- Classis Germanica
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Die Classis Germanica war eine Teilstreitkraft der römischen Kriegsflotte in Germania superior und Germania inferior. Sie war neben der Kanalflotte (Classis Britannica) einer der größten Marineverbände des Römischen Reiches und rangierte vor allen anderen Provinzflotten.
Die römische Rheinflotte wurde in der Zeit um 13 v. Chr. aufgestellt. Ihre Einheiten waren für die Überwachung des gesamten Rheins (ab der Einmündung des Vinxtbaches), dessen schiffbare Nebenflüsse sowie den Küstenstreifen von Zuidersee und der Nordsee im Gebiet des Rhein-Maas-Schelde-Deltas zuständig. Weiters wurden auch die Mündungen rechtsrheinischer Flüsse gesichert, um so den reibungslosen Transit- und Handelsverkehr am Rhein aufrechterhalten. Die Zugehörigkeit der Classis Germanica zum niedergermanischen Heer (Exercitus Germaniae Inferioris) ist durch ein Militärdiplom (Fundort Niederlande) aus der Regierungszeit Trajans bestätigt. Es listet neben den dortigen Auxiliartruppen auch die Rheinflotte auf, die (in veränderter Form) vermutlich bis in das späte 4. Jahrhundert bestand.
Inhaltsverzeichnis
Flottenoperationen
1.–3. Jahrhundert
In augusteischer Zeit wurden von den Römern mehrere massive Offensiven in Gang gesetzt, an denen die Flotte maßgeblich beteiligt war. Man weiß von mehreren großangelegten Landungsunternehmen römischer Truppen an der Nordseeküste, die eng mit den Vorstößen der Landstreitkräfte koordiniert waren. Drusus führte zu diesem Zweck die Rheinflotte durch einen - oder mehrere - neu gegrabene Kanäle von der Zuidersee in die Nordsee (fossa Drusiana).[1] Da Friesen und Chauken nur über primitive Einbäume verfügten, konnte er mit seinen weit überlegenen Kräften ungehindert in die Mündung der Weser (Visurgis) einlaufen und danach die beiden Stämme unterwerfen.
Der Vorstoß des Tiberius an die Elbe (Albis) im Jahre 5 n. Chr. wurde durch eine kombinierte See- und Landoperation bewerkstelligt. Seine Flotte fuhr den Fluss bis in die Gegend von Lauenburg flussaufwärts und vereinigte sich dort mit seinem Landheer. Im gleichen Jahr stießen die Römer noch weiter nach Norden, „bis zum Volk der Kimbern“, vor. Route und genauer Endpunkt der Expedition sind unbekannt. Fakt ist jedoch, dass die römischen Schiffe auch die Herculis Columnae (Säulen des Herkules auf Helgoland) passierten. Wahrscheinlich kamen sie bis nach Kap Skagen, da Plinius von einem „Kimbernkap“ berichtet. Die Kimbern siedelten zu dieser Zeit noch im Norden Jütlands. Nach der Umrundung des Kaps fand man ein großes Meer vor, das man - so der Chronist Velleius Paterculus - „teils erblickte, teils vom Hörensagen kannte“.[2] Die Anwesenheit einer römischen Flotte in diesem Gebiet dürfte auch wesentlich dazu beigetragen haben, dass sich die germanischen Küstenstämme nach der Niederlage des Varus vorsichtshalber nicht der antirömischen Koalition unter den Cheruskern angeschlossen hatten.
15 n. Chr. drangen die Römer unter der Führung des Germanicus wieder in Germanien ein: Die Flotte landete insgesamt vier Legionen beim heutigen Rheine an der Ems an, die anschließend bis zum Ort der Varusschlacht vorstießen, um dort u.a. die Gefallenen zu bestatteten. Nach schweren Verlusten durch Kämpfe mit germanischen Stämmen zogen sie sich wieder bis an die Ems zurück, wo sie von der Classis Germanica an Bord genommen wurden. Nur ein Jahr später setzte Germanicus eine der größten amphibischen Unternehmungen der antiken Kriegsgeschichte in Gang. Unter dem Befehl seiner Legaten Silius, Anteius und Caecina ließ er eine Flotte von über tausend Schiffen auf Kiel legen, darunter Spezialkonstruktionen wie z. B. Landungsboote mit flachem Boden und Steuerrudern an Heck und Bug, Transporter (actuariae) für Wurfgeschütze, breite Archen für Kavalleriepferde, Brückenbaumaterial sowie Verpflegung und Ausrüstung. Die Transportflotte stach schließlich im Frühjahr 16 n. Chr. mit Germanicus und einem über 8000 Mann starken Heer an Bord in See. Über die Passagen Drususkanal und Nordsee lief sie in die Mündung der
Weser ein, fuhr flussaufwärts bis etwa zur Höhe der Mündung der Aller, wo auf der damaligen Insel der Bataver (Insula Batavorum) die großen Seetransporter die Truppen an Land setzten. Germanicus baute die Insel zu einem befestigten Brückenkopf aus, da sie eine ideale strategische Lage als Ausgangspunkt für den Feldzug nach Germanien hatte. Von der Bataverinsel (heute Beveland und Walcheren) fuhr die Flotte bis zur Mündung der Ems, wo die Armee beim heutigen Jemgum an Land ging. Nach den Kämpfen auf der Ebene Idistaviso und am Angrivarierwall (zwischen Weser und Steinhuder Meer), in der die Stämme der Angrivarier, Brukterer und Cherusker besiegt wurden, sollte ein Teil des Heeres von der Classis Germanica wieder in ihre Garnisonen zurückgebracht werden. Fast die gesamte Flotte mit den an Bord befindlichen Truppen fiel dabei aber einem schweren Sturm zum Opfer. Germanicus selbst strandete unversehrt im Gebiet der Chauken.[3]
28 n. Chr. rebellierten erneut die Friesen gegen die römische Herrschaft: Die Rheinflotte brachte ein Expeditionsheer in das Aufstandsgebiet, um u.a. auch das belagerte Kastell Flevum zu entsetzen. Dennoch konnte der Abfall der Friesen nicht verhindert werden. Die Römer verloren im Zuge dessen die Kontrolle über die Nordseeküste bis zur Rheinmündung. 46 bis 47 versuchten die Römer erneut, die Friesen zu unterwerfen; trotz Einsatz der Flotte konnte sich die römische Herrschaft jedoch nicht auf Dauer halten.
48 wurde unter dem Legaten Gnaeus Domitius Corbulo ein 27 km langer Kanal (fossa Corbulonis) zwischen den Mündungen der Oude Maas und des Oude Rijn fertiggestellt. Er wurde danach vor allem für Truppen- und Versorgungstransporte genutzt.
68/69 n. Chr. brach im Zuge des römischen Bürgerkrieges (Vierkaiserjahr) auch ein Aufstand unter den verbündeten Batavern unter Julius Civilis aus, der sich schließlich auch auf fast alle rheingermanischen Stämme ausweitete. Alle Kastelle nördlich von Mogontiacum wurden dabei belagert oder zerstört. Die Classis Germanica war durch den geringen Wasserstand des Rheins in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt, außerdem erwiesen sich die meisten batavischen Rojer und Auxiliaren als unzuverlässig und desertierten in großer Zahl. Zu alledem wurde sie auch noch schlecht geführt und konnte dadurch kaum etwas zur Unterstützung der hart bedrängten Legionen beitragen.[4] Ein ganzes Geschwader der Classis Germanica fiel im Jahre 70 durch Verrat in die Hände der Bataver und wurde anschließend gegen die Römer eingesetzt.[5] Als der Oberbefehlshaber der Rheinarmee, Quintus Petillius Cerialis, durch Einheiten der Classis Britannica die Legio XIIII Gemina zur Verstärkung gegen die Aufständischen an Land setzen ließ, geriet diese in einen Hinterhalt der mit den Batavern verwandten Caninefaten und wurde fast völlig aufgerieben. Cerialis eilte zwar von Novaesium aus mit der Classis Germanica zu Hilfe, wurde aber während der Nacht von den Batavern überfallen und büßte dabei sämtliche seiner Schiffe (darunter auch seine Trireme) ein.[6] Die Verluste konnten jedoch rasch wieder ersetzt werden. Mit ihrer neuen Flotte versuchten die Bataver nun, Versorgungstransporte der Römer aus Gallien im Rheindelta aufzubringen. Im Mündungsgebiet der Maas (Mosa) stellte sich schließlich die zahlenmäßig zwar unterlegene, aber besser ausgebildete Classis Germanica zum Kampf. Es kam jedoch nur zu einem kurzen Gefecht. Civilis zog sich ans nördliche Rheinufer zurück, und die Römer verwüsteten das Siedlungsgebiet der Bataver.[7] Der Flotte gelang es nie, im Bataveraufstand entscheidende Erfolge zu erringen.
89 n. Chr. meuterten große Teile der Rheinarmee gegen Kaiser Domitian. Die Classis Germanica blieb jedoch loyal und half bei der Niederwerfung der Rebellen. Ihr wurde dafür der Ehrentitel classis pia fidelis Domitiana verliehen.
3.–4. Jahrhundert
Nach dem Ende des sogenannten Gallischen Sonderreiches unter Postumus und nach wiederholten schweren Einfällen der Franken ging die Classis Germanica im letzten Drittel des 3. Jahrhunderts n. Chr. zugrunde. Ab dieser Zeit unterhielten die Rheinlegionen ihre eigenen Flottillen (milites liburnarii). Römische Flusskampfschiffe werden am Rhein erstmals im Jahre 280 wieder erwähnt: Germanischen Invasoren gelang es dabei, mehrere der neuen naves lusoriae in Brand zu stecken.[9]
298 setzte Constantius I. die Rheinflotte gegen die Alemannen ein, die sich auf einer Flussinsel festgesetzt hatten.[10] Sein Sohn und Nachfolger Konstantin I. modernisierte die Rheinflotte und ersetzte die Liburnen nun gänzlich durch Lusorien. Dadurch konnte man nun auch am Oberrhein maritime Operationen durchführen. 306 ließ Konstantin daher Truppen über den Rhein bringen und verheerte mit ihnen die Siedlungsgebiete der Brukterer.[11] Auch 313 stieß die Rheinflotte wieder in germanisches Gebiet vor.[12]
355 wurde Julian zum Caesar des Westens ernannt. Unter seiner Herrschaft wurde im Zuge der Verteidigungsanstrengungen in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts entlang der Stromgrenze die Rheinflotte nochmals aufgewertet. Sie wurde für mehrere Feldzüge und Rheinübergänge eingesetzt: 356/357 fanden Abwehrkämpfe an Rhein und Main statt.[13] Im Winter des Jahres 357/358 schlossen Julians Truppen eine große Gruppe fränkischer Plünderer auf der Maasinsel ein. Ständig auf und ab patrouillierende Lusorien verhinderten die dauerhafte Bildung einer festen Eisdecke, sodass die Franken nicht mehr über den Fluss entkommen konnten und sich schließlich nach zwei Monaten Belagerung den Römern ergeben mussten.[14] 359 wurde ein Geschwader von 40 Schiffen gegen die Alamannen eingesetzt.[15]
Bis zur Zeit Valentinians I. wurde versucht, die Rheinflotte einsatzfähig zu erhalten.[16] Dabei kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit germanischen Invasoren, wie einige Weihinschriften von der Rheingrenze bezeugen. Nach dem Einfall der Vandalen, Sueben und Alanen in der Neujahrsnacht von 407 löste sich die Flottenorganisation endgültig auf.
Offiziere und Mannschaften
Über die Befehlsstruktur der Rheinflotte ist nur wenig bekannt. Den Befehl führte ein praefectus classis aus dem Ritterstand, der dem Statthalter (legatus Augusti pro praetore) der jeweiligen Provinz untergeordnet war. Als Stabschef und Stellvertreter stand ihm ein Unterpräfekt (subpraefectus) zur Seite. Unter den Präfekten rangierte der praepositus classis; zu jeder Flotte gehörten meist zwei solcher Offiziere. Er übernahm auch selbstständige Kommandos. Auch der spätere Kaiser Pertinax diente zuvor in der Classis Germanica als Präfekt. Die oben genannten Offiziere verfügten jeweils über ihren eigenen Stab mit deren Adjutanten. Als Flottillenchef wurde ein nauarchus princeps oder nauarchus archigybernes eingesetzt. Im 3. Jahrhundert wurde der Rang des Flottentribunen geschaffen (tribunus classis) der die Aufgaben des ersten Nauarchen übernahm. Später nannte man ihn auch tribunus liburnarum (= Tribun der Kriegsschiffe).
Die Besatzung bestand aus den Offizieren (trierarchus), den Ruderern (remiges) und einer Zenturie Marinesoldaten (manipulares/milites liburnarii). Die Mannschaft (classiari/classici) unterteilte sich in zwei Gruppen, das nautische Personal und die Marineinfanterie. Ihre Dienstzeit betrug 26 Jahre (gegenüber 20 bis 25 Jahren für einen Legionär), ab dem 3. Jahrhundert 28 Jahre, vereinzelt weiß man auch von noch längeren Dienstzeiten. Nach ihrer ehrenvollen Entlassung (honesta missio) wurden sie mit Geld oder Land abgefunden und erhielten in der Regel auch das Bürgerrecht zugesprochen, wenn sie als peregrini (= Fremde) in die Armee eingetreten waren. Die Heirat war ihnen erst nach Beendigung des aktiven Dienstes gestattet.
Siehe auch: Römische MarineIm l. Jahrhundert n. Chr. stammten ihre Angehörigen noch zum großen Teil aus den Ländern, in denen sie ursprünglich ausgehoben worden waren. Für Niedergermanien bedeutete dies, dass die Mannschaften aus Gallien, Spanien und vom Balkan kamen. Wie bei ihren Kommandeuren setzte sich ab dem 2. Jahrhundert bei den Auxiliaren ebenfalls das germanisch-gallische Element immer mehr durch. Nur die Flotte machte hier eine Ausnahme. Die Flottensoldaten kamen auch noch im 2. und 3. Jahrhundert mehrheitlich aus dem Osten des Reiches. Dies war auch in der Classis Germanica der Fall. Eine Inschrift aus Köln belegt u.a. die Anwesenheit von griechischen Flottensoldaten:
- „Lucius Octavius, Sohn des Lucius, aus Elaia, Steuermann, 58 Jahre alt, mit 34 Dienstjahren, ist hier bestattet. Dionysius, Sohn des Plestharches, aus Tralles, Schreiber, setzte das Grabmal für seine Verdienste“[18]
Liburnari
Auch für die germanischen Provinzen gibt es Hinweise auf militärische Schiffsverbände der Legionen (liburnarii), so z. B. in Obergermanien. Gehören noch der Anker mit einem Stempel der XVI. Legion, die in claudischer Zeit in Mainz lag, und der Grabstein eines Schiffsbauers der XXII. Legion aus dem späten 1. und frühen 2. Jahrhundert in die Zeit, als die Flüsse Rhein und Neckar noch die Reichsgrenze bildeten, so gilt das nicht mehr für zwei Angehörige der XXII. Legion, die als optiones navaliorum wohl die legionseigene Werft beaufsichtigten. Beide gehören in das späte 2. Jahrhundert als der vordere Limes bereits existierte. Gegen die Annahme, dass die XXII. Legion in dieser Zeit nur Frachtschiffe besaß, spricht einer ihrer Ziegelstempel aus dem 2./3. Jahrhundert. Unter dem Legionsnamen ist eindeutig ein Kriegsschiff zu erkennen. Dringend gebraucht wurde die Flottenabteilung der XXII. Legion in der Zeit nach 260 n. Chr., als das rechtsrheinische Gebiet wieder aufgegeben worden war. Danach war der Rhein wieder Reichsgrenze. Er war am linken Ufer durch die Limeskastelle gut befestigt. Auf dem rechten Ufer gab es an der Einmündung der wichtigsten Nebenflüsse kleine Vorposten, die in manchen Fällen nur per Schiff erreicht werden konnten. In diesen sog. „Ländeburgi“ waren im Idealfall bis zu fünf Lusorien stationiert.
Schiffstypen
Die Schiffstypen, die man für die Rheinflotte vermutet, waren Flottentransporter (Navis actuaria), Flöße, leichte Wachschiffe sowie einige schwere Kriegsschiffe. Diese Schiffe wurden sowohl gerudert als auch gesegelt.
Der am häufigsten vertretene Schiffstyp im 1. und 2. Jahrhundert war die bireme oder liburna (Zweireiher), die ursprünglich von illyrischen Seeräubern eingesetzt worden war. Sie war schnell und überaus wendig und wie alle antiken Kampfschiffe mit einem Rammsporn am Bug versehen. Flussliburnen waren in der Regel etwa 21 Meter lang, 3,30 Meter breit und hatten einen Tiefgang von etwa 0,7 Meter. Die Besatzung bestand aus 44 Rojern, 4 Matrosen und 16 Marineinfanteristen. Außer den Flussliburnen sind auch noch größere Triremen bekannt, die den Liburnen sehr ähnlich waren, sich aber durch eine dritte zusätzliche Rojerreihe (Dreireiher) von diesen unterschieden.
Frachter und Lastflöße konnten nach Funden aus Alphen-Zwammerdamm bis zu 30 m lang sein.[19] Zahlreiche Wrackfunde am Rhein und am Neuenburger See bezeugen auch die Verwendung von Prahmbooten in römischer Zeit.[20] Dies war ein kastenförmiges Schiff mit Mast, geringen Tiefgang und rampenartigen Enden an beiden Seiten des Rumpfes, der eine Nutzlast bis zu 30 t aufnehmen konnte.
Rückgrat der spätantiken Flotte waren ab dem 3. Jahrhundert die viel kleineren Naves lusoriae, die von Uferkastellen und Wachtürmen (Ländeburgi) aus operierten.
Funktion und Taktik
Ihr Überwachungsgebiet umfasste die Flüsse Rhein, Schelde, Maas sowie deren Nebenflüsse, weiters die Küstenstreifen an Zuidersee und Nordsee. Mit dem Ende der Eroberungspläne für die rechtsrheinische Germania Magna unter Tiberius wandeln sich auch die Aufgaben der Classis Germanica. Sie wurde nun vor allem für tägliche Patrouillenfahrten auf dem Rhein verwendet. Einsätze entlang der Nordseeküste verloren immer mehr an Bedeutung.
Noch wichtiger als der Einsatz bei Feldzügen waren seit der Zeit der Germanienoffensiven des Drusus die logistischen Aufgaben der Rheinflotte. Von Xanten/Vetera aus wurden die Kastelle an der Lippe (Lippia) versorgt. Diese stark exponierten Lager weisen oft auch befestigte Hafenanlagen auf.
Mit dem Beginn der Regierungszeit der Flavier im letzten Drittel des 1. Jahrhunderts hatte sich die Situation an der Rheingrenze wieder weitgehend stabilisiert. Die Angehörigen der Flotte besorgten nun – neben dem Flusspatrouillendienst – vor allem die Gewinnung und den Transport von Baumaterial, da die Frachtkosten auf dem Wasserweg viel geringer waren als auf dem Landweg (rund ein 1/6 der Straßentarife).[21] Dies bezeugen vor allem zahlreiche aufgefundene Ziegelstempel, die bis in die Regionen der heutigen Niederlande gefunden wurden, und auch einige Weiheinschriften aus den Steinbrüchen im Brohltal und Siebengebirge. Überliefert ist weiters eine dem Wohl des Kaisers Antoninus Pius gewidmete Weihinschrift (heute im Rheinischen Landesmuseum, Bonn), auf der von einem Baumaterialtransport mittels Lastschiffen der Classis Germanica zum Bau des Forums von Xanten {Colonia Ulpia Traiana) berichtet wird.[22]
In den 70er Jahren des 3. Jahrhunderts löste sich die Classis Germanica alter Prägung vermutlich auf. Ihr Operationsgebiet war bis dahin weitgehend auf den Niederrhein beschränkt gewesen. Mit der zunehmenden Bedrohung der Flüsse Rhein und Donau nach Aufgabe des Dekumatenlandes wandelte sich jedoch die strategische Lage. Eine Konzentration der Flotte auf wenige zentrale Punkte war nun nicht mehr sinnvoll. Aufgrund der neuen politischen Realitäten am Rhein mussten nun weite Abschnitte des Stromes, aber auch die Mündungen der aus dem Barbaricum zufließenden Gewässer strenger und lückenloser überwacht werden. Nur durch ständige Präsenz auf dem Fluss und an seinen Ufern ließen sich diese neuen Herausforderungen bewältigen.
Spätantike Grenzverteidigung
Das neue erfolgversprechende Konzept für den Grenzschutz am Rhein war daher eine dezentrale Vorwärtsverteidigung. Durch die Aufgabe der Doktrin der zentralen Massierung der Flotte und ihre Verteilung auf kleinere Kastelle und Burgi konnten im Bedarfsfall innerhalb weniger Stunden zahlreiche Einheiten an Brennpunkten der Grenze zusammengezogen werden. Auch waren im Notfall die benachbarten Kastelle oder Wachtürme rasch zu alarmieren. Dies war am besten mit der kleineren und beweglicheren navis Lusoria zu bewerkstelligen, mit der man auch den potentiellen Eindringlingen entweder gleich auf dem Rheinstrom oder in amphibischen Operationen, zusammen mit dem Landheer, entgegentreten konnte.[23]
Der tägliche Aktionsradius der damaligen Flusskampfschiffe betrug bis zu 15 km. Auch die Distanz zwischen den Kastellen/Burgi lag im Durchschnitt zwischen 15 und 30 km. Flussabwärts fahrend konnte eine Lusoria den nächstgelegenen Stützpunkt in ca. 75–150 Min. erreicht haben, flussaufwärts müssten dafür etwa 2-4 Stunden veranschlagt werden.[24] Bei reibungsloser Nachrichtenübermittlung (und einer Mindestausstattung von drei Kampfschiffen pro Stützpunkt) war es den Römern möglich, binnen weniger Stunden zumindest vier Patrouillenboote an gefährdeten Übergängen in Stellung zu bringen und so gleich zu Beginn bis zu 100 liburnarii in den Kampf zu werfen. Es war daher gut möglich, dass die eventuellen Angreifer schon kurz nach ihrem Auftauchen am Rheinufer vom römischen Grenzschutz unter Beschuss genommen werden konnten. Aufgrund der Überlegenheit ihrer Lusorien waren die Limitanei unter günstigen Umständen in der Lage, sich auch zahlenmäßig weit überlegenen Barbarenverbänden zu stellen.
Den römischen Lusorien war es aufgrund ihrer Flachbodenbauweise auch möglich – zum Beispiel im Zuge einer bewaffneten Aufklärungsmission – weit in die aus dem Barbaricum kommenden Gewässer vorzudringen. Diese Zuflüsse wurden von den Germanen oft als Anmarschweg für ihre Überraschungsangriffe auf römisches Gebiet verwendet. Die Erkenntnisse aus dieser Art „maritimen Frühwarnsystems“ wurden von den römischen Befehlshabern sicher hoch geschätzt. Ein weiterer Schutz waren die damals weitverzweigten, stellenweise fast undurchdringlichen und sumpfigen Auenlandschaften sowie das Vorhandensein zahlreicher mäandernder Nebenarme, die eine Annäherung an die Grenzzone ebenfalls erheblich erschwerten.[25]
Die Germanenstämme am Rhein konnten im übrigen den hochentwickelten römischen Flusskampfschiffen nichts annähernd gleichwertiges entgegensetzen. Hatten die Invasoren aber dennoch alle Schwierigkeiten überwunden, so bestand immer noch die Chance, sie spätestens wieder am Rhein, bei der Rückkehr von ihren Plünderungszügen, abzufangen, ihnen die Beute abzunehmen um sie danach wieder unter den beteiligten Grenzsoldaten zu verteilen (siehe dazu auch Hortfund von Neupotz).
Flottenstützpunkte
Das Hauptquartier der Classis Germanica befand sich zuerst in Vetera/Xanten, später im Kastell Köln-Alteburg. Die Metropole Niedergermaniens, die Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA), war Hauptstadt der Provinz, bedeutendes Wirtschaftszentrum und besaß als Handelsplatz eine große überregionale Bedeutung. Der Rhein wiederum diente als wichtigster Verkehrsweg für den Abtransport der in Köln erzeugten Güter, aber auch für den Import von Waren aus anderen Provinzen. Spätantike Stützpunkte sind für Mainz/Straubing, Speyer und Passau erwiesen.[26] Die Hauptnutzung des Kriegshafens in Mainz/Mogontiacum (Hafenmolen in Dimesser Ort, Ingelheimer Aue und am Brand sowie an der Neutorstraße/Dagobertstraße Reste von Uferbefestigungen und einer Werft) erfolgte in der zweiten Hälfte des 3. und im 4. Jahrhundert, als der Rhein zur Grenze der Germania prima wurde. Kriegsschiffe patrouillierten von hier aus auf dem Rhein, bis sich Anfang des 5. Jahrhunderts die Flotte nach dem Germaneneinfall von 406/407 auflöste.
Antiker Name Nächstgelegener Ort Vetera Castra Xanten
(Hauptstützpunkt bis 50)Colonia Claudia Agrippinensium Flottenkastell Alteburg
(Hauptquartier/navalia seit 50)Aliso Haltern
(an der Lippe)Anntunacum Andernach Argentorate Straßburg Bingium Bingen Bonna Bonn Confluentes Koblenz Lugdunum Batavorum Katwijk-Brittenburg
(an der Rheinmündung/NL)Mogontiacum Mainz Nigrum Pullum bei Zwammerdamm/NL unbekannt Rumpst an der Rupel/B unbekannt Stützpunkt a.d. Rur/nahe Jülich unbekannt Stützpunkt bei Jemgum a.d. Ems Novaesium Neuss Noviomagus Batavorum Nimwegen Noviomagus Nemetum Speyer Praetorium Aggripinae Katwijk oder Voorburg/NL Traiectum Utrecht Siehe auch
Literatur
- Jos Bazelmans, Esther Jansma: Der Schiffsfund von De Meern (Niederlande). In: Antike Welt 36 (2005) S. 23-29.
- Tilmann Bechert: Germania Inferior, eine Provinz an der Nordgrenze des Römischen Reiches. Zabern, Mainz 2007, ISBN 978-3-8053-2400-7, S. 41f. (Orbis Provinciarum/Zaberns Bildbände der Archäologie).
- Ronald Bockius: Schifffahrt und Schiffbau in der Antike. Stuttgart 2007, bes. S. 50 ff. (Sonderheft der Zeitschrift 'Archäologie in Deutschland' 2007).
- Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, von Augustus bis zu Konstantin. C. H. Beck, München 1995, ISBN 3-406-36316-4, S. 418.
- Thomas Fischer, Maureen Carroll: Archäologische Ausgrabungen 1995/96 im Standlager der römischen Flotte (Classis Germanica) in Köln-Marienburg. In: Kölner Jahrbuch 32 (Berlin 1999), S. 519-568.
- Thomas Fischer: Neuere Forschungen zum römischen Flottenlager Köln-Alteburg. In: Thomas Grünewald: (Hrsg.): Germania inferior. Besiedlung, Gesellschaft und Wirtschaft an der Grenze der römisch-germanischen Welt, Beiträge des deutsch-niederländischen Kolloquiums im Regionalmuseum Xanten, 21.-24. September 1999. de Gruyter, Berlin 2001, S. 547–564 (Reallexikon der germanischen Altertumskunde Ergänzungsband 28).
- Thomas Fischer: Flotten. In: ders. (Hrsg.): Die römischen Provinzen. Eine Einführung in ihre Archäologie. Theiss, Stuttgart 2001, S. 109–110.
- Olaf Höckmann: Römische Schiffsverbände auf dem Ober- und Mittelrhein und die Verteidigung der Rheingrenze in der Spätantike. In: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 33, 1986, S. 369 ff.
- Olaf Höckmann: Schiffahrt zwischen Alpen und Nordmeer. In: Ludwig Wamser (Hrsg.): Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Zivilisatorisches Erbe einer europäischen Militärmacht, Kataloghandbuch zur Landesausstellung des Freistaates Bayern, Rosenheim 2000. Mainz 2000, S. 264-267.
- Heinrich Clemens Konen: Classis Germanica. Die römische Rheinflotte im 1.-3. Jahrhundert n. Chr. St. Katharinen 2000 (Pharos 15).
- Barbara Pferdehirt: Das Museum für antike Schifffahrt I. Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Mainz 1995, ISBN 3-88467-033-6.
- Barbara Pferdehirt: Die römische Flotte im Dienst. Der größte Fundkomplex spätantiker Schiffe jenseits der Alpen wurde in Mainz geborgen. In: Antike Welt 36 (2005), S. 8-16.
- Georg Alexander Rost: Vom Seewesen und Seehandel in der Antike: eine Studie aus maritim-militärischer Sicht. Grüner, Amsterdam 1968.
- Christoph Schäfer: Lusoria, ein Römerschiff im Experiment. Koehlers Verlagsgesellschaft, Hamburg 2008, ISBN 978-3-7822-0976-2.
- Hans D. Viereck: Die römische Flotte - Classis romana. Köhler, Herford 1975.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Florus 2,30.
- ↑ Velleius Paterculus 2, 106.
- ↑ Tacitus, Annalen 2,9–24.
- ↑ Tacitus, Historiae 4, 14 ff.
- ↑ Tacitus, Historiae 4,16–17.
- ↑ Tacitus, Historiae 4,79.
- ↑ Tacitus, Historiae 5,23.
- ↑ CIL 13, 8252.
- ↑ Historia Augusta, Bonos 15.
- ↑ Panegyricus 6,6.
- ↑ Panegyricus 6,13.
- ↑ Panegyricus 12,22.
- ↑ Ammianus Marcellinus 16,11-12 und 17,1.
- ↑ Ammianus Marcellinus 17,2.
- ↑ Ammianus Marcellinus 18,2.
- ↑ Heukemes 1981; Baatz/Bockius 1997.
- ↑ CIL 13, 12061.
- ↑ CIL 13, 8323.
- ↑ Tilmann Bechert: 2007, S. 42.
- ↑ Arnold 1999.
- ↑ Cato, de agri cultura 22, 3.
- ↑ CIL 13, 8036
- ↑ Christoph Schäfer, 2008, S. 90.
- ↑ Bockius: 2006.
- ↑ Bockius: 2006, S. 212.
- ↑ Prammer 1987a; ders. 1996.
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