- Erlanger Pfarrerstochter
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Die Erlanger Pfarrerstochter war die älteste Inaktivenvereinigung von Corpsstudenten. Sie galt als viertes, ab 1894 als fünftes Corps an der Friedrich-Alexander-Universität und nahm nur Kösener Corpsstudenten und Mitglieder des Aschaffenburger Senioren-Convents auf. Mitglieder der Erlanger Corps wurden nur zugelassen, wenn sie auch (ausnahmsweise) Bänder auswärtiger Corps trugen.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Da sie bei den drei Erlanger Lebenscorps Onoldia, Baruthia (vor 1876) und Bavaria (vor 1900) nicht aktiv werden konnten, gründeten die Corpsstudenten Emil Eisenlohr und Benno v. Kügelgen im Sommersemester 1858 die „Vereinigung auswärtiger inaktiver Corps-Studenten des Kösener SC“.[1][2] Vielleicht war sie identisch oder eine unmittelbare Nachfolgerin der Mitte der 1850er Jahre nachgewiesenen losen Inaktivenvereinigung Eiskeller.[3] Der erste „Fürstand“ oder Vorsitzende war der Münchener Franke Heinrich Gemeiner.[4]
1863 konstituierte sich die Pfarrerstochter mit Satzung, Wappen und Zirkel offiziell, ohne den Charakter einer Korporation anzustreben. Bei Universitätsfeiern trat sie als eigenständiger Bund auf, saß aber nicht beim Präsidium des Senioren-Convents. Sie hatte anfangs 26, um die Wende zum 20. Jahrhundert 78 Mitglieder aus 30 Corps.
Als Bundeslied sangen die Pfarrerstöchter „O, wie di wo, widi valla, kassala, kasso wi di wo“.
Später gründeten in Abkehr vom Lebenscorpsprinzip einige Ansbacher 1873 das Waffencorps Rhenania Erlangen. Die Pfarrerstöchter Zahn und Munzinger traten ihr sogleich bei.[5][6] Alle anderen wurden MC des ersten Erlanger Waffencorps. Nicht mehr „nötig“, löste sich die Pfarrerstochter auf.
Als Rhenania ihrerseits suspendierte, unterstützte die Pfarrerstochter das Corps Franconia II. Unter dem Fürstand Wolf tat sie sich am 6. Dezember 1879 wieder auf.[7] Zumeist MC bei Onoldia, initiierten die Pfarrerstöchter im Einvernehmen mit ihr 1894 die Rekonstitution der Rhenania. Die Alten Herren der Franconia traten zu ihr über.
Große Anlässe wurden groß gefeiert, so Anfang Juli 1910, als Erlangen hundert Jahre beim Königreich Bayern war. Beim 50. Stiftungsfest pries Wilhelm Filehne die Pfarrerstochter als Hüterin der alten corpsstudentischen Ideale. Ihre Mitglieder überwanden die Enge ihrer Corps und der Kösener Kreise. So wurde die Pfarrerstochter auch als „Kleiner Kösener“ bezeichnet.
1888/89 hatte die Pfarrerstochter „50–60 Mitglieder, die bei Ochs ihre bescheidenen Mahlzeiten gemeinschaftlich einnahmen. Die meisten arbeiteten fleißig. Es gab aber auch Ausnahmen“ (W. Weber). Als Langzeitstudenten hatten manche Pfarrerstöchter 25 bis 30, einige 40 (sorgenfreie) Semester hinter sich; in ordentliche Berufe kamen aber alle. Im Ersten Weltkrieg fielen acht der 36 bis 40 Pfarrerstöchter. Nach Kriegsende fanden sie sich mit zwei Ansbachern, einem Bayreuther und zwei Rhenanen im Hufeisen zusammen und zogen in die „Biegelei“.
1921 trat die Pfarrerstochter mit einer Weihnachtskneipe und den Weinfrühschoppen an Kaisers Geburtstag an die Öffentlichkeit. Am Reichsgründungskommers des Senioren-Convents nahm sie geschlossen teil.
Name
Zur Namensgebung gibt es mehrere Erklärungen. Vermutlich wurde (auch) auf die damals mächtige theologische Fakultät und die vielen lutherischen Theologiestudenten angespielt. Trotz weniger Studenten war die Erlanger Universität 1810 nur deshalb nicht geschlossen worden, weil sie die einzige bayerische Landesuniversität mit einer lutherisch-theologischen Fakultät war.
Ein „alter Geistlicher“ schrieb:
„In Hof kamen einstmals die erwachsenen Pfarrerstöchter aus der ganzen Umgebung zu einem ‚Kränzchen‘ zusammen. Darüber hatte sich ein wegen seines streitbaren Wesens bekannter Dekan aufgehalten, so daß im nächsten Kränzchen die Vorsitzende in geharnischten Worten die Verdächtigungen zurückwies. ‚Unter uns Pfarrerstöchtern kommt so was nicht vor. Dafür sind wir viel zu gut erzogen.‘ Dieser Ausspruch kam durch einen Pfarrerssohn nach Erlangen und, als sich hier die Vereinigung auswärtiger Corpstudenten bildete, da wählte man den Namen Pfarrerstochter, den schon vorher ein lustiger Theologenstammtisch mehrere Jahre lang geführt hatte.“
– Erlanger Tageblatt, 28. Dezember 1908
1908 nahm der Pfarrverein der protestantischen Landeskirche im Königreich Bayern Anstoß an dem Namen und wandte sich (vergeblich) an den Senat der Universität und an den Magistrat der Stadt. Nach einer Privatklage gegen die „Beleidiger“ verwies das Kultusministerium die Sache nach zwei Jahren zurück an die Universität. Die Entscheidung geriet in Vergessenheit, machte aber das „Lied von der Pfarrerstochter“ von „Karlchen“ in ganz Deutschland bekannt. 1909 wurde es in der „Jugend“ (S. 19) veröffentlicht:
- Das Lied von der „Pfarrerstochter“ (nach einer wahren Erlanger Begebenheit)
- Es sind die Pfarrerstöchterlein
- Der Frauen schönste Sterne!
- Schon Goethe hatt’ in Sesenheim
- Ein Pfafferstöchterl gerne.
- Drum nannte auch ein Korps-Verein
- Sich „Pfarrerstochter“ keck.
- Als dies vernahm der Pfarrverein,
- Bekam er einen Schreck.
- Juchu, heidi
- Bekam er einen Schreck.
- Das Vaterherz, es war empört,
- Es klagt’s dem Magistrate:
- „Dieweil solch Name unerhört,
- Verbiet’ ihn ohne Gnade!“
- Der Magistrat die Nase schnaubt
- Und spricht mit Lachen dies’:
- „Der holde Name bleibt erlaubt,
- Denn er klingt zuckersüß!
- Juchu, heidi,
- Denn er klingt zuckersüß!“
- Die Pfarrerstöchter, blond und fein,
- Sind allerliebste Göhren.
- Wie alle hübschen Mägdelein
- Soll man sie hoch verehren!
- O Pfarrverein, du bist mir leid!
- Du dauerst mich gar sehr!
- Wenn ihr gar so empfindlich seid,
- Dann zeugt halt keine mehr!
- Juchu, heidi,
- Dann zeugt halt keine mehr!
Lokalitäten
Über ihre Kneipen führten die Pfarrerstöchter Protokoll. An jedem 2. Sonnabend feierten sie sie zunächst in einem Haus am Gaismarkt (dem heutigen Theaterplatz). Nach den Besitzern wurden die Wirtschaft und das Brauhaus erst „Erichei“ und dann „Wellerei“ genannt. Dort gab es „das beste Bier in ganz Erlangen, Nürnberg und München“. Als das Haus 1910 geschlossen wurde, zog die Pfarrerstochter in den Goldenen Greif (Stadelmann) und den Goldenen Anker, 1885 in den Goldenen Mond und mit dem „guten Vater Ochs“ für kurze Zeit in den Bayerischen Hof, dann in den Helm und Anfang 1890 in den Goldenen Hecht. Dort saß man im Sommer an langen Tafeln auf der Straße. Im Winter kam man nach dem Kolleg mit Fez, Schlafrock und langer Pfeife zum „Quodlibet“ zusammen.
Als der Hecht-Wirt Roschlaub 1898 vor seinem Gasthaus erstochen worden war, zogen die Pfarrerstöchter in die Goldene Schleie und später zu Wittmann in der Friedrichstraße. 1901 verlegten sie in die Klapperschlange und 1903 in die Gute Quelle, aus der die Erlanger Bayern ausgezogen waren. 1905 wurde das Goldene Hufeisen die neue Heimstatt. Das Bier „im Huf“ wurde mit Doppelkopf und Schwarze Sau finanziert.
Unter der Woche trafen sich die Pfarrerstöchter seit 1863 über Jahrzehnte in der Schuster-Jobst-Siederbeckschen Wirtschaft. An allen Wänden hingen Schläger, Pistolen und eingerahmte Knochensplitter. Auf den Tischen standen „eingelegte“ Scherzel.
Aus „Kaiserfrühschoppen“ wurden oft „Kaiserwochen“. Auf der Bergkirchweih hatten manche Pfarrerstöchter schon bei der nachmittäglichen „Bierprobe“ des ersten Tages 10 „Seidla“ Starkbier bewältigt.
Auf ihren Kneipen wurden die Pfarrerstöchter seit 1880 über 40 Jahre von Georg Röthlingshofer und seinen Söhnen und Enkeln bedient.
Der spätere Sanitätsrat Dr. Wilhelm Weber (1868–1963) trat als Fuchs bei Hasso-Borussia vorübergehend aus, um das 4. Semester in Erlangen zu verbringen und das Physikum zu machen. In seinen Lebenserinnerungen schildert er die Erlanger Vorkliniker, die Pfarrerstochter und das Leben an der „bierfränkischen“ Universität im sehr kalten Wintersemester 1888/89:[8]
„Erlangen war damals noch recht billig. Ein beliebtes Abendessen bestand [damals wie heute] aus einem gebratenen Leber- und Blutwürstchen mit Sauerkraut und Kartoffelbrei. Das kostete 24 Pfennige. Dazu trank man reichlich Bier, von dem das Halbliterglas 12 Pfennige kostete. Man brauchte also keine Mark auszugeben, um abends gut gefüllt mit Festem und Nassem in die Federn zu sinken. Das teuerste Gericht war Filetbeefsteak. Es kostete 50 Pfennige. Als es in meinem Winter auf 55 Pfennige erhöht wurde, aß wochenlang kein Mensch in der Pfarrerstochter dieses sonst so beliebte Gericht. Es war der erste Streik, den ich erlebte. Soviel ich mich erinnere, gewann ihn aber der Wirt. … [Ein Monatswechsel von] 120 Mark genügte für Erlangen völlig. Die Bude kostete nur 15 oder 18 Mark.“
– Wilhelm Weber[9]
Bilder
Einzelnachweise
- ↑ Emil Eisenlohr: Suevia Freiburg, Rhenania Heidelberg; KCL 1930, 36, 245; 70, 93
- ↑ Benno v. Kügelgen: Saxonia Halle; KCL 1930, 64, 293
- ↑ Schneider: Zur Entstehung der "Pfarrerstochter". In: Academische Monatshefte 26 (1909/10), S. 104
- ↑ Heinrich Gemeiner: Franconia München; KCL 1930, 108, 192
- ↑ Karl Zahn: Rhenania Würzburg; Rhenania Würzburg, Franconia München; KKL 1910, 209, 238; 172, 351
- ↑ Ludwig Munzinger: Rhenania Würzburg, Guestphalia Heidelberg; KKL 1910, 209, 231; 112, 838; 43, 67
- ↑ August Wolf: Franconia Würzburg; KKL 1910, 202, 466
- ↑ Das Manuskript von Webers Lebenserinnerungen kommt ins Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Ostwestfalen-Lippe.
- ↑ H[ümmer]., H[ans]. P[eter]: Ein Semesterbericht aus der Stadt der Pfarrerstöchter (Erlangen 1888/89), In: Einst und Jetzt 56 (2011), S. 394-399
Literatur
- Hermann Buzello: Ein Beitrag zum fünfzigsten Stiftungsfeste der „Pfarrerstochter“ zu Erlangen. Nürnberg 1911
- H[ans] P[eter] H[ümmer]: Pfarrerstochter. In: C. Friederich, B. Frhr. v. Haller, A. Jakob (Hrsg.): Erlanger Stadtlexikon, Nürnberg 2002
- Herbert Kater: Die Erlanger Pfarrerstochter. Einst und Jetzt 18 (1973), S. 166–178
- Robert Schneider: Kurze Geschichte und Mitgliederverzeichnis der Pfarrertochter zu Erlangen von 1858 bis 1921
Weblinks
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