Reiner Bredemeyer

Reiner Bredemeyer
Reiner Bredemeyer (Mitte) auf dem Komponistenkongress 1987, mit Ruth Zechlin und Reinhard Lakomy

Reiner Bredemeyer (* 2. Februar 1929 in Vélez, Kolumbien; † 5. Dezember 1995 in Berlin) war ein deutscher Arrangeur und Komponist. Er komponierte unter anderen die Filmmusiken zu Busch singt – Sechs Filme über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts (1983) und Die Frau und der Fremde (1985). Nach Hanns Eisler und Paul Dessau galt er mit über 80 Theatermusiken als bedeutendster Theaterkomponist der DDR.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Reiner Bredemeyer wurde am 2. Februar 1929 als Sohn eines deutschen Bauingenieurs im kolumbianischen Vélez geboren. Sein Vater arbeitete zu dieser Zeit für eine deutsche Baufirma. 1931 zog die Familie zurück nach Deutschland. Bredemeyer besuchte dann die Volks- und Realschule in Breslau. In der schlesischen Hauptstadt wurde er erstmals am Klavier ausgebildet. Bredemeyer wurde 1944 zur Wehrmacht einberufen und geriet 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft in Bayern. Zuvor konnte er noch eine Aufführung von Beethovens Violinkonzert durch Kurt Thomas verfolgen.[2]

Im Jahr 1946 begegnete er dem Komponisten Karl Amadeus Hartmann und besuchte erstmals die von ihm veranstaltete Konzertreihe musica viva in München. Hartmann führte ihn in Tonschöpfungen von Igor Strawinsky, Bela Bartók, Anton Webern, Edgar Varèse, Charles Ives und Erik Satie ein.[2] Er lernte an einer Schule in Fürth und legte 1948 sein Abitur am Maria-Theresia-Gymnasium in München-Giesing ab. Von 1949 bis 1953 studierte er Komposition bei Professor Karl Höller an der Münchner Akademie für Tonkunst. Als den für ihn prägenderen Komponisten bezeichnete er Hartmann. Ferner besuchte er die Darmstädter Ferienkurse.[3]

Im Jahr 1954 machte er Bekanntschaft mit Paul Dessau, der ihn zum Aufbaustudium in der DDR bewegte. Damit gehörte er zu den wenigen Künstlern wie Wolf Biermann, die sich für den sozialistischen Weg entschieden haben.[4] Enttäuscht von der Adenauer-Regierung siedelte er nach Ost-Berlin und wurde fortan von Dessau betreut. Beide arbeiteten teilweise zusammen und pflegten ein freundschaftliches Verhältnis. Bredemeyer begeisterte sich besonders für dessen Vertonung vom Brecht-Drama Mutter Courage und ihre Kinder. Auf Vermittlung Dessaus wurde er von 1954 bis 1957 erster Meisterschüler bei Professor Rudolf Wagner-Régeny an der Deutschen Akademie der Künste. Sein Meisterlehrer hatte allerdings zeitlebens ein ambivalentes Verhältnis zu ihm. Er konstatierte:[5]

„Begabung und handwerkliches Können sind zweifellos vorhanden. Aber in seiner musikalischen Ausdrucksweise wie in der allgemeinen geistigen Haltung zeigte sich eine gewisse Verworrenheit, die leider noch nicht sicher voraussehen lässt, ob er in einer weiteren Entwicklung zu klaren, positiven Leistungen gelangen wird.“

Bredemeyers musikalisches Vorbild Hanns Eisler urteilte anfangs in einem internen Brief nicht weniger optimistisch:[6]

„Leider sind die Arbeiten Bredemeyers auch besonders langweilig.“

In erster Linie stießen Bredemeyers serielle Kompositionen auf wenig Verständnis.[7] Das Verhältnis beider Komponisten stabilisierte sich dann in den 60er Jahren zusehends. Die Schwierigkeiten Bredemeyers mit den etablierten ostdeutschen Komponisten aber blieben. Noch 1979 beklagte er sich darüber, dass der Komponistenverband ihn mit 50 Jahren als noch „jungen Komponisten“ abtat. Beispielhaft dafür sind das Ausbleiben von Tonträgern mit Konzertmusik. Vielmehr musste er sich mit Hörspiel-, Film- und Schauspielmusiken begnügen.[8]

Neben seinem Aufbaustudium lehrte er an der Staatlichen Schauspielschule Berlin. Von 1957 bis 1960 war er Musikalischer Leiter am Theater der Freundschaft und von 1961 bis 1994 am Deutschen Theater Berlin. Er arbeitete mit den Schauspielern Benno Besson, Wolfgang Heinz, Adolf Dresen und Friedo Solter zusammen.

Von 1977 bis 1989 wurde er in den Zentralvorstand des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR gewählt. 1978 nahm man ihn als ordentliches Mitglied in die Akademie der Künste auf, wo er eine Meisterklasse leitete. Er unterrichtete Juro Mětšk und Wolf-Günter Leidel. 1988 ernannte man ihn zum außerordentlichen Professor für Komposition.

Er lebte in direkter Nachbarschaft zum Flötisten Werner Tast und Grafiker Ingo Arnold in Müggelheim.[9] Im Alter von 66 Jahren starb er nach schwerer Krankheit in Berlin. Die letzte Ruhe fand er auf dem Friedhof Pankow III.

Tonsprache

Zusammen mit Friedrich Goldmann, Georg Katzer und Friedrich Schenker gehört Bredemeyer zur Komponistengeneration, die sich vom Sozialistischen Realismus lösend, an der westlichen Avantgarde orientierte.[10] Er sah zur Musik von John Cage und Morton Feldman auf und wurde durch Wolfgang Amadeus Mozart und Anton Webern beeinflusst.[11]

Bredemeyer wurde zu einem relevanten Film- und Theaterkomponisten. Nach Hanns Eisler und Paul Dessau avancierte er zum bedeutendsten Theatermusiker in der DDR.[12] Er komponierte vier Bühnenwerke, eines davon die Oper Candide. Die Uraufführung fand 1986 im Landestheater Halle unter Christian Kluttig (Dirigent) und Andreas Baumann (Regisseur) statt. Folgende Aufführungen gab es im Staatsschauspiel Dresden und anlässlich der DDR-Musikwerkstatt-Tage. Die Oper ist als gesellschaftskritisches Werk anzusehen.[13] Bredemeyers einzige Sinfonie entstand 1974 als Gegenpart zu Goldmanns 1. Sinfonie für die Gruppe Neue Musik Hanns Eisler. Aufgrund der spärlichen Besetzung handelt es sich ehr um ein kammermusikalisches Werk.[14] Zum 200. Geburtstag von Ludwig van Beethoven komponierte er das postmoderne Werk Bagatellen für B.[15]

Der Musikwissenschaftler Jürg Stenzl resümierte in einem FAZ-Kommentar:[2]

„Mit Schärfe und Pfiff, ganz undeutsch witzig und heiter, frech und genau wie Villon und Heine, die er wie Arno Schmidt liebte, hat sich der Komponist Reiner Bredemeyer mit seiner Musik überall eingemischt, hat gerade dann Einspruch erhoben, wenn für ihn selbst nichts zu holen war.“

Meisterschüler

Preise und Auszeichnungen

Werke (Auswahl)

Opern

Sinfonien

  • 1974: Sinfonie

Weitere Werke

  • Sonata für Violine, Viola und Klavier, 1967
  • "bagatellen für b.", 1970
  • "(Cello) 2", 1971
  • "Kon-zerr-tino", 1972
  • "Dis As", 1973
  • Solo 3 für Viola, 1975
  • "Still leben (?)", 1978
  • Bratschenkonzert für Viola und Kammerensemble, 1981
  • "Dr. Martin Luther MACHT Gesänge", 1981
  • "Kleine Blas-phonie", 1982
  • "Alle neune. Eine Schütz(en)festmusik", 1984
  • "Die Winterreise", Liederzyklus, 1984
  • "Einmischung in unsere Angelegenheiten", 1985
  • "Kohl-Rabiates", 1986
  • "Die schöne Müllerin", Liederzyklus, 1986
  • "Ruhm, nicht zu verscherzen. Aber für Kammerensemble", 1989
  • fUEnfzig fUEr jUErg für Viola, 1992
  • Bratschensonate für Viola und Klavier, 1995

Hörspiele (Auswahl)

  • 1976: Zwiesprache halten
  • 1979: Der Fahrer und die Köchin
  • 1980: Stille Post
  • 1984: Melechsala oder Die Wahrheit über die Ehe des Grafen von Gleichen mit zwei Frauen zugleich
  • 1984: Vogelkopp
  • 1985: Die Sau

Filmmusik und Arrangement

  • Die Feststellung. Spielfilm, DDR 1958. Regie: Herbert Fischer/Werner Bergmann/Gerhard Klein.
  • Die Dame und der Blinde. TV-Film, DDR 1959. Regie: Hans-Erich Korbschmitt.
  • Gerichtet bei Nacht. TV-Film, DDR 1960. Regie: Hans-Joachim Kasprzik.
  • Die besten Jahre. Spielfilm, DDR 1964/65. Regie: Günther Rücker.
  • Das Kaninchen bin ich. Spielfilm, DDR 1964/65. Regie: Kurt Maetzig.
  • Geisterstunde. TV-Dokumentarfilm, DDR 1966/67. Regie: Walter Heynowski.
  • Piloten im Pyjama. TV-Dokumentarfilm, DDR 1967/68. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • Nörgel und Söhne oder was vor 9742 Jahren vormittags neun Uhr begann. Animationsfilm, DDR 1967. Regie: Kurt Weiler
  • Der Zeuge. TV-Dokumentarfilm, DDR 1967. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • Der Präsident im Exil. TV-Dokumentarfilm, DDR 1968/69. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • Der Mann ohne Vergangenheit. TV-Dokumentarfilm, DDR 1968/70. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • Bye-bye Wheelus. Dokumentarfilm, DDR 1970/71. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • Von eurem Geist. Kurz-Dokumentarfilm, DDR 1971. Regie: Wolfgang Bartsch.
  • Krieg der Mumien. Dokumentarfilm, DDR 1973/74. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • El golpe blanco. Der weiße Putsch. Dokumentarfilm, DDR 1974/75. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • Zünd an, es kommt die Feuerwehr. Spielfilm, DDR 1977/78. Regie: Rainer Simon.
  • Kampuchea – Sterben und Auferstehen. Dokumentarfilm, DDR 1980. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • Jadup und Boel. Spielfilm, DDR 1980/81. Regie: Rainer Simon.
  • Busch singt. Dokumentarfilm, DDR 1981/82. Regie: Konrad Wolf.
  • Im Zeichen der Spinne. TV-Dokumentarfilm, DDR 1983. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • Die Frau und der Fremde. Spielfilm, DDR 1984. Regie: Rainer Simon.
  • Das lustige Spiel. Kurz-Dokumentarfilm, DDR 1984. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • Aufbruch. Kurz-Dokumentarfilm. DDR 1985. Regie: Annelie Thorndike.
  • Wengler & Söhne. Eine Legende. Spielfilm, DDR 1986/87. Regie: Rainer Simon.
  • Treffen in Travers. Spielfilm, DDR 1988. Regie: Michael Gwisdek.
  • Der Magdalenenbaum. Spielfilm, DDR 1989. Regie: Rainer Behrend.
  • Die dritte Haut. TV-Dokumentarfilm, DDR 1989. Regie: Walter Heynowski/Gerhard Scheumann.
  • Es kommt alles aus mir selbst. Kurz-Dokumentarfilm, DDR 1990. Regie: Walter Heynowski.

Diskografie (Auswahl)

Literatur

  • Sigrid Neef, Hermann Neef: Deutsche Oper im 20. Jahrhundert. DDR 1949–1989. Peter Lang, Frankfurt/Main 1992, ISBN 3-86032-011-4, S. 45 ff.
  • Nina Noeske: Musikalische Dekonstruktion. Neue Instrumentalmusik in der DDR. Böhlau Verlag, Köln 2007, ISBN 3-412-20045-X, S. 44 ff.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gerhard Müller: Ein Diogenes. In: Neues Deutschland, 2. Februar 2009.
  2. a b c Jürg Stenzl: Standhaft und frech Einspruch erhoben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Dezember 1995.
  3. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1968, S. 305.
  4. Eleonore Buening: Servus, Franzl!, in: Die Zeit. 02/1997.
  5. Vgl. Noeske 2007, S. 45.
  6. Vgl. Noeske 2007, S. 46.
  7. Matthias Tischer: Musik in der DDR. Beiträge zu den Musikverhältnissen eines verschwundenen Staates. Ernst Kuhn, Berlin 2005, ISBN 3-936637-05-9 S. 191.
  8. Vgl. Noeske 2007, S. 47.
  9. Gerhard Müller: Er konnte alles, außer nach Noten schwindeln. In: Neues Deutschland, 8. Dezember 1995.
  10. so nah – so fern. Website von Deutschlandradio. Abgerufen am 10. Januar 2010.
  11. Friedrich Goldmann: Nie ganz zu Hause. In: MusikTexte, Zeitschrift für Neue Musik, Heft 62/63, Köln, 1996, S. 25.
  12. Gerhard Müller: Interview mit Reiner Bredemeyer, in: Weimarer Beiträge 26 (1980), H. 10, S. 158-167.
  13. Michael Berg, Albrecht von Massow, Nina Noeske (Hrsg.): Zwischen Macht und Freiheit. Neue Musik in der DDR. Böhlau Verlag, Weimar 2004, ISBN 3-412-10804-9, S. 142 ff.
  14. Vgl. Noeske 2007, S. 263 ff.
  15. Michael Berg, Knut Holtsträter, Albrecht von Massow (Hg.): Die unerträgliche Leichtigkeit der Kunst. Ästhetisches und politisches Handeln in der DDR. Böhlau Verlag, Köln 2007, ISBN 3-412-00906-7, S. 190.
  16. Der Krieg der Mumien (Progress Film-Verleih)
  17. Dietrich Herfurth: Der Nationalpreis der DDR. Berlin 2006, S. 83.
  18. a b Treffen in Travers (Progress Film-Verleih)

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