Flavius Aëtius

Flavius Aëtius

Flavius Aëtius (* um 390 in Durostorum, heute Silistra in Bulgarien; † 21. oder 22. September 454 in Rom) war ein weströmischer Heermeister und Politiker in der spätantiken Völkerwanderungszeit. Er übte seit den 30er Jahren des 5. Jahrhunderts maßgeblichen Einfluss auf die Führung der Reichsgeschäfte im Westreich aus und war dreimal Konsul (432, 437 und 446). In die Geschichte eingegangen ist vor allem seine erfolgreiche Abwehr des Hunnenangriffs.

Leben

Flavius Aëtius wurde in Durostorum an der Donau in der römischen Provinz Niedermoesien geboren. Seine Muttersprache war Latein. Sein Vater hieß Gaudentius und war bereits Heermeister (magister militum) gewesen, seine Mutter stammte aus einer reichen und aristokratischen italischen Familie. Einen Teil seiner Jugend verbrachte er als Geisel bei den Westgoten (wohl von 405 bis 408) und später bei den Hunnen. Er muss in dieser Zeit gute Kontakte zu hunnischen Gruppen aufgebaut haben, denn als nach dem Tod des Kaisers Honorius 423 Johannes nach der Macht griff, beauftragte dieser den Aëtius, ihm hunnische Hilfstruppen zuzuführen. Als Aëtius mit einem sehr starken hunnischen Heer im Mai 425 in Italien erschien, war die Usurpation des Johannes zwar bereits gescheitert, doch drei Tage nach dessen Enthauptung lieferte sich Aëtius ein blutiges Gefecht mit oströmischen Truppen unter Aspar (dessen weiteres Leben erstaunliche Parallelen zu seinem eigenen aufweisen sollte). Die Schlacht endete ohne Sieger. Dennoch ermöglichte die Präsenz der Hunnen Aëtius den politischen Aufstieg an die Spitze des Reiches: Er verständigte sich mit dem neuen Kaiser Valentinian III. und dessen Mutter, der einflussreichen Galla Placidia. Aëtius wurde zum comes ernannt und brachte die Hunnen dazu, sich zurückzuziehen.

Bald darauf kämpfte er an der Spitze weströmischer Truppen gegen die Westgoten in Südgallien und konnte auch einige Erfolge gegen die Franken verbuchen. 429 wurde er zum magister militum per Gallias ernannt; nach der Ermordung seines größten Konkurrenten, des Heermeisters Flavius Felix, im Jahr 430 stieg Aëtius zum mächtigsten Mann des Westreiches auf.[1] In Gallien ging er wieder gegen Westgoten und Franken vor. Dem immer größer werdenden Einfluss des Aëtius versuchte Galla Placidia mit der Förderung des Bonifatius entgegenzuwirken. Bonifatius kommandierte die Truppen in der Provinz Africa und galt als ein talentierter General. Er war einige Zeit zuvor (angeblich durch eine Intrige des Aëtius) diskreditiert worden, stand nun aber wieder in der Gunst des Kaiserhofes und sollte ein Gegengewicht gegen den gallischen Heermeister bilden. Er wurde schließlich 432 nach Italien gerufen, um Aëtius abzulösen. Dieser weigerte sich aber, seine Position kampflos aufzugeben, und so kam es zu einer militärischen Konfrontation zwischen den beiden starken Männern des Westreichs. Bonifatius konnte seinen Rivalen zwar bei Ariminum schlagen, doch erlag er etwas später seinen Verletzungen.

Aëtius floh nach der Niederlage zunächst zu seinen alten Freunden, den Hunnen. Mit ihrer Hilfe kehrte er 433 zurück und wurde in seinen alten Würden bestätigt. Es gab zu ihm, nachdem er auch Sebastianus, den Schwiegersohn des Bonifatius, ausgeschaltet hatte, schlicht keine Alternative mehr: Er bekam Pelagia, die gotische Witwe seines toten Gegners, zur Frau und erhielt so auch Zugriff auf die gewaltige Erbschaft und die militärische Gefolgschaft seines Konkurrenten. Zudem verlieh man ihm den Titel eines patricius, der seit Constantius III. faktisch gleichbedeutend war mit der Position eines Reichsverwesers. Insgesamt dreimal bekleidete er das Konsulat und führte nun im Grunde die Amtsgeschäfte des Westreiches. In der Folgezeit konnte er eine Reihe von militärischen Erfolgen verbuchen, welche das Westreich wenigstens vorläufig stabilisierten. Zu seiner bedeutendsten Leistung gehört denn auch die Verteidigung der römischen Provinz Gallien während dieser Phase der Völkerwanderung. Während dem Westreich zunehmend die Mittel fehlten, um reguläre eigene Truppen zu unterhalten, konnte Aëtius dank seiner guten Beziehungen zu diversen nichtrömischen Gruppen einen gewissen Ausgleich schaffen. Mit Hilfe hunnischer Hilfstruppen vernichtete er so im Jahre 436 das Burgunderreich in der Region von Worms – der historische Kern der Nibelungensage –, und war auch verantwortlich für die Ansiedlung der übrigen Burgunder im Rhônetal, wo sie als Puffer gegen die Alamannen dienen sollten. Ebenso wurden die eingebrochenen Alanen im mittleren Gallien neu angesiedelt. Auch in die Kirchenpolitik mischte sich Aëtius wenigstens teilweise ein, wobei es ihm vor allem um die Vermeidung von religiösen Unruhen ging.

Trotz der guten Kontakte, die Aëtius zu den Hunnen unterhielt, drangen diese 451 unter ihrem König Attila in Gallien ein, nachdem der oströmische Kaiser Markian ihnen 450 die jährlichen Tributzahlungen gekündigt hatte. Da der oströmische Donauraum bereits verwüstet, eine Überquerung des Bosporus den Hunnen aber unmöglich war, musste sich Attila, der auf Erfolge und Beute angewiesen war, notgedrungen gen Westen wenden. Angeblich hatte außerdem Honoria, die Schwester Valentinians III., Attila die Ehe versprochen,[2] was dieser als Vorwand für territoriale Forderungen an Valentinian aufnahm. Aëtius gelang es jedoch, eine Koalition aus den verschiedenen in Gallien ansässigen Foederaten zu formen; selbst die Westgoten, die auf ihn schlecht zu sprechen waren, schlossen sich dem Bündnis aus Furcht vor einem weiteren Vordringen der Hunnen an. Hinzu kamen reguläre weströmische Verbände, die aus allen Teilen des noch vom Kaiser kontrollierten Gebietes zusammengezogen wurden. In der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern bei Châlons-en-Champagne konnte sich Aëtius mit Hilfe dieses gemischten römisch-germanischen Heeres den Hunnen entgegenstellen und ihren Vorstoß zum Stillstand bringen. Es war kein entscheidender Sieg, und vielleicht hat Aëtius sogar mit Absicht die Hunnen geschont, um so die germanischen Verbündeten Roms nicht übermütig werden zu lassen, doch genügte es, dass Attila sich aus Gallien zurückziehen musste.[3] Ein Jahr später fielen die Hunnen zwar in Italien ein und plünderten mehrere Städte, darunter auch Aquileia, doch waren ihre Kräfte letztendlich erschöpft; mit dem Tod Attilas 453 brach das Hunnenreich auseinander. Auffällig ist allerdings, dass Aëtius 452 offenbar keine ausreichenden Truppen mehr zur Verfügung standen, um Italien verteidigen zu können; erst ein Eingreifen Ostroms sowie das Auftreten von Seuchen zwangen die Hunnen zur Umkehr.

Symptomatisch für die Schwäche des weströmischen Kaisertums war die Stärke der Heermeister: Es war Aëtius, der Verträge mit den barbarischen Völkern abschloss, etwa mit den Hunnen, denen er Jahre zuvor Teile Pannoniens abgetreten hatte. Diese Völker fühlten sich denn auch nicht dem Kaiser, sondern seinem mächtigsten Heermeister verpflichtet. Nun, da die Bedrohung durch die Hunnen entfallen war, konnte Valentinian III. aber hoffen, seine verlorene Macht zurückzugewinnen. Eine Absetzung oder gar einen offenen Prozess gegen Aëtius konnte der Kaiser dennoch nicht wagen. Aëtius hatte vom Kaiser schließlich die Zusage erhalten, dass sein Sohn Gaudentius die Tochter Valentinians heiraten durfte; hinzu kam, dass der Heermeister, solange er äußerlich loyal blieb und nicht selbst offen nach der Kaiserkrone griff, auf legalem Weg unangreifbar war. Petronius Maximus, ein angesehener Aristokrat, der vorher hohe Ämter in der Verwaltung bekleidet hatte, intrigierte nun angeblich gegen den Heermeister. Nach anderen Berichten war der praepositus Heraclius die treibende Kraft. Fest steht: Tatsächlich hätte eine verwandtschaftliche Beziehung Aëtius’ zum Kaiserhaus eine kaum zu überschätzende Bedrohung für Valentinian bedeutet, ähnlich wie sich Jahrzehnte zuvor Honorius von Stilicho bedroht gefühlt hatte (eine ganz ähnliche Konstellation sollte einige Jahre später auch Aspar zum Verhängnis werden).

Da ihm legitime Mittel, den übermächtigen, aber demonstrativ loyalen Heermeister auszuschalten, nicht zur Verfügung standen, sah der Kaiser Mord als einzigen Ausweg: Im September 454 wurde Aëtius in Rom während einer Audienz von Valentinian eigenhändig mit dem Schwert erschlagen. Eine direkte Folge dieser Ermordung war die Loslösung Dalmatiens, wo sich Marcellinus, ein ehemaliger Offizier des Aëtius, ein faktisch selbstständiges Reich schuf, sowie die bald darauffolgende Ermordung Valentinians im März 455 durch Gefolgsleute des Aëtius. Mit dem Tod des Herrschers war der Versuch, dem westlichen Kaisertum wieder Handlungsfreiheit zu verschaffen, katastrophal gescheitert; der Ansehensverlust erwies sich als irreparabel.

Es folgte der langsame, aber nun endgültige Verlust der römischen Stellung in Gallien, auch wenn betont werden muss, dass noch bis in die 70er Jahre des 5. Jahrhunderts Gebiete wie die Provence oder die Auvergne gehalten werden konnten und sich später in Nordgallien das gallorömische Sonderreich des Syagrius noch bis 486 halten konnte. Die römische Herrschaft über Hispanien war zu jener Zeit bereits ohnehin nur noch sehr bedingt gegeben und höchst regionaler Natur. Festzuhalten bleibt, dass es keinem Heermeister, auch nicht dem durchaus befähigten Aegidius, gelingen sollte, an Aëtius’ Position in Gallien anzuknüpfen.

Literatur

Anmerkungen

  1. Demandt, Magister militum, Sp. 654–656.
  2. Vgl. Jordanes, Getica, 224.
  3. John B. Bury hingegen relativierte in seiner History of the Later Roman Empire die Bedeutung der Schlacht: Bury, Bd. 1, S. 293f.

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