Hämochromatose

Hämochromatose

Hämochromatose (von altgr. αἷμα haima „Blut“, χρῶμα chróma, „Farbe“ ; Synonyme: Primäre Siderose, Hämosiderose, Siderophilie, Eisenspeicherkrankheit; englisch: hematochromatosis) ist eine Erkrankung des Menschen, bei der es zu einer erhöhten Aufnahme von Eisen im oberen Dünndarm kommt. Der Gesamtkörpereisengehalt steigt dadurch von ca. 2–6 g (Normwert) auf bis zu 80 g. Diese Überladung führt im Laufe der Jahre zu Organschädigungen, insbesondere von Leber, Bauchspeicheldrüse, Herz, Gelenken, Milz, Hirnanhangsdrüse, Schilddrüse und Haut.

In den meisten Fällen der Hämochromatose liegt eine autosomal-rezessive Erbkrankheit vor, die sich bei Männern wesentlich häufiger ausbildet als bei Frauen, bei denen die Penetranz geringer ist. Die Erkrankung kann, wenn sie frühzeitig entdeckt wird, erfolgreich behandelt werden. Bei fortgeschrittener Erkrankung treten unumkehrbare Schäden, insbesondere an der Leber, auf. Ebenso erhöht die Erkrankung das Risiko für die Entwicklung eines Leberzellkarzinoms.

Klassifikation nach ICD-10
E83.1 Störungen des Eisenstoffwechsels
Hämochromatose
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Inhaltsverzeichnis

Häufigkeit

Die Krankheit ist nicht meldepflichtig, daher liegen keine genauen Zahlen vor. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland über 200.000 Menschen mit einer Hämochromatose leben.[1]

Das HFE-Gen ist häufig von Mutationen betroffen, rund 10 % der nordeuropäischen Bevölkerung sind heterozygot (mischerbig) für einen solchen Gendefekt. Rund 0,3–0,5 % dieser Bevölkerungsgruppe sind hierfür homozygot (reinerbig), nur bei diesen kann die Krankheit auftreten. Die Penetranz ist aber unvollständig: Rund ein Drittel bis die Hälfte der homozygoten Mutationsträger zeigt keine klinischen Zeichen einer Eisenüberladung. Die verschiedenen Mutationen sind regional unterschiedlich verteilt. So wurden zahlreiche, in der westlichen Bevölkerung nicht vorkommende Mutationen bei Menschen asiatischer Abstammung nachgewiesen.[2] Hämochromatosen, die nicht mit einer HFE-Mutation einhergehen, sind sehr selten.[3] Sie treten gehäuft in Italien auf.[4]

Frauen verlieren natürlicherweise durch die Menstruation und bei Schwangerschaften im Körper gebundenes Eisen. Infolgedessen erkranken genetisch betroffene Männer fünf bis zehnmal häufiger. Die Latenzzeit bis zum Auftreten erster Krankheitszeichen variiert je nach Alkoholkonsum, Eisengehalt der Nahrung und Anzahl der erhaltenen Blutspenden. Die Mehrzahl der Erkrankten entwickelt die ersten Symptome zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahrzehnt.[3]

Krankheitszeichen

Die häufigsten Symptome der Hämochromatose sind eine Lebervergrößerung, der Ausbruch eines Diabetes mellitus und eine dunkle Hautpigmentierung. Die Hautpigmentierung ist in der Achselhöhle meist am stärksten ausgeprägt. An den pigmentierten Stellen fehlen typischerweise auch die Körperhaare. Weitere Prädilektionsstellen der Hautverfärbungen sind die Streckseiten der Arme und Hände, der Hals- und Gesichtsbereich, die Unterschenkel sowie die Genitalregion. Seltenere Krankheitszeichen sind Milzvergrößerung und die entzündliche Schwellung der Fingergrundgelenke. Die Gelenkentzündung kann im Verlauf auch auf größere Gelenke übergreifen. Sie läuft in vielen Fällen den anderen Symptomen zeitlich voraus. Rund 15 % der Erstdiagnosen werden erst durch Herzrhythmusstörungen auffällig. Möglich sind anfallsartiges Herzrasen, Vorhofflattern, Vorhofflimmern und Blockaden der Überleitung zwischen Vorhof und Kammer. Als psychische Krankheitszeichen können Lethargie und Libidoverlust auftreten. Ebenso kann durch die Schädigung der Hirnanhangsdrüse ein Hypogonadismus auftreten. Drei Viertel der Patienten weist bei Diagnosestellung bereits eine Leberzirrhose auf.[5][3]

Einteilung der Hämochromatose

Die erbliche Hämochromatose ist die häufigste Form, meistens verursacht durch einen Defekt im HFE-Gen. Es gibt aber auch seltenere Gendefekte. Neben Gendefekten können auch andere Erkrankungen eine Eisenüberladung verursachen. Eisenüberladungen gibt es auch bei Neugeborenen.

Erbliche Hämochromatose

Die erbliche Hämochromatose ist die häufigste Form, sie wird autosomal-rezessiv vererbt. Bei über 80 % der Patienten wird sie durch eine Punktmutation im HFE-Gen verursacht, welche einen spezifischen Aminosäure-Austausch (Cystein wird an der Stelle 282 im sogenannten Hereditäre-Hämochromatose-Protein durch Tyrosin ersetzt (C282Y)) bewirkt.[6]

Insgesamt sind fünf verschiedene Gene bekannt, deren Defekte zu einer hereditären Hämochromatose führen können:[7]

Die Typen 1–3 werden jeweils autosomal-rezessiv vererbt und sind mit den typischen als Hämochromatose beschriebenen klinischen Symptomen vergesellschaftet. Dabei sind die Typen 1, 2A und 2B mit einer Erniedrigung des Hepcidin-Spiegels vergesellschaftet. Hepcidin hemmt durch Bindung an Ferroportin in Darm-Mucosazellen die Aufnahme von Eisen in den Blutkreislauf. Der Typ 1 mit der klassischen HFE-Mutation hat dabei ein geringeres Risiko für Organschäden als die Typen 2A und 2B.[7]

Die Typen 2A und 2B unterscheiden sich von den anderen Hämochromatoseformen durch ihren frühen Beginn von Symptomen und Organschäden. Sie treten bereits im zweiten bis dritten Lebensjahrzehnt auf. Der klassische Typ 1 und auch der Typ 4 manifestieren sich erst in der vierten bis fünften Lebensdekade. Sie werden deshalb auch als juvenile (jugendliche) Hämochromatose bezeichnet.[7]

Der Typ 4 nimmt innerhalb der Hämochromatosen eine Sonderstellung ein. Er wird autosomal-dominant vererbt, hat ein geringeres Potential für Organschäden und ist erst im späteren Verlauf durch Laboruntersuchungen von Ferritin und Transferrin nachzuweisen. Manche Autoren schlagen daher den Typ 4 als eigene Krankheitsentität vor.[7]

Neonatale Hämochromatose

Die neonatale Hämochromatose ist eine sehr seltene Form, die ebenfalls vermutlich autosomal-rezessiv vererbt wird. Der auslösende genetische Defekt ist bislang unbekannt. Sie tritt bereits im Kindes- oder Neugeborenenalter auf, ihr Verlauf ist meist sehr schwer.

Sekundäre Hämochromatose (erworbene Eisenüberladung)

Es sind mehrere verschiedene Ursachen für eine erworbene Eisenüberladung bekannt, zum Beispiel bei erhöhter Eisenzufuhr in den Körper. So können Menschen, die sehr viele Bluttransfusionen erhalten, eine sekundäre Hämochromatose entwickeln. Auch bei sehr starker Eisenaufnahme über den Magen-Darm-Trakt kann es zu einer erworbenen Eisenüberladung kommen. Diese Form ist vor allem im Afrika südlich der Sahara anzutreffen, da dort Spirituosen vorkommen, welche in Eisengefäßen gebrannt werden. Auch bei einer langdauernden Hämolyse kann eine Eisenüberladung entstehen, da der Körper sich mit dem aus den zerstörten roten Blutkörperchen gesammelten Eisen überlädt. Sehr selten sind genetische Ursachen, wie z. B. ein Mangel an Transferrin. Eine lange Hämodialysetherapie kann auch in manchen Fällen zu einer Hämochromatose führen.[8] Die sekundäre Form der Erkrankung unterscheidet sich in ihrer Behandlung nicht von der erblichen Hämochromatose.[9]

Pathogenese

Der menschliche Körper verfügt über keinen Mechanismus zur aktiven Ausscheidung von Eisen. Ein „Abbau“ erfolgt nur bei Blutverlust. Allerdings kann eine weitere Aufnahme von Eisen verhindert werden, indem im Darm durch Hepcidin der Ferroportin-Transport von Eisen ins Blut gestoppt wird und das so in den Darm-Mucosazellen gesammelte Eisen mit den abgeschilferten Zellen wieder in das Darmlumen abgegeben wird. Durch Störung einzelner Komponenten des Eisenhaushalts kann diese Aufnahmehemmung verhindert werden und der Körper reichert folglich Eisen in verschiedenen Körperorganen, insbesondere der Leber, an.

Biochemische Schädigung

Der zu hohe Eisengehalt schädigt die Erbinformation der Zellen und sorgt auch für die Bildung schädlicher, freier Radikale. Durch die ständigen Zellschädigungen verlieren die betroffenen Organe ihre Funktion. Infolgedessen entstehen Leberschäden und auch Leberkrebs. Hämochromatose kann neben den Leberschäden auch die Hirnareale für Geschlechtshormone schädigen oder eine Zuckerkrankheit verursachen. Auch ein Zusammenhang mit der Parkinson-Krankheit ist nach neuesten Studien wahrscheinlich.[10]

Genetische Ursachen

Verschiedene Mutationen von Genen, die den menschlichen Eisenhaushalt steuern, können eine Hämochromatose verursachen. Das HFE-Gen kodiert für ein Protein, das mit dem Haupthistokompatibilitätskomplex der Klasse 1 strukturell verwandt ist. Im gesunden Menschen bildet das HFE-Protein HLA-H einen Komplex mit β2-Mikroglobulin und wird an der äußeren Seite der Zellmembran exprimiert. Der HLA-H-β2-Komplex ermöglicht die Bindung von Transferrin, des Haupteisentransportproteins im Blut. Der Komplex wird durch Endozytose aufgenommen. Das dabei entstandene Lysosom wird durch Ansäuerung aufgelöst und Eisen wird freigesetzt. Die Epithelzellen des Dünndarms, über die Eisen aufgenommen wird, steigern ihre Eisenaufnahme gegenläufig zum Eisenspiegel in ihrem Zellplasma. Daneben wird seit kurzem noch ein weiterer Regulationskreis über Hepcidin und Ferroportin diskutiert. Auch dieser ist bei der Hämochromatose Typ 1 betroffen,[3] da die HFE-Mutation auch mit einem Mangel an Hepcidin einhergeht. Der genaue Mechanismus ist bisher ungeklärt.[11]

Die Hämochromatose Typ 2A entsteht durch eine Mutation des Hämojuvelins und geht ebenso mit erniedrigten Hepcidinspiegeln einher. Hierbei fungiert Hämojuvelin als positiver Regulator der Hepcidintranskription, der sein Signal über den BMP-Protein-Signalweg weitergibt.[12][13]

Die Hämochromatose Typ 2B führt über eine Mutation des Gens für Hepcidin zu einem Hepcidinmangel. Dies führt zu einer verminderten Ausschleusung von Eisen aus den Darmzellen, Makrophagen und den Zellen der betroffenen Organe. Beim Typ 4 ist das Ferroportin – ein Protein, das direkt der Ausschleusung von Eisen aus den Zellen dient – defekt. Dies betrifft jedoch nur Leberzellen, Zellen der Plazenta und Makrophagen.[7]

Der gesunde menschliche Körper enthält rund 2–6 Gramm Eisen. Dieses ist zu 98 % in den Leberzellen (Hepatozyten) gespeichert. Die jährliche Eisenaufnahme beträgt beim Hämochromatosekranken rund 0,5–1,0 Gramm, variierend nach Geschlecht, Alkoholkonsum und Nahrungszusammensetzung. Ab einer kumulativen Eisenaufnahme von 20 Gramm entstehen die ersten Symptome. Der erste Haupteinlagerungsort sind die Leberzellen, die durch den erhöhten Eisengehalt durch mehrere Mechanismen geschädigt werden. Eisen selbst wirkt DNA-schädigend und kann über die Bildung von Radikalen Fette oxidieren. Daneben stimuliert Eisen über einen bislang noch unbekannten Mechanismus die Bildung von kollagenen Fasern im Extrazellularraum[8] und wird noch in der Bauchspeicheldrüse, dem Herzen und der Hirnanhangsdrüse gespeichert.[3]

Die Hämochromatose wird autosomal rezessiv vererbt. Die Erkrankung wird also in der Regel nur dann manifest, wenn beide Ausführungen des Gens den Defekt besitzen (homozygote Mutation). Schwächere Formen der Hämochromatose sind allerdings auch bei heterozygoten Mutationen möglich. Die Penetranz der Mutation ist gering, etwa 30 % der Männer mit homozygoter Mutation und nur etwa 1 % der homozygoten Frauen entwickeln ein klinisch relevantes Krankheitsbild; bei heterozygoten Merkmalsträgern ist das Auftreten einer Erkrankung sehr selten.[14]

Mutationen im HFE-Gen können auch krankhafte Veränderungen unabhängig von der Hämochromatose bedingen. Unter anderem wurden Erhöhungen der Bluttriglyceride beschrieben.[15]

Pathologie

Blau angefärbtes Eisen in periportalen Hepatozyten einer Leberbiopsie, Färbung mit Berliner Blau

Eine Untersuchung von entnommenem Lebergewebe kann die Überladung der Leberzellen sichtbar machen. Sie gibt aber keinen Hinweis dahingehend, ob die Erkrankung genetische Ursachen hat oder durch eine andere Grunderkrankung verursacht wird.

Die krankhafte Eisenablagerung lässt sich lichtmikroskopisch feststellen. Die Ablagerungen zeigen sich in der HE-Färbung als grobe rostbraune Körnchen im Zellplasma. Die Ablagerungen beginnen typischerweise an den Leberzellen um die Portalfelder. Bei weiter fortschreitender Eisenspeicherung treten die Körnchen auch im Rest des Leberläppchens auf. Im späteren Verlauf zeigen auch Kupffer-Sternzellen sowie die Gallengangszellen entsprechende Auffälligkeiten. Sobald die Eisenspeicherung zu Gewebsschäden führt, werden Fibrose und Zirrhose der Leber sichtbar.[8] Die Eisenablagerungen lassen sich durch die Färbung mit Berliner Blau spezifisch nachweisen.[16]

Diagnose

Blau gefärbte Eisenablagerungen in niedrigerer Vergrößerung. Rechts im Bild Lebergewebe ohne sichtbare Ablagerung

Der Verdacht auf eine Hämochromatose sollte bei erhöhten Werten für Ferritin oder erniedrigten Werten von freiem Transferrin (hohe Transferrinsättigung) im Blut gestellt werden. In diesem Falle sollte ein Gentest auf das Vorliegen einer genetischen Hämochromatose erfolgen. Ist dieser negativ, sollte eine Leberbiopsie in Erwägung gezogen werden.[17][18]

Verschiedene Laborparameter können einen Hinweis auf eine Eisenüberladung liefern. So ist die Konzentration des Eisens selbst im Blutplasma in der Regel erhöht. Die Eisenbindungskapazität ist dagegen in der Regel bei einer Homozygotie erniedrigt oder im Normbereich. Bei heterozygot betroffenen Menschen ist sie dagegen manchmal erhöht, manchmal normwertig. Ebenso sind bei manifester Erkrankung die Transferrinsättigung und das Ferritin erhöht. Ferritin selbst ist bei symptomatisch Gesunden in der Regel unter 500 μg/l. Bei symptomatisch Kranken kann sie bis auf 6.000 μg/l erhöht sein. Zur Unterscheidung gegenüber einer fortgeschrittenen Lebererkrankung durch Alkoholkonsum kann der Ferritinspiegel einen Hinweis geben, da bei alkoholischer Lebererkrankung der Ferritinspiegel unter 500 μg/l liegen sollte. Die Laborveränderungen sind aber nicht vollkommen spezifisch, da auch andere Lebererkrankungen den Eisenspiegel in der Leber erhöhen können.[3] Ferritin ist ein Akute-Phase-Protein und infolgedessen bei entzündlichen Prozessen generell erhöht.[5] Die Transferrinsättigung ist dabei der sensitivste Laborparameter zum Nachweis einer Hämochromatose im asymptomischen Stadium.[19] Die endgültige Diagnose sollte durch einen Gentest gestellt werden. Eisenüberladungen, die nicht auf die Mutation des HFE-Gens zurückgehen, werden durch den Test nicht erfasst. In diesem Fall kann die Diagnose durch eine feingewebliche Untersuchung gestellt werden.[20]

Als weitere diagnostische Methode ist die quantitative Bestimmung des Eisengehalts aus unfixiertem Lebergewebe möglich. Der Normalwert liegt dabei unter 1.000 μg/g Trockenmasse. Menschen mit vererblicher Hämochromatose weisen Werte über 10.000 μg/g auf. Mit irreversiblen Leberschäden und Zirrhose ist ab 22.000 μg/g zu rechnen,[8] ist aber aufgrund der geringen Penetranz der Erkrankung nur im Zusammenschau mit den klinischen und laborchemischen Befunden aussagekräftig.[5]

Der Eisengehalt der Leber kann auch nichtinvasiv durch eine Computertomographie oder eine Magnetresonanztomographie bestimmt werden. Diese Methoden sind aber nur semiquantitativ und somit nur begrenzt aussagekräftig.[5]

Vorbeugung

In Fachkreisen wurde die Hämochromatose als mögliche Krankheit benannt, bei der eine allgemeine Untersuchung der Gesamtbevölkerung sinnvoll wäre. Jüngere Studien ziehen dies jedoch mittlerweile in Zweifel.

Die Bundesärztekammer identifizierte 2003 die Hämochromatose als eine Krankheit, bei der nach ihrer Meinung ein generelles Screening der Bevölkerung vorteilhaft wäre.[21] Eine Genotypisierung wird mittlerweile ab einer Transferrinsättigung von 45 % in zwei verschiedenen Tests empfohlen.[22] Andere Veröffentlichungen empfehlen einen Cutoff von 55 %.[6] 2006 kam die von der US-Regierung eingerichtete Preventive Services Task Force zu dem Ergebnis, dass die genetischen Grundlagen der Hämochromatose zu wenig erforscht seien, als dass ein generelles Screening empfohlen werden könne.[23] Eine kanadische Forschergruppe sprach sich 2009, nach einem Testscreening an 100.000 Menschen, gegen ein allgemeines Screening aus. Außerdem kam sie zu dem Schluss, dass die Transferrinsättigung oder der Ferritinspiegel ungenügend spezifisch wären und somit für ein Screening nicht geeignet seien.[24]

Therapie

Physikalische Verfahren

Die Therapie der Wahl ist der Aderlass und besteht aus zwei Phasen, die sich üblicherweise wie folgt gestalten:[25][26]

  • Phase 1 (Initialtherapie): wöchentliche Aderlässe von 500 ml, bis der Ferritinspiegel unter 50 μg/l gefallen ist;
  • Phase 2 (Langzeittherapie): lebenslange Aderlässe von 500 ml, um den Ferritinspiegel im weiteren Verlauf zwischen 50 und 100 μg/l zu halten (etwa 4–12 pro Jahr).

Ziel der Therapie ist eine Entleerung oder zumindest Reduzierung der Eisenspeicher, was am wirksamsten durch eine Aderlasstherapie erreicht wird. Anfangs sollte ein Aderlass von 500 ml einmal bis zweimal pro Woche durchgeführt werden. Ein halber Liter Blut enthält rund 200–250 mg Eisen. Es sollte eine wöchentliche Behandlung durchgeführt werden, bis die Serumferritinspiegel unter 50 μg/l fallen. Dies kann je nach Alter und Eisenbeladung bis zu mehreren Jahren dauern. Zur Erhaltungstherapie können dreimonatige Aderlässe durchgeführt werden. Diese sind in der Regel zur Aufrechterhaltung eines Plasmaferritinspiegels von 50–100 μg/l ausreichend, der das Langzeittherapieziel darstellt.[3] Andere Angaben empfehlen auch einen Zielspiegel unter 50 μg/l.[5] Dabei ist zu beachten, dass die Aderlässe möglichst regelmäßig durchgeführt werden, damit sich eine konstante Regeneration der verlorenen Blutmenge einstellt.[3] Eine Eisenmangelanämie tritt charakteristischerweise bei den Typen 1 bis 3 nicht auf. Erkrankte mit dem Typ 4 sollten engmaschig überwacht werden, da bei ihnen Anämien häufiger auftreten. Ebenso hat bei ihnen die Aderlasstherapie einen geringeren Effekt.[7]

Eine andere Therapieform ist die Erythroapherese, wobei mehr Erythrozyten pro Behandlung entnommen werden können, wodurch die Häufigkeit der Behandlung reduziert werden kann und der Ferritinwert schneller absinkt als bei der einfachen Aderlasstherapie. Diese Therapieform ist allerdings aufwendiger, die Kostenübernahme durch die Krankenkassen noch nicht geklärt.

Medikamente

Protonenpumpenhemmer haben einen hemmenden Effekt auf die Resorption von nicht-haem-gebundenem Eisen und können die notwendige Menge und Frequenz der Aderlässe vermindern.[27]

Auch die Gabe von Deferoxamin dient der Eisenreduktion, diese Therapie ist aber nicht so wirksam. Sie wird nur angewandt, wenn eine Blutarmut (Anämie) oder fortgeschrittene Herzmuskelschwäche (Kardiomyopathie) bestehen. Die Deferoxaminbehandlung ist aufwändig (Dauerinfusion an 5–7 Tagen pro Woche), hat häufig Nebenwirkungen (Seh- und Hörstörungen) und ist weniger wirksam als der Aderlass oder die Apherese. Mittlerweile ist auch ein Präparat zum Schlucken (Deferasirox) verfügbar.[5][9] Falls aufgrund einer bereits fortgeschrittenen Herzinsuffizienz eine Aderlasstherapie nicht vertretbar scheint, müssen Eisenbinder eingesetzt werden. Dabei sollten die beiden verschiedenen Wirkstoffe kombiniert zugeführt werden. Da sie sich in ihrer Diffusionsstärke in das Zellinnere unterscheiden, können die Eisenspeicher schneller entleert werden.[28]

Die Symptome der Gelenkmanifestation der Erkrankung können mit NSAR abgemildert werden. Ebenso profitieren viele Patienten von einer Osteoporosebehandlung.[29]

Diätetische Maßnahmen

Diätetische Maßnahmen können die Heilung unterstützen. Konkret sollten stark eisenhaltige Nahrungsmittel zurückhaltend konsumiert werden. Schwarzer Tee, zusammen mit der Mahlzeit getrunken, vermindert die Eisenabsorption. Umgekehrt sollte auf den Konsum Vitamin C-haltiger Getränke (z. B. Orangensaft) im Zeitraum von etwa zwei Stunden vor bis zwei Stunden nach den Mahlzeiten verzichtet werden, da Vitamin C die Aufnahme von Eisen aus der Nahrung begünstigt. Da der Konsum von Alkohol die Eisenaufnahme steigert, ist Alkoholkarenz sinnvoll.[5]

Organtransplantation

Bei fortgeschrittenem Leberschaden kann im Falle eines Leberversagens eine Lebertransplantation durchgeführt werden. Dies ist in manchen Fällen auch möglich, wenn die Patienten ein Leberzellkarzinom entwickelt haben. Transplantierte Hämochromatose-Patienten haben aber aufgrund der meist vorhandenen, durch ihre Grunderkrankung hervorgerufenen, Begleiterkrankungen eine schlechtere Prognose als Transplantierte mit anderer Grunderkrankung.[20]

Prognose

Die Hämochromatose kann durch die Schädigung der Leber zu lebensbedrohlichen Situationen führen. Ebenso erhöht sie stark das Risiko für Leberzellkrebs, falls sie nicht vor dem Beginn der Symptome entdeckt wird. Wird die Krankheit vor Auftreten der Symptome entdeckt und behandelt, gilt sie als ohne Folgeschäden heilbar. Ohne Therapie ist die Prognose hingegen infaust.[25]

Wird die Erkrankung vor dem Auftreten irreversibler Organveränderungen behandelt, so wirkt sie sich nicht nachteilig auf die Lebenserwartung aus. Leberfibrose und Leberzirrhose sind nicht mehr rückgängig zu machen und erfordern eine eigenständige Behandlung.[3] Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Langzeitkomplikationen, einschließlich des Leberzellkarzinoms, steigt mit der Dauer und dem Ausmaß der Eisenüberladung. Infolgedessen ist eine frühe Diagnosestellung entscheidend.[30] Bereits bei Diagnosestellung bestehende strukturelle Schäden an den Gelenken[29] und Geschlechtsorganen werden als irreversibel betrachtet. Das Fortschreiten der Veränderungen kann durch eine Therapie jedoch verlangsamt werden.[7] Rund 35 Prozent der an einer manifesten Hämochromatose erkrankten Menschen entwickeln im späteren Verlauf ein Leberzellkarzinom.[31]

Medizingeschichte

1865 beschrieb Armand Trousseau ein klinisches Syndrom, bestehend aus Leberzirrhose, Diabetes und bronzefarbener Hautpigmentierung. 1889 prägte Friedrich Daniel von Recklinghausen den Begriff Hämochromatose. 1935 erkannte Joseph H. Sheldon die erbliche Komponente der Erkrankung.[19] Bis dahin war die Hämochromatose fälschlicherweise auf Alkoholmissbrauch zurückgeführt worden.[32] In den 1970er-Jahren wurde der autosomal-rezessive Erbgang der Typen 1 bis 3 erkannt.[7] Eine US-amerikanische Forschungsgruppe sequenzierte 1996 das HFE-Gen und stellte dessen Verbindung zur Hämochromatose dar.[19] Es wird vermutet, dass die HFE C282Y-Mutation vor etwa 4000 Jahren bei einem Menschen in Mitteleuropa, der vermutlich keltischer Abstammung gewesen ist, aufgetreten ist und sich, von dort ausgehend, mit dessen Nachkommen in der europäischen Population ausgebreitet hat.[33] Eine mögliche Hypothese für die Verbreitung der Mutation ist die Vermutung, dass die übermäßige Eisenspeicherung bei längerer Unterversorgung mit Eisen einen Überlebensvorteil bieten könne.[7]

Hämochromatose bei Tieren

Die Hämochromatose ist bei Tieren sehr selten.[34] So wurden bei Hunden Einzelfälle von sekundären Hämochromatosen bei Pyruvatkinase-Mangel[35] und nach wiederholten Bluttransfusionen[36] beobachtet. Bedlington Terrier weisen indes genetische Prädispositionen auf. Bei Rindern gab es einige Hämochromatose-Fälle bei Tieren der französischen Rinderrasse Salers und ihren Kreuzungen.[34] Bei Vögeln kommen Eisenüberladungen mit Hämochromatose-ähnlichem klinischen Bild vor allem bei Staren vor.[37] Auch bei Pferden ist ein Fall von Eisenüberladung mit Leberschäden beschrieben.[38] Darüber hinaus existieren einige Tiermodelle mit genetisch-veränderten Labornagern sowie durch exzessive Eisenzufuhr.

Weblinks

Literatur

Lehrbücher

  • Lawrie W. Powell: Hemochromatosis. In: Anthony S. Fauci u. a.: Harrison's Principles of Internal Medicine. 17. Auflage. New York 2008, S. 2429–2433.
  • Gerd Herold u. a.: Innere Medizin. Köln 2009, S. 514–516.

Artikel in Fachzeitschriften

Einzelnachweise

  1. Uniklinik Ulm - Hämochromatose-Ambulanz - Definition der Hämochromatose (Seite abgerufen am 6. Dezember 2009)
  2. C. Y. Lok, A. T. Merryweather-Clarke, u. a.: Iron overload in the Asian community. In: Blood. 2009 Jul 2;114(1):20-5. PMID 19342478.
  3. a b c d e f g h i Lawrie W. Powell: Hemochromatosis. In: Anthony S. Fauci u. a.: Harrison's Principles of Internal Medicine. 17. Auflage. New York 2008, S. 2429–2433.
  4. Robson, Merryweather-Clarke, Pointon et al.: Diagnosis and management of haemochromatosis since the discovery of the HFE gene: a European experience. In: Br J Haematol. 2000 Jan;108(1):31-9. PMID 10651721.
  5. a b c d e f g Gerd Herold u. a.: Innere Medizin. Köln 2009, S. 514–516.
  6. a b C. E. Wrede, S. Hutzler, L. C. Bollheimer et al.: Correlation between iron status and genetic hemochromatosis (codon C282Y) in a large German population. In: Isr Med Assoc J. 2004 Jan;6(1):30-3. PMID 14740507.
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  9. a b N. Gattermann: The treatment of secondary hemochromatosis. In: Dtsch Arztebl Int. 2009 Jul;106(30):499-504, PMID 19727383.
  10. P. G. Mastroberardino, E. K. Hoffman, M. P. Horowitz et al.: A novel transferrin/TfR2-mediated mitochondrial iron transport system is disrupted in Parkinson's disease. In: Neurobiol. Dis.. 34, Nr. 3, Juni 2009, S. 417–31. doi:10.1016/j.nbd.2009.02.009. PMID 19250966. Volltext bei PMC: 2784936.
  11. S. Vaulont, D. Q. Lou, L. Viatte, A. Kahn: Of mice and men: the iron age. In: J. Clin. Invest.. 115, Nr. 8, August 2005, S. 2079–82. doi:10.1172/JCI25642. PMID 16075054. Volltext bei PMC: 1180554.
  12. J. L. Babitt, F. W. Huang, D. M. Wrighting et al.: Bone morphogenetic protein signaling by hemojuvelin regulates hepcidin expression. (PDF) In: Nat. Genet.. 38, Nr. 5, Mai 2006, S. 531–9. doi:10.1038/ng1777. PMID 16604073.
  13. P. B. Yu, C. C. Hong, C. Sachidanandan et al.: Dorsomorphin inhibits BMP signals required for embryogenesis and iron metabolism. In: Nat. Chem. Biol.. 4, Nr. 1, Januar 2008, S. 33–41. doi:10.1038/nchembio.2007.54. PMID 18026094. Volltext bei PMC: 2727650.
  14. Katrina J. Allen u. a.: Iron-Overload-Related Disease in HFE Hereditary Hemochromatosis. In: N Engl J Med. Nr. 358, 2008, S. 221-230.
  15. M. Solanas-Barca, R. Mateo-Gallego u. a.: Mutations in HFE causing hemochromatosis are associated with primary hypertriglyceridemia. In: J Clin Endocrinol Metab. 2009 Nov;94(11):4391-7 PMID 19820015.
  16. C. Thomas: Histopathologie. Stuttgart 1998, S. 165.
  17. Uniklinik Ulm - Hämochromatose-Ambulanz - Startseite (Seite abgerufen am 2. Dezember 2009)
  18. Hämochromatose-Vereinigung Deutschland e. V. – Diagnose der Hämochromatose (Seite abgerufen am 2. Dezember 2009)
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  21. Bekanntmachung der Bundesärztekammer: Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik. In: Deutsches Ärzteblatt. Heft 6, Juni 2003, online abrufbar als pdf, zuletzt abgerufen am 11. November 2009.
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