmungen sowie zur Navigation auf See. Mit einem modernen Theodoliten kann man am Tage auch den Polarstern für genaue Richtungsmessungen verwenden, was wie die Sonne zur astronomischen Orientierung von isoliert liegenden Vermessungsnetzen genützt wird, aber auch z. B. zur Ausrichtung von Hochspannungsmasten im Wald oder von Geschützen.

Die rasante Entwicklung der elektro-optischen Sensoren wird es bald ermöglichen, automatische Tagbeobachtungen mit Sternsensoren – wie schon längst in der bemannten Raumfahrt – durchzuführen. Dem Problem des starken Streulichts (Himmelsblau) dürfte sich einerseits mit digitalen Filtertechniken beikommen lassen, andererseits mit optischen Mitteln wie dem Polarisationsfilter.

Vor- und Nachteile

Probleme der Beobachtung bei Tageslicht werden wegen folgender Vorteile in Kauf genommen:

Der (blasse) Mond über den Walliser Alpen

Dem stehen Nachteile gegenüber:

Tagbeobachtung von Fixsternen

Sterne – d. h. weit entfernte Sonnen – sind relativ einfach am Taghimmel zu beobachten, wenn

  • der genaue „scheinbare Ort“ auf der Himmelskugel bekannt ist (Azimut & Höhenwinkel),
  • die Fokussierung der Optik (die Scharfstellung auf unendlich) korrekt ist,
  • und die Sternhelligkeit ausreicht, um sich vom Himmelsblau abzuheben. Dies gelingt umso eher, je weiter der Stern von der Sonne absteht; zumindest müssen es 20° sein.

Flächen- versus Punkthelligkeit

Dass letzteres möglich ist, hängt mit einer wichtigen Besonderheit von Fernrohr-Beobachtungen zusammen: je stärker man die Vergrößerung wählt (durch ein kurzbrennweitiges Okular), desto dunkler erscheint der Himmel im Gesichtsfeld.

Hingegen bleibt der Stern auch bei höheren Vergrößerungen punktförmig (von Linsenfehlern und Luftunruhe abgesehen), bis mit der Vergrößerung das begrenzte Auflösungsvermögen des Geräts sichtbar wird. Daher bleibt die Sternhelligkeit im Fernrohr in einem bestimmten Vergrößerungsbereich dieselbe, während man den Himmel durch stärkere Vergrößerung „abdunkeln“ kann. Einschränkend wirkt lediglich das seitliche Licht, das von der hellen Umgebung ins Auge fällt.

Polarstern

Eine wichtige Nutzanwendung davon ist die Messung des Polarsterns in der Geodäsie. Der Polarstern lässt sich vorteilhaft zur genauen Orientierung von Vermessungsnetzen oder von Instrumenten verwenden – siehe Azimut Polaris – und wenn man es bei Tag machen kann, sind Aufwand und Kosten geringer.

Ein Stern 2. Größe wie Polaris (oder einer des Großen Wagens) ist in einem Theodolit mit 30-facher Vergrößerung deutlich zu sehen, wenn er sich etwa in der Mitte des Gesichtsfeldes befindet. Um das zu erreichen, genügt bereits eine Faustformel, in die drei Größen eingehen: geografische Breite, Uhrzeit und Datum.

Mit größerer Erfahrung findet man Polaris auch ohne zu rechnen: sein Höhenwinkel ist bis auf einen Fehler von ± 0,7° gleich der Breite (sogenannte Polhöhe z. B. für München und Wien B = 48,2°, also Höhenwinkel 47,5 bis 48,9°). Das Gesichtsfeld beträgt meist 2°, sodass man den Stern bald findet, wenn man 3–4 horizontale Suchschleifen zieht.

Andere helle Sterne

Für andere Fixsterne gilt obiges analog, nur wird man um eine genauere Rechnung nicht herumkommen. Eine früher gut bewährte Methode ist, in der Nacht vor der gewünschten Tagbeobachtung einen Stern mit gleicher Deklination im Teleskop einzustellen und die Montierung in dieser Richtung zu fixieren. Der Zeitunterschied der beiden Sterndurchgänge entspricht genau dem Unterschied der Rektaszension (jene Sternkoordinate, die der geografischen Länge entspricht).

Je tiefer das Himmelsblau, desto besser treten die Sterne hervor. Ein Stern 1. Größe ist mit einem Vier- bis Achtzöller auch in der Stadt fast immer sichtbar, sobald man ihn im Gesichtsfeld des Fernrohrs hat und der Winkelabstand von der Sonne 20° übersteigt. Man braucht natürlich eine genäherte Vorausberechnung, z.B. Azimut und Höhenwinkel. Sterne von 1,5 mag (z.B. Deneb 1,4m) sieht man nahe der Zielachse immer noch, während Sterne 2. Größe (etwa Großer Wagen oder Polarstern) schon recht genau eingestellt werden müssen. Bei tiefblauem Himmel sind auch Sterne dritter und vierter Größe möglich, am Stadthimmel aber meist nur 2,0 bis 2,5m). Bereits ab Sonnenuntergang wird jedoch alles wesentlich leichter. Die Venus findet man (−4m) immer, sobald ihr Ort am Himmel auf einige Grad bekannt ist und ihr Abstand von der Sonne mindestens 15° beträgt. Damit ist sie ein gutes Hilfsmittel für die Richtungseinstellung und die genaue Fokussierung.

Einige Gründe, Fixsterne bei Tag zu beobachten, können sein:

Venus im C8-Spiegelteleskop, noch etwas unscharf (sollte wie kleiner Halbmond aussehen)
  • die technische Herausforderung
  • ein Test von Fernrohr, Montierung oder Luftbedingungen
  • genaue Ausrichtung der Fernrohrmontierung schon tagsüber (siehe Scheiner-Methode)
  • der Wunsch, die Sache jemandem vorzuführen und zu überraschen
  • eine genaue Richtungsmessung
  • die laufende Überwachung eines rasch Veränderlichen Sterns, einer Nova oder eines Doppelsterns
  • eine Sternbedeckung durch den Mond oder durch einen Asteroiden

Tagbeobachtung von Planeten

Bei Planeten erfordert die Tagbeobachtung einen ausreichenden Kontrast im Teleskop und zum Himmel, weil sie nicht punktförmig wie Sterne, sondern als kleine Scheibchen oder in schmaler Sichelform erscheinen. Günstig ist ein lichtstarkes Teleskop, das auch bei mittlerer Vergrößerung (ca. 50- bis 100-fach) noch eine ausreichende Flächenhelligkeit garantiert – z. B. ein aufgerüsteter Kometensucher. Bei Venus und Merkur reicht der Kontrast fast immer – sogar noch bei leichten Wolkenschleiern und in einem normalen Feldstecher.

Ob auch sonnenfernere Wandelsterne wie Mars, Jupiter und Saturn in einem geeigneten Fernrohr gut sichtbar sind, hängt von deren Bahn (insbesondere dem Abstand zur Sonne) und der Himmelshelligkeit ab, in geringem Maße auch von der Luftunruhe. Die äußersten Planeten Uranus und Neptun erhalten aber schon zu wenig Sonnenlicht, um sich im Himmelsblau noch abzuheben. Die Grenze für einen gerade ausreichenden Helligkeits-Kontrast liegt bei guten Wetterbedingungen etwa beim Saturn, während es bei Jupiter kaum Probleme gibt. Seine Flächenhelligkeit übertrifft jene des Taghimmels meist sogar bei dünnen Cirruswolken. Ab etwa einem Achtzöller (bei guten Linsenfernrohren schon ab ca. 6 Zoll Öffnung) kommen auch die Jupitermonde und ihre reizvollen Konstellationen und Finsternisse in den Bereich der Sichtbarkeit.

Allerdings bewirkt das Himmelsblau, dass feine Details der Planetenoberflächen verschwimmen – besonders wenn sie keine Rottöne beinhalten. Einen Eindruck davon gibt die bekannte Erfahrung, wie „blass“ der Mond am Taghimmel aussieht. Merkur, Venus und Mars sind infolge ihrer großen Flächenhelligkeit gut zu beobachten, bei Jupiter verschwinden jedoch die Äquatorstreifen meist im Himmelsblau.

Nahe am sonnenbeschienenen Fernrohrokular (50-fach). Venus ist bereits als Pünktchen rechts unten im Himmelsausschnitt sichtbar.

Dennoch sind planetare Tagbeobachtungen durchaus nützlich – insbesondere von Merkur und Venus, die von der Sonne maximal 20° bzw. 45° Winkelabstand haben können und freiäugig ohnehin nur in der Dämmerung sichtbar sind. Wie manche Berichte um die Jahrhundertwende zeigen, haben die tagsüber bzw. in der frühen Dämmerung vorgenommenen Beobachtungen der Linienstrukturen, Flecken und Abschattungen auf den zwei unteren Planeten viel zu ihrer Erforschung beigetragen, vor allem durch Percival Lowell, G. Schiaparelli und Antoniadi). Gut messbar sind bei ruhigen Luftbedingungen z. B. Größe und Rotation von Planeten, und auch die Beobachtung von vorausberechneten Sternbedeckungen kann gelingen. Rund um die Marsoppositionen sind auch am „Roten Planeten“ trotz seiner Kleinheit Details zu erkennen, und am Jupiter zumeist die zwei dunkelsten Äquatorstreifen.

Tagbeobachtung von Satelliten

Für künstliche Erdsatelliten – besonders in niedrigen Umlaufbahnen – war von jeher die Abenddämmerung die beste Beobachtungszeit, weil sie im Laufe der Nacht in den Erdschatten geraten. Traditionelle Tagbeobachtungen sind hingegen äußerst schwierig. Mit größerer Optik und geeigneten CCD-Sensoren können sie jedoch gelingen, wenn der Himmel zusätzlich mit Polarisationsfilter gedämpft wird und sehr genaue Bahnelemente vorliegen.

In den ersten 2 Jahrzehnten der Raumfahrt haben sich im Rahmen der Moonwatch-Organisation (betreut vom SAO in Massachusetts) weltweit einige 100 Beobachterteams darauf spezialisiert, niedrig fliegende Satelliten in der Morgen- und Abenddämmerung zu beobachten. Besonders wichtig war dies für die Berechnung der Decays, der Wiedereintritte (Reentry) von Satelliten in die Erdatmosphäre knapp vor ihrem Verglühen. Diese visuellen Beobachtungen, die trotz der raschen Satellitenbewegung bis zu 10″ genau sein können, haben sich aber um 1975 durch automatische Funkverfahren erübrigt.

Seit etwa 1980 wird auch versucht, Satellite Laser Ranging (SLR) bei Tag zu betreiben. Zwar trifft ein gut gesteuerter Laserstrahl den Satelliten auch bei Tag, doch benötigt die Auslösung des Zeitintervallzählers eine ausreichende Zahl von reflektierten Lichtquanten. In den Anfangszeiten der Satellitengeodäsie war diese viel zu gering und ging im Himmelsblau unter. Heute gelingen solche Messungen standardmäßig, wenn Torzeit-Schaltungen, Lasersteuerung und Empfangsfilterung gut aufeinander abgestimmt sind. Damit ist eine Bahnbestimmung der Lasersatelliten rund um die Uhr prinzipiell möglich.

Es besteht auch die Möglichkeit der Tagbeobachtung der von Iridium-Satelliten ausgelösten, hell sichtbaren Iridium-Flares.

Siehe auch

Literatur

  • Rudolf Brandt: Das Fernrohr des Sternfreundes, Kosmos-Verlag, Stuttgart 1958
  • Stefan Seip: Himmelsfotografie mit der digitalen Spiegelreflexkamera, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart 2009. ISBN 978-3-440-11290-8

Weblinks


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