Deutsche Gebärdensprache

Deutsche Gebärdensprache
Deutsche Gebärdensprache

Gesprochen in

Deutschland
Sprecher ca. 80.000 Gehörlose, 120.000 Hörende/Schwerhörige
Linguistische
Klassifikation
Offizieller Status
Amtssprache von -
Sprachcodes
ISO 639-1:

-

ISO 639-2:

sgn

ISO 639-3:

gsg

Die Deutsche Gebärdensprache (abgekürzt DGS) ist die visuell-manuelle Sprache, in der gehörlose und schwerhörige Personen in Deutschland untereinander kommunizieren. Die Wörter der Sprache nennen sich Gebärden. Die Sprachgemeinschaft umfasst ungefähr 200.000 Menschen, die auch hörende Benutzer einschließt.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

DGS ist eine eigenständige Sprache. Die Grammatik unterscheidet sich grundlegend von derjenigen der deutschen Lautsprache; z. B. werden adverbiale Bestimmungen der Zeit meistens am Satzanfang, Verben sowohl nach dem Subjekt als auch am Ende des Satzes gebärdet.

Es gibt auch ein eigenes System „Lautsprachbegleitende(r) Gebärden“ (LBG), auch „gebärdetes Deutsch“ genannt, das ganz oder teilweise der Grammatik der deutschen Sprache folgt, von vielen DGS-Benutzern aber als „falsch“ empfunden wird – man stelle sich vor, deutsche Wörter plötzlich in englischem Satzbau zu verwenden.

DGS ist wie andere Gebärdensprachen auch eine visuelle Sprache, die neben Körperhaltung und Mimik vor allem Gebärden verwendet, um Gedanken sowie Sachverhalte auszudrücken. Gebärden unterscheiden sich voneinander durch Handform, Handstellung, Ausführungsstelle und Bewegung. Auffallender Unterschied zu Lautsprachen ist, dass Gebärdensprachen räumlich ablaufen: Personen und Orte können in einem Gespräch sozusagen in der Luft platziert werden, und je nach der Bewegungsrichtung von Gebärden zwischen diesen „Raumpunkten“ ändert sich die Bedeutung. Als Hilfsmittel zum Buchstabieren von Eigennamen oder Vokabeln, deren Gebärden einer der Gesprächspartner oder auch beide (noch) nicht kennen, dient das Fingeralphabet.

Von den Anhängern des Oralismus wurde die Gebärdensprache gehörloser Kinder über mehr als 175 Jahre lang unterdrückt, weil man glaubte, sie behindere das Erlernen der für gehörlose Kinder nicht oder nur schwer wahrnehmbaren Lautsprache. Kinder, die beim kommunikativen Gebrauch der Hände ertappt wurden, erhielten in einigen Schulen Stockschläge auf die Hände oder wurden mit Spielverbot und Nachtischentzug bestraft. Ihnen wurde beigebracht, sich für den Gebrauch der Gebärden zu schämen. Eltern wurden dazu angehalten, mit Kindern nur in der Lautsprache zu kommunizieren. In einigen Schulen wurde und wird noch jetzt das Gebärden nur toleriert, die Lehrer wenden diese Sprache aber im Unterricht nicht an. Die Antipathie gegen die Gebärdensprache hat sich heutzutage gemildert. Die Gebärdensprache ist jetzt in Deutschland als Sprache anerkannt (was bedeutet, dass Gehörlose jetzt ein Recht auf Dolmetscher haben). Die rechtliche Anerkennung der DGS in Deutschland erfolgte 2002 mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (§ 6 BGG).

Aufgrund dieser Vergangenheit ist die DGS noch nicht landesweit standardisiert. Es gibt regionale Dialekte. Oft wird die Gebärdensprachgrammatik mit der Grammatik der deutschen Sprache vermischt; es entsteht eine Art Mischmasch von DGS und gebärdetem Deutsch.

Es gibt Wörterbücher mit Fotos und CD-ROMs von Gebärden und umfangreiche Internetangebote mit Videoinformationen in Deutscher Gebärdensprache: Bundesagentur für Arbeit – Ausbildung. Um die DGS schriftlich niederlegen zu können, wurden verschiedene Notationssysteme wie das HamNoSys geschaffen.

Die Grammatik der Deutschen Gebärdensprache

Die Grammatik der Deutschen Gebärdensprache lässt sich mit Hilfe der konventionellen sprachwissenschaftlichen Kategorien Phonologie, Morphologie, Morphosyntax und Syntax beschreiben.

Phonologie

Gebärden bestehen aus Elementen der distinktiven Merkmalsklassen Handform, Handstellung (Handorientierung), Ausführungsstelle und Bewegung. Ändert sich ein Element einer dieser Klassen, so kann eine Gebärde mit völlig anderer Bedeutung entstehen. Zwei Gebärden, die sich nur in einem Element unterscheiden, werden als Minimalpaar bezeichnet. Die DGS kennt 32 Handformen, dabei gibt es sechs Grundhandformen, die in allen Gebärdensprachen enthalten sind.

Zweihandgebärden sind Gebärden, die notwendig mit beiden Händen ausgeführt werden. Ihre Bildung unterliegt starken phonotaktischen Beschränkungen wie der Regel der Symmetrie (wenn sich beide Hände gleichzeitig bewegen, haben sie dieselbe Handform) und der Regel der Dominanz (wenn beide Hände unterschiedliche Handformen aufweisen, wird nur die dominante Hand bewegt, während die nichtdominante passiv bleibt).

Unflektierte Gebärdenwörter der Deutschen Gebärdensprache sind maximal zweisilbig. Silben bestehen aus zwei Silbenpositionen, die als Hold (H) und Movement (M) bezeichnet werden. Die Silbenposition Hold beinhaltet die Handform zusammen mit der Handorientierung (diese Kombination wird als Handkonfiguration bezeichnet) an einer spezifischen Ausführungsstelle. Eine Pfadbewegung (Bewegung von einem Ausführungsort zu einem anderen) findet hier also nicht statt. Im Gegensatz dazu wird bei der Silbenposition Movement die Handkonfiguration bewegt. Zusätzlich kann eine sekundäre Bewegung (handinterne Bewegung wie Wackeln der Finger) stattfinden. Die Silbenpositionen können also zu folgenden Silbentypen zusammengesetzt werden: M (minimale Silbe), HM, MH, HMH (maximale Silbe). Bei HM beispielsweise bewegt sich die Handkonfiguration des Movement von dem Ausführungsort des Hold weg. Die minimale Silbe M kann aus Segmenten mit folgenden Spezifikationen bestehen: Pfadbewegung, Pfadbewegung mit sekundärer Bewegung oder sekundäre Bewegung ohne Pfadbewegung. Der Silbentyp H (Segment ohne Pfadbewegung und ohne sekundäre Bewegung) ist aus phonotaktischen Gründen ausgeschlossen.

Ein elementarer Bestandteil gebärdensprachlicher Wörter sind nichtmanuelle lexikalische Markierungen, die mit einer Vielzahl von Gebärden obligatorisch verbunden sind. Dazu gehören Bewegungen von Augen, Mund und Gesicht (Mimik) sowie Kopf und Oberkörper. Mundbewegungen werden als Mundgestik bezeichnet.

Morphologie

Zur Morphologie zählen die Wortbildungsprozesse Komposition und Derivation.

Ein Kompositum ist ein aus mindestens zwei freien Morphemen zusammengesetztes Wort (bspw. Fahr-stuhl, Wörter-buch). In DGS sind maximal zwei freie Morpheme an diesem Prozess beteiligt. Dabei reduzieren sich die einzelnen Wortbestandteile so, dass ein maximal zweisilbiges Kompositum entsteht (Regel der Verkürzung).

Bei der Derivation wird mindestens ein freies Morphem mit mindestens einem gebundenen Morphem kombiniert (bspw. tugend-haft, un-glück-lich). In der DGS werden Gebärden durch Hinzufügung einer Bewegung oder durch Bewegungsänderung abgeleitet. Ein besonders produktiver Prozess der Derivation ist die Negation durch Hinzufügen einer sogenannten Alpha-Bewegung, wie Negation der Gebärden für richtig, kennen, müssen, glauben. Auch die Bildung komplexer Gebärden mit einem Zahlwort (DREI, DREI-UHR, IN-DREI-TAGEN, DREI-STUNDEN, DREI-EURO) können zur Derivation gezählt werden. Häufig findet man hier auch die Bezeichnung Inkorporation.

Morphosyntax

DGS ist eine synthetische Sprache (flektierend-agglutinierend) und aus typologischen Gründen morphosyntaktisch sehr viel reicher als die indoeuropäischen Sprachen. Neben den Markierungen für Kongruenz finden wir einen sehr differenzierten Verbalaspekt, Klassifikation, Numerus und Modus. Tempus- und Genusflexion gibt es in DGS nicht.

Flexionsklassen

DGS hat drei Flexionsklassen: personenkongruente Verben, ortskongruente Verben und schwach kongruente Verben.

Zu den personenkongruenten Verben zählen Verben mit Objektkongruenz und Subjekt-Objekt-Kongruenz. Bei Subjekt-Objekt-Kongruenzverben beginnt die Verbgebärde beim Subjekt und endet beim Objekt. Auf diese Weise werden den Referenten im Gebärdenraum Raumpunkte zugewiesen. Verben hingegen, die nur mit dem Objekt übereinstimmen, verorten das Subjekt nicht. Personenkongruenzverben sind bspw. die Gebärden für geben, leihen, schenken. Ebenso gehören die Gebärden für fragen, informieren, erzählen zu dieser Klasse, werden in einigen Dialekten der DGS jedoch nur objektkongruent verwendet. Ortskongruente Verben sind Verben, die mit einem oder mehreren Orten im Satz kongruieren. Durch Anfang und/oder Ende der Gebärde werden Orten im Satz eindeutige Raumpunkte im Gebärdenraum zugewiesen. Zu dieser Klasse zählen lokale Ortsverben wie sitzen, stehen, liegen und direktionale Ortsverben wie setzen, stellen, legen, fahren. Schwach kongruente Verben (auch als einfache Verben bezeichnet) sind Verben, die häufig keine sichtbare Kongruenzmarkierung haben. Zu diesen Verben zählen Verbgebärden, die körpergebunden ausgeführt werden. Eine Vielzahl dieser Verben kann unter bestimmten Umständen jedoch Kongruenzmerkmale erhalten, bspw. um Dual, Paukal oder Plural auszudrücken. Hierzu zählen Verben, die folgende Bedingungen erfüllen:

  • sie werden nicht körpergebunden und mit einfacher, nicht alternierender Bewegung ausgeführt,
  • sie werden körpergebunden auf der nichtdominanten Hand ausgeführt,
  • sie werden körpergebunden mit einer Bewegungsrichtung auf der Sagittalebene nach vorn oder hinten ausgeführt.

Verben ohne Kongruenzinformationen mit belebtem Objekt verlangen einen ungebundenen Kongruenzmarkierer.

Aspekt

DGS hat ein reiches Aspektparadigma. Zu unterscheiden sind der Temporalaspekt, der Aspekt der Art und Weise und die Aktionsart.

Der Temporalaspekt bezieht sich auf die zeitliche Struktur von Ereignissen. In DGS konnten bisher fünf Arten des Temporalaspekts entdeckt werden:

  • Durativ: Ausdruck von kontinuierlichen, lange andauernden Ereignissen (Der Student überlegt lange.); Bildung: abhängig von der Silbenstruktur der Grundform der Verbgebärde entweder Einfrieren, Dehnen oder Reduplikation des Wortstamms
  • Iterativ: Ausdruck von wiederholten Ereignissen (Das Kind schreit immer wieder.); Bildung: Reduplikation der gesamten Gebärde mit kurzer Pause
  • Habituativ: Ausdruck von gewohnheitsmäßig wiederholten Ereignissen (Der Nachbar pflegt jeden Samstag die Treppe zu putzen.); Bildung: Reduplikation der gesamten Gebärde mit längerer Pause
  • Perfektiv: Ausdruck von abgeschlossenen Ereignissen (Der Student hat das Buch durchgelesen.); Bildung: abhängig von der Verbklasse entweder manuell durch die Gebärde PERF, durch erhöhte Artikulationsgeschwindigkeit mit abruptem Ende oder nichtmanuell durch Kopfnicken. Der Perfektiv in DGS ist nicht funktionsgleich mit dem deutschen Perfekt.
  • Progressiv: Ausdruck des Verlaufs von Ereignissen (Der Student liest gerade das Buch.); Bildung: Verlangsamung und Dehnung der Verbgebärde, häufig mit sanftem Gebärdenende

Der Aspekt der Art und Weise drückt im Wesentlichen den Zustand aus, in dem sich der Handelnde während einer Handlung befindet (Der Mann backt fröhlich Kuchen. Die Frau liest wütend einen Brief.). Im Deutschen werden zum Ausdruck der Art und Weise in der Regel Adverbien oder Adverbialen verwendet (Der Mann backt mit kindlicher Freude Kuchen. Die Frau liest voller Wut einen Brief.). In DGS hingegen wird dieser Aspekt nicht durch Adverbien oder Adverbialen ausgedrückt, sondern durch mimische Markierung des Verbs, also durch Verbalflexion. Die „adverbiale Mimik“ zählt zur syntaktischen Mimik, da sie im Gegensatz zur lexikalischen Mimik nicht mit dem Verb im mentalen Lexikon gespeichert ist, sondern produktiv mit jedem Verb kombiniert werden kann.

Die Aktionsart in DGS charakterisiert die Ausführungsart und -geschwindigkeit einer Handlung oder eines Ereignisses, bspw. in Schlangenlinien fahren, torkeln, langsam lesen. Auch sie gehört zur Verbalflexion, wird aber im Gegensatz zum Aspekt der Art und Weise manuell durch Veränderung der Bewegungsart und/oder Bewegungsgeschwindigkeit ausgedrückt. In einigen Fällen verlangt der Aspekt der Art und Weise notwendig eine zusätzliche Markierung für Aktionsart, wie in Das Kind schreibt lustlos einen Aufsatz, wobei zur nichtmanuellen Markierung für lustlos die Ausführungsgeschwindigkeit der Gebärde für schreiben reduziert wird.

Klassifikatoren

Die Klassifikatoren der DGS drücken im Wesentlichen physikalische Eigenschaften von Lebewesen und Gegenständen aus. In DGS werden zwei Arten von Klassifikatoren unterschieden: Nominalklassifikatoren und Verbalklassifikatoren.

Nominalklassifikatoren sind freie Morpheme mit adjektivischer Funktion. Sie werden verwendet, um Größe, Form und Dekor von Gegenständen zu beschreiben. Sie werden daher auch als Size and shape-specifier oder kurz SASS bezeichnet. SASS-Klassifikatoren tragen meistens mindestens zwei Informationen: BUCH SASS:DICK-GROSS, GLAS SASS:RUND-SCHMAL. Eine Untergruppe der SASS-Klassifikatoren sind die Körperklassifikatoren, mit denen man das Aussehen von Lebewesen beschreibt, etwa die Länge der Haare, die Form eines Bartes, aber auch die Musterung von Kleidungsstücken oder – bei Tieren – des Fells.

Verbalklassifikatoren sind an ein Verb gebundene Morpheme. Es wird zwischen Subjektklassifikatoren und Objektklassifikatoren unterschieden. Verben mit Subjektklassifikatoren(auch Classklassifikatoren genannt) kongruieren mit dem Subjekt des Satzes. Das Verb wird mit einer bestimmten Handform aus einer endlichen Menge von Handformen ausgeführt, die inhärente Eigenschaften des Subjektnomens repräsentiert. Zu den subjektklassifizierenden Verben zählen lokale Ortsverben wie die Gebärden für stehen, liegen und direktionale Verben wie die Gebärden für fahren, gehen, klettern. Verben mit Objektklassifikatoren (auch Handle- oder Handhabungsklassifikatoren genannt) kongruieren mit dem direkten Objekt des Satzes. Auch hier wird das Verb mit einer bestimmten Handform aus einer endlichen Menge von Handformen ausgeführt, die inhärente Eigenschaften des Objektnomens repräsentiert. Zu den objektklassifizierenden Verben gehören die Gebärde für geben sowie direktionale Ortsverben wie die Gebärden für setzen, stellen, legen, fahren.

Beispiel:

  • fahren als subjektklassifizierendes Verb: Das Auto fährt den Berg hinunter.
  • fahren als objektklassifizierendes Verb: Der Chauffeur fährt das Auto den Berg hinunter.

Beide Klassifikatoren haben eine Untergruppe. Zu den Classklassifikatoren gehören die Körperteilklassifikatoren, mit denen durch eine bestimmte Handform der Körperteil eines Lebewesens kodiert wird, bspw. Der Hund wedelt mit dem Schwanz. Der Elefant stampft durch den Porzellanladen.

Die Unterart der Handleklassifikatoren sind die Instrumentalklassifikatoren, mit denen das für eine Tätigkeit verwendete Instrument ausgedrückt wird: mit der Schere schneiden, mit dem Brotmesser schneiden, mit einem Strohhalm trinken.

Numerus

Wie die Klassifikatoren lässt sich auch der Numerus in zwei Gruppen einteilen, in den nominalen Numerus und den verbalen Numerus.

Beim nominalen Numerus ist die Numerusinformation in der Nominalphrase enthalten, entweder

Die Reduplikation von Nomen und SASS-Klassifikatoren unterliegt Beschränkungen. Redupliziert werden Gebärden, die nicht körpergebunden sind und mit einfacher Bewegung (bspw. nicht kreisförmig) ausgeführt werden. Nicht redupliziert werden Gebärden, die körpergebunden sind und/oder mit komplexer Bewegung ausgeführt werden. Die phonotaktischen Beschränkungen der Reduplikation gelten nur bei der Numerusflexion, nicht aber bei der Aspektmarkierung.

Beim verbalen Numerus wird der Numerus durch das Verb ausgedrückt. Alle Verben mit gebundenen oder ungebundenen Kongruenzmorphemen drücken Plural aus, indem sie durch Reduplikation Referenten entweder mehrere Raumpunkte oder eine Raumpunktmenge zuweisen.

  • Personenkongruente Verben weisen dem indirekten Objekt und dem Subjekt Plural zu.
  • Ortskongruente Verben weisen den Ortsargumenten Plural zu.
  • Schwach kongruente Verben können unter den oben genannten Bedingungen sowohl Objekten als auch Ortsargumenten Plural zuweisen.
  • Klassifizierende Verben weisen den direkten Objekten Plural zu.

Neben dem Plural können in DGS in Abhängigkeit von Flexionsklasse und Klassifikation auch Dual und Paukal ausgedrückt werden.

Modus

Modus oder Modalität in der DGS dient zum Ausdruck

  • einer Absicht, einer Verpflichtung oder eines Wunsches (deontische Modalität)
  • der Bewertung einer Aussage durch Sprecher/Signer (Gebärdensprachbenutzer) hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit (epistemische Modalität)
  • der Einstellung der Sprecher/Signer zu einer Handlung/einem Ereignis (Sprechereinstellung)

Zum Ausdruck der deontischen Modalität verwendet DGS dieselben Mittel wie die deutsche Lautsprache, nämlich Modalverben wie wollen, müssen, sollen, dürfen mit im Wesentlichen denselben Bedeutungen. Eine Ausnahme bildet hier die Gebärde für müssen bzw. sollen, die nur verwendet werden kann, um die Verpflichtung zu einer Handlung im Auftrag durch eine andere Person auszudrücken (Ich muss einkaufen gehen. Mein Partner hat es mir aufgetragen.). Sobald die Notwendigkeit zu der Handlung aus eigener Einsicht kommt oder den äußeren Umständen zuzuschreiben ist, so wird das Verb (in diesem Falle gehen) manuell durch Ausführungsgeschwindigkeit und häufig auch mimisch markiert (Ich muss einkaufen gehen. In meinem Kühlschrank herrscht gähnende Leere.).

Zum Ausdruck der epistemischen Modalität verwendet die deutsche Lautsprache u. a. (epistemische) Satzadverbien (Wahrscheinlich war der Postbote schon da.) oder (epistemische) Modalverben (Der Postbote muss schon da gewesen sein.). Zum Ausdruck von Sprechereinstellungen stehen ebenfalls Satzadverbien zur Verfügung ((un)glücklicherweise, hoffentlich, unbedingt, freundlicherweise). In DGS werden beide Modalitäten (Modi) nichtmanuell, d. h. durch Mimik und Kopf- und Körperhaltung ausgedrückt. Im Gegensatz aber zum Aspekt der Art und Weise wird zum Ausdruck der Modi der gesamte Satz nichtmanuell markiert. Zusätzlich können Satzadverbien verwendet werden. Epistemische Modalverben gibt es in DGS nicht, deontische Modalverben können nicht in der epistemischen Lesart verwendet werden.

Negation

Zur Negation bedient sich die DGS dreier Mittel: syntaktischer, morphologischer und lexikalischer Negation.

Syntaktische Negation wird nichtmanuell durch Kopfschütteln markiert. Markiert werden können:

  • das Verb
  • das Verb mit seinen Objekten

Eine negative Markierung des gesamten Satzes (inklusive des Subjekt) ist ungrammatisch. Die Reichweite (Skopus) der Markierung entscheidet über die Lesart: Eine Markierung des Verbs verneint lediglich das Verb, während die anderen Konstituenten nicht negiert werden (Peter kauft das Buch nicht, er leiht es sich.). Eine Markierung des Verbs und seiner Objekte verneint entweder das gesamte Prädikat oder lediglich die Objekte (Peter kauft kein Buch, sondern er leiht sich eine CD. Peter kauft kein Buch, sondern eine CD.).

Morphologische Negation ist bei bestimmten Gebärden mithilfe eines Derivationsaffixes (nicht können, nicht dürfen, unmöglich). In einigen Fällen können Gebärden auch mit der Gebärde für nicht ein Kompositum bilden (ungerecht, nicht mögen, nicht hoffen).

Lexikalische Negation wird mit Negationsadverbien und Indefinitpronomen ausgedrückt (nicht, niemand, nirgends, keiner). Die Negation mit der Gebärde für nicht ist markiert und betont die Negation, während die syntaktische Negation den unmarkierten Fall darstellt.

Syntax

Satzbau

Die unmarkierte Wortordnung in einfachen Sätzen der DGS ist

Subjekt (AGENS) – indirektes Objekt (ZIEL) – direktes Objekt (THEMA) – Verb.

Zeitangaben (morgen, nächste Woche) stehen (als Diskurstopik) am Satzanfang. Ebenso treten Satzadverbien häufig am Satzanfang auf. Adverbien hingegen, die nicht nichtmanuell ausgedrückt werden können (vgl. Aspekt der Art und Weise), folgen als Extrasatz dem Verb. Attributive Adjektive folgen dem Nomen unmittelbar, prädikative Adjektive werden von dem Nomen in der Regel durch einen Determinativ getrennt. Die Kopula sein gibt es in DGS nicht. Ortsinformationen werden tendenziell an den Satzanfang (hinter die Zeitinformation) gestellt (Figur-Grund-Prinzip). Satzteile (mit Ausnahme von Verben) können topikalisiert (an den Satzanfang bewegt) werden. Satzteile, die sich nicht in ihrer unmarkierten Satzposition befinden, werden mimisch markiert.

Determinatoren (Artikel, Demonstrativpronomen, Quantoren, Relativpronomen) folgen dem Nomen. Possessivpronomen stehen zwischen dem Besitzer und dem Besitz. Ihre Funktion ist die Verortung von Referenten im Gebärdenraum (Zuweisung von Raumpunkten). Erfolgt die Zuweisung von Raumpunkten durch Kongruenzverben, so können Determinatoren immer dann getilgt werden, wenn sie keine weitere Funktion erfüllen (bspw. Anzeige von Besitz, Pluralisierung). Unbestimmte Artikel gibt es nicht.

Satzarten

Die Wortordnung in Frage- und Befehlssätzen unterscheidet sich nicht von der in Aussagesätzen. Bei Entscheidungsfragen wird der gesamte Satz nichtmanuell durch hoch gezogene Augenbrauen und leicht nach vorn geneigten Kopf markiert. Handelt es sich bei dem Subjekt um ein Personalpronomen, so wird dieses in der Regel am Satzende wiederholt (Subjektkopie). Für W-Fragen (auch: Konstituentenfragen, Ergänzungsfragen) stehen in DGS eine Reihe von W-Fragewörtern (bspw. wer, was, wo, wann, warum) zur Verfügung. W-Fragewörter stehen am Satzanfang oder am Satzende. Der gesamte Fragesatz wird in unmarkierten Fällen durch zusammengezogene Augenbrauen markiert. Deutsche Wie-Fragen mit prädikativem Adjektiv (Wie lang ist Dein Haar?) werden nicht als W-Fragen, sondern als Entscheidungsfragen ausgedrückt. W-Fragen können unter bestimmten Umständen nichtmanuelle Markierungen wie Entscheidungsfragen verlangen, bspw. zum Ausdruck von Höflichkeit, bei rhetorischen Fragen oder bei Prüfungsfragen. Imperativsätze (Befehlssätze) werden durch erhöhte Ausführungsgeschwindigkeit markiert. In Abhängigkeit vom Sprechakttyp (Bitte, Aufforderung, Befehl) tritt zur manuellen eine nichtmanuelle Markierung hinzu.

Satzverbindungen

Eine Vielzahl von satzverbindenden Konjunktionen wird in DGS nichtmanuell ausgedrückt, wie das konditionale wenn … (dann), das komparative als (je … desto), die temporalen als und während. Die nichtmanuellen Markierungen bedingen eine strenge Serialisierung.

  • Konditionalsätze: Antezedens (wenn-Satz) > Konsequenz (dann-Satz). Das Antezedens wird durch hochgezogenen Augenbrauen markiert, die Konsequenz durch ein Kopfnicken über dem Verb. Konditionalsätze im Irrealis erhalten eine zusätzliche Markierung durch Mundgestik/Mundmimik.
  • Komparationssätze: Vergleichsbasis > Vergleich
    • Gleichheit wird durch die Gebärde genau-wie oder – bei Vergleich von Ausdehnungen im Raum (Höhe, Breite, Tiefe, Länge) – durch den Gebärdenraum ausgedrückt.
      PETER1 GEBÄRD, GUT, MARIA2 2GENAU-WIE1.
    • Komparative und Superlative werden u. a. durch SASS-Klassifikatoren, durch den Gebärdenraum, durch Verbmarkierung für Aktionsart, durch die Gebärde SCHLAG (übertreffen) oder durch die Gebärden MEHR bzw. MEIST ausgedrückt.
      PETER1 GEBÄRD, GUT, MARIA2 2SCHLAG1.
    • Elative sind die am häufigsten verwendeten Komparationsformen. Sie werden im Gegensatz zu den Gleichheitsaussagen, den Komparativen und Superlativen ohne Vergleichsbasis gebärdet und sind somit keine Satzverbindungen im eigentlichen Sinne.
  • Temporalsätze:
    • Vorzeitigkeit/Nachzeitigkeit: Temporaler Adjunktsatz > (DAVOR/ DANACH) > Hauptsatz. Der temporale Adjunktsatz wird mit hoch gezogenen Augenbrauen wie topikalisierte Satzteile markiert. Die (optionalen) Konjunktionen DAVOR/DANACH können innerhalb oder außerhalb der Markierung liegen. Hieraus ergibt sich ein Unterschied in der Informationsstruktur des Satzes.
    • Gleichzeitigkeit: Temporaler Adjunktsatz > Hauptsatz. Zwei gleichzeitig ablaufende Handlungen werden durch Körperhaltung markiert, der temporale Adjunktsatz mit einer leichten Neigung zu einer Seite, der Hauptsatz mit einer leichten Neigung zur entgegengesetzten Seite.
  • Relativsätze: Der Relativsatz folgt unmittelbar dem Referenznomen und wird mit einem Relativdeterminator angeschlossen. Relativsätze in DGS sind grundsätzlich restriktiv. In der Regel werden Nominalphrasen mit Relativanschlüssen topikalisiert.
  • dass-Sätze (Satzgefüge): Matrixsatz > Konstituentensatz (Gliedsatz). Der Matrixsatz wird durch eine kurze Pause von seinem Konstituentensatz getrennt. Hierbei wird keine Unterscheidung getroffen zwischen (deutschen) flektierten dass-Sätzen oder Infinitivsätzen (Ich glaube, dass ich ihn kenne. vs Ich glaube ihn zu kennen.). In DGS sind alle Verben in Sätzen und Satzverbindungen immer flektiert.

Siehe auch

Literatur

  • Helen Leuninger: Gebärdensprachen : Struktur, Erwerb, Verwendung. Buske, Hamburg 2005, ISBN 3-87548-353-7

Lernprogramme

  • Das große Wörterbuch der Deutschen Gebärdensprache, Verlag Karin Kestner, ISBN 978-3-9812004-1-6
  • Fliegende Hände, Kursbegleitende Arbeits- und Lern-CD-ROMs für DGS Kurse I bis IV, Projektgruppe der RWTH Aachen
  • Günter Maisch, Fritz H. Wisch: Gebärden-Lexikon. 7. Auflage, Verlag hörgeschädigte kinder GmbH, ISBN 3-924055-06-8
    • CD-ROMs zum Gebärden-Lexikon Band 1, Verlag hörgeschädigte kinder gGmbH
  • Grundkurs Deutsche Gebärdensprache. Signum Verlag, ISBN 3-927731-69-2, mit Arbeitsvideo zum Gebärdensprachkurs
  • Die Firma, CD-ROM, Selbstlernkurs für Gebärdensprache, Signum Verlag, ISBN 3-927731-73-0
  • 777 Gebärden, 1-3 DVD (2700 Einzelgebärden und 220 Sätze) oder Einzel-CD-ROMs, Verlag Karin Kestner, ISBN 3-00-001312-1
  • Tommys Gebärdenwelt, 1-3 CD-ROMs, Verlag: Karin Kestner

Weblinks

Einzelnachweise



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