- Fritz Bauer
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Fritz Bauer (* 16. Juli 1903 in Stuttgart; † 1. Juli 1968 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Richter und Staatsanwalt, der eine maßgebliche Rolle beim Zustandekommen der Frankfurter Auschwitzprozesse spielte.
Inhaltsverzeichnis
Leben und Wirken
Fritz Bauer, Sohn jüdischer Eltern, studierte nach dem Besuch des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums in Stuttgart Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Heidelberg, München und Tübingen. Nach seiner Promotion zum Dr. jur. wurde Bauer 1930 Gerichtsassessor beim Amtsgericht Stuttgart (als damals jüngster Amtsrichter im Deutschen Reich).
Von früh an war Bauer politisch aktiv. Er war Mitgründer des Republikanischen Richterbundes in Württemberg. Bereits 1920 trat er der SPD bei, und 1930 übernahm er den Vorsitz der Ortsgruppe Stuttgart des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Im Zusammenhang mit Planungen zu einem gegen die Machtübergabe an die Nationalsozialisten gerichteten Generalstreik wurde Bauer im Mai 1933 von der Gestapo festgenommen und acht Monate im KZ Heuberg inhaftiert. Aus dem Staatsdienst wurde er entlassen.
1936 emigrierte er nach Dänemark und floh im Oktober 1943, als die Nazis mit der Deportation der dänischen Juden in das KZ Theresienstadt begannen, mit Unterstützung von einheimischen Helfern nach Schweden. Dort gründete er mit Willy Brandt und anderen die Zeitschrift Sozialistische Tribüne.
1949 kehrte Bauer nach Deutschland zurück, wurde Landgerichtsdirektor am Landgericht Braunschweig und 1950 Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht der Stadt. 1956 wurde er auf Initiative des Ministerpräsidenten Georg August Zinn in das Amt des hessischen Generalstaatsanwalts mit Sitz in Frankfurt am Main berufen, das er bis zu seinem Tod 1968 innehatte.
Einer seiner ersten Fälle als Generalstaatsanwalt in Braunschweig machte ihn auch außerhalb Deutschlands bekannt: 1952 war er der Ankläger im sogenannten Remer-Prozess. In Folge dieses Prozesses wurden die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 rehabilitiert, und ihr Versuch, Hitler zu töten, legitimiert. Das Gericht schloss sich Bauers Auffassung in seinem Plädoyer an, der NS-Staat sei „kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“[1] gewesen.
1959 erreichte Bauer, dass der Bundesgerichtshof die "Untersuchung und Entscheidung" in der Strafsache gegen Auschwitz-Täter dem Landgericht Frankfurt am Main übertrug. Auf Weisung Bauers leitete die dortige Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen vormalige Angehörige der SS-Besatzung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz ein. Der 1. Auschwitzprozess, die "Strafsache gegen Mulka u.a." wurde im Dezember 1963 vor diesem Landgericht eröffnet.
Fritz Bauer war es auch, der 1960 dem israelischen Geheimdienst Mossad den Wohnort Adolf Eichmanns in Argentinien mitteilte. Bauer hatte der deutschen Justiz und Polizei misstraut (er befürchtete, man würde Eichmann von dort aus warnen) und sich direkt an Israel gewandt. Diese Mitteilung war der entscheidende Anstoß für Eichmanns Ergreifung.[2]
Innerhalb der bundesdeutschen Justiz der Nachkriegszeit war Bauer wegen seines gesellschaftspolitischen Engagements umstritten. Er selbst soll einmal gesagt haben: „In der Justiz lebe ich wie im Exil“. Ebenfalls überliefert ist der Satz: „Wenn ich mein [Dienst-]Zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“[3]
Bauer wurde am 1. Juli 1968 tot in seiner Wohnung in Frankfurt aufgefunden. Die von dem Gerichtsmediziner Gerchow vorgenommene Leichenöffnung ergab als Todesursache Herzversagen bei schwerster akuter Bronchitis, sowie die Einnahme einer großen Dosis eines Schlafmittels. Es ergaben sich keine Hinweise auf ein Fremdverschulden[4]. Die Behauptung, es habe sich um einen Suizid gehandelt, ist umstritten und wurde von etlichen seiner Weggefährten bezweifelt. Das plötzliche Lebensende wird bisweilen mit dem mangelnden Erfolg und der ausbleibenden gesellschaftlichen Anerkennung seiner Bemühungen zur juristischen Aufarbeitung der Auschwitz-Verbrechen in Verbindung gebracht.
Die von Bauer begonnenen Ermittlungen gegen die Schreibtischtäter der „Euthanasie“ wurden später eingestellt.
Wirkungen und Würdigungen
1961 gründete Bauer zusammen mit Gerhard Szczesny die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union. Nach seinem Tod stiftete die Humanistische Union den nach ihm benannten Fritz-Bauer-Preis. Das 1995 gegründete Fritz Bauer Institut, eine Stiftung des bürgerlichen Rechts, die sich mit der Geschichte und Wirkung des Holocausts befasst, ist ebenfalls nach ihm benannt.
Fritz Bauers Werk galt dem Aufbau einer demokratischen Justiz, der konsequenten strafrechtlichen Verfolgung nationalsozialistischen Unrechts und der Reform des Straf- und Strafvollzugsrechts. Die Frankfurter Auschwitzprozesse (1963-1981) wären ohne Bauers hartnäckigen Einsatz wohl nicht zustande gekommen. Zwar konnten die Tatbeteiligten größtenteils nur zu wenigen Jahren Haft wegen Beihilfe zu Mord verurteilt werden, auch lehnten breite Schichten der Gesellschaft die Verfahren ab. Dennoch besteht das Verdienst Bauers darin, durch die von ihm angestrengten Prozesse ab Mitte der 1960er Jahre die öffentliche Auseinandersetzung mit der Holocaust-Thematik eingeleitet zu haben.
Bauer ist auf der Frankfurter Treppe verewigt.
Werke
- Die Kriegsverbrecher vor Gericht. Nachwort Hans Felix Pfenninger. Reihe: Neue Internationale Bibliothek, 3. Europa, Zürich 1945
- Das Verbrechen und Gesellschaft. Ernst Reinhardt, München 1957
- Wurzeln nazistischen Denkens und Handelns. Hg. Hessische Landesbank, Frankfurt o. J. [circa 1960]
- Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns, Mainz 1961 (31 S.).
- Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns, EVA Frankfurt 1965 (77 S.)
- Widerstandsrecht und Widerstandspflicht des Staatsbürgers, Frankfurt 1962
- Sexualität und Verbrechen. Beiträge zur Strafrechtsreform. Hgg. Fritz Bauer, Hans Bürger-Prinz, Hans Giese, Herbert Jäger. Fischer TB, Frankfurt 1963
- Die neue Gewalt. Die Notwendigkeit der Einführung eines Kontrollorgans in der Bundesrepublik Deutschland. Verlag der Zeitschrift Ruf und Echo, München 1964 (24 S.)
- Widerstand gegen die Staatsgewalt. Dokumente der Jahrtausende. Zusammenst. & Komm. F. B. - Fischer TB, Frankfurt 1965
- Auf der Suche nach dem Recht. Mit 20 Fotos und 7 Zeichnungen. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1966
- Die Reformbedürftigkeit der Strafrechtsreform. Sonderreihe "Aus gestern und heute", 20. Dokumentationen und zeitgeschichtliche Beiträge. München, o. J. [1966] (23 S.)
- Alternativen zum politischen Strafrecht. Vortrag vom 6. März 1968 bei der Hochschulwoche für staatswissenschaftliche Fortbildung in Bad Nauheim. Bad Homburg v. d. H., Dr. Max Gehlen, Berlin 1968 (15 S.)
- Vom kommenden Strafrecht. Vorwort Herbert Jäger. C. F. Müller, Karlsruhe 1969 (85 S.)
- Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hgg. Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Campus, Frankfurt 1998, ISBN 3-593-35841-7
Dokumentarfilm
- David Wittenberg: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Erinnern an Fritz Bauer. Deutschland 1995
- Ilona Ziok: Fritz Bauer – Tod auf Raten. Deutschland 2010, 97 Min.[5]Website des Films
- Prädikat: "Besonders wertvoll" & Titel: "Dokumentarfilm des Monats Januar 2011" durch die FBW
Literatur
- Claudia Fröhlich: „Wider die Tabuisierung des Ungehorsams“. Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts Bd. 13 Campus, Frankfurt 2006, ISBN 3-593-37874-4
- Hanno Loewy & Bettina Winter Hrsg.: NS-„Euthanasie“ vor Gericht. Fritz Bauer und die Grenzen juristischer Bewältigung. Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts Bd. 1. Campus, Frankfurt 1996, ISBN 3-593-35442-X
- Matthias Meusch: Von der Diktatur zur Demokratie. Fritz Bauer und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Hessen 1956–1968. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau Nr. 70. Vgl. ebenso, Wiesbaden 2001 ISBN 3-930221-10-1
- Irmtrud Wojak: Fritz Bauer und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen nach 1945. Reihe: Blickpunkt Hessen Nr. 2 .Hessische Landeszentrale für politische Bildung Wiesbaden 2003, ISBN 3-927127-49-3
- dies.: Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie. C.H. Beck, München 2009. ISBN 978-3-406-58154-0 (dazu Rezension bei H-Soz-u-Kult; Rezensionsüberblick in der Presse bei Perlentaucher).
Weblinks
- Literatur von und über Fritz Bauer im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literatur über Fritz Bauer in der Hessischen Bibliographie
- Kurzbiografie von Fritz Bauer beim Fritz Bauer Institut
- Fritz Bauer als Persönlichkeit im BLIK – Braunschweiger Leit- und Informationssystem für Kultur
- Irmtrud Wojak: Fritz Bauer - Stationen eines Lebens
- Claudia Fröhlich: Fritz Bauer zwischen Justiz und Politik. Die Veränderung seiner politischen Strategie in den sechziger Jahren
- Seite des Films: Fritz Bauer - Tod auf Raten
Einzelnachweise
- ↑ Urteil des Braunschweiger Landgerichts im März 1952, zitiert nach: Lenz, Friedrich (1953): Der ekle Wurm der deutschen Zwietracht: politische Problem rund um den 20. Juli, 1944. Selbstverlag
- ↑ Zu beachten ist dabei, dass sowohl die CIA als auch der Bundesnachrichtendienst schon 1958 die Tarnidentität Eichmanns aufgedeckt hatten und seinen Aufenthaltsort genau kannten (siehe: Scott Shane: „C.I.A. Knew Where Eichmann Was Hiding, Documents Show).
- ↑ Feindliches Ausland In: Der SPIEGEL vom 31. Juli 1995
- ↑ Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie, München 2009, S. 30
- ↑ Braunschweiger Zeitung Bericht.--Berlinale bei Perlentaucher: Der Ungeehrte --Fritz Bauer - Death by Instalments. Dieser Film wird bis November 2011 an ca. 100 Orten in Deutschland nichtkommerziell gezeigt und diskutiert, auf Veranlassung der und mit Förderung durch die Aktion Mensch. Engl. Version: Death by instalments. Das Gutachten der Bewertungsstelle für das Prädikat: FBW Januar 2011
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