Frau Berta Garlan

Frau Berta Garlan

Frau Berta Garlan ist eine Erzählung von Arthur Schnitzler, die 1900 entstand[1] und 1901 in der Neuen Deutschen Rundschau in Berlin erschien. Im selben Jahr brachte S. Fischer, ebenfalls in Berlin, den Text als Buch heraus.[2]

Die Klavierlehrerin Berta Gerlan, eine 32jährige Witwe, wird von ihrer Jugendliebe, dem gefeierten Violinvirtuosen Emil Lindbach, bitter enttäuscht.

Inhaltsverzeichnis

Zeit und Ort

Die Erzählung handelt gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Wien und in einer nicht genannten Kleinstadt, die, von Wien aus über Klosterneuburg mit der Eisenbahn erreichbar ist.

Inhalt

Fräulein Berta aus Wien war von ihrem Vater vorzeitig vom Konservatorium genommen worden. Nach der Beendigung ihrer Künstlerlaufbahn hatte Berta einen entfernten Verwandten - Herrn Garlan - geheiratet. Der ungeliebte Mann war mit ihr in eine Kleinstadt, nicht allzu weit von Wien entfernt, gezogen. Drei Jahre vor Handlungsbeginn war der Gatte verstorben. Auch Bertas Eltern sind inzwischen tot. Die junge Frau steht mit ihrem kleinen Sohn Fritz allein da. Frau Berta Garlan gibt Klavierstunden und ist auf das Wohlwollen der in der besagten Kleinstadt ansässigen Verwandten angewiesen.

Wirklich geliebt hatte Berta im Leben nur einen Mann - den Kommilitonen Emil. Damals, vor zwölf Jahren, hatte sie ihn zurückgewiesen. Nun erfährt Berta aus der Zeitung, Emil ist inzwischen königlich bayrischer Kammervirtuose geworden. Die junge Frau hat drei Jahre um ihren Ehegatten getrauert und möchte aus der muffigen Kleinstadtatmosphäre ausbrechen; will zurück in das geliebte Wien. Vorbild ist ihr dabei die Freundin Frau Anna Rupius. Deren Gatte, Herr Rupius, sitzt gelähmt zu Hause, während sich Anna immer einmal in der Hauptstadt der k. & k. Monarchie vergnügt.

An Verehrern mangelt es der schönen Berta in ihrem kleinstädtischen Wohnort nicht. Doch diese Herren geben sich überhaupt nicht nach Bertas Geschmack. So schreibt sie Emil und bekommt postwendend Antwort. Der Leser wird in die geheimsten Wünsche der jungen Frau eingeweiht. Emils Geliebte will sie werden und nachher sterben, wenn es sein muss. Die junge Witwe aber weiß eigentlich gar nicht, was sie will. Die Wunschträume wechseln bis gegen Ende des Romans in bunter Folge. Geheiratet möchte sie von ihrem Emil werden. Den Heiratswunsch verrät sie niemandem in ihrem Umkreis; nicht einmal der Freundin Anna. Letztere will den kranken Ehemann, der bald sterben müsse, verlassen.

Berta reist mehrmals, zunächst gemeinsam mit Anna, nach Wien. Zuvor bringt sie jedes Mal den kleinen Fritz daheim unter. Den Verwandten tischt die junge Frau ein Lügenmärchen nach dem anderen auf. Damit möchte sie den wahren Reisegrund verschleiern. Ihr Bemühen wird belächelt. In der Hauptstadt gehen Berta und Anna eigene Wege. Berta trifft Emil. Der sagt ihr Wahrheiten - zum Beispiel, eine große Pianistin wäre sie sowieso nicht geworden. Stattdessen einen Mann heiraten und Kinder kriegen wäre für ihren Fall genau richtig gewesen. Berta, verblendet, gesteht dem Jugendfreund unbeirrt ihre Liebe. Emil geht darauf ein und führt sie nicht in seine Wohnung, sondern in ein Chambre séparée. Berta will endlich einmal glücklich sein und ist es zwischen den „wilden Umarmungen“ während der einen „Liebesnacht“ auch. Für den darauf folgenden Nachmittag verspricht Emil der Frau einen Treff in seiner Wohnung, sagt aber dann doch noch schriftlich ab. Das "Paar" trifft sich nicht wieder. Briefe gehen hin und her, bis Berta endlich erkennen muss: Emil hat sie belogen, als er - nachdem er bekommen hatte, was er begehrte - von einer nächsten Verabredung sprach. Die Frau besinnt sich. Wie war das gewesen? Nichts hatte Emil von sich erzählt. Berta bereut, dass sie so brav gewesen war. Emil erreicht es mit seinem "vernünftigen" Briefwechsel, dass Berta eher, als sie es beabsichtigt hatte, zu ihrem kleinen Sohn Fritz heimkehrt. Emil stellt ihr in Aussicht, die Liebesnacht alle paar Wochen in Wien zu wiederholen. Berta muss schließlich einsehen, ihre „demütig lüsternen“ Briefe an Emil waren ein schwer wiegender Fehler. Dieser elende Egoist hatte Berta genommen wie eine von der Straße. Berta hasst den „gewissenlosen, frechen“ Emil.

Unverständlicherweise schaut Frau Garlan, nach ihrer letzten Bahnreise endgültig heimgekehrt, stolz auf Frauen in ihrer Kleinstadt herab, die solche Abenteuer in Wien nie erleben werden. Die Freundin Anna belehrt sie eines Besseren; nennt amouröse „Fälle“ aus der Bekannt- und Verwandtschaft in der Kleinstadt. Bei der Gelegenheit legt Anna ihr Verhältnis in Wien offen. Einige Zeit später stirbt die Freundin an den Folgen einer Abtreibung. Berta hat großes Glück. Ihre Verfehlung in Wien bleibt ohne Folgen. Zusammen mit Herrn Rupius, zu dem sie sich schon immer hingezogen fühlte, trauert Frau Garlan um Anna.

Zitat

„Auf das Lebendigsein kommt es an.“[3]

Form

Erzählt wird ausschließlich aus der Sicht der Frau Garlan. Das Ausbreiten der schwankenden Gedankengänge der Protagonistin dominiert in der freien indirekten Rede. Präteritum und Präsens wechseln ab. Schnitzlers klare, straffe Diktion nimmt den Leser gefangen.

Rezeption

  • Hofmannsthal urteilt: „So viel Kraft und Wärme, Übersicht, Tact, Weltgefühl und Herzenskenntnis steckt in dieser Bertha Garlan, so schön zusammengehalten ist es und so gut und gescheit dabei.“[4]
  • Klaus Mann[5] schreibt im Dezember 1936 nach der Lektüre in sein Tagebuch: „In der Welt dieses Dichter-Arztes gibt es nichts nichts - ausser Tod und Geschlecht.“
  • Fliedl hat die Reclam-Ausgabe 2006 mit Anmerkungen versehen[6] und ein aufschlussreiches Nachwort[7] beigegeben. Dieser Roman sei der erste auf der Psychoanalyse basierende Prosatext überhaupt.[8] Der Roman wiederum wurde von dem Freud-Schüler Theodor Reik nach den Regeln der Psychoanalyse untersucht.[9]
  • Aus Schnitzlers Angaben im Text errechnet Fliedl das Geburtsjahr Bertas auf 1866 und den Handlungsbeginn auf den Mai 1898. Als ungenannte Kleinstadt wird Krems vermutet.[10]
  • Schnitzler verarbeitete in dem Roman Episoden aus dem Leben seiner Jugendfreundin Franziska Reich.[11] Parallelen der Liebe Schnitzlers zu „seinem Fännchen“[12] stellt insbesondere Farese[13] heraus.
  • Fliedl „übersetzt“ aus dem prüden Sprachgebrauch um anno 1900: „… eine wohlbekannte plötzliche Schwäche kam über sie [Frau Garlan]…“[14] heiße so viel wie die Menstruation setzte ein.[15]
  • Le Rider bezieht sich auf den Ausspruch der Anna Rupius, nach dem die Männer „Gesindel“ sind: Die Misogynie des Mannes werde von der Frau mit Antivirilismus beantwortet.[16]
  • Fliedl gibt acht weiter führende Literaturstellen zur Untersuchung des Romans an (Beverly R. Driver, Thomas Eicher, Silvia Jud, Michael Levene, Barbara Neymeyr, Iris Paetzke, Andrea Rumpold und J. G. Weinberger).[17]

Ungereimtes

Durch den Roman zieht sich ein Briefwechsel zwischen Berta und Emil. Der Leser fragt sich: Wie wird der eröffnet? Denn Berta kennt die aktuelle Wiener Postanschrift des sonst in Europa umherreisenden Emil nicht.

Verfilmungen

Verfilmungen, Eintrag 11

Hörspiel

Hörspiele, Eintrag 18

Weblinks

Literatur

Quelle
  • Konstanze Fliedl (Hrsg.): Arthur Schnitzler: Frau Berta Garlan. S. 5 - 168. Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18427. Stuttgart 2006. 215 Seiten, ISBN 978-3-15-018427-1
Erstausgabe in Buchform
  • Arthur Schnitzler: Frau Berta Garlan. Novelle. Fischers Bibliothek zeitgenössischer Romane. S. Fischer Verlag Berlin 1901. 180 Seiten. Pappband
Sekundärliteratur
  • Giuseppe Farese: Arthur Schnitzler. Ein Leben in Wien. 1862 - 1931. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. C. H. Beck München 1999. 360 Seiten, ISBN 3-406-45292-2. Original: Arthur Schnitzler. Una vita a Vienna. 1862 - 1931. Mondadori Mailand 1997
  • Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900 - 1918. München 2004. 924 Seiten, ISBN 3-406-52178-9
  • Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A - Z. S. 555, rechte Spalte, 21. Z.v.u. Stuttgart 2004. 698 Seiten, ISBN 3-520-83704-8
  • Elsbeth Dangel-Pelloquin: Unvermutete Gefühle - ratloses Staunen S. 89 - 100 in Hee-Ju Kim und Günter Saße (Hrsg.): Interpretationen. Arthur Schnitzler. Dramen und Erzählungen. Reclams Universal-Bibliothek Nr. 17352. Stuttgart 2007. 270 Seiten, ISBN 978-3-15-017532-3
  • Jacques Le Rider: Arthur Schnitzler oder Die Wiener Belle Époque. Aus dem Französischen von Christian Winterhalter. Passagen Verlag Wien 2007. 242 Seiten, ISBN 978-3-85165-767-8

Einzelnachweise

  1. Quelle, S. 194 oben
  2. Quelle, S. 169 oben
  3. Quelle, S. 166. 30. Z.v.o.
  4. Hugo von Hofmannsthal zitiert bei Dangel-Pelloquin, S. 99, 14. Z.v.o.
  5. Klaus Mann, zitiert bei Le Rider, S.84, 3. Z.v.u.
  6. Quelle, S. 171 - 178
  7. Quelle, S. 181 - 214
  8. Quelle, S. 194, 8. Z.v.o.
  9. Sprengel, S. 240 oben
  10. Quelle, S. 186 - 187
  11. Quelle, S. 181 - 186 oben
  12. Jugend in Wien
  13. Farese, S. 85, letzter Absatz
  14. Quelle, S. 167, 27. Z.v.o.
  15. Quelle, S. 211, 11. Z.v.o.
  16. Le Rider, S. 117, 2. Z.v.o.
  17. Quelle, S. 179, 180

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