- Kommunale Selbstverwaltung (Deutschland)
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Die kommunale Selbstverwaltung ist ein praktisch wichtiges Beispiel für Selbstverwaltung, also der Übertragung von Verwaltungsaufgaben an rechtlich verselbstständigte juristische Personen, um den Betroffenen die eigenverantwortliche Gestaltung zu ermöglichen.
Träger der kommunalen Selbstverwaltung sind in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere die Gemeinden als Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts. Die Gemeindebürger wählen eine Vertretung (Gemeinderat) und je nach Bundesland auch den Bürgermeister. Die kommunale Selbstverwaltung ist in Art. 28 Abs. 2 GG und in den meisten Landesverfassungen durch die kommunale Selbstverwaltungsgarantie (siehe unten) geschützt. Die Zuständigkeit umfasst alle Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln (Aufgabenfindungsrecht). Ein Mandat für überörtliche Aufgaben oder allgemeinpolitische Betätigung besteht dagegen nicht: die Gemeinde ist kein privater Zusammenschluss von Bürgern, sondern Teil der öffentlichen Gewalt, die nur innerhalb ihrer Kompetenzen tätig werden darf.
Kommunale Gebietskörperschaften sind neben den Gemeinden auch Gemeindeverbände wie z. B. Kreise bzw. Landkreise, Landschaftsverbände und besondere Regionalverbände (z. B. Regionalverband Ruhr).
Inhaltsverzeichnis
Historische Entwicklung
Die kommunale Selbstverwaltung hat ihre historischen Wurzeln in dem genossenschaftlichen germanischen Dorf. Die Freiheit dieser Dorfgemeinschaft endete aber mit dem Aufkommen des Lehnswesens. Die mittelalterliche Stadt griff den Gedanken wieder auf, bis er im Absolutismus wieder zurückgedrängt wurde.
Zur Stärkung des Bürgersinns griff die Preußische Städteordnung vom 19. November 1808 den Gedanken der kommunalen Selbstverwaltung wieder auf und schuf die Grundlagen des heutigen Kommunalrechts. Implizit war die Selbstverwaltungsgarantie auch in § 184 der Paulskirchenverfassung von 1848/49 enthalten. Ausdrücklich wurde sie in Art. 127 der Weimarer Reichsverfassung genannt. Dass sie damit im Grundrechtsteil stand, erinnert daran, dass im monarchischen Staat die demokratische gemeindliche Selbstverwaltung als Fremdkörper aufgefasst und daher nicht dem Staat, sondern der Gesellschaft zugewiesen wurde. Reste dieser Vorstellung finden sich noch heute im Grundgesetz, wo die Kommunalverfassungsbeschwerde parallel zur Verfassungsbeschwerde geschaffen wurde.
Die Gleichschaltung der Gemeinden in der Zeit des Nationalsozialismus blieb dagegen eine vorübergehende Erscheinung. Die ersten Demokratisierungsmaßnahmen nach Kriegsende setzten in den Gemeinden an.
Das Kommunalrecht in Deutschland hat sich aus sehr alten Rechtsquellen entwickelt. Nach der Französischen Revolution wurden diese Rechte in fast allen deutschen Gebieten den Gemeinden garantiert (z. B. durch das Gemeindeedikt von 1806 in Bayern und die Preußische Städteordnung von 1810). Diese Regelungen schafften die Nationalsozialisten mit als eine der ersten demokratischen Regelungen ab 1933 ab. Bereits am 4. Februar ordnete Hermann Göring als kommissarischer preußischer Innenminister die zwangsweise Auflösung sämtlicher Gemeindevertretungen Preußens zum 8. Februar an und ordnete Neuwahlen für den 12. März an. Gleichzeitig wurden Gemeindeorgane wie Räte und Bürgermeister reichsweit unter Gewaltandrohung aufgelöst beziehungsweise als Personen rechtswidrig inhaftiert. Das nicht parlamentarisch zustande gekommene Preußische Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933 vereinheitlichte – „bis ein Reichsgesetz demnächst eine grundlegende Reform der Gemeindeverfassung für das ganze Reich durchführt“ – das bis dahin in Preußen geltende unterschiedliche Kommunalrecht zum 1. Januar 1934 nach nationalsozialistischen Grundsätzen: das Führerprinzip bedeutet, dass nun der „Bürgermeister“ als Gemeindeleiter ohne Wahl auf 12 Jahre berufen wurde und in der Gemeinde alle Entscheidungen ohne Gemeinderat treffen konnte. Statt einem Gemeinderat gab es „verdiente und erfahrene Bürger“, die dem Gemeindeleiter mit ihrem Rat „zur Seite gestellt wurden“ (ernannt von NSDAP-Funktionären). Nur ihre Bezeichnung „Ratsherren“ und „Gemeindeälteste“ klangen noch so ähnlich wie früher. Konsequent folgte zum 1. April 1935 die reichseinheitliche und in den Einzelbestimmungen weitgehend identische Deutsche Gemeindeordnung. Sie schaffte das bisherige föderalistisch strukturierte Gemeindeverfassungsrecht der deutschen Länder durch eine zentralistische Regelung überall auch gesetzestechnisch ab.
Die Alliierten schafften nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst handlungsfähige Gemeindeverwaltungen und gingen dann zum Aufbau von Gemeinden und Ländern über. Grundlage der heutigen Gemeindeordnungen in Deutschland ist die Selbstverwaltungsgarantie der ab 1946 neu konstituierten Landesverfassungen.
Heutiger Zustand
Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung
Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG (gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie) gibt den Gemeinden die Zuständigkeit für alle Aufgaben, die im gemeindlichen Zusammenleben wurzeln. Diese Zuständigkeitsvermutung erübrigt einzelne spezielle Kompetenztitel: Gemeinden sind in der örtlichen Ebene allzuständig (Universalitätsprinzip), sie haben ein Aufgabenfindungsrecht. Andere kommunale Gebietskörperschaften, insbesondere Landkreise, kennen keine umfassende Zuständigkeit, ihre Aufgaben werden daher im Einzelnen zugewiesen.
Die Gemeinde im Staatsaufbau
Die kommunale Selbstverwaltung führt zu einer staatlichen Dezentralisierung. Trotz deren Bezeichnung als vertikaler Föderalismus führt sie nicht zu einer staatsrechtlichen Dreiteilung Bund–Länder–Gemeinden, da die Gemeinden als Selbstverwaltungskörperschaften Teil der Exekutive sind. Man spricht wegen der rechtlichen Verselbstständigung von der hierarchischen Verwaltung auch von mittelbarer Landesverwaltung. Aus diesem Grund ist der Gemeinderat auch nicht Parlament, sondern Verwaltungsgremium.
Die Aufgaben der Gemeinde
Zur Ausgestaltung der Selbstverwaltung der Gemeinden haben die Bundesländer Gemeindeordnungen (und Landkreis- bzw. Kreisordnungen) erlassen. Diese orientieren sich regelmäßig an der früheren einheitlichen Deutschen Gemeindeordnung (DGO). Im praktischen Verwaltungsvollzug übernehmen die Gebietskörperschaften vielfach neben ihren eigenen Selbstverwaltungsaufgaben auch übertragene, staatliche Aufgaben.
Einige Gemeindeordnungen haben diese historisch überkommene dualistische Aufgabenstruktur (eigene – staatliche Aufgaben) wegen der darin zum Ausdruck kommenden Distanzierung zum Staat nicht übernommen. Nach dem sogenannten Weinheimer Entwurf von 1948 folgen sie stattdessen einem monistischen Verständnis und unterscheiden die umfassend verstandenen eigenen Aufgaben in weisungsfreie und Weisungsaufgaben. Ob außer der abweichenden Terminologie hiermit wesentliche Unterschiede verbunden sind, ist zweifelhaft.
Es werden eigene (bzw. freiwillige; Beispiel: Theater, Sportanlagen), pflichtige (bzw. weisungsfreie Pflichtaufgaben; Beispiel: Schulen, Friedhöfe, Gemeinderatswahlen) und Auftragsangelegenheiten (bzw. Pflichtaufgaben nach Weisung - Beispiel: Bauaufsicht, Meldeverwaltung, Gefahrenabwehr) unterschieden.
Freiwillige Aufgaben kann die Gemeinde nach Belieben übernehmen und regeln. Pflichtaufgaben muss sie dagegen erledigen; die Ausgestaltung bleibt aber ihr überlassen. Allerdings ist auch die Gemeinde als Teil der öffentlichen Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden, Art. 20 Abs. 3 GG. Um dies zu gewährleisten, gibt es die Rechtsaufsicht des Landes. Weisungsangelegenheiten müssen dagegen gemäß den Weisungen der übergeordneten Behörden ausgeführt werden. Hier gibt es deshalb eine umfassende Fachaufsicht.
Probleme der kommunalen Selbstverwaltung
In der Verwaltungspraxis der Bundesländer ist die Tendenz erkennbar, Aufgaben durch Gesetz hochzuzonen, das heißt den Kommunen zu entziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat hier in ständiger Rechtsprechung eine Grenze gezogen und festgelegt, dass bei den Gebietskörperschaften ein Kernbereich eigener Kompetenzen verbleiben muss. Hierzu zählen:
Andererseits werden Gemeinden aber auch neue Aufgaben übertragen. Nicht zuletzt durch zusätzliche Pflicht- und Auftragsangelegenheiten ohne ausreichende Kostendeckung durch Bund und Länder sind viele Gemeinden finanziell handlungsunfähig geworden, sodass sie die Möglichkeiten der kommunalen Selbstverwaltung faktisch nur noch eingeschränkt nutzen können. Im Rahmen der Föderalismusreform wurde das Grundgesetz nun um eine Formulierung erweitert, wonach den Gemeinden durch Bundesrecht keine zusätzlichen Aufgaben auferlegt werden dürfen (Neufassung des Art. 84 Abs. 1 und des Art. 85 Abs. 1 GG).
Rechtsquellen in den Landesverfassungen
- Baden-Württemberg: Art. 71 LV Bd. Wtt.
- Bayern: Art. 11 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 83 LV Bay.
- Brandenburg: Art. 97 LV Brandenburg
- Bremen: Art. 144 BremVerf
- Hessen: Art. 137 HV
- Mecklenburg-Vorpommern: Art. 72 Verf M-V
- Niedersachsen: Art. 57 NV
- Nordrhein-Westfalen: Art. 78 LV NRW
- Rheinland-Pfalz: Art. 49 und Art. 50 LV Rh.Pf.
- Saarland: Art. 118 SVerf
- Sachsen: Art. 84 SächsVerf
- Sachsen-Anhalt: Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LV Sachsen-Anhalt
- Schleswig-Holstein: Art. 46 Abs. 1 und 2 LV Schl.H.
- Thüringen: Art. 91 Abs. 1 und 2 ThürVerf
In den Ländern Berlin und Hamburg besteht der Staat nur aus einer einzigen Kommune. Eine kommunale Selbstverwaltungsgarantie gibt es dort daher nicht.
Siehe auch
- Kommunale Aufgabenstruktur
- Gemeinde (Deutschland) – Stadt – Ortsteil – Gemeindeverband (Deutschland)
- Gemeindeordnungen in Deutschland
- Öffentliche Verwaltung
Literatur
- Evamaria Engel: Die deutsche Stadt im Mittelalter. Albatros, München 1993, ISBN 3-491-96135-1.
- Markus Thiel: Die preußische Städteordnung von 1808. In: Speyerer Arbeitshefte. Bd. 123, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer 1999, ISSN 0179-2318, DNB 959026053.
- Christopher A. Schmidt: Unmittelbare Gemeindedemokratie im mittel- und süddeutschen Raum der Weimarer Republik. Eine Untersuchung von Verfahren und Praxis. Nomos, Baden-Baden 2007, ISBN 978-3-8329-2607-6 (zugleich jur. Diss. Hannover 2006).
- Jan H. Witte: Unmittelbare Gemeindedemokratie der Weimarer Republik. Verfahren und Anwendungsausmaß in den norddeutschen Ländern. Nomos, Baden-Baden 1997, ISBN 3-7890-4809-7 (zugleich jur. Diss. Hannover, 1996).
- Harald Hofmann, Michael Muth, Rolf-Dieter Theisen: Kommunalrecht in NRW. 12. Auflage. Bernhardt-Witten, Witten 2004, ISBN 3-933870-47-X.
- Hans-Uwe Erichsen, Richard Weiss: Kommunale Selbstverwaltung und staatliche Organisationsvorgaben. Carl Heymanns, Köln 1999, ISBN 3-452-23231-X.
- Alfons Gern: Deutsches Kommunalrecht. 3. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2003, ISBN 3-8329-0127-2.
- Heinrich Heffter: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. 2. Auflage. Koehler, Stuttgart 1969, DNB 456933859.
- Volker Mayer: Kommunale Selbstverwaltung in den ostdeutschen Ländern. PCO, Bayreuth 2001, ISBN 3-931319-87-3 (zugl. Dissertation an der Universität Bayreuth).
Weblinks
- BVerfGE 79, 127 Rastede-Entscheidung
- Version mit allen Änderungen bis 2002 TU Berlin-Webserver
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