Verbrecher

Verbrecher

Unter einem Verbrechen wird gemeinhin ein schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtsordnung einer Gesellschaft oder die Grundregeln menschlichen Zusammenlebens verstanden. Allgemein gesprochen handelt es sich um eine von der Gemeinschaft als Unrecht angesehene und von ihrem Gesetzgeber als kriminell qualifizierte und mit Strafe bedrohte Verletzung eines Rechtsgutes durch den von einem oder mehreren Tätern schuldhaft gesetzten, verbrecherischen Akt. So versteht denn auch die Rechtswissenschaft unter einem Verbrechen in erster Linie die strafbare Handlung (Straftat) als solche. Gesellschaftswissenschaftlich befasst sich die Kriminologie mit dem Phänomen des Verbrechens und seinen Erscheinungsformen und Ursachen. Mit den Mitteln und Methoden der Verbrechensbekämpfung und -aufklärung beschäftigt sich die Kriminalistik.

In der aus dem französischen Recht stammenden Systematik der strafbaren Handlungen, wie sie in den meisten kontinentaleuropäischen Strafrechtssystemen in unterschiedlich abgewandelter Form verwendet wird, stellt das Verbrechen (frz. crime) die schwerste Form der Straftat dar und steht in dieser Betrachtungsweise insbesondere dem Vergehen (frz. délit) als minderschwerem Straftatbestand gegenüber.

Besonders schwere (ursprünglich: mit dem Verlust des Lebens zu ahndende) Verbrechen werden auch als Kapitalverbrechen (von lat. caput = „Haupt“) bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Historische Einordnung

Die Differenzierung zwischen strafbaren Handlungen unterschiedlicher Schwere ist bereits sehr früh in der Rechtsgeschichte belegt. Schon in der Constitutio Criminalis Carolina wurde zwischen causae maiores und causae minores (schwerwiegenden und minderschweren Anklagegründen) unterschieden; diese Trennung war für die Form der Bestrafung ausschlaggebend: Lebens-, Leibes- und Ehrenstrafen oder Geldbuße und kurzzeitiges Gefängnis.

Das deutsche Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) von 1871 unterschied zwischen drei Stufen der Schwere der Straftat: Verbrechen, Vergehen und Übertretung. Dabei orientierte es sich an dem unter Napoleon entstandenen französischen Code Pénal Impérial (1810), dessen Dreiteilung (crime - délit - contravention) das französische Strafrecht und die eng an das französische angelehnten Systeme (bspw. Belgiens) bis heute bestimmt. Von der Zuordnung der Tat zu einer der drei Kategorien hing wiederum die Strafart ab; für Verbrechen konnte u.U. auf Todesstrafe oder auf Zuchthaus erkannt werden, Vergehen wurden mit Gefängnis und Übertretungen in der Regel nur mit einer Geldstrafe oder kurzer Haft geahndet.

Mit der Strafrechtsreform von 1974/75 trat in der Bundesrepublik Deutschland an die Stelle dieser Trichotomie (Dreiteilung) die heute maßgebliche Dichotomie (Zweiteilung): Seither sind nur noch Verbrechen und Vergehen strafbare Handlungen. Die Übertretungen wurden abgeschafft und zum Teil durch Ordnungswidrigkeiten ersetzt. Strafen wie Zuchthaus oder Gefängnis wurden ebenfalls abgeschafft und eine einheitliche Freiheitsstrafe geschaffen, wobei nun auch Verbrechen durch Geldstrafen gesühnt werden können. Ob diese Zweiteilung beibehalten werden soll, ist unter Strafrechtlern umstritten, da ihre praktische Bedeutung relativ gering ist.

In einigen Rechtssystemen gibt es die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen nicht oder nicht mehr. Beispielsweise existieren in den ebenfalls vom französischen Modell ausgehend entwickelten Strafrechten Italiens, Spaniens und der Niederlande für Bagatellstraftaten zwar weiterhin die Übertretungen (contravvenzioni, faltas bzw. overtredingen), alle anderen Straftaten werden dagegen einheitlich als „Delikte“ oder „Vergehen“ (delitti, delitos bzw. misdrijven) bezeichnet. Trotzdem werden auch hier schwere und weniger schwere Tatbestände entsprechenden Unterkategorien zugeordnet. In den meisten Rechtsordnungen des Common Law gibt es die Unterscheidung zwischen schweren oder „kapitalen“ Verbrechen (felonies) und weniger schweren kriminellen Verfehlungen (misdemeanors), wobei der eigentliche Ausdruck „Verbrechen“ (crime) im Englischen als Oberbegriff dient und systematisch eher der „Straftat“ als solchen entspricht.

Formeller Verbrechensbegriff in Deutschland

Verbrechen ist die subjektiv objektive Verletzung des Rechts in seiner besonderen und allgemeinen gesetzlichen Geltung in einem Maß, dass die rechtliche Selbstständigkeit der betroffenen Person oder Gemeinschaft grundlegend verändert wird (Kriminalrecht). Im deutschen Strafrecht werden gemäß § 12 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) als Verbrechen alle die gesetzlich normierten Delikte bewertet, bei denen eine Strafandrohung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe besteht (z. B. Raub, Körperverletzung mit Todesfolge, schwere Brandstiftung, schwerer sexueller Missbrauch, Rechtsbeugung).

Delikte mit Androhung einer geringeren Mindeststrafe werden als Vergehen bezeichnet.

Der Unterschied wirkt sich auch bei der Strafbarkeit eines Tatversuchs aus. Der Versuch ist bei einem Verbrechen immer strafbar, bei einem Vergehen nur dann, wenn das im Gesetz ausdrücklich festgelegt wird (versuchter Hausfriedensbruch ist danach z. B. nicht strafbar). Eine andere Bedeutung besteht im Straftatbestand der Bedrohung, denn dieser kann nur mit dem Drohen eines Verbrechens erfüllt werden. Auch ist die versuchte Anstiftung zu einem Vergehen generell nicht strafbar, die zu einem Verbrechen jedoch schon. Der Verlust von Amtsfähigkeit und Wählbarkeit richtet sich ebenfalls nach der Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen. Ist ein Vergehen in besonderen Fällen mit höherer Strafe bedroht, sodass eine Mindeststrafe von über einem Jahr vorgesehen ist, bleibt die Tat dennoch ein Vergehen - gleiches gilt auch umgekehrt (§ 12 Abs. 3 StGB).

Ein Angeklagter, dem ein Verbrechen vorgeworfen wird, hat nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 der Strafprozessordnung (StPO) Anspruch auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn er selbst keinen Rechtsanwalt als Verteidiger beauftragt. Des Weiteren spielt im Prozessrecht die Zweiteilung (Dichotomie) zwischen Verbrechen und Vergehen eine Rolle für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte. Der Strafbefehl ist nur für Vergehen vorgesehen (§ 407 StPO) und eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153a, 154d StPO kommt ebenfalls nicht für Verbrechen in Frage.

Formeller Verbrechensbegriff in Österreich

Nach § 17 des österreichischen Strafgesetzbuches (Einteilung der strafbaren Handlungen) sind Verbrechen „vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind“; alle übrigen strafbaren Handlungen sind Vergehen. Im Unterschied zur deutschen Regelung sind in Österreich auch der Versuch und die Bestimmung ("Anstiftung") eines Vergehens strafbar. Weiters ist die Zuständigkeit der Gerichte anders geregelt.

Formeller Verbrechensbegriff in der Schweiz

Das schweizerische Strafgesetzbuch (Stand 19. Dezember 2006) definiert Verbrechen als Taten, die mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Vergehen sind Taten, die mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht sind (Art. 11 StGB). Auch der Versuch eines Verbrechens oder Vergehens ist strafbar (Art. 22 Abs. 1 StGB). Entscheidend ist hierbei der „point of no return“ - der letzte entscheidende Schritt, von dem es kein zurück mehr gibt. Der subjektive Tatbestand muss genau gleich erfüllt sein, wie beim vollendeten Delikt. Ausgenommen von Strafe ist der „grob unverständige Versuch“, bei dem die von dem Täter verwendeten Mittel nicht tauglich sind, den angestrebten Erfolg zu verwirklichen; oder an dem von dem Täter angegriffenen Objekt kann das Delikt überhaupt nicht begangen werden (Art. 22 Abs. 2 StGB). Übertretungen schließlich sind Taten, die mit Busse bedroht sind (Art. 103 StGB). Versuch (und Gehilfenschaft) sind nur in vom Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen strafbar (Art. 105 Abs. 2 StGB).

Materieller Verbrechensbegriff

Der materielle Verbrechensbegriff löst sich vom normativen Begriff des Strafrechts. Er ist weniger scharf als der formelle Verbrechensbegriff. So wird unterschieden zwischen

naturrechtlichem Verbrechensgehalt

Im Naturrecht wird eine Trennung der moralisch verwerflichen Delikte (mala delicta per se) und schlicht verbotene Delikte (mala prohibita) vorgenommen. Dieser natürliche Verbrechensbegriff spielt im strafrechtlichen Bereich des Common Law noch heute eine Rolle. Der "natürliche" Verbrechensbegriff ist jedoch wegen der Tendenz zur Willkür und der immanenten Subjektivität umstritten.

Lehre vom Rechtsgut

Die juristische Lehre vom Rechtsgut bezeichnet Verbrechen als diejenigen Handlungen, die geeignet sind, in strafwürdiger Weise Rechtsgüter zu verletzen. Rechtsgüter sind dabei die rechtlich individuell geschützten Interessen der Teilnehmer am Rechtsverkehr. Dieser "rechtsgutsbezogene" Verbrechensbegriff ist enger als der natürliche Verbrechensbegriff und knüpft an die normativen Grundlagen einer Gesellschaft an. Er ist daher in der Nähe zum formellen Verbrechensbegriff zu sehen.

Lehre vom sozialschädlichen Verhalten

Aus den Sozialwissenschaften stammt der Begriff des antisozialen Verhaltens, das sich in der Nähe zum abweichenden Verhalten (Devianz) bewegt. Dieser Verbrechensbegriff kommt dem Wissenschaftsverständnis sehr nah, benötigt jedoch auch eine normative Basis.

Beispiele

In Deutschland gelten unter anderem folgende Verbrechenstatbestände:

Strafgesetzbuch

§ StGB Bezeichnung
§ 80 Vorbereitung eines Angriffskrieges
§ 81 Hochverrat gegen den Bund
§ 82 Hochverrat gegen ein Land
§ 83 Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens
§ 94 Landesverrat
§ 96 Landesverräterische Ausspähung
§ 100 Friedensgefährdende Beziehungen
§ 105 Nötigung von Verfassungsorganen
§ 129a Bildung terroristischer Vereinigungen
§ 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland
§ 146 Geldfälschung
§ 152b Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks
§ 154 Meineid
§ 176a Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern
§ 176b Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge
§ 177 Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung
§ 178 Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge
§ 211 Mord
§ 212 Totschlag
§ 213 Minder schwerer Fall des Totschlags
§ 226 Schwere Körperverletzung
§ 227 Körperverletzung mit Todesfolge
§ 234 Menschenraub
§ 234a Verschleppung
§ 239a Erpresserischer Menschenraub
§ 239b Geiselnahme
§ 244a Schwerer Bandendiebstahl
§ 249 Raub
§ 250 Schwerer Raub
§ 251 Raub mit Todesfolge
§ 252 Räuberischer Diebstahl
§ 255 Räuberische Erpressung
§ 260a Gewerbsmäßige Bandenhehlerei
§ 306 Brandstiftung
§ 306a Schwere Brandstiftung
§ 306b Besonders schwere Brandstiftung
§ 306c Brandstiftung mit Todesfolge
§ 307 Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie
§ 308 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion
§ 309 Missbrauch ionisierender Strahlen
§ 310 Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens
§ 313 Herbeiführen einer Überschwemmung
§ 314 Gemeingefährliche Vergiftung
§ 316a Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
§ 316c Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr
§ 339 Rechtsbeugung
§ 343 Aussageerpressung
§ 344 Verfolgung Unschuldiger
§ 345 Vollstreckung gegen Unschuldige

Völkerstrafrecht

Strafnebengesetze

Literatur

  • Bernd-Dieter Meier: Kriminologie, C.H. Beck, München 2003
  • Hermann Mannheim: Vergleichende Kriminologie, Enke, Stuttgart 1966

Siehe auch

Weblinks

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