Kubakrise

Kubakrise
Kubakrise 1962: Reichweite der sowjetischen Raketen auf Kuba

Die Kubakrise (auch Kubanische Raketenkrise (USA), Oktoberkrise (Kuba), Karibische Krise (UdSSR)) im Oktober 1962 war eine äußerst ernste Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion im Kalten Krieg, die sich um die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf Kuba drehte. Die eigentliche Krise dauerte 13 Tage und wurde von einer Neuordnung der internationalen Beziehungen gefolgt. Mit der Kubakrise erreichte der Kalte Krieg eine neue Qualität, die overkill-Kapazitäten beider Supermächte wurden erstmals deutlich. Während des Konflikts wurde der Ausbruch eines Atomkrieges als wahrscheinlich angesehen.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Aus dem Zweiten Weltkrieg waren die USA und die Sowjetunion als Weltmächte hervorgegangen. Sie standen für zwei gegensätzliche Wirtschaftssysteme und Ideologien und versuchten, dem Gegner mit immer neuen Waffentechnologien die eigene Überlegenheit zu demonstrieren.

Dabei wurde selbst ein nuklearer Erstschlag nicht ausgeschlossen, der den Gegner durch massiven Einsatz von Kernwaffen vernichten und jede Vergeltung unmöglich machen sollte. Konventionelle Waffen besaßen für ein solches Vorhaben nicht genug "Feuerkraft". Interkontinentalraketen der damaligen Zeit erreichten Ziele innerhalb von 18.000 km; die beiden Supermächte konnten einander also von heimischem Boden aus mit solchen Raketen beschießen. Auch die Bomberflotten des Typs B-52 und Tu-95 besaßen entsprechende Reichweiten. Allerdings machten die langen Vorwarnzeiten einen Überraschungsangriff unmöglich. Also mussten Raketen näher am Ziel installiert werden. Im Jahre 1958 begann die Sowjetunion mit der Aufstellung von atomaren Mittelstreckenraketen des Typs SS-3 Shyster in der DDR, die gegen Ziele in Westeuropa, insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, gerichtet waren. Sie wurden jedoch 1959 überraschend nach Kaliningrad (Königsberg) verlegt[1]. Die nächste Stufe des Wettrüstens folgte noch im selben Jahr. Diese erreichten die USA im Januar 1959 mit der Aufstellung von nuklearen Mittelstreckenraketen des Typs Thor in England sowie Jupiter-Raketen in Südostitalien (Apulien) und in der Nähe von Izmir in der Türkei.

Durch die sowjetisch-chinesischen Verstimmungen in den 1950er Jahren und Chruschtschows gescheiterten Versuch, in der Berlin-Krise vom November 1958 der Stadt den Viermächtestatus zu entziehen, drohte eine Schwächung der sowjetischen Position im Kalten Krieg. Die Lage änderte sich, als im Januar 1959 die kubanische Guerilla unter Fidel Castro den Diktator Fulgencio Batista aus Kuba vertrieb. Castro bildete eine Revolutionsregierung, in der anfangs noch verschiedene oppositionelle Gruppen vertreten waren, darunter auch die bald bevorzugten Kommunisten. Batista war von den USA unterstützt worden und auch Castro wollte die Beziehung aufrechterhalten; er bat die USA um ein Darlehen. Für die USA kam er jedoch als Partner nicht in Frage. US-Präsident Eisenhower lehnte das Darlehen ab, die amerikanische Regierung unterstützte die kubanische Opposition durch Terror- und Sabotageakte. Sogar Mordanschläge gegen das Castro-Regime und das Fingieren von Terrorakten und militärischen Zwischenfällen als Vorwand für eine Invasion Kubas wurden erwogen.[2]

Die UdSSR beobachtete diese Entwicklung aufmerksam und nahm im Mai 1960 diplomatische Beziehungen zu Kuba auf. Castro hoffte, mit der wirtschaftsstarken UdSSR im Rücken ein Vorbild für die nationale Unabhängigkeit in Lateinamerika werden zu können. Die USA werteten dies als inakzeptablen Versuch, in Mittel- und Südamerika den Kommunismus zu verbreiten.

Am 19. Oktober 1960 verbot die Regierung der USA per Dekret, Erdöl nach Kuba zu exportieren; gleichzeitig untersagte sie jeglichen Import aus Kuba. Das sowjetische Politbüro sagte hierauf wirtschaftliche und militärische Unterstützung zu. Diese Zusagen gelten heute als Anlass für die mit verdeckter Unterstützung der CIA durch Exilkubaner ausgeführte Invasion in der Schweinebucht vom April 1961, die für die Angreifer in einem Fiasko endete.

Das Bündnis zwischen der Sowjetunion und Kuba war für beide Staaten vorteilhaft. Die UdSSR konnte ihr taktisches Defizit gegenüber den USA ausgleichen, nämlich die Erreichbarkeit des gegnerischen Territoriums mit Mittelstreckenraketen, und Kuba betrachtete die Sowjetunion als wichtigsten Handelspartner und Schutzmacht, die die Regierung Castro vor gewaltsamer Einflussnahme der USA schützen konnte.

Unmittelbare Vorgeschichte

Von 1959 an stationierten die USA in Italien eine Staffel mit 25 und in der Türkei zwei Staffeln mit 25 nuklear bestückten Mittelstreckenraketen vom Typ Jupiter, die auf die UdSSR gerichtet waren.

Am 26. und 27. Oktober 1960 starteten die USA von der Laughlin Air Force Base in Texas erstmals auch U-2-Aufklärungsflüge über Kuba. Am 5. September 1961 wurden erstmals Aufnahmen von Flugabwehrraketen vom Typ SA-2 Guideline und von Kampfflugzeugen vom Typ MiG-21 Fishbed gemacht.

Im April 1962 wurden die amerikanischen Thor- und Jupiter-Atomraketen in der Türkei einsatzbereit gemacht. Weil sie wegen ihrer ungeschützten Aufstellung leicht angreifbar waren, konnten sie nur zu einem atomaren Erstschlag genutzt werden.

Zudem fuhren auf den Meeren US-U-Boote mit Polaris-Atomraketen. Diese Submarine Launched Ballistic Missiles konnten auch unter Wasser abgefeuert werden und waren entsprechend schwer zu treffen. Die Sowjetunion hatte zu dem Zeitpunkt nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen.

Ab dem 10. Juli 1962 begann die UdSSR unter dem Decknamen Operation Anadyr auf Kuba heimlich mit einer beispiellosen Stationierung von Militär. Die sowjetische Marine und Handelsflotte transportierten mit 183 Fahrten von 86 Schiffen über 42.000 Soldaten und 230.000 Tonnen Ausrüstung nach Kuba, darunter 40 R-12 und 24 R-14 – Mittelstreckenraketen mit dazugehörigen Atomsprengköpfen von 0,65 Mt (R-12) bzw. 1,65 Mt (R-14). Zum Vergleich: Die über Nagasaki abgeworfene Fat Man hatte 0,024 Mt. Diese Raketen wurden offensichtlich nicht nur zum Schutze Kubas installiert, sondern dienten vor allem dazu, ein militärisches Drohpotential aufzubauen, welches die Schwäche des sowjetischen Arsenals an ICBM kompensieren sollte.[3]

Am 5. und 29. August 1962 ging die CIA Agentenhinweisen nach und entdeckte auf Fotos des US-Spionageflugzeuges U-2 erstmals in der Provinz Pinar del Río Raketenabschussvorrichtungen.

Am 8. September 1962 legte das sowjetische Frachtschiff Omsk mit einer Ladung von SS-4 Mittelstreckenraketen in Havanna an, brachte die Fracht aber nicht an Land. Am 15. September 1962 wurden im Atlantik US-Aufklärungsfotos von dem mit Militärgütern beladenen sowjetischen Frachtschiff Poltava gemacht, das sich auf dem Weg nach Kuba befand.

Zeittafel der Krise im Oktober 1962

Raketen- und Luftwaffenstützpunkte in Kuba im Oktober 1962 (US-Grafik)
Luftaufnahme der Raketenstellung nahe San Cristobal am 14. Oktober 1962

Zur eigentlichen Krise kam es im Oktober 1962:

Sonntag, 14. Oktober: US-Präsident John F. Kennedy genehmigt erneut Luftaufnahmen der Spionageflugzeuge Lockheed U-2. Zweimal überfliegen U-2-Flugzeuge vom Luftwaffenstützpunkt Laughlin in Texas aus die Raketenstellungen auf Kuba. Sie entdeckten sowjetische Techniker und Soldaten, die im Begriff waren, Abschussrampen für sowjetische Mittel- und Langstreckenraketen des Typs SS-4 „Sandal” und SS-5 „Skean” in der Nähe von San Cristobal in Kuba zu bauen. Sie schossen mehrere Fotos. Die Sowjets entdeckten das Flugzeug, hatten aber keinen Befehl für Gegenmaßnahmen.

Montag, 15. Oktober: Auf den ausgewerteten Fotos wird der Hinweis erbracht: Die Raketenabschussrampen für SS-4 Mittelstreckenraketen MRBM existieren. Sie befinden sich nahe San Cristobal im Nordwesten Kubas und wären in der Lage, Teile der USA zu erreichen. Die SS-5 Raketen IRBM werden nicht entdeckt. Dean Rusk und Robert McNamara werden informiert, Sicherheitsberater McGeorge Bundy entscheidet, den Präsidenten erst am nächsten Morgen zu informieren.

Dienstag, 16. Oktober: John F. Kennedy wird von McGeorge Bundy informiert und beruft sofort einen Beraterstab (Executive Committee, ExComm) ein. Verschiedene Reaktionen werden erörtert: Hinnehmen der Stationierung, Luftangriff und Invasion. Alle Beratungen und Ergebnisse werden vor der Öffentlichkeit (und somit auch vor der Sowjetunion) geheim gehalten. Präsident Kennedy ordnet weitere U-2-Aufklärungsflüge an. Beim zweiten Treffen des ExComm am Nachmittag schlägt Robert McNamara eine Seeblockade Kubas vor. Nicht alle Mitglieder des ExComm nahmen an sämtlichen Sitzungen teil. Zu manchen Treffen wurden weitere Berater hinzugezogen. Insgesamt kann gesagt werden, dass John F. Kennedy einen größeren und informelleren Beraterkreis um sich hatte als sein sowjetischer Gegenspieler Chruschtschow.

Luftbild vom 17. Oktober 1962 mit einer Raketenstellung

Mittwoch, 17. Oktober: Es folgen sechs weitere U-2-Aufklärungsflüge über die Raketenstellungen. Die Luftaufnahmen beweisen die Existenz von 16 bis 32 Raketen (Typ SS-4 und SS-5) mit einer Reichweite von bis zu 4500 km. Diese Raketen hätten neben der amerikanischen Hauptstadt auch die wichtigsten Industriestädte der USA erreichen können; die Vorwarnzeit hätte nur fünf Minuten betragen. Außerdem werden IL-28-Bomber entdeckt.

Der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko (3. v.l.) im Gespräch mit US-Präsident John F. Kennedy

Donnerstag, 18. Oktober: Der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko besucht Kennedy, wie schon seit längerem geplant. Kennedy spricht die Situation auf Kuba nicht an, da er aus taktischen Gründen Geheimhaltung wahren will. Allerdings wird mehrfach die alte sowjetische Forderung angesprochen, West-Berlin müsse entmilitarisiert werden. Dadurch erhärtet sich die amerikanische Annahme, die Sowjetunion wolle durch ihr Vorgehen auf Kuba die eigene Position in neuen Berlinverhandlungen verbessern. Eine Auffassung, die auch die Westalliierten teilen, die sich jedoch als Fehlinterpretation erweisen wird. Meldungen von umfassenden neuen Waffenlieferungen nach Kuba verbreiten sich in Washington D.C. Die Militärs werden ungeduldig. Eine Seeblockade halten die US-Generäle für zu schwach: Man müsse sofort mit Luftangriffen und anschließender Invasion handeln. Air-Force-General Curtis E. LeMay drängt auf einen Angriff: „Der rote Hund gräbt im Hinterhof der USA und muss dafür bestraft werden.” Robert Kennedy lässt durch seinen Stellvertreter Nicholas deB. Katzenbach die Rechtsgrundlagen für eine Seeblockade Kubas prüfen. Im Verlauf der Gespräche im ExComm präferiert John F. Kennedy eine Seeblockade.

Freitag, 19. Oktober: Der Präsident will kein Aufsehen erregen und reist – gemäß seinem Terminplan – zum Wahlkampf nach Ohio und Illinois. Er fordert seinen Bruder Robert Kennedy auf, eine Mehrheit im ExComm für die Blockade-Option zustande zu bringen. Katzenbach unterrichtet das ExComm über die rechtlichen Umstände der Blockade. Das ExComm wird in zwei Gruppen aufgeteilt, in denen verschiedene Möglichkeiten zur „Bekämpfung” der Raketen auf Kuba ausgearbeitet werden. Auf der einen Seite stehen die „Hawks” (Falken), welche den Luftangriff präferieren, auf der anderen Seite die „Doves” (Tauben), welche für die friedlichere Option der Blockade eintreten.

Samstag, 20. Oktober: Es gelingt Robert Kennedy, eine Mehrheit im ExComm für die Blockadeoption zu erreichen. Er ruft den Präsidenten in Chicago an, und John F. Kennedy kehrt nach Washington zurück. Obwohl die Entscheidung für die Blockade gefallen ist, werden die Optionen für einen Luftangriff oder eine Invasion Kubas offen gehalten.

Sonntag, 21. Oktober: Berater vom Tactical Air Command (TAC) erklären, dass ein Luftangriff nicht alle sowjetischen Raketen auf Kuba ausschalten könne. Daraufhin genehmigt Kennedy endgültig die Seeblockade. Abends telefoniert er mit den Herausgebern großer Zeitungen (New York Times, Washington Post, New York Herald Tribune), um eine verfrühte Berichterstattung zu verhindern.

Montag, 22. Oktober: Einer der wichtigsten Tage der Krise. Am Morgen kündigen amerikanische Zeitungen eine Rede des Präsidenten von nationaler Bedeutung für 19 Uhr Washingtoner Zeit an. Alle US-Streitkräfte weltweit werden in erhöhte Einsatzbereitschaft (Defense Condition 3) versetzt, weitere US-Soldaten werden zur Vorbereitung einer Invasion nach Florida verlegt und rund 200 Kriegsschiffe um Kuba in Stellung gebracht. Die Regierungsvertreter Großbritanniens, Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland und Kanadas werden informiert und versichern Kennedy ihre volle Unterstützung. Weitere diplomatische Bemühungen laufen in mittel- und südamerikanischen Staaten für eine Unterstützung der amerikanischen Position in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und bei den Vereinten Nationen (UN). In seiner Fernsehansprache informiert Kennedy die Weltöffentlichkeit über die sowjetischen Raketen auf Kuba und verkündet den Beginn der Seeblockade für den 24. Oktober. Er fordert den sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow zum Abzug der Raketen aus Kuba auf und droht für den Angriffsfall mit einem atomaren Gegenschlag. Ab diesem Zeitpunkt ist die Kubakrise öffentlich. Im Kreml wird das Schlimmste befürchtet, womöglich eine Invasion auf Kuba.

Luftbild vom 27. Oktober 1962 mit einer Raketenstellung
Heck des abgeschossenen U-2-Aufklärungsflugzeuges im Revolutionsmuseum in Havanna, Kuba
Das Triebwerk derselben Maschine (ebenfalls Havanna, Kuba)

Dienstag, 23. Oktober: Chruschtschow verkündet, die Blockade nicht zu akzeptieren, versichert jedoch, die stationierten Raketen dienten allein der Verteidigung. Die Diplomatie hat Erfolg: Die OAS stimmt für das Vorgehen gegen Kuba und bestätigt die Seeblockade. Diese wird offiziell als „Quarantäne” bezeichnet, da der Begriff „Blockade” sich im Sprachgebrauch auf militärisches Vorgehen bezieht.

Mittwoch, 24. Oktober: Die von John F. Kennedy als „Quarantäne” bezeichnete Seeblockade aus amerikanischen Kriegsschiffen beginnt um 10 Uhr Washingtoner Zeit. Es kommt zu einer ersten Zuspitzung, wenngleich die amerikanischen Schiffe nicht ohne den Befehl des Präsidenten schießen dürfen. Dies wurde angeordnet, um eine Eskalation zu vermeiden, sollten die sowjetischen Schiffe versuchen, den Sperrgürtel (mit Radius von 500 Meilen) zu durchbrechen. Doch alle sowjetischen Schiffe drehen ab, nachdem der Radius der Blockade verkleinert wurde, um ihnen mehr Zeit zu geben. Trotzdem ist bei der sowjetischen Regierung keine Bereitschaft zum Einlenken zu erkennen.

Donnerstag, 25. Oktober: Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York City: Diplomatischer Schlagabtausch zwischen den UN-Botschaftern Walerian Sorin (UdSSR) und Adlai Stevenson (USA); die US-Delegation präsentiert der Weltöffentlichkeit erstmals eindeutige Aufklärungsfotos von den sowjetischen Raketenstellungen. Tatsächlich wurde die Zahl der Nuklearraketen von der amerikanischen Seite bei weitem unterschätzt. Auf einer Historikerkonferenz im Jahr 2002 erklärte der damalige Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte, dass 40.000 Rotarmisten sowie 42 Raketen auf Kuba installiert gewesen waren, einschließlich taktischer Atombomben, deren Einsatz bereits autorisiert war[2]. Etwa 80 Atomsprengköpfte befanden sich während der Krise auf Kuba. US-Verteidigungsminister Robert McNamara und Raymond Garthoff, damals Mitarbeiter des US-Außenministeriums, konstatierten später gar, die USA hätten nicht ernsthaft damit gerechnet, dass die Mittelstreckenraketen auf Kuba tatsächlich nuklear bestückt seien.[4]

Freitag, 26. Oktober:'

  • Trotz Blockade geht die Stationierung der Raketen auf Kuba weiter. ExComm debattiert über militärische Schritte. Die Hardliner plädieren für Luftangriffe und – falls nötig – eine Invasion. Kennedy erreicht ein Schreiben von Chruschtschow, in dem dieser anbietet, die Raketen von Kuba abzuziehen, falls eine Invasion von Kuba durch die Amerikaner ausgeschlossen werde. Kennedy sichert das zu. Der erste Frachter, der von der amerikanischen Marine blockiert werden sollte, hatte allerdings einen Begleitschutz von mehreren U-Booten. Durch Übungswasserbomben zwingen die Amerikaner die U-Boote zum Auftauchen. Wie erst im Jahr 2002 bekannt wurde, waren diese teilweise mit Atomwaffen bestückt und auch zur Verteidigung damit autorisiert[2].
  • Trotz Defense Condition 2, der höchsten Alarmbereitschaft der Streitkräfte unterhalb eines Krieges, setzte die US-Air Force unter Leitung von LeMay am 26. Oktober über dem Johnston Atoll eine Serie an Atombombentests fort, indem im Rahmen der Operation Dominic der Test Bluegill Triple Prime durchgeführt wurde. Das ExComm wurde davon jedoch nicht in Kenntnis gesetzt[2]. Auch die UdSSR testeten in den folgenden Tagen zwei Atomwaffen in der Atmosphäre.
  • Einem Bericht in Telepolis zufolge trafen die Sowjets an diesem Tag Vorkehrungen für einen Nuklearangriff auf den US-Stützpunkt Guantanamo, wobei es beim Transport zu einem tödlichen Unfall kam[2].
  • Castro forderte für den Fall einer US-Invasion einen atomaren Erstschlag auf das amerikanische Territorium. In einem Brief antwortete Chruschtschow vier Tage später: "Sie haben uns vorgeschlagen, als erste einen nuklearen Schlag gegen das Territorium des Feindes durchzuführen. Sie wissen sicherlich, was das für uns zur Folge gehabt hätte. Dies wäre nicht ein einfacher Schlag, sondern der Beginn des thermonuklearen Krieges. Lieber Genosse Castro, ich halte Ihren Vorschlag für unkorrekt."[5]

Samstag, 27. Oktober: Am so genannten „schwarzen Samstag” überschlugen sich die Ereignisse:

  • Morgens wird in Cape Canaveral, USA ein Test mit der neuen Interkontinentalrakete LGM-25C Titan II (USAF-Seriennr. 61-2735) durchgeführt, über den das ExComm ebenfalls nicht informiert war.[6]
  • Ein US-Zerstörer zwingt mit einer Granate ein sowjetisches U-Boot zum Auftauchen. Das U-Boot hat Nuklearwaffen an Bord; um Haaresbreite bricht der Nuklearkrieg aus. Doch Wassili Alexandrowitsch Archipow, einer der drei Offiziere an Bord des U-Bootes, weigert sich, einen Torpedo ohne weiteren Befehl aus Moskau abzuschießen.
  • Ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug verirrt sich in sowjetischen Luftraum, Kampfflugzeuge steigen auf. Das US-Flugzeug kann um Haaresbreite entkommen.
  • Ein weiterer Brief von Chruschtschow trifft ein. Darin wird der Raketenabzug nun sowohl an ein Nichtangriffsversprechen der USA als auch an den Abzug der amerikanischen Jupiter-Raketen aus der Türkei gebunden.
  • Ein amerikanisches U-2-Aufklärungsflugzeug wird über Kuba von einer SA-2 Guideline-Flugabwehrrakete abgeschossen; der Pilot Major Rudolf Anderson wird dabei getötet. Kennedy untersagt einen Gegenangriff ausdrücklich und erklärt sich noch einmal zu weiteren Verhandlungen bereit.
  • Um 19:45 Uhr Washingtoner Zeit findet ein Geheimtreffen zwischen Robert „Bobby” Kennedy und dem Sowjetbotschafter Dobrynin statt. John F. Kennedy lässt seinen Bruder erklären, dass er auch einem Abzug der in der Türkei stationierten amerikanischen Jupiter-Raketen zustimmen würde, wie es bereits im zweiten – schon förmlicheren – Schreiben von Chruschtschow gefordert worden war. Diese Möglichkeit hält er vor den meisten Mitgliedern des ExComm geheim, die mehrheitlich einen Luftangriff fordern. Dobrynin gibt diese Nachricht sofort an den Kreml weiter. Spätnachts in Moskau entscheidet Nikita Chruschtschow das Angebot Kennedys anzunehmen und die Raketen aus Kuba abzuziehen.
Luftbild vom 1. November 1962

Sonntag, 28. Oktober: Die Geheimdiplomatie ist erfolgreich. Chruschtschow lenkt ein und erklärt sich bereit, die Raketen zu entfernen. Im Gegenzug erklären die USA: keine Invasion auf Kuba. Außerdem – was nicht öffentlich werden darf – Abbau der Raketen in der Türkei. Der Rückzug der sowjetischen Raketen wird über Radio Moskau von Chruschtschow bekannt gegeben. Die Krise ist beendet. Vor dem Hintergrund des durch die Sowjetunion nicht autorisierten Abschusses der amerikanischen U2 und Castros Forderung nach einem atomaren Erstschlag, wird hinter Chruschtschows Entscheidung auch die Angst vermutet, die Kontrolle über die Situation in Kuba zu verlieren.

Lösung des Konflikts

Die beiden Staaten haben sich folgende Bedingungen auferlegt: Die Sowjetunion zieht ihre Raketen aus Kuba ab. Dagegen erklären die USA, keine weitere militärische Invasion Kubas zu unternehmen und ihrerseits die amerikanischen Raketen aus der Türkei und Italien abzuziehen. Der Abzug aus der Türkei findet etwas später und unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, um die NATO-Partner der USA nicht zu brüskieren und die Vereinigten Staaten als Sieger der Krise darstellen zu können.

Abtransport von Raketen (November 1962)

Am 5. November begann der Abzug der Mittelstreckenraketen von Kuba, der offiziell innerhalb von fünf Tagen vollzogen war.[7] Der ursprüngliche Plan der Sowjetunion war es gewesen, die Raketen den Kubanern zu übertragen. Doch als Chruschtschow am 15. November 1962 erfuhr, dass Castro vor ihrem Einsatz auch zu Angriffszwecken gegen die USA nicht zurückschreckte, entschied er sich dafür, alle Atomsprengköpfe in die Sowjetunion zurückzuschicken und lediglich einige konventionelle Kurzstreckenraketen auf der Insel zu belassen.[8] Am 20. November 1962 - nach offiziell erfolgtem Abzug der sowjetischen Mittelstreckenraketen - lösten die USA schließlich die Seeblockade um Kuba auf. Der tatsächliche Abzug der Raketen war erst Anfang Januar 1963 abgeschlossen.

Abgesehen von dieser Öffentlichkeitswirkung waren die Ereignisse von 1962 aus Sicht der beiden Supermächte USA und Sowjetunion ein taktischer Sieg der jeweils anderen Seite; dies geht aus später veröffentlichten Geheim-Reden der jeweiligen Präsidenten Kennedy und Chruschtschow hervor und verstärkte das Misstrauen der militärischen Führungen beider Länder gegen die eigenen Regierungen.

Nach der Krise verblieben Frog-Raketen der Sowjetunion auf der Insel. Sie konnten zwar aufgrund der geringen Reichweite keine US-amerikanischen Städte treffen, aber den US-Stützpunkt in der Bucht von Guantanamo und heranfahrende Schiffe bedrohen. Die Gefahr, die von den verbleibenden Raketen auf Kuba ausging, war der USA im Nachgang der Krise bekannt und wurde akzeptiert, da die Frog-Raketen als Verteidigungswaffe angesehen werden konnten.[9]

Analyse des politischen Handelns der Konfliktparteien

Die Untersuchung der Kubakrise durch die Politikwissenschaft konzentriert sich vorrangig auf Handlungsspielräume und -entscheidungen der Akteure. Zentral für die Lösung der Kubakrise war, dass sowohl John F. Kennedy als auch Nikita S. Chruschtschow sich der Tragweite ihrer Entscheidungen bewusst waren. Beide versuchten, alle Entwicklungen unter Kontrolle zu behalten, dem politischen Gegner Zeit für seine Entscheidung zu geben und nicht blind auf die Ratschläge ihrer militärischen Berater zu vertrauen.

Kennedy erklärte unmittelbar nach der Kubakrise, dass die Gefahr nicht darin gesehen wurde, dass die Sowjetunion von Kuba aus Raketen auf die USA schießen würde (das Raketenabwehrsystem der USA hätte sie abfangen können), sondern, dass dem Anschein nach die balance of power zugunsten der Sowjetunion aus dem Gleichgewicht geraten wäre.[10]

Folgen der Krise

Die Kubakrise hatte viele Auswirkungen, vor allem auf den Kalten Krieg. So war die Sowjetunion nach dem Abzug der Atomraketen von Kuba wieder mit ihrer strategischen Unterlegenheit konfrontiert. Um ein ungefähres nuklearstrategisches Gleichgewicht zwischen ihnen und den USA herzustellen, unternahm die Sowjetunion nach der Kubakrise verstärkte Rüstungsanstrengungen. Diese Aufholjagd beim Rüstungswettlauf hatte Einschnitte beim Lebensstandard und die Aufgabe der teuren Agrarprogramme zur Folge.

Aber die Krise führte auch zu ersten Verhandlungen über eine Rüstungskontrolle. So wurde z. B. am 5. August 1963 in Moskau ein Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser unterzeichnet und ab 1969 auch die SALT-Abkommen verhandelt, die eine Begrenzung der Interkontinentalraketen beider Länder vorsah. Es gab fortan auch eine Entspannungspolitik zwischen den beiden Supermächten. So bemühten sie sich einer direkten Konfrontation aus dem Weg zu gehen und trugen ihre Auseinandersetzungen stattdessen in Stellvertreterkriegen in Vietnam und Afghanistan aus. Ihre Interessen konzentrierten sich nach der Krise auch auf die Bereiche des Globus, die noch nicht klar zwischen Ost und West verteilt waren.

Kennedy entzog den Militärs die eigenständige Verfügung über die Atomwaffen durch die Einführung eines für einen Atomschlag zwingend erforderlichen nuklearen Freischaltcodes in der Hand des US-Präsidenten, die über den sogenannten Atomkoffer übertragen werden können.[11] Die Präsidenten tragen den Code seitdem ständig bei sich. Auch die UdSSR führten ein solches System ein.

Um friedensgefährdenden Missverständnissen und direkten Konfrontationen aus dem Weg zu gehen, wurde der Informationsaustausch zwischen den Großmächten verbessert. So wurde z. B. 1963 als weitere Reaktion auf die Krise der so genannte „Heiße Draht“ eingerichtet, eine direkte Fernschreibverbindung zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml, die den direkten Kontakt zwischen den Staatsmännern ermöglichen sollte. Auf diese Weise sollten in einer Krisensituation sofortige Verhandlungen möglich sein, so dass eine Eskalation abgewendet werden könne. Der Heiße Draht kam zum ersten Mal am 5. Juni 1967 kurz nach Beginn des Sechstagekriegs zum Einsatz, der zwischen Israel und den arabischen Staaten Ägypten, Jordanien und Syrien ausbrach. Auch danach wurde er in einer Reihe weiterer Konflikte während des Kalten Kriegs genutzt.

Des Weiteren wurde nach der Krise das US-Embargo gegen Kuba nochmals verschärft. Auf diese Weise wurde Kuba noch enger an die Sowjetunion gebunden.

Die Kubakrise führte auch zu einer neuen Beziehung zwischen den Supermächten, die sich in einer beiderseitigen Entspannungspolitik ausdrückte. Auch erneuerten sich die außenpolitischen Doktrinen. Die USA gingen über (teilweise schon vor der Krise) zu einer militärischen Strategie der Flexible Response und in der Sowjetunion proklamierte Chruschtschow nun die Friedliche Koexistenz.

Filme

Literatur

  • Graham T. Allison, Philip Zelikow: Essence of Decision – Explaining the Cuban Missile Crisis. 2. Auflage, Longman, New York u.a. 1999 (Erstausgabe: Boston 1971), ISBN 978-0-321-01349-1.
  • Stefan Brauburger: Die Nervenprobe, Schauplatz Kuba: Als die Welt am Abgrund stand. Campus, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-593-37096-4.
  • Bernd Greiner: Kuba-Krise. 13 Tage im Oktober: Analyse, Dokumente, Zeitzeugen (Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts; Band 7). Greno, Nördlingen 1988 (Auswertung der Tonbandprotokolle der geheimen US-Präsidentenberatungen) ISBN 3-89190-956-X.
  • Bernd Greiner: Die Kuba-Krise. Die Welt an der Schwelle zum Atomkrieg. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-58786-3 (Beck'sche Reihe 2486 C. H. Beck Wissen).
  • Aleksandr A. Fursenko, Timothy J. Naftali: One Hell of a Gamble: Krushchev, Castro & Kennedy 1958–1962. The Secret History of the Cuban Missile Crisis. Norton, New York 1997, ISBN 0-393-04070-4.
  • Robert F. Kennedy; Theodore C. Sorensen (Hrsg.): Dreizehn Tage. Die Verhinderung des Dritten Weltkrieges durch die Brüder Kennedy (Originaltitel: Thirteen Days, a Memoir of The Cuban Missile Crisis, übersetzt von Irene Muehlon). Scherz, Bern 1969 (2. Auflage: Dreizehn Tage, wie die Welt beinahe unterging Darmstätter Blätter, Darmstatt 1982, ISBN 3-87139-076-3, als Taschenbuch: Dreizehn Tage oder Die Verhinderung des Dritten Weltkriegs, rororo 6737; Reinbek bei Hamburg 1970, ISBN 3-499-16737-9).
  • Christof Münger: Kennedy, die Berliner Mauer und die Kubakrise. Die westliche Allianz in der Zerreißprobe 1961–1963. Paderborn 2003, ISBN 3-506-77531-6 (Zugleich Dissertation an der Universität Zürich 2002).
  • Arnold Piok: Kennedys Kuba-Krise – Planung, Irrtum und Glück am Rande des Atomkrieges 1960 – 1962. (Reihe diplomica), 1. Auflage, Marburg 2003
  • Rolf Steininger: Die Kubakrise 1962. Dreizehn Tage am atomaren Abgrund, Olzog, München 2011, ISBN 978-3-7892-8275-1.
  • Heiner Timmermann (Hrsg.): Die Kubakrise 1962. Zwischen Mäusen und Moskitos, Katastrophen und Tricks, Mongoose und Anadyr, In: Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen Band 109, Lit, Münster 2003, ISBN 978-3-8258-6676-1.
  • Mark J. White: Missiles in Cuba – Kennedy, Khrushchev, Castro and the 1962 Crisis. van R. Dee, Chicago 1998, ISBN 978-1-5666-3156-3.

Weblinks

 Commons: Kubakrise – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Bayer: Geheimoperation Fürstenberg, DER SPIEGEL 3/2000 vom 17. Januar 2000, Seite 42
  2. a b c d e Markus Kompa: Der General mit dem Knall. Die gemeinem Pläne des Lyman Lois Lemnitzer, Teil 4
  3. Dimitrij N. Filippovych und Wladimir I. Ivkin: Die strategischen Raketentruppen der UdSSR und ihre Beteiligung an der Operation „Anadyr“. In: Dimitrij N. Filippovych und Mathias Uhl (Hrsg.): Vor dem Abgrund. Verlag R.Oldenbourg, 2005.
  4. David G. Coleman: The Missiles of November, December, January, February… The Problem of Acceptable Risk in the Cuban Missile Crisis Settlement. In: Journal of Cold War Studies, 9, 3, 2007, S. 5–48, hier S. 10f.
  5. http://books.google.de/books?id=T9dISP8kHMAC&pg=PA76 Bert Hoffmann: Kuba, S. 76
  6. Titan 2
  7. David G. Coleman: The Missiles of November, December, January, February… The Problem of Acceptable Risk in the Cuban Missile Crisis Settlement. In: Journal of Cold War Studies, 9, 3, 2007, S. 5–48, hier S. 23.
  8. David G. Coleman: The Missiles of November, December, January, February… The Problem of Acceptable Risk in the Cuban Missile Crisis Settlement. In: Journal of Cold War Studies, 9, 3, 2007, S. 5–48, hier S. 29f.
  9. David G. Coleman: The Missiles of November, December, January, February… The Problem of Acceptable Risk in the Cuban Missile Crisis Settlement. In: Journal of Cold War Studies, 9, 3, 2007, S. 5–48, hier S. 12.
  10. John Lewis Gaddis: Strategies of containment. A critical appraisal of American national security policy during the Cold War, bearbeitete und ergänzte Auflage, Oxford 2005, S. 211f.
  11. National Security Action Memorandum No. 272

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