Das Schweigen

Das Schweigen
Filmdaten
Deutscher Titel Das Schweigen
Originaltitel Tystnaden
Produktionsland Schweden
Originalsprache schwedisch
Erscheinungsjahr 1963
Länge 96 Minuten
Altersfreigabe FSK 16
Stab
Regie Ingmar Bergman
Drehbuch Ingmar Bergman
Produktion Allan Ekelund
Musik Ivan Renliden
Kamera Sven Nykvist
Schnitt Ulla Ryghe
Besetzung

Das Schweigen ist ein Filmdrama des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman aus dem Jahr 1963.

Dieses Werk Bergmans wurde von vielen als Kunstwerk gefeiert und führte zu einem der größten Skandale der 1960er Jahre. Der Film enthält zwei Koitusszenen und eine Szene, in der eine Frau sich selbst befriedigt.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Ester, ihre Schwester Anna und deren Sohn befinden sich auf der Heimreise nach Schweden. Der offenbar lungenkranken Ester geht es während der Fahrt im Zug nicht gut, und sie erleidet einen Zusammenbruch. Sie unterbrechen die Fahrt in einer unbekannten Stadt, deren Landessprache sie nicht verstehen.

Sie mieten sich ein Zimmer in einem Hotel. Anna läuft durch die fremde Stadt, in der Vorbereitungen auf einen militärischen Konflikt getroffen werden. Sie geht in ein Café, um etwas zu trinken. Beim Bezahlen lässt der Kellner ein Geldstück fallen, um Anna beim Aufheben am Bein berühren zu können (sie hat ein kniefreies Kleid an). In einem Varieté wird sie Zeuge, wie ein Paar während der Vorstellung auf einem Kinositz kopuliert. Später treffen sich Anna und der Kellner aus dem Café auf einem Zimmer ihres Hotels, um miteinander zu schlafen. Da sich diese Vorgänge mangels sprachlicher Verständigungsmöglichkeit weitestgehend ohne Dialoge abspielen, vermitteln diese Szenen eine weitgehend emotionslose, rein triebgesteuerte Beziehung zwischen diesen Personen. Dieser Eindruck wird durch die Selbstbefriedigungsszene von Ester in ihrem Bett ebenfalls erweckt. Ester tritt nach außen unterkühlt und selbstbeherrscht auf, hat aber gleichzeitig eine eifersüchtige, lesbisch angehauchte Haltung zu ihrer jüngeren Schwester. Nur Johan, der etwa 10-jährige Sohn von Anna, kann mit einem älteren Angestellten des Hotels und einer Truppe kleinwüchsiger Artisten, die ebenfalls im Hotel wohnen - trotz der Sprachbarriere - eine zwischenmenschliche Beziehung aufbauen.

Als Esters Zustand sich verschlimmert, reist Anna nach einer heftigen Auseinandersetzung mit ihrer Schwester allein mit Johan weiter. Zum Abschied gibt Ester Johan einen Zettel, auf dem sie ihm ein paar Worte der fremden Sprache mit Übersetzung aufgeschrieben hat.

Aufnahme in Deutschland

Schon vor dem Erscheinen in Deutschland wurde in der Presse berichtet, der Film habe in Schweden einen Skandal ausgelöst. Georg Ramseger fragte am 23. November in der Welt: „Kunstwerk oder Pornographie?“ Als anstößig wurden der Liebesakt eines Paares, der Verkehr Annas mit einem Fremden und die Masturbationsszene der älteren Schwester angesehen.

Einstufung als Kunstwerk

Im Dezember 1963 beschäftigte sich der Arbeitsausschuss der FSK mit dem Film. Er gab unerwartet Das Schweigen einstimmig ohne Schnitte ab 18 Jahren frei. Der Ausschuss attestierte laut Protokoll vom 10. Dezember 1963, etwas Aufgesetztes oder Spekulatives könne nicht unterstellt werden, und selbst die drei heiklen Szenen seien „von höchster künstlerischer Intensität und treffender Symbolkraft.“[1] und würden dadurch geistig überhöht. Damit hatte die FSK zum ersten Mal in ihrer Geschichte relativ ausführliche und direkte Sexszenen zugelassen.

Zur gleichen Zeit verlieh die Filmbewertungsstelle Wiesbaden dem Film das Prädikat „besonders wertvoll“. Das Protokoll vom 18. Dezember 1963 vermerkt, dass „die Beisitzer sich über den außergewöhnlich künstlerischen Rang dieses Films einig waren.“[2] Als Das Schweigen Ende Januar 1963 in der Bundesrepublik anlief, war auch die Filmkritik fast einhellig vom künstlerischen Rang des Werkes überzeugt.

Am 16. Februar 1964 hielt der evangelische Filmbeauftragte Hermann Gerber bei der Eröffnung der Woche des religiösen Films eine Ansprache und bezeichnete Das Schweigen, obwohl hier zum ersten Mal Tabus durchbrochen würden, als Kunst, der Film liege in einer Linie mit August Strindberg, Francisco de Goya oder Hieronymus Bosch. Die deutsche Verleihfirma ließ dementsprechend einen Vorfilm laufen, der Bergmans Film theologisch interpretierte, und auch das westdeutsche Feuilleton deutete ihn ähnlich. Selbst die Katholische Filmkommission stufte ihn nach langen Diskussionen auch in der Revisionsinstanz als „2 EE“ ein. In der SZ erschien am 4. März 1964 ein Artikel, der sich über Kinobesucher lustig machte, die von der tiefschürfenden Aussage des Films nichts verstanden hätten.

Ablehnende Stimmen

Marcel Reich-Ranicki kritisierte am 27. März 1964 in der Zeit das Wohlwollen für diesen Film. Er schrieb unter dem Titel „Der Heilige und seine Narren“, nun könnten Spießer und Heuchler beruhigt „einen feuchten weiblichen Busen“ betrachten und „sich aufgeilen“ lassen, „denn man hat ihnen ja erklärt, es ginge um Gott.“[3]

Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Duisburg gingen über hundert Anzeigen wegen Unzüchtigkeit gegen den Film ein, die aber nicht verfolgt wurden. Am 19. März 1964 fragten zwei Unionsabgeordnete im Bundestag die Bundesregierung, was sie gegen unsittliche Filme und die augenscheinliche Lockerung der Spruchpraxis des FSK unternehmen werde. Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU) antwortete, die Bundesregierung wolle keine Zensurrechte in Anspruch nehmen.

Nicht zuletzt wegen dieser Zurückhaltung entstand im September 1964 in Schweinfurt die Aktion Saubere Leinwand. Im Text ihrer Petition lehnten die Initiatoren ausdrücklich Unmoral „unter dem Deckmantel der Kunst“ ab und verlangten von der FSK, ihre eigenen Grundsätze strikt einzuhalten.

Bergmans direkte, unemotionale Darstellung der Sexualität in „Das Schweigen“ wurde öffentlich heftig diskutiert. In den Leitartikeln und Leserbriefen der Zeitungen beschrieben die Rezipienten den Film als „Höllenvision“, „Bergmans Triumph“, „Moralschädliche Aufreizung“, „Unantastbares Kunstwerk“ und „Pornographie“.[4]

In der Bundesrepublik Deutschland hatte der Film elf Millionen Zuschauer.

Kritiken

  • „'Das Schweigen' ist einer der formal expressivsten Filme Bergmans. Er ist arm an Geschehen, jedoch reich an visuellen Details.“ (Ulrich Gregor)[5]
  • Lexikon des Internationalen Films: Ingmar Bergman inszeniert ein Inferno der Angst, Verwirrung und Hilflosigkeit, wobei gerade das Fehlen lautstarker Katastrophen dem Film eine Aura eisiger Kälte und suggestiver Bedrohung verleiht. Die Schockwirkung einzelner Bilder und Szenenabläufe beruht weniger auf spekulativen Details, vielmehr wird die stilistische Geschlossenheit und Strenge des Films selbst zum Ausdruck allgemeiner Existenznot und universeller Entfremdung. Das in einem gottverlassenen, artifiziellen Niemandsland angesiedelte Werk Bergmans ist eine Parabel, die in ihrer Symbolfülle Raum für unterschiedliche Deutungen gibt. Aufgrund seiner Anfang der 60er Jahre provozierenden Darstellung von Sexualität wurde der Film in einigen europäischen Ländern beschlagnahmt bzw. zensiert.
  • Reclams Filmführer, 5. Auflage 1982: „Für die meisten Kritiker war der Film die erschütternde Vision einer Welt ohne Gott; andere sahen in ihm nur scheinbaren Tiefsinn, eine Inflation der Symbole. Besonders heftig war die Reaktion auf einige Szenen sexuellen Inhalts.
  • Heyne Filmlexikon, 1996: „Erschütternde und äußerst verstörende Studie über Einsamkeit und fehlende Liebe in einer gottlosen Welt.

Auszeichnungen

Das Schweigen gewann im Jahr 1964 den erstmals verliehenen schwedischen Filmpreis „Guldbagge“ in den Kategorien Beste Schauspielerin (Ingrid Thulin), Bester Regisseur (Ingmar Bergman) und Bester Film. Hauptdarstellerin Ingrid Thulin wurde außerdem mit dem französischen „Étoile de Cristal“ als beste ausländische Darstellerin geehrt.

Hintergrund

Deutschland und Schweden zählten zu den wenigen Nationen, in denen Das Schweigen ungekürzt aufgeführt werden konnte. In den USA wurde der Film mit Schnittauflagen freigegeben, in Frankreich wurde er zunächst ganz verboten.[4]

Das Schweigen bildet nach Wie in einem Spiegel und Licht im Winter den abschließenden Teil einer Trilogie (auch "Glaubenstrilogie" genannt). 1969 erklärte Bergman in einem Interview, die Trilogie nicht ursprünglich als solche geplant zu haben. Erst nach Beendigung des dritten Films sei ihm die Einheitlichkeit aller drei Teile aufgefallen.[6]

Literatur

  • Jürgen Kniep: „Keine Jugendfreigabe!“. Filmzensur in Westdeutschland 1949-1990, Wallstein Verlag Göttingen 2010 ISBN 978-3-8353-0638-7

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe!, S. 130
  2. Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe!, S. 131
  3. Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe!, S. 131
  4. a b Gert H. Theunissen: Das Schweigen und sein Publikum. DuMont Schauberg, Köln 1964
  5. Ulrich Gregor, Geschichte des Films ab 1960. BertTelsmann, München 1978, ISBN 3-570-00816-9, S. 221
  6. "Bergman über Bergman", Stockholm 1970, München und Wien 1976.



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