- Grundbedürfnis
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Grundbedürfnisse sind Bedürfnisse, die bei einer hierarchischen Aufteilung der Bedürfnisse eine hohe Wichtigkeit haben und vordringlich befriedigt werden.
Eine allgemeingültige Definition von Grundbedürfnissen, oder ein allgemeines Verständnis, welche Bedürfnisse hierzu zählen besteht nicht. Der Begriff wird in unterschiedlichsten Wissenschaften (z. B. der Anthropologie, der Medizin, der Psychologie, Volkswirtschaftslehre, Theologie oder der Rechtswissenschaft) und in politischen Diskussionen verwendet.
Inhaltsverzeichnis
Modelle zur hierarchischen Aufteilung von Bedürfnissen
Grundbedürfnisse nach Maslow
Ein bekanntes hierarchisches Modell der Bedürfnisse ist die Maslowsche Bedürfnispyramide:
Grundbedürfnisse finden sich in diesem Modell in den unteren Stufen:
- körperliche Grundbedürfnisse: Atmung (saubere Luft); Wärme (Kleidung); Trinken (sauberes Trinkwasser); Essen (gesunde Nahrung); Schlaf (Ruhe, Entspannung)
- Sicherheit: Unterkunft/Wohnung; Gesundheit; Schutz vor Gefahren; Ordnung (Gesetze, Rituale)
- Soziale Beziehungen: Freundeskreis, Partnerschaft, Liebe, Nächstenliebe, Sexualität, Fürsorge, Kommunikation
Eine Abgrenzung oder Definition, die erklärt was Grundbedürfnisse sind, trifft das Modell nicht. Die unterste Stufe des Modells beschreibt körperliche Grundbedürfnisse.
Bedürfnisse nach Dringlichkeit
In den Wirtschaftswissenschaften werden Bedürfnisse nach Dringlichkeit ihrer Erfüllung unterschieden. Grundbedürfnisse sind danach Bedürfnisse mittlerer Dringlichkeit. Sie werden abgegrenzt gegen die dringlicheren Existenzbedürfnisse (deren Befriedigung eine Sicherstellung des Existenzminimums bedeutet) und die weniger dringlichen Luxusbedürfnisse[1].
Die Befriedigung von Grundbedürfnissen des Menschen in diesem Sinne sind notwendige Voraussetzungen für ein gesundes, zufriedenes und würdiges Leben.
Die Verwendung des Begriffs in der politischen Diskussion
In der politischen Auseinandersetzung wird der Begriff des Grundbedürfnisses hauptsächlich im Bereich der Sozial-, der Steuer- und der Entwicklungshilfepolitik verwendet.
Sozialpolitik
In der öffentlichen Diskussion wird der Begriff Grundbedürfnisse meist im Zusammenhang mit der Armutsgrenze oder Sozialleistungen verwendet. Ziel der Sozialpolitik in Deutschland ist, jedermann das sozio-ökonomische Existenzminimum zu gewährleisten. Voraussetzung hierfür ist die Definition der zu Grunde liegenden Grundbedürfnisse. Dies erfolgt in Deutschland über einen Warenkorb, der in einer repräsentativen Umfrage unter den 20 % der ärmsten Haushalte ("Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) erhoben wird[2]. Die Kosten hierfür stellen den Regelsatz der Sozialhilfe dar.
Steuerpolitik
In der Steuerpolitik sind Grundbedürfnisse in zwei Bereichen Gegenstand der öffentliche Diskussion. Zum einen besteht das Verfassungsgebot, das sozi-ökonomische Existenzminimum steuerfrei zu halten[3].
Im Bereich der Umsatzsteuer bestehen in den meisten Ländern gespaltene Mehrwertsteuersätze. Waren und Dienstleistungen, die zur Deckung der Grundbedürfnisse dienen, unterliegen niedrigeren Steuersätzen, als andere. Der Katalog der Waren und Dienstleistungen, die dem ermäßigten Steuersatz unterliegen (Anlage 2 zum Umsatzsteuergesetz) stellt eine mögliche Definition von Grundbedürfnissen dar[4].
Grundbedürfnisse in der Entwicklungshilfepolitik
In der Entwicklungshilfe orientiert sich die Grundbedürfnisstrategie an der Vorstellung von Grundbedürfnissen.
Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) definierte die Grundbedürfnisse wie folgt: Demnach müssen Mindesterfordernisse wie „ausreichende Ernährung, Wohnung und Bekleidung“ sowie „bestimmte Haushaltsgeräte und Möbel“ verfügbar sein. Außerdem gehören lebenswichtige Dienstleistungen wie Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, sowie eine Bereitstellung von sanitären Anlagen und sauberem Trinkwasser zu den Grundbedürfnissen[5].
Veränderung der Wahrnehmung der Grundbedürfnisse
Die öffentliche Meinung, was ein "Grundbedürfnis" sei, unterliegt starkem Wertewandel.
Vor allem die seelisch-geistigen Grundbedürfnisse, die sich in bestimmten Erwartungshaltungen manifestieren, sind in hohem Maße kulturell und gesellschaftlich geprägt und können Veränderungen unterliegen. So kann beobachtet werden, dass in Zeiten der existenziellen Krisen (Kriege, Hungersnöte u. a. m.) die seelisch-geistigen Bedürfnisse gegenüber der Befriedigung der physischen Grundbedürfnisse zurücktreten oder scheinbar völlig verschwinden. Sie äußern sich aber doch in Anfälligkeiten z. B. für neue religiöse Angebote. Dagegen tritt die Erwartung, dass diese abgeleiteten oder "höheren" Bedürfnisse befriedigt werden, in Zeiten der existentiellen Sicherung sogar in den Vordergrund und kann eine ebenso große Dringlichkeit erreichen.
Anwendung in verschiedenen Wissenschaften
Psychologie
Die Psychologie betrachtet die subjektive Zufriedenheit (z. B. Maslowsche Bedürfnispyramide).
Die Psychologie geht auch von 4 Säulen (Grundwerten) aus, die zum Wohlbefinden in einem dynamischen Gleichgewicht sein sollen: Sicherheit - Wechsel - Freiheit - Verbundenheit.
Eine neuere psychologische Theorie, die Grundbedürfnisse postuliert ist die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan.
Es gibt noch viele weitere psychologische Theorien, die unterschiedliche Grundbedürfnisse aufzählen. Klaus Grawe postuliert 4 Grundbedürfnisse[6]:
- Bindungsbedürfnis
- Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle
- Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz
- Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung
Beispiele für weitere psychische Grundbedürfnisse
- Geliebt werden und Lieben.
- Sicherheit: Sicherheit der politischen Verhältnisse und der wirtschaftlichen Lage.
- Verbundenheit: Zugehörigkeit zu einer Gruppe; Geborgenheit
- Veränderung: Eine gewisse Spannung ist notwendig, sonst versinkt man in Lethargie.
- Anerkennung und Erfolg: Bestätigung durch andere, Arbeitsklima, aussprechen/annehmen von Lob, Umgang mit Kritik, Gefühl des Gebrauchtwerdens
- Freiheit, Selbstbestimmung und Kreativität
- Selbstwertgefühl: Selbstachtung, Selbstvertrauen, Stabilität, kein Selbstmitleid, Kenntnis seiner selbst, Fähigkeit zur Selbstkritik.
- Zerstreuung: die Notwendigkeit des Entspannungsprozesses als Gegenpol zu alltäglichen Abläufen zum Erhalt psychischer Belastbarkeit (Energie).
- Erlebnisse mit Erinnerungswert, menschliche Begegnungen dauerhafter und verlässlicher Art, Erfolge in der Arbeit, bestandene Schwierigkeiten.
Nach Schulz von Thun lassen sich diese Grundbedürfnisse in vier zusammenfassen: wertvoll sein, geliebt sein, frei sein, verbunden sein.
Medizin und Pflegewissenschaft
Die Medizin betrachtet die Funktionen des Körpers zu ihrer Erfüllung unter (mindestens) drei Aspekten:
1. Physiologie als Lehre des normalen Funktionierens der Organe zur Aufrechterhaltung des eigenen Lebens. Meistens existieren Normwerte mit einer gewissen Bandbreite, innerhalb derer diese definiert sind.
2. Rehabilitation als medizin. Subdisziplin will Patienten befähigen, wieder eigenständig an Beruf und Lebensalltag teilzunehmen. Wichtige Heilhilfsmittel dazu sind die Ergotherapie, Krankengymnastik und die Hilfsmittelversorgung.
3. In der Medizinethik geht es bei dem Gesundheitsbegriff und der Lebensqualität auch um solche Fragen.Die Pflegewissenschaft, selbst eine junge Disziplin, setzt sich im Rahmen der so genannten Aktivitäten des Täglichen Lebens (ATL-Konzept, stark von der amerikanischen Psychologie beeinflusst) oder der Lebensaktivitäten mit diesen Begriffen und ihrer Konkretisierung auseinander.
Andere Wissenschaften
- Rechtswissenschaft:
Menschenrechte, Recht auf Leben - Euthanasie - Todesstrafe, Eigentumsrechte und Mundraub, Unpfändbarkeit und Steuergerechtigkeit - Theologie:
Als Grundbedürfnis wird hier die Erlösung angesehen. - Volkswirtschaftslehre/Soziologie:
Siehe hier: Bedürfnis, Bedarf
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre, Prof. Dr. Jean-Paul Thommen, 7. überarbeitete Auflage
- ↑ TAZ vom 19. Mai 2006
- ↑ BVerfGE 82, 60, 85 = Rdnr. 104 ff sowie BVerfGE 82, 60, 94 = Rdnr. 128 ff. in BVerfGE 82, 60 - Steuerfreies Existenzminimum
- ↑ Anlage 2 zum Umsatzsteuergesetz
- ↑ STEINBERG, Florian (1985): Grundbedürfnisstrategie. Wohnen in der „Dritten Welt“. Kiel.
- ↑ Klaus Grawe: Psychologische Therapie. 2. korr. Auflage 2000, Göttingen: Hogrefe, S. 383 ff. ISBN 3-8017-1369-5.
Quellen
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