Verfassung der Freien Hansestadt Bremen

Verfassung der Freien Hansestadt Bremen

Die Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen ist die Verfassung des Landes Bremen. Sie stammt vom 21. Oktober 1947 und wurde zuletzt am 16. Mai 2006 geändert.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Landesverfassung (LV) ist geprägt von der Entwicklung der bremischen Verfassungsdikussion, von der Verfassung von 1920 und durch die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Deshalb steht in der Präambel:

„Erschüttert von der Vernichtung, die die autoritäre Regierung der Nationalsozialisten unter Mißachtung der persönlichen Freiheit und der Würde des Menschen in der jahrhundertealten Freien Hansestadt Bremen verursacht hat, sind die Bürger dieses Landes willens, eine Ordnung des gesellschaftlichen Lebens zu schaffen, in der die soziale Gerechtigkeit, die Menschlichkeit und der Friede gepflegt werden, in der der wirtschaftlich Schwache vor Ausbeutung geschützt und allen Arbeitswilligen ein menschenwürdiges Dasein gesichert wird.“

Sie enthält einen umfangreichen Teil zu den Grundrechten und Grundpflichten (Artikel 1 bis 20 LV), die weitgehend den, Grundrechten des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) von 1949 ähneln. Abweichend vom GG wird in der Landesverfassung u. a. formuliert:

  • Artikel 8, 1. Satz: „Jeder hat die sittliche Pflicht zu arbeiten und ein Recht auf Arbeit.“
  • Artikel 14, 1. Satz: „Jeder Bewohner […] hat ein Anspruch auf eine angemessene Wohnung.“

In der Landesverfassung wird der Aufbau des Staates mit der Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative geregelt.

Die Exekutiv- und Legislativorgane des Bundeslandes Freie Hansestadt Bremen sind überwiegend in Personalunion auch Organe der Stadtgemeinde Bremen. Die Rechtsetzung in der Stadtgemeinde Bremen obliegt den stadtbremischen Mitgliedern der Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft), die Exekutivorgane des Landes stehen zugleich der stadtbremischen Verwaltung vor.

Die Stadtgemeinde Bremerhaven hat als Ortsgesetz nach den Bestimmungen der Landesverfassung (Artikel 145 LV) eine eigene Verfassung und eigene kommunale Organe: Die Stadtverordnetenversammlung und den Magistrat der Stadt.

Das Ortsgesetz der Stadt Bremerhaven vom 4. November 1947 wurde vom Senat der Freien Hansestadt Bremen am 14. November 1947 genehmigt und trat am 1. Januar 1948 in Kraft. Nach Artikel 146 (LV) hat der bremische Senat die Aufsicht hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung über die Gemeinde Bremerhaven.

Gliederung der Landesverfassung

Die Landesverfassung gliedert seine 155 Artikel in die folgenden Haupteile und Abschnitte:

  • Grundrechte und Grundpflichten
  • Ordnung des Sozialen Lebens
    • 1. Die Familie
    • 2. Erziehung und Unterricht
    • 3. Arbeit und wirtschaft
    • 4. Kirchen und Religionsgemeinschaften
  • Aufbau und Aufgaben des Staates
    • 1. Allgemeines
    • 2. Volksentscheid, Landtag (Bürgerschaft) und Landesregierung (Senat)
    • 3. Rechtssetzung
    • 4. Verwaltung
    • 5. Rechtspflege
    • 6. Gemeinden
  • Übergangs und Schlussbestimmungen

Änderungen der Landesverfassung seit 1947

Durch die Landesverfassung von 1947 war in Artikel 125 geregelt, dass eine Abänderung der Verfassung nur durch Volksentscheid oder durch einen einstimmigen Beschluss der anwesenden Mehrheit der Bürgerschaftsmitglieder zustande kommen konnte. Diese schwierige Hürde verhinderte bis auf die Änderungen von 1953 und 1960 zunächst wünschenswerte Änderungen der Verfassung. Nach in Krafttreten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 waren die Grundrechte durch das Bundesrecht verbindlich (Artikel 31 GG: „Bundesrecht bricht Landesrecht“) normiert; Änderungen in der Landesverfassung waren deshalb dazu nicht erforderlich. Erst 1970 konnte eine Verfassungsänderung erreicht werden, wonach nunmehr „ein Beschluss auf Abänderung der Verfassung außer durch Volksentscheid zustande kommt, wenn die Bürgerschaft mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder zustimmt.“

Die Verfassung blieb in seinen wesentlichen Punkten weitgehend erhalten. Änderungen der Verfassung erfolgten am

16. Januar 1953, 29. März 1960, 8. September 1970, 13. März 1973, 9. Dezember 1986, 8. September 1987, 1. November 1994, 26. März 1996, 1. November 1996, 14. Dezember 1997, 16. Dezember 1997, 3. März 1998, 1. Juni 1999, 1. Februar 2000, 4. September 2001, 8. April 2003, 31. Mai 2005 und 16. Mai 2006.

Erwähnenswert sind dabei folgende Änderungen:

  • In Artikel 2 wurde 1997 u. a. eingefügt, dass „niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt“ werden darf und Behinderte „unter dem besonderen Schutz des Staates“ stehen. Zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern wurde die staatliche Verpflichtung aufgenommen, „für die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in Staat und Gesellschaft“, für welche „durch wirksame Maßnahmen zu sorgen“ sei.
  • In Artikel 11 heißt es seit 1997 neu: „Der Staat schützt und fördert das kulturelle Leben.“
  • Durch Artikel 11a wurde 1986 die „Verantwortung für die natürlichen Lebensgrundlagen“ neu aufgenommen und der Schutz von „Boden, Wasser und Luft“ und der sparsame und schonende Umgang von „Naturgütern und Energie“ und „heimischen Tier- und Pflanzenarten“ zu „vorrangigen Aufgaben“ deklariert. Im Artikel 11b wurde 1997 für Tiere „eine artgemäßer Haltung“ und „die Vermeidung von Leiden“ gefordert. Dazu wurde 1997 in Artikel 26 die „Erziehung zum Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt“ als Aufgabe definiert.
  • Neu wurde auch 1997 der Datenschutz in Artikel 12 aufgenommen und
  • in Artikel 36a „die Pflege und Förderung des Sports“.
  • In Artikel 25 wurden 2003 die Rechte für den Schutz der Kinder gestärkt.
  • In Artikel 64 und 65 wurde 1994 das Bekenntnis auf das „Zusammenwachsen von Europa“ und auf die friedliche Entwicklung der Welt fixiert.
  • In den Artikeln 69, 70, 76 und 87 wurden 1994 die Rechte für Volksentscheid und Bürgerantrag neu festgelegt.
  • In den Artikeln 75 bis 105 finden sich seit 1994 viele Änderungen zur Wahl und zur Praxis der Bürgerschaft. Die Chancengleichheit für die Arbeit der parlamentarischen Opposition wird dabei erwähnt. Die Arbeit und die Rechte der zuständigen Ausschüsse oder Deputationen sowie der Untersuchungsausschüsse wurden gestärkt. Während früher die Aufgaben fast ausschließlich in den Deputationen (Verwaltungsausschüsse) stattfanden, wurden viele Aufgaben in die parlamentarischen und nichtparlamentarischen Ausschüsse verlagert.
  • In den Artikeln 107, 110, 112, 114, 117 und 120 wurden 2000 Regelungen eingefügt für Staatsräte (z. B. als Bevollmächtigte beim Bund etc.), die seitdem als Mitglieder im Senat fungieren können.
  • In Artikel 125 finden sich seit 1970 und novelliert seit 1994 die o. a. Bestimmungen über Möglichkeiten zur Änderung der Verfassung.
  • In den Artikeln 131, 131a, 132a und 133a finden sich seit 1998 u. a. neue Regelungen für z. B. die Möglichkeit eines zweijährigen Haushaltsplans, für die Kreditaufnahme oder für den Rechnungshof (schon 1994).
  • In den Artikeln 136 und 138 wurden 1994 Ermächtigungen vom Staatsgerichtshof auf das Bundesverfassungsgericht übertragen und in Artikel 139 präzisiert, das der Präsident des Oberverwaltungsgerichts (früher: Präsident des höchsten bremischen Gerichts) Mitglied im Staatsgerichtshof ist.

Geschichtliche Entwicklung

Grundlage des Handels in der Hansestadt Bremen waren seit dem Mittelalter zunächst das gebräuchliche Stadtrecht in Verbindung mit dem Hamburger Stadtrecht, dann die Statuten von 1433, danach verändert durch die Neue Eintracht von 1534 und schließlich die Kundige Rulle von 1756 (siehe dazu ausführlich unter Bremer Stadtrecht).

Nach der Französischen Revolution kam auch bei dem liberalen Bürgertum in den deutschen Ländern der Wunsch nach einer eigenen Verfassung auf, entsprechend dem französischen Vorbild, mit Regeln für die Grundrechte der Bürger und für die Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Gericht. 1814 wurde ein Entwurf von einer besonderen Verfassungsdeputation erarbeitet. Jedoch lediglich ein Senatswahlgesetz wurde 1816 beschlossen und zum Bürgerconvent wurden neue Regelungen erlassen. Erneut wurde nach der französischen Julirevolution von 1830 eine Verfassungsdeputation beauftragt. Auch diese Diskussion ergab keine Einigung zwischen konservativen Senat und liberalem Bürgertum.

Nach der Revolution von 1848/49 fand wieder eine Verfassungsdiskussion statt. Erneut wurde vom liberalen Bürgerconvent eine Deputation dafür eingesetzt. Die dann erarbeitete Verfassung trat 1849 in Kraft, in der viele der erwünschten Rechte (Grundrechte, Gewaltenteilung, Einfluss der Bürgerschaft als bremisches Parlament) realisiert wurden. 1850 folgten für Vegesack und Bremerhaven entsprechende Gemeindeverfassungen. Nach dem die Verfassungsbewegung in den deutschen Ländern unter Preußens Führung niedergeschlagen wurde, folgte schon 1852 die Einführung eines restaurativen Wahlgesetzes, wonach die Wahl nur durch Männer als Bürger Bremens in acht Klassen getrennt nach Gelehrten, Kaufleuten, Gewerbetreibende, Landwirten und „sonstigen“ Bürgern aus Bremen, Bremerhaven, Vegesack und Landgebiet erfolgen sollte. Die Kosten für den Erwerb der Bürgerrechte waren zudem hoch; viele Einwohner der Unterschichten waren deshalb keine wahlberechtigten Bürger. Die Bürgerschaft erarbeitete bis 1854 eine neue Verfassung, die sich aber stark an die liberale Verfassung von 1849 anlehnte. Sie hatte Bestand bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

Nach der Novemberrevolution von 1918 bestand in Bremen kurzfristig eine Bremer Räterepublik ohne besondere Verfassung. Im Februar 1919 setzte sich in einer Konterrevolution das liberale Bürgertum durch. Eine Nationalversammlung wurde gewählt. Eine neue Verfassungsdeputation eingesetzt in der Senator Dr. Theodor Spitta großen Einfluss hatte. Während die entschiedene Linke einen Sozialistischen Freistaat mit Elementen einer Räterepublik anstrebte, die Rechte gegen jedweden Parlamentarismus war, setzte sich mehrheitlich (SPD und Bürgerparteien) für eine 1920 beschlossene parlamentarisches Verfassung durch, die bis 1933 galt. In der NS-Zeit war die Verfassung aufgehoben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auf der Grundlage der Vorgaben der englischen Besatzungsmacht 1946 eine kommunal orientierte Verfassung mit vielen Elementen der Verfassung von 1920 erarbeitet und von der Bürgerschaft beschlossen. 1947 wurden die USA Besatzungsmacht in Bremen. Eine neue Verfassungsdeputation – wieder unter maßgeblichen Einfluss von Senator und Bürgermeister Spitta und der Mithilfe von Karl Carstens – diskutierte den Verfassungsentwurf von Spitta. Die Meinungsunterschiede zum Schulwesen und zur Mitbestimmung in den Betrieben konnten beseitigt werden. Nach Zustimmung aller Parteien – außer den Kommunisten – wurde am 15. September 1947 diese Landesverfassung durch die Bürgerschaft beschlossen und am 12. Oktober 1947 durch einen Volksentscheid angenommen. Sie trat nach ihrer Verkündung am 21. Oktober in Kraft.

Siehe auch

Literatur

  • Bengt Beutler: Die Verfassungsentwicklung in Bremen. In: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. Neue Folge / Bd. 52, 2004, S. 299-321.
  • Volker Kröning, Günther Pottschmidt, Ulrich Preuß, Alfred Rinken (Hrsg.): Handbuch der Bremischen Verfassung. Baden-Baden 1991, ISBN 3-7890-2310-8.
  • Heinzgeorg Neumann: Die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen. Kommentar. Boorberg Verlag, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 1996, ISBN 3-415-01842-3.
  • Ingeborg Russ (Red.): 50 Jahre Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen. Mit Gesetz über das Verfahren beim Bürgerantrag und Verfassung für die Stadt Bremerhaven. Bremen 1998, ISBN 3-86108-625-5.
  • Herbert Schwarzwälder: Das Große Bremen-Lexikon. Edition Temmen, Bremen 2003, ISBN 3-86108-693-X.
  • Theodor Spitta: Kommentar zur Bremischen Verfassung, Schünemann-Verlag, Bremen, 1947/1960

Weblinks


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