- Holger Mischwitzky
-
Rosa von Praunheim (Holger Bernhard Bruno Mischwitzky, geboren als Holger Radtke, * 25. November 1942 in Riga, Lettland) ist ein deutscher Filmregisseur und gilt als wichtiger Vertreter des postmodernen deutschen Films. Er war vor allem mit seinem Dokumentarfilm von 1970 „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ der öffentliche Wegbereiter und einer der Mitbegründer der politischen Schwulen- und Lesbenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland.
Inhaltsverzeichnis
Leben und Werk
Von Praunheim wurde 1942 während der deutschen Besatzung im Zentralgefängnis in Riga geboren. Seine leibliche Mutter starb 1946 in der Psychiatrie (Wittenauer Heilstätten Berlin). Nach der Geburt wurde Holger Radtke zur Adoption freigegeben. Von der Adoption erfuhr er erst im Jahr 2000 und vom Tod seiner leiblichen Mutter nach längeren Recherchen im Jahr 2006, was er in seinem Film Meine Mütter – Spurensuche in Riga behandelt. Er wuchs als Holger Mischwitzky in Berlin (Ost) auf. 1953 flüchtete die Familie in den Westen; zunächst ins Rheinland, anschließend zog sie nach Frankfurt am Main. Das Humanistische Gymnasium in Frankfurt verließ von Praunheim mit der Mittleren Reife, um an der Werkkunstschule in Offenbach und später an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin (West) in der Abteilung Freie Malerei zu studieren, ohne aber einen Abschluss zu erlangen.
In den 1960er Jahren debütierte er mit Experimental- und Kurzfilmen, wie „Samuel Beckett“ (1969), mit denen er sich bald einen Namen machte. Im selben Jahr heiratete er die Schauspielerin Carla Egerer alias Carla Aulaulu; 1971 ließ sich das Paar scheiden. Mitte der 1960er Jahre nahm er den Künstlernamen „Rosa von Praunheim“ an, der eine Reminiszenz an den Rosa Winkel darstellt, den homosexuelle Männer in der Zeit des Nationalsozialismus in Konzentrationslagern tragen mussten, sowie an den Frankfurter Stadtteil Praunheim, wo er als Jugendlicher aufwuchs.
Praunheims erster großer Spielfilm entstand 1970: „Die Bettwurst“ wurde zum Kultfilm, auf den 1973 eine Fortsetzung („Berliner Bettwurst“) folgte. Ebenfalls 1970 erregte von Praunheim Aufsehen mit seiner Dokumentation Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt, die zur damaligen Zeit unter anderem zur Gründung zahlreicher Homosexuelleninitiativen führte.
1979 erhielt er den Deutschen Filmpreis für „Tally Brown“; sein „Wunderbares Wrodow“ von 1999 erhielt den Robert-Geisendörfer-Medienpreis.
Großes Aufsehen erregte Rosa von Praunheim am 10. Dezember 1991 durch die von ihm in Deutschland losgetretene Outing-Debatte, als er unter anderem den Moderator Alfred Biolek und den Komiker Hape Kerkeling in der RTL-plus-Sendung „Explosiv – Der heiße Stuhl“ öffentlich als schwul bezeichnete – eine Aktion, die er später als „Verzweiflungsschrei auf dem Höhepunkt der AIDS-Krise“ bezeichnete, die er nicht wiederholen würde.
1999 erfuhr von Praunheim von seiner Adoptivmutter Gertrud Mischwitzky von seiner Adoption; Recherchen ergaben seinen Geburtsnamen Holger Radtke. Dies berichtete von Praunheim im Juni 2006 in einem Interview mit dem Berliner Boulevardblatt „B.Z.“. Seine Spurensuche bildet den Hintergrund seines Dokumentarfilms Meine Mütter – Spurensuche in Riga von 2007.[1]
In 30 Jahren drehte von Praunheim über 50 Filme. Neben Homosexualität waren seine Themen „ältere, vitale Frauen“ (zum Beispiel Evelyn Künneke und Lotti Huber) und seit den späten 1980er Jahren die AIDS-Prävention.
Rosa von Praunheim war bis 2006 Dozent für Filmregie an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg. Er lebt in Berlin.
2008 erhält von Praunheim in Osnabrück den 17. Rosa-Courage-Preis[2] und den Filmpreis der Stadt Hof.[3]
Bücher
- Männer, Rauschgift und der Tod. 1967
- Oh Muvie. 1968, Fotoroman mit Elfi Mikesch
- Sex und Karriere. Rowohlt TB-V., 1978, ISBN 3-499-14214-7
- Armee der Liebenden oder Aufstand der Perversen. 1979, ISBN 3-88167-046-7
- Gibt es Sex nach dem Tode. Prometh Verlag, 1981, ISBN 3-922009-30-1
- Rote „Liebe“: ein Gespräch mit Helga Goetze.. Prometh Verl., 1982, ISBN 3-922009-47-6
- 50 Jahre pervers. Die sentimentalen Memoiren des Rosa von Praunheim.. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1993, ISBN 3-462-02476-0
- Folge dem Fieber und tanze: Briefwechsel mit Mario Wirz. Aufbau-Verlag, 1995
- Mein Armloch. Martin Schmitz Verlag, 2002, Gedichte
- Die Rache der alten dicken Tunte. 2006, Fotobuch
- Die Bettwurst und meine Tante Lucy. 2006, Fotobuch
Filme (Auswahl)
- 1969, Schwestern der Revolution (20 min.), mit Carla Aulaulu, Hannes Flutsch, Luzy Kryn, Alix Buchen, Werner Schroeter, Dietmar Kracht, Eva Suffa, Sven Busch, Steven Adamschweski, Thomas Vassilev, Michel Bolze
- 1970, Die Bettwurst (81 min.), mit Luzy Kryn, Dietmar Kracht, Steven Adamschewski
- 1970, Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (65 min.), mit Bernd Feuerhelm, Berryt Bohlen, Ernst Kuchling
- 1971 Homosexuelle in New York (12 min.), Dokumentarfilm über die 2. Christopher-Street-Day-Demonstration von 1971
- 1973 Berliner Bettwurst (90 min., gekürzte TV-Fassung 71 min.), mit Luzy Kryn, Dietmar Kracht
- 1973 Axel von Auersperg (70 min.), mit Vincent Kluwe, Gundula von Woyna, Evelyn Künneke, Peggy von Schnottgenberg
- 1972–76 Armee der Liebenden oder Aufstand der Perversen (107 min.), Dokumentarfilm über die Homosexuellenbewegung in den USA, mit Grace Jones, John Rechy
- 1977 Tally Brown, New York (80min), Film über die New Yorker Underground-Sängerin Tally Brown (Deutscher Filmpreis 1979)
- 1980 Rote Liebe (80 min.), mit Eddie Constantine, Sascha Hammer, Mark Eins, Helga Goetze, Olga Demetriesca, Rose Hammer, Bettina Sukroff, Barbara Gould, Tu Tu, Sarah Pfeiffer, Wieland Speck, Rolf Eden, Mania D
- 1981 Unsere Leichen leben noch (90 min.), mit Lotti Huber, Inka Köhler, Luzy Kryn, Maria Christina Leven, Madlen Lorei
- 1983 Stadt der verlorenen Seelen (91 min.), mit Jayne County, Angie Stardust, Judith Flex, Gary Miller, Joaquin la Habana, Tara O'Hara, Tron von Hollywood, Manfred Finger, Wolfgang Schumacher, Lorraine Muthke, Helga Goetze, Lotti Huber
- 1984 Horror vacui (85 min.), mit Lotti Huber, Friedrich Steinhauer, Folkert Milster, Thomas Vogt, Ingrid van Bergen
- 1985 Ein Virus kennt keine Moral (82 min.), mit Dieter Dicken, Maria Hasenäcker, Christian Kesten, Eva Kurz, Rosa von Praunheim, Regina Rudnick, Günther Thews
- 1987 Anita – Tänze des Lasters (90 min.), Film über die Tänzerin Anita Berber mit Lotti Huber, Ina Blum, Mikael Honesseau
- 1989 Überleben in New York (90 min.), Dokumentarfilm über das Leben dreier junger deutscher Frauen in New York
- 1991 Stolz und Schwul (45 min.), über und mit Harry Toste („Straps-Harry“), Kurt von Ruffin und Andreas Meyer-Hanno
- 1992 Ich bin meine eigene Frau (90 min.), über und mit Charlotte von Mahlsdorf
- 1995 Neurosia – 50 Jahre pervers (90 min.) mit Désirée Nick, Eva Ebner, Volker Eschke, Ichgola Androgyn, Carsten Hädler, Rosa von Praunheim, Gertrud Mischwitzky, Tima die Göttliche
- 1997 Schwuler Mut – 100 Jahre Schwulenbewegung, mit Ovo Maltine, Friedel von Wangenheim, Carsten Heinze, Alfredo Holz, Chris Glagowski
- 1999 Der Einstein des Sex (100 min.), Spielfilm über das Leben des Sexualforschers Magnus Hirschfeld, mit Kai Schumann, Friedel von Wangenheim, Ben Becker, Tima die Göttliche, Henning von Berg
- 1999 Can I Be Your Bratwurst, Please? (29 min.), mit Jeff Stryker, Luzy Kryn, Vaginal Davis
- 1999 Wunderbares Wrodow (79 min.), Dokumentation
- 2000 Für mich gab's nur noch Fassbinder (90 min.), Dokumentation über das Leben und Werk von Rainer Werner Fassbinder, mit Irm Hermann, Hanna Schygulla, Jeanne Moreau, Barbara Valentin, Harry Baer, Michael Ballhaus, Peer Raben
- 2001 Tunten lügen nicht (90 min.), Dokumentation über das Leben von vier Tunten in Berlin, mit Ovo Maltine, Tima die Göttliche
- 2002 Kühe vom Nebel geschwängert (89 min.), mit dem Obdachlosentheater Ratten 07, Bewohner des Mecklenburgischen Dorfes Wrodow
- 2002 Pfui Rosa! (70 min.), Selbstportrait
- 2005 Männer, Helden, schwule Nazis (78 min.), Dokumentation, mit Bela Ewald Althans, Jörg Fischer-Aharon
- 2005 Dein Herz in meinem Hirn (80 min.), Spielfilm, mit Martin Molitor und Martin Ontrop
- 2007 Meine Mütter – Spurensuche in Riga
- 2008 Tote Schwule – Lebende Lesben, Dokumentation
Weblinks
- Rosa von Praunheim in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Literatur von und über Rosa von Praunheim im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Internetauftritt von Rosa von Praunheim
- Klaus Kreimeier über v. Praunheims frühe Filme
- Interview mit Rosa von Praunheim Magazin der Berliner Zeitung vom 16. Februar 2008
- Rosa von Praunheim 2008 im Gespräch über Leben und Werk auf Bayern2 Radio Eins zu Eins – Der Talk.
Nachweise
- ↑ Queer.de: „Filmstart: Meine Mütter“, 7. März 2008
- ↑ Queer.de: „Rosa-Courage-Preis für Praunheim“, 7. März 2008
- ↑ Hofer Filmpreis für Rosa von Praunheim, queer.de, 24. Oktober 2008
Personendaten NAME Praunheim, Rosa von ALTERNATIVNAMEN Mischwitzky, Holger (wirklicher Name); Radtke, Holger (Geburtsname) KURZBESCHREIBUNG deutscher Filmregisseur; Mitbegründer der politischen Schwulenbewegung in Deutschland GEBURTSDATUM 25. November 1942 GEBURTSORT Riga
Wikimedia Foundation.