Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen

Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen
Sitz der Frontex in Warschau

Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (kurz Frontex, aus dem Französischen für Frontières extérieures) ist eine Gemeinschaftsagentur der Europäischen Union mit Sitz in Warschau.[1][2][3] Sie ist zuständig für die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der EU. Frontex wurde im Jahr 2004 durch die Verordnung (EG) 2007/2004 des Rates der Europäischen Union vom 26. Oktober 2004 errichtet.[4]

Inhaltsverzeichnis

Aufgaben

Die Agentur koordiniert die operative Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen, unterstützt die Mitgliedstaaten bei der Ausbildung von nationalen Grenzschutzbeamten und legt unter anderem gemeinsame Ausbildungsnormen fest.[5] Außerdem erstellt sie Risikoanalysen, verfolgt die Entwicklungen der für die Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen relevanten Forschung, unterstützt die Mitgliedstaaten in Situationen, die eine verstärkte technische und operative Unterstützung an den Außengrenzen erfordern, und leistet die erforderliche Hilfe bei der Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen der Mitgliedstaaten.[6] Nach der EU-Strategie der inneren Sicherheit[7] soll Frontex in Zukunft einen stärkeren Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung an den Grenzen leisten.[8]

Die rechtliche Grundlage von Frontex bietet die am 26. Oktober 2004 vom Rat der EU erlassene Verordnung (EG) 2007/2004 „zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Europäischen Union“, ergänzt durch die von Parlament und Rat der EU am 11. Juli 2007 erlassene Verordnung (EG) 863/2007 „über den Mechanismus zur Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke und zwar Änderung der Verordnung (EG) 2007/2004 des Rates hinsichtlich dieses Mechanismus und der Regelung der Aufgaben und Befugnisse der abgestellten Beamten“.[9] Im Mai 2005 nahm Frontex daraufhin die Arbeit auf.

Die Hauptaufgabenfelder von Frontex sind:

  • die Risiko- und Gefahrenanalyse bzgl. der EU-Außengrenzen und die daraus abgeleitete Sicherstellung einer ausgewogenen Verteilung der vorhandenen Überwachung- und Sicherheitsressourcen entlang der Grenze. Die Risikoanalyse erfolgt mittels des 2002 von einer EU-Expertengruppe entwickelten Common Integrated Risk Analysis Modelles (CIRAM). Das bisher mit der Erstellung von Risikoanalysen beauftragte, 2003 in Helsinki gegründete Risk Analysis Centre (RAC) übergab diese Aufgabe an Frontex und wurde am 1. Mai 2005 geschlossen.[10]
  • die Koordination der operativen Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten in der Überwachung der EU-Außengrenzen
  • die Unterstützung von Mitgliedstaaten bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten an den nationalen Grenzen sowie die Einführung einheitlicher Ausbildungsstandards
  • die Beobachtung der Forschung im Bereich der Sicherheitstechnologie sowie die Beratung der Sicherheitsorgane der Mitgliedstaaten bezüglich moderner Technologien für die Grenzsicherung
  • die Unterstützung von Mitgliedstaaten in Situationen, die unmittelbar einen erhöhten technischen und personellen Bedarf erfordern
  • die Unterstützung von Mitgliedstaaten bei der Organisation von Rückführungsaktionen, d. h. Abschiebungen von Personen aus Drittstaaten
  • die enge Zusammenarbeit mit EU-Partnern wie Europol und CEPOL
  • die Koordination der Kooperation mit den Sicherheitsbehörden aus Drittstaaten[11]

Operationen

Frontex hat mehrere Einsatzgebiete, in denen Operationen meist mit gleichlautenden Codewörtern beschrieben werden:

  • Poseidon (östliches Mittelmeer, v. a. Griechenland),
  • Hera (Kanarische Inseln/Küste Westafrikas),
  • Nautilus (Mittelmeer zwischen Nordafrika und Malta/Süd-Italien) sowie
  • Amazon (internationale Flughäfen, Kontrolle von Immigranten aus Lateinamerika).[12]
  • Hermes 2011 (Einsatz auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa)
  • RABIT Operation (November 2010 bis Februar 2011, Grenze von Nord-Griechenland zur Türkei)

Am 11. August 2006 begann ein Frontex-Einsatz zur Überwachung der Kanarischen Inseln („Operation Hera II“).[13] 2006 landeten hier rund 31.000 Flüchtlinge auf überfüllten Booten. Das sind fast genauso viele wie in den vier Jahren zuvor. Die meisten kommen aus Senegal, Mali, Mauretanien, Gambia und Niger. Ihre Boote starten meist von der senegalesischen Küste, etwa 1300 Kilometer entfernt von den Inseln. Dies ist wohl eine Reaktion auf die Sperrung der nordafrikanischen Enklaven Ceuta und Melilla; dort verhindern abermals höher gezogene Stacheldrahtzäune ein Durchkommen.

Frontex organisierte und finanzierte eine europäische Sammelabschiebung am 3. Juni 2009 von Wien nach Nigeria, und eine weitere (deutsch-polnische) Massenabschiebung am 8. Juni 2009 von Berlin nach Hanoi.[14][15]

Bei den ersten Frontex-Vertretern der Mission Hermes 2011 handelt es sich um „Screener“ und „Debriefer“: Das sind Mitarbeiter aus verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten, die die Bootsflüchtlinge auf Lampedusa identifizieren und befragen sollen – unter anderem über die Transportwege. Derartige Spezialisten stammen meist aus dem Grenzschutz der am Einsatz beteiligten Länder. [16]

Die RABITs (Rapid Border Intervention Teams) Operation wurde im März 2011 durch die Mission Poseidon 2011 Joint Operation ersetzt und arbeitet im Evros-Gebiet.[17]

Finanzierung/Ressourcen

Frontex hat 256 Mitarbeiter (Stand Oktober 2010).[18] Für Einsätze setzt die Agentur auf das Konzept sogenannter Rapid Border Intervention Team (Rabits), Einheiten, die in Ausnahmesituationen und dringenden Fällen für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. Die hierfür benötigte technische Ausrüstung wird bei Bedarf über einen extra hierfür geschaffenen Katalog, den Centralised Record of Available Technical Equipment (CRATE) bereitgestellt.[19]

Das Frontex-Budget setzt sich aus Beiträgen der Schengen-Mitgliedstaaten sowie in einzelnen Jahren Beiträgen Norwegens, Islands, Irlands und dem Vereinigten Königreich zusammen. 2005 verfügte die Agentur über 6,2 Millionen Euro, 2006 über 19,2 Millionen Euro, 2007 über 22,2 Millionen Euro und 2008 über 70 Millionen Euro zuzüglich eines Reserve-Budgets von 13 Millionen Euro.[20] Für 2009 bis 2011 liegt das Budget jährlich bei ca. 88 Millionen Euro.[21] Frontex verfügt zur Erfüllung ihrer Aufgaben über 20 Flugzeuge, 25 Hubschrauber und 100 Boote.[22]

Der Finne Ilkka Laitinen ist seit 2005 Chef der Agentur.

Das EU-Parlament in Straßburg hat am 13. September 2011 mit großer Mehrheit mehr Befugnisse für die europäische Grenzschutzagentur Frontex befürwortet. Die Agentur kann nun eigene Grenzschützer anfordern sowie eigene Ausrüstungen wie Hubschrauber und Fahrzeuge anschaffen. Damit ist sie nicht mehr so stark von den Zuweisungen der EU-Länder abhängig. Zudem soll ein Menschenrechtsbeauftragter künftig bei Einsätzen darauf achten, dass die Grundrechte eingehalten werden.[23]

Kritik

Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen kritisieren Frontex in Zusammenhang mit militärischen Flüchtlings-Abwehrmaßnahmen in der Mittelmeer-Region.[24] Dabei kommt ein Rechtsgutachten des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) zu dem Schluss, dass die EU-Grenzschützer auch außerhalb der Territorien der EU-Staaten – also etwa auch auf hoher See jenseits der 12-Meilen-Zone – an Flüchtlings- und Menschenrechte gebunden sind.[25] Mitten auf dem Meer aufgegriffene Flüchtlinge haben demzufolge das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Sie dürfen auch nicht zurückgeschoben werden, wenn ihnen möglicherweise Verfolgung oder Misshandlung droht. Um Flüchtlinge nicht bis zur Mittelmeerküste gelangen zu lassen, wird auch die Einrichtung von Lagern in entlegenen Wüstengebieten unterstützt. Hierzu zählen in Libyen die Kufra-Oasen[26] und Sabha[27].

Siehe auch

Literatur

  • Andreas Fischer-Lescano, Timo Tohidipur: Europäisches Grenzkontrollregime. Rechtsrahmen der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX, in: ZaöRV 2007, S. 1219–1276.
  • Mark Holzberger: Europols kleine Schwester. Die Europäische Grenzschutzagentur „FRONTEX“, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 84 (2/2006), S. 56–63.
  • Andrew W. Neal: Securitization and Risk at the EU Border: The Origins of FRONTEX, in: Journal of Common Market Studies (JCMS) 2009, S. 333–356.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Möllers, Rosalie: Wirksamkeit und Effektivität der Europäischen Agentur FRONTEX, Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt a.M. 2010
  2. Widmaier/Stock Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 1. Auflage 2006, ISBN 3-406-54531-9, § 83 Rdnr. 74.
  3. Wolfgang Kilb: Europäische Agenturen und ihr Personal – die großen Unbekannten?, in: EuZW 2006, 268, 271.
  4. Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 (PDF)
  5. Widmaier/Stock MAH Strafverteidigung § 83 Rdnr. 75.
  6. Bundespolizei kompakt 1-2009, Seite 20, ISSN 0302-9468.
  7. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. EU-Strategie der inneren Sicherheit, KOM(2010) 673 vom 22. November 2010 (PDF), abgerufen am 16. Februar 2011.
  8. vgl. Reinhard Priebe: Europäische Kommission: EU-Strategie für die Innere Sicherheit, EuZW 2011, 2, 3.
  9. Fischer-Lescano/Tohidipur, ZaöRV 2007, 1219, 1229f.
  10. Frontex – FAQ
  11. Frontex – Tasks
  12. Frontex – Jahresbericht 2006 (PDF, Englisch)
  13. Sicco Rah: Asylsuchende und Migranten auf See. Staatliche Rechte und Pflichten aus völkerrechtlicher Sicht, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-92930-7, S. 239f.
  14. Protest gegen Massenabschiebung nach Nigeria. no-racism.net, 3. Juni 2009
  15. Mo 8.6.09 Berlin-SXF: AirBerlin/FRONTEX Massenabschiebung nach Vietnam. Flüchtlingsrat Berlin
  16. Stefan Troendle: Frontex startet Mission „Hermes 2011“, in: Tagesschau.de, 20. Februar 2011.
  17. Frontex Press Release März 2011
  18. Frontex | European Union Agency / FAQ
  19. Frontex – Facts and Myths 11. Juni 2007
  20. vgl. o. V.: Europäisches Parlament beschließt Haushalt 2008, EuZW 2008, 37.
  21. Frontex – Budget
  22. Albert Scherr: Innere Sicherheit und soziale Unsicherheit. Sicherheitsdiskurse als projektive Bearbeitung gesellschaftsstrukturell bedingter Ängste?, in: Axel Groenemeyer (Hrsg.): Wege der Sicherheitsgesellschaft. Gesellschaftliche Transformationen der Konstruktion und Regulierung innerer Unsicherheiten, 1. Auflage 2010, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, ISBN 978-3-531-17798-4, S. 29.
  23. Tagesschau.de: EU-Parlament stärkt Agentur Frontex - Mehr Personal soll Europas Grenzen besser schützen Abgerufen am 13. September 2011
  24. Warum die Kampagne „Stoppt das Sterben“? Pro Asyl
  25. Rechtsgutachten (Link nicht mehr abrufbar) des ECCHR
  26. Dirk Godenau u.a. (Hrsg.): Immigration Flows and the Management of EU’s Southern Maritime Borders. CIDOB editions, Dezember 2008, S. 55 (englisch)
  27. Global Detention Project: Libya Detention Profile (englisch). Informationen basierend auf Berichten von Human Rights Watch und Fortress Europe (italienisch), abgerufen am 1. April 2011.

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