- σ-Algebra
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Eine σ-Algebra (auch σ-Mengenalgebra, Sigmakörper oder Borelscher Mengenkörper) ist ein Grundbegriff der Maßtheorie. Eine σ-Algebra ist eine mengentheoretische Struktur, die ein Mengensystem auf einer festen Grundmenge bezeichnet, das die Grundmenge enthält und abgeschlossen ist bezüglich der Komplementbildung und abzählbaren Vereinigungen. In der Stochastik, welche auf der Maßtheorie aufbaut, spielen σ-Algebren als Ereignissysteme eine wichtige Rolle, das sind Systeme von Mengen, denen Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können.
Inhaltsverzeichnis
Definition
Als σ-Algebra bezeichnet man in der Mathematik ein Mengensystem mit ( bezeichnet die Potenzmenge), also eine Menge von Teilmengen der Grundmenge Ω, das die folgenden Bedingungen erfüllt:
- (Die Grundmenge Ω ist in enthalten.)
- (Wenn eine Teilmenge A von Ω enthält, dann auch deren Komplement .)
- . (Wenn für jede natürliche Zahl n die Menge An in ist, so ist auch die abzählbare Vereinigung aller An in .)
Erläuterungen
- Aus den Bedingungen 1 und 2 folgt, dass immer das Komplement von Ω, also die leere Menge enthält. Aufgrund der Eigenschaft 2 kann man in Eigenschaft 1 alternativ zu auch fordern.
- Wählt man in Bedingung 3 die Mengen für alle m > n, so folgt, dass die endliche Vereinigungsmenge in enthalten ist.
- Ist für jede natürliche Zahl n, so folgt aus den De Morganschen Gesetzen und den Bedingungen 2 und 3, dass auch die Schnittmenge in ist, weil
- Wählt man Am = Ω für alle m > n, so folgt, dass der Durchschnitt von endlich vielen Mengen in enthalten ist. Eine σ-Algebra ist also abgeschlossen gegenüber endlichen und abzählbar unendlichen Durchschnitten.
- Sind A und B aus , so ist auch in . Also ist abgeschlossen gegen Mengendifferenz.
- Ferner ist jede σ-Algebra insbesondere auch ein Dynkin-System.
- Ist eine endliche σ-Algebra mit der Mächtigkeit , so gibt es immer ein , so dass 2n = N gilt. Die Mächtigkeit von ist folglich immer eine Zweier-Potenz.
Beispiele
- Für jede beliebige Menge Ω ist die kleinste und die Potenzmenge die größte mögliche σ-Algebra.
- Für jede beliebige Menge Ω und Teilmenge ist die kleinste σ-Algebra, die A enthält.
- Für jeden topologischen Raum Ω existiert die σ-Algebra der Borelschen Teilmengen von Ω, die unter anderem alle offenen und abgeschlossenen Teilmengen von Ω enthält.
- Die σ-Algebra der Borelschen Teilmengen der reellen Zahlen enthält unter anderem alle Intervalle.
- Über einer Grundmenge Ω ist das Mengensystem eine σ-Algebra. Ist hierbei Ω überabzählbar, so ist eine Funktion genau dann messbar, wenn sie auf dem Komplement einer abzählbaren Menge konstant ist.
- Sind Ω und Ω' zwei beliebige Mengen, eine σ-Algebra in Ω' und eine Abbildung. Dann ist eine σ-Algebra in Ω.
Bedeutung
σ-Algebren bilden den Ausgangspunkt für die Definition des Maßraums und des Wahrscheinlichkeitsraums. Das Banach-Tarski-Paradoxon demonstriert, dass auf überabzählbaren Mengen die durch die Potenzmenge gebildete σ-Algebra als Grundlage für die Volumenbestimmung zu groß sein kann und die Betrachtung anderer σ-Algebren mathematisch notwendig ist. In der Theorie der stochastischen Prozesse, insbesondere in der stochastischen Finanzmathematik, wird die bis zu einem Zeitpunkt prinzipiell beobachtbare Information durch eine σ-Algebra beschrieben, was zum Begriff der Filtrierung, also einer zeitlich aufsteigenden Familie von σ-Algebren führt. Filtrierungen sind essentiell für die allgemeine Theorie der stochastischen Integration; Integranden (also finanzmathematische Handelsstrategien) dürfen zu einer Zeit t nur von den Informationen bis (ausschließlich) t abhängen; insbesondere dürfen sie nicht „in die Zukunft schauen“.
σ-Operator
1. Für eine beliebige Teilmenge M der Potenzmenge ist der σ-Operator definiert als
wobei
Da die Schnittmenge einer Familie von σ-Algebren (über derselben Grundmenge Ω) wieder eine σ-Algebra ist, ist σ(M) somit die kleinste σ-Algebra, die M umfasst.
Der σ-Operator erfüllt die fundamentalen Eigenschaften eines Hüllenoperators:
- , also ist der σ-Operator extensiv.
- Gilt , so ist auch (Monotonie bzw. Isotonie).
- Es ist σ(σ(M)) = σ(M) (Idempotenz).
σ(M) wird als die von M erzeugte σ-Algebra bezeichnet, M heißt Erzeuger dieser σ-Algebra.
2. Sind Funktionen von Ω in Messräume , so ist
die kleinste σ-Algebra über Ω, bezüglich derer die fi messbar sind. Sie wird als die von erzeugte σ-Algebra bezeichnet. Entsprechendes gilt für beliebige Indexmengen I statt .
Produkt-σ-Algebra
Für eine Familie von Messräumen gibt es eine kleinste σ-Algebra auf dem (kartesischen) Produkt der Ωi, sodass alle Projektionen auf die Ωi messbar sind, es gilt folglich
wobei mit die Projektionen von auf die einzelnen Ωi sind. wird als Produkt-σ-Algebra von (auch Kolmogorowsche σ-Algebra) bezeichnet. Das Paar
bildet einen Messraum, der auch als messbares Produkt der Familie bezeichnet wird.
Ist I = {1,2}, so schreibt man häufig auch bzw. statt .
Ist für alle , so verwendet man teilweise auch die Notation für die entsprechende Produkt-σ-Algebra.
Man kann auch mit Hilfe von Erzeugern von darstellen:
Ist I abzählbar (oder endlich), so gilt
wobei
das Produkt der Familie ist. Man beachte, dass das Produkt zweier σ-Algebren und im Allgemeinen keine σ-Algebra ist. Jedoch ist ein Halbring und insbesondere -stabil.
Beispiele
- Seien und σ-Algebren. Dann ist die dazugehörige Produkt-σ-Algebra:
Hier ist gleich dem Produkt der σ-Algebren und .
- Die Borelsche σ-Algebra auf ist gleich der Produkt-σ-Algebra auf , es gilt folglich:
Anwendung
Produkt-σ-Algebren sind die Grundlage für die Theorie der Produktmaße, die wiederum die Grundlage für den allgemeinen Satz von Fubini bilden.
Für die Stochastik sind Produkt-σ-Algebren von fundamentaler Bedeutung, um Aussagen über die Existenz von Produkt-Wahrscheinlichkeitsmaßen und Produkt-Wahrscheinlichkeitsräumen zu machen. Diese sind zum einen wichtig, um mehrstufige Zufallsexperimente zu beschreiben, und zum anderen grundlegend für die Theorie stochastischer Prozesse.
Spur-σ-Algebra
Für wird das Mengensystem als Spur von in E bzw. Spur-σ-Algebra von über E bezeichnet. Man kann zeigen, dass die Spur von in E wieder eine σ-Algebra (aber mit der Grundmenge E) ist, was den Namen „Spur-σ-Algebra“ rechtfertigt.
Beispiel
- Sei Ω = {1,2,3}, die dazugehörige σ-Algebra und E = {1,2}, so ist die Spur-σ-Algebra von über E.
Terminale σ-Algebra
Die Terminale σ-Algebra ist eine spezielle σ-Algebra, die in der Wahrscheinlichkeitstheorie von Bedeutung ist.
Literatur
- Heinz Bauer: Maß- und Integrationstheorie. de Gruyter, Berlin - New York 1992, ISBN 3-11-013626-0
- Jürgen Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie, Springer 1996, ISBN 3-540-15307-1
- Ernst Henze: Einführung in die Maßtheorie. 2. überarb. Aufl.. BI Zürich 1985, ISBN 3-411-03102-6
Siehe auch
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