Enrique Schmidt

Enrique Schmidt

Enrique Schmidt Cuadra (* 1949 in Corinto; † 5. November 1984 bei Boaco) war ein nicaraguaischer Revolutionär und Politiker.

Inhaltsverzeichnis

Familiärer Hintergrund

Schmidts Urgroßvater war der ostpreußische Artilleriehauptmann Wilhelm Schmidt Rauchhaupt. Dieser hatte sich nach dem Deutsch-Französischen Krieg zum Pazifismus bekannt und war deshalb mit zahlreichen anderen Deutschen nach Südamerika emigriert. Nach einem Aufenthalt in El Salvador zog er nach Nicaragua.

Enrique Schmidt kam als Sohn eines Rechtsanwalts zur Welt; seine beiden Eltern kamen am 23. Dezember 1972 bei einem schweren Erdbeben in Managua ums Leben.

Leben

Auf ausdrücklichen Wunsch seines Vaters reiste Schmidt 1967 zum Studium in die Bundesrepublik Deutschland. Nachdem er über zwei Jahre die deutsche Sprache erlernt hatte, immatrikulierte er sich 1969 mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für Wirtschafts- und Sozialwissenschaft an der der Universität zu Köln. Er wurde Auslandsreferent des dortigen AStA und Mitglied der „Kinderhilfe Lateinamerika”. Bereits in dieser Zeit war er politisch sehr interessiert und trat als Gegner des nicaraguaischen Somoza-Regimes auf. Zudem organisierte er beispielsweise Unterstützung für die Movimiento de Izquierda Revolucionaria in Chile sowie für die Nationale Front für die Befreiung Südvietnams und gründete mit anderen Kommilitonen aus Lateinamerika, Asien und Afrika den Trikontinentalen Studentenbund. Dieser ging eine enge Kooperation mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund ein. Während des Studiums lernte er die Spanierin Mariví Uriquijo Nuño kennen, die damals als Sprecherin bei der Deutschen Welle arbeitete. Das Paar heiratete und 1974 kam Tochter Maité zur Welt – neben einem Sohn eines von zwei gemeinsamen Kindern. Ebenfalls 1974 schloss Schmidt seine Diplomarbeit ab und kehrte in sein Heimatland zurück – mittlerweile war er Mitglied der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) und hatte eine militärische Ausbildung der Palästinensischen Befreiungsorganisation im Nahen Osten absolviert.

In der Folgezeit arbeitete Schmidt für Siemens und als Dozent für Nationalökonomie an der Universidad Nacional Autónoma de Nicaragua. Da man ihn verbotener Kontakte zu Gewerkschaften beschuldigte, wurde er im Dezember 1975 von der Guardia Nacional de Nicaragua verhaftet und im berüchtigten Gefängnis von Tipitapa inhaftiert. Dort war er wochenlanger Folter ausgesetzt, lernte allerdings mit Tomás Borge auch den Mitbegründer der FSLN kennen. Schmidts Festsetzung sorgte für internationales Aufsehen. Seine Freunde aus Köln gründeten einen Unterstützerkreis und zahlreiche Politiker der SPD sowie Funktionäre der Evangelischen Kirche in Deutschland – Schmidt war seiner Zeit aktives Mitglied des Internationalen Arbeitskreises der Kölner Evangelischen Studierendengemeinde – setzten sich für seine Freilassung ein. Dieser Druck führte schließlich 1977 zur Entlassung, in deren unmittelbarem Anschluss er mit seiner Ehefrau zurück nach Westdeutschland flog.[1] Das Paar zog nach Bremen, wo er an der dortigen Universität eine Dissertation zum Thema Ökonomie und koloniales Erbe – Möglichkeiten und Perspektiven der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in Mittelamerika verfasste und schließlich summa cum laude promoviert wurde. Von der FSLN zu ihrem offiziellen Vertreter in Westeuropa ernannt, war Schmidt maßgeblich an der Gründung erster Solidaritätsgruppen in Deutschland und der anschließenden raschen Ausweitung der Arbeit auf beispielsweise die Niederlande, Skandinavien, Frankreich und Italien beteiligt. Er zeichnete dafür verantwortlich, dass sich um 1978 bereits 45 Unterstützerkreise in Westdeutschland etabliert hatten. Sogar in der DDR fanden sich einige Initiativgruppen zusammen, diese wurden im dortigen politischen System allerdings nur ungern geduldet.

Ende März 1979 kehrte Schmidt abermals nach Nicaragua zurück – dieses Mal, um am entscheidenden Marsch der FSLN auf die Hauptstadt Managua teilnehmen zu können. Er schloss sich den Truppen im Süden des Landes an und war am Ende Panzerfahrer, als den Revolutionären nach Jahren des Guerillakampfes am 19. Juli schließlich die Machtübernahme gelang. Während des Wiedererrichtens der staatlichen Strukturen wurde er mit der Umorganisation des von seinem Freund Tomás Borge geführten Innenministeriums beauftragt. Anschließend war er als Polizeichef von Managua tätig, bevor man ihn 1982 zum Minister für das Post- und Fernmeldewesen ernannte. Schmidt war gut mit dem österreichischen Journalisten Leo Gabriel befreundet und pflegte sehr enge Kontakte zur SPD und zur Sozialistischen Internationalen. Führende Sozialdemokraten bereisten auf seine Einladung Nicaragua, um dort ihre Unterstützung für die Politik der Sandinisten zu demonstrieren. Im Mai 1984 lud ihn die SPD als Vertreter seines Landes zum Bundesparteitag nach Essen ein, wo er in Anwesenheit Willy Brandt eine viel beachtete Rede hielt.

Im sich stetig intensivierenden Contra-Krieg, in dem paramlitärisch organisierte Konterrevolutionäre mit US-amerikanischer Unterstützung versuchten, die international legitimierte linksgerichtete sandinistische Regierung wieder zu stürzen, stand Schmidt solidarisch hinter seinem Freund Borge. Dieser stellte aus machtpolitischen Erwägungen einige Spezialbataillone auf, und Schmidt wurde Kommandeur des Bataillons „Pablo Ubeda“. Anfang November 1984 war er mit dieser 250 Mann starken Einheit im Einsatz, um eine Gruppe „Contras“ zurückzudrängen, die kurz zuvor ein Dorf nahe Boaco überfallen hatte. Als diese bereits besiegt schienen, wurde Schmidt von mehreren Schüssen tödlich getroffen. Er starb im Alter von 35 Jahren.

Gedenken

Schmidts Tod löste sowohl in Nicaragua als auch in Europa und speziell in Deutschland große Bestürzung aus. Nach der Veröffentlichung der Nachricht fanden sich spontan viele Menschen zu einer Mahnwache vor dem Kölner Amerika Haus ein. In den folgenden Tagen erschienen in der Kölnischen Rundschau und dem Kölner Stadt-Anzeiger mehrere von seinen Freunden geschaltete Todesanzeigen. Auch 35 sozialdemokratische Bundestags- und Europaabgeordnete, darunter Günter Verheugen, Hans-Jürgen Wischnewski, Karsten Voigt und Herta Däubler-Gmelin, gaben eine solche auf. Über 300 Personen kamen am 15. November zu einer Trauer- und Protestversammlung im Jugendzentrum Köln-Sülz zusammen und beschlossen dort die Gründung einer Nicaragua-Solidaritätsgruppe.

Sein Kampfgefährte Tomás Borge, der Schmidt im Rückblick als „das rote Geschenk Preußens“ bezeichnete, verlieh am 25. Juni 1987 den damaligen DDR-Ministern für Staatssicherheit und Inneres, Erich Mielke und Friedrich Dickel, die Medaille für internationalistische Verdienste „Enrique Schmidt“. Auf Grund der engen persönlichen Bindung Schmidts zu Köln ging die Stadt 1988 eine Städtepartnerschaft mit seiner Geburtsstadt Corinto ein. Ein Jahr später tat Bremen den gleichen Schritt, diese Partnerschaft ruht allerdings derzeit. In der Hansestadt trägt zudem eine knapp 270 Meter lange Straße im Universitätsviertel im Stadtteil Horn-Lehe den Namen des Nicaraguaners.

Literatur

  • Tomás Borge, Hans Hübner u.a. (Hrsg.): Enrique presente. Erique Schmidt Cuadra. Ein Nicaraguaner zwischen Köln und Managua. Schmidt von Schwind, Köln, 2004, ISBN 3-932050-25-8

Einzelnachweis

  1. „Gestorben – Enrique Schmidt“ in Der Spiegel vom 12. November 1984, 46/1984. Abgerufen am 2. April 2011 auf Spiegel Online.

Weblinks


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