Freigericht (Alzenau)

Freigericht (Alzenau)

Das Freigericht war ein Territorium im alten Deutschen Reich im Bereich des heutigen Alzenau und angrenzender Ortschaften. Ab 1500 wurde das Freigericht als Kondominium von den Erzbischöfe von Mainz und den Grafen von Hanau-Münzenberg regiert, bevor es im 18. Jahrhundert schließlich zwischen Mainz und der Landgrafschaft Hessen-Kassel als dem Rechtsnachfolger der Grafen von Hanau-Münzenberg aufgeteilt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Mittelalter

Das Freigericht hat seinen Ursprung in den Zentgerichten Wilmundsheim (dem späteren Alzenau), Hörstein und Mömbris und Somborn, die die Markgenossenschaft Wilmundsheim vor der Hart bildeten. Zum Freigericht wurden die Orte im 12. Jahrhundert. Das Freigericht war reichsunmittelbar.

Die freien Märker versammelten sich jedes Jahr in Alzenau, um den Landrichter und die Förster zu wählen und andere die Gemeinschaft betreffende Entscheidungen zu fällen. Jedes Dorf stellte, entsprechend der Anzahl seiner Freien, Schöffen, die beim Gericht mitwirkten. Kaiser Friedrich I. befreite die Marktgenossen von Steuern und Frondiensten. Diese Autonomierechte mussten die Märker gegen die Bestrebungen lokaler Geschlechter, wie die von Randenburg und die Grafen von Rieneck, sowie gegen die Erzbischöfe von Mainz verteidigen.

Wie bei vielen anderen unmittelbar nachgeordneten Territorien verlieh der Kaiser – sei es für erworbene Verdienste, für Geld oder aus politischen Rücksichten – auch das Freigericht an reichsunmittelbare Adlige als Lehen. Ein Drittel des Freigerichts wurde so 1358 von den Herren von Hanau und von den Herren von Randenburg erworben.[1] 1425 befand sich das Freigericht in den Händen der Herren von Eppstein, die es an die – nunmehrigen – Grafen von Hanau verpfändeten.

Frühe Neuzeit

1500 erhielten der Kurfürsten-Erzbischof von Mainz und die Grafen von Hanau-Münzenberg gemeinsam das Freigericht als Reichslehen. Damit entstand ein Kondominium, dessen gemeinsame Verwaltung trotz der unterschiedlichen Konfessionen nach der Reformation – die Grafen von Hanau-Münzenberg wurden letztendlich reformiert, ihre Erben 1642, die Grafen von Hanau-Lichtenberg, waren lutherisch, das Erzbistum Mainz blieb römisch-katholisch – über mehr als 200 Jahre funktionierte. Verwaltet wurde das Gebiet durch gemeinschaftlich ernannte Amtmänner, wobei das Vorschlagsrecht zwischen Mainz und Hanau wechselte. Die kirchliche Jurisdiktion blieb bei den Erzbischöfen, weshalb sich die Reformation – im Gegensatz zur Grafschaft Hanau-Münzenberg – hier nicht ausbreiten konnte.

Seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Herrschaft und den Untertanen, die auf ihre überkommenen Selbstbestimmungsrechte nicht verzichteten wollten. Das stand im Gegensatz zu der Politik der Territorialherren, die bestrebt waren, ihre Territorien in frühstaatlichen Formen auszubauen und zu konsolidieren. Die Untertanen widersetzten sich den Anordnungen der Herrschaft. Daraufhin besetzten der Kurfürst von Mainz, Berthold von Henneberg, und Graf Reinhard IV. von Hanau-Münzenberg 1502 das Land militärisch. Der Widerstand der Untertanen blieb jedoch ungebrochen und 1529 wurden die hergebrachten Rechte bestätigt.

Erbfall von 1736

Als letzter Hanauer Graf starb Graf Johann Reinhard III. am 28. März 1736 in Schloss Philippsruhe bei Hanau. Sein Sterbelager war umstellt von den diplomatischen und notariellen Vertretern der Erben, die alle für diesen Fall schon ihre Vorbereitungen getroffen hatten. Kurmainz besetzte das Freigericht noch am Abend des 28. März 1736 militärisch.[2] Der Erbe der Grafschaft Hanau-Münzenberg, Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel, Erbe aufgrund eines Vertrags aus dem Jahr 1643, erhob seinerseits Ansprüche auf das Freigericht, marschierte ebenfalls militärisch im Freigericht ein und – er hatte das effizientere Militär – besetze den größeren Teil.

In der Folge entwickelte sich ein heftiger gerichtlicher Streit zwischen den Erben der Grafschaft Hanau-Münzenberg, den Landgrafen von Hessen-Kassel und dem Kurfürsten von Mainz. Da es sich um ein Lehen handelte und Lehen in der Regel nur an männliche Nachkommen vererbt werden konnten, behauptete der Erzbischof von Mainz, da der Erbvertrag von 1643 die Nachkommen von Amalie Elisabeth von Hanau-Münzenberg (1602-1651), geborene Gräfin von Hanau und verheiratete Landgräfin von Hessen-Kassel, begünstigte, dass dieser für Lehen nicht gültig sei, er also nun alleiniger Inhaber des Lehens „Freigericht“ sei. Vor dem Reichskammergericht erhielt er Recht. Das nutzte ihm allerdings nichts, da Wilhelm VIII. nicht wich, Mainz nicht stark genug war, es auf einen Krieg ankommen zu lassen, und sich keine anderen Mächte fanden, das Urteil gegen den Landgrafen zu vollstrecken. So endete der Streit mit einem Vergleich, dem „Partifikationsrezess“ von 1740, der allerdings erst 1748 endgültig umgesetzt wurde. Es kam zu einer Realteilung. Hessen-Kassel erhielt die Pfarrei Somborn (Altenmittlau, Bernbach, Horbach, Neuses und Somborn), ohne Albstadt als Lehen von Kurmainz – das entsprach 1/4 des Freigerichts – und eine Ausgleichszahlung, musste aber die ungestörte Ausübung des römisch-katholischen Bekenntnisses garantieren.

Die Freigerichter kämpften auch gegenüber ihrem neuen Landesherrn um Anerkennung ihrer Privilegien und führten Prozesse vor dem Reichshofrat in Wien (1775–78) und dem Reichskammergericht in Wetzlar (1795–1806).

Nachwirkung

Der nun hessische Anteil des Freigerichts wurde durch das Hessen-Hanauische Amt Altenhaßlau mit verwaltet.[3] In napoleonischer Zeit kam der bei Kurmainz verbliebene Teil des Freigerichts letztendlich zum Königreich Bayern. Noch heute beruht so die Grenze zwischen Hessen und Bayern an dieser Stelle auf dem Partifikationsrezess von 1740.

Gebiet

Das Freigericht bestand aus vier Landgerichten, denen die Dörfer zugeordnet waren:

  • Der ehemals zum Freigericht gehörender Anteil des Amtes Steinheim gehörte schon seit 1424 zu Kurmainz.[6]
  • ungeklärte Zugehörigkeit:

Literatur

  • O. Appel: Politische Tätigkeit Ulrichs III. = Hanauer Geschichtsblätter 5.
  • Heinrich Brückner: Das Freigericht Willmundsheim vor der Hart in seinem rechtlichen Charakter und Ursprung. In: Archiv des historischen Vereins für Unterfranken und Aschaffenburg 68, Würzburg 1929.
  • Heinrich Dannebauer: Freigrafschaften und Freigerichte. In: Vorträge und Forschungen (hrsg. v. Institut für geschichtliche Landesforschung des Bodenseegebietes in Konstanz). ND Konstanz 1963. Bd. 2 = Das Problem der Freiheit in der deutschen und schweizerischen Geschichte (Mainauvorträge 1953), S. 57-76.
  • Heinrich Dannebauer: Grundlagen der mittelalterlichen Welt. Stuttgart 1958, S. 309-328
  • Karl Ernst Demandt: Geschichte des Landes Hessen, 2. Aufl., 1972, S. 293.
  • Reinhard Dietrich: Hanauer Deduktionsschriften. In: Hanauer Geschichtsblätter 31. Hanau 1993, S. 149ff: Nr. 5, 8, 10, 16, 18, 22, 28, 29, 43, 48, 54, 57, 79, 85, 105, 111, 114, 121, 129, 131.
  • Heinz Duchhardt: Philipp Karl von Eltz. Kurfürst von Mainz, erzkanzler des Reiches (1732-1743) = Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 10. Mainz 1969.
  • Regenerus Engelhard: Erdbeschreibung der Hessischen Lande Casselischen Antheiles mit Anmerkungen aus der Geschichte und aus Urkunden erläutert. Teil 2, Cassel 1778. ND 2004, S. 788ff.
  • Josef Fächer: Alzenau. München 1968.
  • Josef Fächer: Territorialentwicklung im Raum des heutigen Alzenau.
  • Christian Grebner: Die Beziehungen Steinheims zum Freigericht Wilmundsheim-Alzenau im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. In: Steinheimer Jahrbuch 3 (1993), S. 9ff.
  • Christian Grebner: Ein ungewöhnliches Amt ... In: Spessart 5/1996.
  • Karl Groeber: Bezirksamt Alzenau.
  • Georg-Wilhelm Hanna: Ministerialität, Macht und Mediatisierung. Die Ritteradligen von Hutten, ihre soziale Stellung in Kirche und Staat bis zum Ende des Alten Reiches = Hanauer Geschichtsblätter 44. Hanau, 2007. ISBN 3-935395-08-6, S. 132f
  • Paul Hupach: Der Freigerichter Reichshofratsprozeß in Wien (1775-1779). In: Zwischen Vogelsberg und Spessart. Heimat-Jahrbuch des Kreises Gelnhausen 1962, S. 72-74.
  • Christian Leonhard Leucht: Europäische Staats-Canzley. Bde. 70-79,81,83.
  • Helmut Puchert: Der Hessische Spessart - Beiträge zur Forst- und Jagdgeschichte = Mitteilungen der Hessischen Landesforstverwaltung 23 = Schriftenreihe des Hessischen Forstkulturhistorischen Museums Bieber 3.
  • Heinrich Reimer: Hessisches Urkundenbuch. Abt. 2. Urkundenbuch zur Geschichte der Herren von Hanau und der ehemaligen Provinz Hanau, Leipzig 1891ff. 4Bde.
  • Johann Wilhelm Christian Steiner: Geschichte und Topographie des Freigerichts Wilmundsheim vor dem Berge oder Freigerichts Alzenau. Aschaffenburg 1820.
  • Richard Wille: Die letzten Grafen von Hanau-Lichtenberg. In: Mitteilungen des Hanauer Bezirksvereins für hessische Geschichte und Landeskunde. 12, Hanau 1886, S. 66.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Appel, S. 9; Reimer, Bd. 3, Nr. 218, 277, 383.
  2. Wille, S. 66; Duchhardt, S. 93.
  3. Engelhard.
  4. Engelhard.
  5. Engelhard.
  6. Engelhard.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Alzenau (Begriffsklärung) — Alzenau bezeichnet: eine Stadt in Unterfranken, siehe Alzenau den ehemaligen Landkreis Alzenau die Burg Alzenau ein historisches Freigericht, siehe Freigericht (Alzenau) die Gemeinde Olszanka, Powiat Brzeski, Polen die Gemeinde Olcnava, Okres… …   Deutsch Wikipedia

  • Alzenau (Freigericht) — Das Freigericht Alzenau war ein Amt in der Grafschaft Hanau Münzenberg, Kondominium mit dem Kurfürstentum Mainz. Eine ältere Bezeichnung ist Freigericht Wilmundsheim. Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1.1 Mittelalter 1.2 Frühe Neuzeit …   Deutsch Wikipedia

  • Freigericht — Der Ausdruck Freigericht bezeichnet Freigericht (Freigrafschaft), das Gericht eines Freigrafen, auch Freigrafschaft genannt das Freigericht (Alzenau), ein autonomes Gebilde am Untermain Freigericht (Hessen), eine Gemeinde im hessischen Main… …   Deutsch Wikipedia

  • Alzenau — Alzenau …   Wikipédia en Français

  • Alzenau in Unterfranken — Wappen Deutschlandkarte …   Deutsch Wikipedia

  • Alzenau — Wappen Deutschlandkarte …   Deutsch Wikipedia

  • Freigericht (Amt) — Das Amt Freigericht war ein Territorium im alten Deutschen Reich im Raum Aschaffenburg Hanau. Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1.1 Mittelalter 1.2 Frühe Neuzeit 1.3 …   Deutsch Wikipedia

  • Freigericht (Hessen) — Wappen Deutschlandkarte …   Deutsch Wikipedia

  • Freigericht — Infobox German Location Name = Freigericht Art = Municipality image photo = image caption = Wappen = Wappen von Freigericht.png Wappengröße = 351 lat deg = 50 | lat min = 08 | lat sec = 30 lon deg = 09 | lon min = 07 | lon sec = 40 Lageplan =… …   Wikipedia

  • Hotel-Gasthof Zum Freigericht — (Alzenau in Unterfranken,Германия) Категория отеля: 3 звездочный отель Адрес …   Каталог отелей

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”