Herstatt-Bank

Herstatt-Bank
Ehemalige Gebäude der Herstatt-Bank (Aufnahme 2010)

Die I. D. Herstatt KGaA war eine Kölner Privatbank, die zuletzt im Besitz von Iwan David Herstatt war. Im Juni 1974 wurde sie infolge von Devisenspekulationen insolvent. Ihr Zusammenbruch war die damals größte Bankenpleite der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Inhaltsverzeichnis

Unternehmensgeschichte

Der in Köln geborene Iwan David Herstatt übernimmt im Jahre 1955 das Bankhaus Hocker & Co. und firmiert dieses um in I. D. Herstatt KGaA, zusammen mit seinem Jugendfreund Hans Gerling, der 81,4 Prozent an dem Unternehmen hält. Herstatt übernimmt die Rolle des persönlich haftenden Gesellschafters, während Unternehmen des Gerling-Konzerns als Kommanditisten fungieren.

1957 wird das neue Bankhaus in der Bankenmeile Unter Sachsenhausen 6 (heute: Haus der Industrie- und Handelskammer Köln) der Kölner Innenstadt eröffnet. Es gelingt der Bank, sich im Wertpapiergeschäft zu etablieren und einen großen Teil prominenter Kölner als Kunden zu gewinnen. Dadurch avanciert das Bankhaus von einer reinen Regionalbank zu einer überregional tätigen Bank. Durch das forcierte Auslands- und Devisengeschäft erlangt die Herstatt-Bank in den frühen 1970er Jahren auch wachsende internationale Bedeutung. 1974 vertrauen etwa 52.000 Kunden der Bank ihr Geld auf 78.000 Konten und 15.000 Depots an.

Die Devisenspekulationen und die „Goldjungs“

Nach der Entkopplung der europäischen Währungen vom US-Dollar entfallen auch die bislang starren Wechselkurse. Die Ära der frei schwankenden Wechselkurse („Floating“) beginnt. Dadurch verstärken sich die Devisen-Spekulationen weltweit, der Eigenhandel in Devisen (also nicht kundengetriebenes Geschäft) wird zum Kernstück des Herstatt-Bankgeschäfts. Auch viele andere deutsche und internationale Banken entdecken das offensichtlich lukrative Geschäft. Bei Herstatt sind für diese Geschäfte die sogenannten „Goldjungs“ zuständig: sechs erst knapp über 20 Jahre alte Devisenhändler. Die Abteilung leitet Dany Dattel. Die Devisenabteilung arbeitet weitgehend ohne Kontrolle, was durch die vergleichsweise geringen aufsichtsrechtlichen Vorschriften begünstigt wird, und mit wenig Kontakt zu den anderen Geschäftsbereichen.

Die Goldjungs dürfen nur bis zu zehn Millionen Dollar Devisen pro Person/Tag kaufen. Jedoch umgehen sie diese Begrenzung durch andere Mitarbeiter der Bank, die als Strohmänner fungieren. Da diese Mitarbeiter als Privatpersonen nicht termingeschäftsfähig waren, traf sie keine Erfüllungspflicht. Diese Geschäfte fielen damit im Verlustfall letztlich auf die Bank zurück.

Aufgrund der damals noch unüblichen und futuristisch wirkenden Computertechnik und der weltumspannenden Kommunikationsleitungen wurde dieser Bereich in Anlehnung an die Fernsehserie Raumpatrouille unternehmensintern „Raumstation Orion“ genannt.

Der Crash (1973/1974)

Nach der Ölkrise 1973 setzen die sechs Goldjungs auf einen steigenden US-Dollar, wie dies weltweit bei Banken der Fall war. Im selben Jahr beträgt das Volumen der Dollarspekulation insgesamt acht Milliarden DM, so dass eine Kursschwankung von einem Prozent entweder 80 Millionen DM Gewinn oder den gleichen Verlust ergab. Warnungen des Risiko-Managements nahmen der Vorstand und Aufsichtsrat der Bank zunächst nicht ernst. Ende 1973 erhielt der Jahresabschluss durch die Wirtschaftsprüfer ein uneingeschränktes Testat, wonach sich der Jahresabschluss in Einklang mit den Gesetzen befand. Ein Sondergutachten vom 11. März 1974 unter besonderer Berücksichtigung des Devisen- und Edelmetallhandels kam zu dem Schluss, dass aufgrund eines erheblichen Gewinnsaldos aus diesen Geschäften zum Jahresende 1973 und der Abwicklungen aus Januar und Februar 1974 Rückstellungen für drohende Verluste nicht erforderlich seien und keine Anhaltspunkte für eine „Schieflage“ zu entnehmen gewesen wären.[1] Doch der Dollarkurs sinkt ab Anfang 1974 stetig ab. Das bedeutete, dass die Devisen-Glattstellungen bei jeweiliger Fälligkeit teurer eingedeckt werden mussten, als man sie zuvor erworben hatte.

Am 31. Mai 1974 fand eine bankinterne Prüfung statt, über die Bankinhaber Herstatt am 11. Juni 1974 informiert wurde. Die Verluste aus Devisentermingeschäften beliefen sich auf etwa 64 Millionen DM, wodurch 89 Prozent des Eigenkapitals aufgezehrt worden waren. Bereits am 16. Juni 1974 wurden aufgrund der Kursrückgänge die Verluste zwischen 450 und 520 Millionen DM beziffert. Nach Überprüfung dieser Angaben durch den Wirtschaftsprüfer wurde am 23. Juni 1974 die Bundesbank und Gerling und am 24. Juni 1974 das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (inzwischen in der BaFin aufgegangen), welches damals für die Bankenaufsicht zuständig war, informiert. Nachdem die Großbanken Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank eine Rettung der Herstatt-Bank am 26. Juni 1974 durch die Abgabe von Bürgschaften ablehnten, ordnete das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen noch am selben Tag die Schließung der Schalter in Köln und Bonn an.

An jenem Tag beliefen sich die Verluste auf 480 Millionen DM. Am 27. Juni 1974 beantragte die Bank die Eröffnung des Vergleichsverfahrens wegen Überschuldung. An jenem Tag kommt es in Köln zu Tumulten am Hauptsitz auf der Straße Unter Sachsenhausen. Die Polizei muss das Gebäude sichern, die deutschen Aktienkurse fallen.[1]

Die Gläubiger

Die amerikanische Chase Manhattan Bank war damals Herstatts wichtigste Korrespondenz- und Abrechnungsbank für US-Dollar, über die entsprechend alle Abrechnungen in dieser Währung liefen.[2] Chase Manhattan hatte damals viel Glück. Am Nachmittag des 26. Juni 1974 um 16 Uhr erfuhr der verantwortliche Devisenhändler aus der Frankfurter Niederlassung der Chase Manhattan Bank von dem anstehenden Zusammenbruch der Bank und veranlasste unmittelbar das Einfrieren der New Yorker Depotbestände in Höhe von 156 Millionen US-Dollar. Dadurch konnte Chase Manhattan jegliche Verluste vermeiden, während andere Banken lange auf die Aufteilung der wenigen verbliebenen Gelder warten mussten.

Im Nachgang gelang es, aus dem Restvermögen der Herstatt-Bank, einem Feuerwehrfonds der deutschen Privatbanken und dem Vermögen von Herstatt und Gerling, die Gläubiger größtenteils auszuzahlen. Hans Gerling verkaufte zur Befriedigung der Ansprüche 51 Prozent der Anteile an der Gerling-Holding an ein Deutsches Industriekonsortium (VHDI) und die Deutsche Bank.

Privatkunden erhielten mehr als 80 Prozent ihrer Einlagen zurück, Sparer mit Einlagen unter 20.000 DM zu 100 Prozent, Banken und Kommunen zu 65,4 Prozent. Unter ihnen befand sich auch die Stadt Köln mit 190 Millionen DM, die Stadt Bonn mit 12,2 Millionen DM und das Erzbistum Köln.

Die letzten Auszahlungen an die Gläubiger konnten wegen der komplexen Abwicklungsprobleme erst Ende 2006 erfolgen. Insgesamt wurden Banken und Kommunen ihre Forderungen zu 73,5 Prozent und privaten und sonstigen Gläubigern zu 83,5 Prozent erfüllt.[3]

Die Prozesse

In der Folge des Herstatt-Konkurses ist es zu einer Anzahl von zivil- und strafrechtlichen Prozessen gekommen, deren interessanteste letztinstanzlich vom Bundesgerichtshof (BGH) entschieden wurden. Der erste zivilrechtliche Prozess wird vom BGH am 9. Juli 1979[1] entschieden. Hierbei ging es im Kern um die Frage, ob sich die Verantwortlichen der Konkursverschleppung schuldig gemacht hatten. Der BGH hatte dies verneint, so dass der klagenden Sparkasse Schadensersatzklagen verwehrt blieben.

Strafrechtlich wird I.D. Herstatt 1984 zunächst zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Der BGH hebt dieses Urteil auf, und Herstatt wird 1987 zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren wegen Untreue verurteilt, die Strafe jedoch 1991 erlassen. Sechs andere Manager werden freigesprochen oder erhalten milde Strafen, im schlimmsten Falle werden sieben Jahre Freiheitsstrafe ausgesprochen. Dany Dattel wird für verhandlungsunfähig erklärt, da er unter dem sogenannten KZ-Syndrom leidet (als Vierjähriger hatte er gemeinsam mit seiner Mutter einige Monate im Konzentrationslager Auschwitz zugebracht). Noch heute klagt Dattel auf Geld aus den Devisengeschäften, 7.000 Gläubiger warten noch auf Restausschüttungen von zehn Millionen Euro. Solange diese Verfahren nicht rechtskräftig entschieden sind, kann die Abwicklung des Unternehmens nicht abgeschlossen werden. Die I.D. Herstatt KGaA befindet sich daher immer noch in Liquidation.

Am meisten Aufsehen erlangte eine zivilrechtliche Klage der „Interessengemeinschaft der Herstatt-Sparer“ gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen möglicher Amtspflichtsverletzungen des Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, als damals für die Bankenaufsicht zuständige Behörde. Der Bundesgerichtshof erkannte die Möglichkeit der Verletzung gewerbepolizeilicher Verpflichtungen aus dem Kreditwesengesetz und die mögliche Haftung der Bundesrepublik an.[1]

Konsequenzen

In der Folge des Herstatt-Konkurses gründeten die deutschen Banken einen Einlagensicherungsfonds, um ihre Sparer vor den Folgen einer Banken-Insolvenz zu schützen, dem Komplettverlust ihrer Einlagen.[4]

Wegen der Herstatt-Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Amtshaftung wurde das Kreditwesengesetz verschärft und die bisherige Regelung, nach der die Bankenaufsicht auch im öffentlichen Interesse tätig werde, durch eine Regelung ersetzt, nach der die Bankenaufsicht nur im öffentlichen Interesse tätig werde.[5] Durch diese Einschränkung ist eine Haftung aufgrund von Amtspflichtverletzungen künftig ausgeschlossen. Dies bedeutet im Ergebnis, dass dieser Bereich dem amtshaftungsrechtlichen Schutz entzogen ist. Eine gleiche Regelung gibt es bei der Versicherungsaufsicht (§ 81 Abs. 3 VAG) und der Börsenaufsicht.[6]

Ferner wurden die offenen (also nicht glattgestellten) Devisen- und Edelmetallpositionen durch erstmalige Bindung an das haftende Eigenkapital eines Kreditinstituts prozentual limitiert (durch Schaffung des neuen Grundsatz I a als Ausführungsbestimmung zum § 10 KWG). Außerdem wurden unmittelbar in der Folge der Herstatt-Affäre die Gesetze über Antragsfristen für Konkurs- und Vergleichsverfahren verschärft. Der ebenfalls neu geschaffene § 46b KWG verlangt die vorherige Anzeigepflicht an die Bankenaufsichtsbehörde, wenn das Kreditinstitut einen Insolvenzantrag zu stellen plant. Auch die Gründung der Liquiditäts-Konsortialbank steht unter dem Eindruck dieser Bankenkrise.

Sonstiges / Trivia

  • Jan Stephan Hillebrand bearbeitete in dem Theaterstück „Kölner Devisen“ den Zusammenbruch der Herstatt-Bank.
  • Im Norden Kölns gibt es zwischen Köln-Chorweiler, Köln-Seeberg und Köln-Heimersdorf die in den frühen 70er Jahren angelegte und nach der Familie Herstatt benannte Herstattallee.

Literatur

Roland Dubischar, Prozesse, die Geschichte machten - Zehn aufsehenerregende Zivilprozesse aus 25 Jahren Bundesrepublik, C.H.Beck, München 1997, ISBN 3406425593

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d BGH vom 9. Juli 1979 (BGH NJW 1979, 1879 = WM 1979, 873)
  2. David Rockefeller, Erinnerungen eines Weltbankiers, FinanzBuch Verlag, 2008, S. 422 f.
  3. Kölnische Rundschau vom 9. August 2006
  4. Lehren aus der Herstatt-Pleite, ZEIT vom 7. September 2006
  5. "Die [BaFin] nimmt ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr“, (§ 4 Abs. 4 FinDAG). In diesem Grundsatz kommt einerseits der ordnungspolitische Gedanke zum Ausdruck, dass es keine generelle Staatshaftung zugunsten der Einleger gibt, andererseits ist die Ausrichtung ausschließlich am öffentlichen Interesse Ausdruck der Überlegung, dass nicht der unmittelbare Einlegerschutz, sondern die Behebung von Funktionsmängeln des Bankenmarktes eine staatliche Aufgabe ist
  6. vgl. u.a. LG Frankfurt NJW 2005, 1055

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