Johannes Bobrowski

Johannes Bobrowski

Johannes Bobrowski (* 9. April 1917 als Johannes Konrad Bernhard Bobrowski in Tilsit; † 2. September 1965 in Berlin) war ein bedeutender deutscher Lyriker, Erzähler und Nachdichter.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Bobrowski übersiedelte 1925 nach Rastenburg, 1928 nach Königsberg, wo er das humanistische Stadtgymnasium Altstadt-Kneiphof besuchte. Einer seiner Lehrer war Ernst Wiechert. 1937 nahm er ein Kunstgeschichtsstudium in Berlin auf, ohne jedoch immatrikuliert zu sein. Eine NSDAP-Mitgliedschaft, die ihn zur Immatrikulation berechtigt hätte, lehnte Bobrowski ab. Als Angehöriger der Bekennenden Kirche hatte er Kontakt zum christlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Er nahm als Gefreiter in einem Nachrichtenregiment am gesamten Zweiten Weltkrieg teil (Polen, Frankreich und Sowjetunion). Erste Gedichte erschienen 1944 in der Zeitschrift „Das Innere Reich“. Von 1945 bis 1949 war Bobrowski in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, u.a. im Don-Gebiet, wo er im Kohlebergbau arbeitete.

Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft lebte er als Lektor in Ost-Berlin, zunächst für den Altberliner Verlag Lucie Groszer, einen Kinderbuchverlag, ab 1959 als Lektor für Belletristik für den christlichen Union Verlag. In der von Peter Huchel geleiteten Zeitschrift Sinn und Form erschienen 1955 fünf Gedichte Bobrowskis. Weitere Veröffentlichung in west- und ostdeutschen Zeitschriften folgten, die Bemühungen um die Veröffentlichung eines eigenen Gedichtbands blieben jedoch erfolglos. Erst 1961 erschien in der Deutschen Verlags-Anstalt Stuttgart Bobrowskis erster Gedichtband Sarmatische Zeit, der wenig später auch in der DDR veröffentlicht wurde. Auch Bobrowskis spätere Veröffentlichungen - sein zweiter Gedichtband Schattenland Ströme sowie seine Erzählungen und Romane - erschienen sowohl in Verlagen der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR. Bobrowski verstand sich stets als deutscher Dichter, der eine Trennung in ost- und westdeutsche Literatur ablehnte: „Ich bin, meiner Überzeugung nach, ein deutscher Schriftsteller. So wie einige meiner Freunde in Westdeutschland, Westberlin oder Frankreich deutsche Schriftsteller sind.“[1]

Im Oktober 1962 erhielt Bobrowski den Preis der Gruppe 47, wodurch er in ganz Deutschland und auch international schnell bekannt wurde. Zu den Folgen seiner zunehmenden Bekanntheit und der Tatsache, dass Bobrowski sich in beiden deutschen Staaten und Literaturen vorbehaltlos bewegte, gehörte auch, dass er in den letzten Jahren seines Lebens zunehmend von der Staatssicherheit observiert wurde. 1963 wurde Bobrowski Mitglied im Deutschen Schriftstellerverband der DDR, was er bis dahin immer vermieden hatte.

Am 2. September 1965 starb Bobrowski an den Folgen eines Blinddarmdurchbruchs und wurde auf dem Christophorus-Friedhof in Berlin-Friedrichshagen beigesetzt. Die Grabstätte gestaltete der Künstler Wieland Förster. Sie ist heute ein Ehrengrab des Landes Berlin.

Auszeichnungen

Werke

In Bobrowskis Werke floss die Bekanntschaft mit der osteuropäischen Landschaft, mit deutschen, baltischen und slawischen Kulturen sowie ihrer Sprachen und Mythen ein. Er bezeichnete an verschiedenen Stellen die Geschichte von Deutschen und osteuropäischen Völkern als sein „Generalthema“[2]: „Ich befasse mich, nach meiner Ansicht, mit dem Verhältnis der Deutschen zu ihren östlichen Nachbarvölkern. Ich benenne also Verschuldungen - der Deutschen - und versuche, Neigung zu erwecken zu den Litauern, Russen, Polen usw.“[3]

  • Sarmatische Zeit, Gedichte, 1961
  • Das Klavier, Gedicht, 1961
  • Schattenland Ströme, Gedichte, 1962
  • Wer mich und Ilse sieht im Grase. Deutsche Poeten des 18. Jahrhunderts über die Liebe und das Frauenzimmer, hrsg. und mit einem Nachwort von Johannes Bobrowski, Berlin 1964
  • Levins Mühle. 34 Sätze über meinen Großvater, Roman, 1964 (TB ISBN 3-596-20956-0)
  • Boehlendorff und andere, Erzählungen, 1965
  • Mäusefest und andere Erzählungen, Berlin 1965 (NA ISBN 3-8031-3116-2)
  • Boehlendorff und Mäusefest, Erzählungen, Berlin 1966
  • Litauische Claviere, Roman, 1966 (TB ISBN 3-379-01470-2)
  • Wetterzeichen, Gedichte, Berlin 1967. ISBN 3-803100-19-4
  • Selbstzeugnisse und Beiträge über sein Werk, Union Verlag (VOB), Berlin 1967.
  • Der Mahner, Erzählungen und andere Prosa aus dem Nachlaß, Berlin 1968
  • Im Windgesträuch - Gedichte aus dem Nachlaß, Ausgewählt und hrsg. von Eberhard Haufe, Berlin 1970
  • Poesiealbum 52 (Hg.: Bernd Jentzsch), Gedichte, Verlag Neues Leben, Berlin 1972
  • Literarisches Klima - Ganz neue Xenien, doppelte Ausführung, mit einem Nachwort von Bernd Leistner und Illustrationen von Klaus Ensikat, Stuttgart 1978. ISBN 3-421-01849-9
  • Hans Clauerts wunderseltsame, abenteuerliche und unerhörte Geschichten, kurzweilig und sehr lustig zu lesen, Ausgewählt und nacherzählt von Johannes Bobrowski nach dem Buch von Bartholomäus Krüger, Stadtschreiber zu Trebbin, mit Illustrationen von Peter-Michael Glöckner, Berlin 1983
  • Gesammelte Werke in sechs Bänden, hrsg. von Eberhard Haufe, Berlin/Ost 1987 (nur die ersten vier Bände erschienen)
  • Gesammelte Werke in sechs Bänden (Neuauflage der Gesammelten Werke bei der DVA Stuttgart mit zwei Kommentarbänden):
Bd. 1 Die Gedichte, hrsg. von Eberhard Haufe, Stuttgart 1998 ISBN 3-421-06354-0
Bd. 2 Gedichte aus dem Nachlaß, hrsg. von Eberhard Haufe, Stuttgart 1998. ISBN 3-421-06355-9
Bd. 3 Die Romane, hrsg. von Eberhard Haufe, Stuttgart 1999 ISBN 3-421-06356-7
Bd. 4 Die Erzählungen, Vermischte Prosa und Selbstzeugnisse, hrsg. von Eberhard Haufe, Stuttgart 1999. ISBN 3-421-06357-5
Bd. 5 Erläuterungen der Gedichte und der Gedichte aus dem Nachlaß, Hg. von Eberhard Haufe, Stuttgart 1998. ISBN 3-421-05166-6
Bd. 6 Erläuterungen der Romane und Erzählungen, der Vermischten Prosa und der Selbstzeugnisse, von Holger Gehle, Stuttgart 1999. ISBN 3-421-05173-9

Varia

1962 gründete Bobrowski gemeinsam mit Manfred Bieler scherzhaft einen neuen Friedrichshagener Dichterkreis, der seine Aufgabe laut der Gründungsschrift „in der Beförderung der schönen Literatur und des schönen Trinkens“ sah.

Bobrowski war leidenschaftlicher Musikliebhaber, spielte selbst Clavichord, Orgel und sang im Chor seiner Gemeinde. Die Beschäftigung mit der Musik und Musikern nimmt auch in zahlreichen Gedichten und Texten Bobrowskis eine zentrale Stellung ein. Zu seinen Lieblingskomponisten zählten u.a. Johann Sebastian Bach und Dietrich Buxtehude.

An seinem Begräbnis nahmen hunderte Menschen sowohl aus der BRD und der DDR teil, u.a. auch Ingeborg Bachmann oder Uwe Johnson, der trotz seiner „Republikflucht“ eine Einreisegenehmigung erhielt.

In Berlin-Hellersdorf ist seit 1988 eine Straße nach Johannes Bobrowski benannt.

Von 1992 bis 1998 wurde aus Mitteln der Stiftung Preußische Seehandlung die Johannes-Bobrowski-Medaille verliehen.

Literarische Rezeption

Sarah Kirsch widmete Bobrowski drei Gedichte [4]: Geh unter schöne Sonne (datiert 2. September 1965: Gestern noch blies er Meer vor sich her, schwamm voller Kunst, peitschte das Wasser [...] unsere Küste salzverkrustet und leer verlor ihren Delphin), Ich in der Sonne deines Sterbemonats (ich betreibe Gewohntes [...] Flieg Haar von meinem Kamm flieg zwischen Spinnenfäden schwarzes Haar totes Haar eben noch bei mir), Eine Schlehe im Mund komme ich übers Feld (datiert 2. September 1965: mein Kopf eine Schelle klappert und macht einen traurigen Mund meiner mit einer Schlehe deiner Sand schon und Kieselstein ich drüber du drunter)

Briefwechsel

  • Johannes Bobrowski – Peter Huchel. Briefwechsel, hrsg. von Eberhard Haufe. Marbach 1993, ISBN 3-933679-10-9.
  • Johannes Bobrowski – Michael Hamburger: „Jedes Gedicht ist das letzte“. Briefwechsel hg. von Jochen Meyer, mit einem Nachwort von Ingo Schulze. Marbach 2004, ISBN 3-937384-03-0.
  • „als wär es für mich gemalt“ Johannes Bobrowski – Albert Ebert. Briefe hrsg. von Peter Röske. Galerie der Berliner Graphikpresse, Berlin 1998, ISBN 3-9803644-4-5.

Schallplatten

  • Johannes Bobrowski liest Lyrik und Prosa, Buch mit zwei Schallplatten, Berlin 1966
  • Johannes Bobrowski liest die Erzählungen Der Mahner und Der Tänzer Malige, Buch mit einem Essay von Werner Bräunig und zwei Single-Schallplatten, Berlin 1980

Literatur

  • Peter Albert: Die Deutschen und der europäische Osten - "Vergangenheitsbewältigung" als Historismuskritik im Erzählwerk Johannes Bobrowskis. Erlangen 1990. ISBN 3-7896-0184-5
  • Unverschmerzt. Johannes Bobrowski - Leben und Werk. Hg. von Dietmar Albrecht, Andreas Degen et. al. München 2004.
  • Andreas Degen: Bildgedächtnis. Zur poetischen Funktion der Sinneswahrnehmung im Prosawerk Johannes Bobrowskis. Berlin 2004.
  • Sabine Egger: Dialog mit dem Fremden. Erinnerung an den "europäischen Osten" in der Lyrik Johannes Bobrowskis. Würzburg 2009. ISBN 978-3-8260-3952-2
  • Eberhard Haufe: Bobrowski-Chronik. Daten zu Leben und Werk. Königshausen & Neumann Verlag, Würzburg 1994.
  • Christoph Meckel: Erinnerung an Johannes Bobrowski. München, Wien 1989.
  • Bernd Leistner: Johannes Bobrowski - Studien und Interpretationen. Berlin 1981
  • Gerhard Rostin (Hrsg.): Ahornallee 26 oder Epitaph für Johannes Bobrowski. Stuttgart 1978. ISBN 3-421-01831-6
  • Gerhard Rostin (Hrsg.) Johannes Bobrowski - Selbstzeugnisse und neue Beiträge über sein Werk. Berlin 1975
  • Gerhard Wolf: Beschreibung eines Zimmers - 15 Kapitel über Johannes Bobrowski. Berlin 1975, Stuttgart 1972
  • Gerhard Wolf: Johannes Bobrowski - Leben und Werk. Berlin 1967
  • Johannes Bobrowski - Selbstzeugnisse und Beiträge über sein Werk, Union Verlag (VOB), Berlin 1967.
  • Eine umfangreiche Bibliographie gibt es auf den Seiten der Bobrowski-Gesellschaft.

Filme

Vertonungen

  • Levins Mühle, Oper von Udo Zimmermann, Uraufführung 1973 in Dresden unter Regie von Harry Kupfer
  • Litauische Claviere ("Oper für Schauspieler") von Rainer Kunad, Uraufführung 1976 in Dresden
  • Stettiner Sinfonie für Chor und Orchester von Friedrich Schenker, Text nach Gedichten Bobrowskis, Uraufführung am 10. Juni 2009 in Stettin

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Johannes Bobrowski: Mit klarem Blick an die Arbeit. In: Holger Gehle: Erläuterungen der Romane und Erzählungen, der Vermischten Prosa und der Selbstzeugnisse. Stuttgart 1999. S.239.
  2. Johannes Bobrowski: Vom Hausrecht des Autors. Ein Interview mit dem Deutschlandsender. In: ders.: Die Erzählungen, Vermischte Prosa und Selbstzeugnisse. Hg. von Eberhard Haufe. Stuttgart 1999. S.474.
  3. Johannes Bobrowski: Benannte Schuld - gebannte Schuld? In: ders.: Die Erzählungen, Vermischte Prosa und Selbstzeugnisse. Hg. von Eberhard Haufe. Stuttgart 1999. S. 447.
  4. Kirsch, Sarah: Landaufenthalt. Ebenhausen 1969, S. 54-56.

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