K. R. H. Sonderborg

K. R. H. Sonderborg
Sonderborg 1962 in Hannover

K. R. H. Sonderborg (* 5. April 1923 in Sønderborg (Dänemark) als Kurt Rudolf Hoffmann; † 18. Februar 2008 in Hamburg) war einer der wichtigsten Maler der Kunstrichtung Informel. Er nahm seinen Künstlernamen in Anlehnung an seinen Geburtsort an.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

„Sonderborg, Jahrgang 1923, tauchte vor knapp zehn Jahren in der Öffentlichkeit auf und wurde sofort beachtet, obwohl das, was er machte, alles andere als eingängig war. Es war weder tachistisch noch sonstwie einzuordnen, es war, zumindest von 1953 an, ganz singulär, prägte sich ein und war unverkennbar Sonderborg.“

Diese Charakterisierung von Will Grohmann stammt aus dem Jahr 1961 und erhebt laut Detlef Bluemler in dessen Aufsatz mit dem Titel „Form im Zustand der Bewegung“ aus dem Kritischen Lexikon der Gegenwartskunst – der auch Grundlage des hiesigen Textes ist und aus dem die nachfolgenden Zitate stammen – auch heute noch Anspruch auf Gültigkeit. Der Künstler habe sich trotz seiner kunsthistorischen Zuordnung zum „Informel“ einen eigenen Stil bewahrt, der oft aus dieser „Bedeutsamkeit des Formlosen“ heraustritt. Sonderborgs Vita und Kunst entspreche gleichermaßen dem Diktum von Bazon Brock, nach dem der Künstler jederzeit hinter seiner Arbeit sichtbar sein müsse.

Exemplarisch dafür, wie ungern Sonderborg seine Arbeit in kunsthistorische Kategorien eingeordnet sah und wie wenig er sich selbst festlegen wollte, ist seine – auch später immer wieder getane – Äußerung gegenüber dem in den 50er/60er Jahren mit führenden Münchener Galeristen Otto Stangl: „Ich kann nur soviel zu meinen Bildern sagen, daß ich weiß, daß ich sie gemacht habe, wo ich sie gemacht habe und wann ich sie gemacht habe.“

So ist seine Arbeit zwar grundsätzlich expressiv und nicht-figurativ, ohne offensichtlichen Zeitbezug einzuordnen. Doch in seinen Werken gibt es immer wieder Bilder, die eindeutig aktuellen Bezug nehmen und „realistisch“ scheinen. Zum Beispiel seine Darstellung eines Maschinengewehrs. Es entstand in der Zeit der RAF (Rote Armee Fraktion), die in den 1970er Jahren die gesamte bundesdeutsche Bevölkerung in Atem hielt. Einige kunsthistorische Auslegungen gehen dabei von der schnellen Umsetzung eines optischen Eindrucks aus, jedoch bezieht sich Detlef Bluemler auf Sonderborgs Äußerung von einem Pamphlet gegen die „Perversität“ sogenannter „Friedenswerkzeuge“.

1965 bis 1990 war Sonderborg Professor für Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart mit Unterbrechungen (Beurlaubungen) von 1969-70 als Gastprofessor am Minneapolis College of Art and Design und 1986 Gastprofessor am Art Institute in Chicago.

Jugendzeit während des Nationalsozialismus

18 Jahre jung war der im dänischen Sønderborg/Als geborene und in Hamburg aufgewachsene Kurt Rudolf Hoffmann, als er am 16. März 1942 nach eineinhalbjähriger Gestapo-Haft aus dem Konzentrationslager Fuhlsbüttel entlassen worden war. Der Haftgrund lautete: Anglophilie, staatsabträgliches Verhalten mit dem Ziel, Unruhe unter der Bevölkerung zu stiften. „Zwei Dinge“, so erinnert sich der langjährige und gleichaltrige Freund Sonderborgs, der Maler und Kunstpublizist Hans Platschek, „hatten Jugendliche wie Kurt Rudolf Hoffmann zu diesem damals staatsfeindlichen Verhalten gebracht. Einmal waren ihnen die Aufmärsche, der Gleichschritt, der Hitlerjunge Quex, die zackige Redeweise der Wochenschausprecher ebenso zuwider wie überhaupt Uniformen und die Wehr- oder die Arbeitspflicht. Zum anderen übte der Jazz, zumal die Hot-Musik, einen derart nachhaltigen Einfluss aus, daß die Sicherheitsbehörden von einem ‚Bild sittlich-charakterlicher Verwahrlosung‘ sprachen. Die Jugendlichen nannten sich Swings oder auch Swing-Boys […]. Man begrüßte sich mit ‚Swing-Heil‘; das ideale Leben war das ‚Lotterleben‘, aus dem sich das Verbum ‚lottern‘ ableitete […]. Er schien für dieses Leben schon deshalb prädestiniert, weil sein Vater, Kurt Hoffmann, Jazzmusiker war, Posaunist, unter anderem im Orchester Heinz Wehner.“

Kurz vor der Entlassung Sonderborgs, der damals noch Hoffmann hieß, schrieb Heinrich Himmler an Reinhard Heydrich: „Anliegend übersende ich Ihnen einen Bericht, den mir Reichsjugendführer Axmann über die ‚Swingjugend‘ in Hamburg zugesandt hat. Ich weiß, daß die Geheime Staatspolizei schon einmal eingegriffen hat. Meines Erachtens muß aber das ganze Übel radikal ausgerottet werden. […] Der Aufenthalt im Konzentrationslager muß länger, 2-3 Jahre sein. Es muß so klar sein, daß sie nie wieder studieren dürfen.“

Zwar beschreiben diese Sätze einmal die Stimmung unter einem Teil der jungen Menschen dieser Zeit, wie sie zum anderen den Terror des nationalsozialistischen Regimes dokumentieren. Zitiert seien sie hier jedoch in erster Linie deshalb, weil deren Inhalt Ausgangspunkt für ein Leben wurde, das bis heute unter dem Synonym „Swing“ firmiert, zu dem allerdings ein, vom Anarchischen bestimmtes, politisches Bewusstsein hinzukommen sollte, sowie ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn.

Ausbildung

Zunächst absolvierte der junge Kurt Rudolf Hoffmann eine kaufmännische Ausbildung, nach deren Ende er als Einkaufsassistent einer Hamburger Exportfirma in die Sowjetunion ging. Nach der Rückkehr erst ergaben sich intensivere Kontakte zur Kunst, zuerst sicherlich über den auch malenden Vater. Primär wurde er aber vermutlich von dem in der Nachbarschaft lebenden Maler Ewald Becker-Carus beeinflusst, bei dem er Privatunterricht nahm. Dann folgte das Studium an der Landeskunstschule Hamburg, das der Malerei und Grafik bei Willem Grimm und das des Textilentwurfs bei Maria May. Bereits während des Studiums, das ihn wegen seiner akademischen Ausrichtung sehr bald „langweilen“ sollte, begann Sonderborg, meist in der Natur und bestärkt vom Vater, seinen Vorstellungen von Kunst gemäß zu arbeiten.

Bestimmt wurde das Hamburger Kunstklima damals primär von einem gegenständlichen Expressionismus, dessen „Väter“ Emil Nolde und Edvard Munch waren. Neben deren Anhängern hatte sich eine kleine Gruppe gebildet, die einer freieren Abstraktion huldigte und die ihren Ursprung in Rudolf Steiners theosophischem Denken hatte.

Außerdem kam Sonderborg in Hamburg erstmals mit einem Umfeld in Kontakt, das ihn bis heute fasziniert und ihm Sujets bietet: zunächst einmal der große Strom Elbe und der Hamburger Hafen mit seinen Pontons, Schiffen und Kränen sowie die Gleise der Güterbahnhöfe, zu denen später die Metropolen und ihre Flughäfen kommen sollten.

Die Anfänge

Bereits 1949 stand die erste (Gruppen-)Ausstellung im Hamburger Kunstverein an, der sich, nach der im Hamburger Völkerkundemuseum 1950, dann 1951 eine weitere anschloss. In diesem Jahr nahm er auch den Namen seiner Geburtsstadt an. In der Folge ging er ähnliche Wege wie die Künstler des „Informel“, beispielsweise Karl Fred Dahmen, K. O. Götz, Gerhard Hoehme, Bernard Schultze, Emil Schumacher, Fred Thieler und Hann Trier. 1982 stellte er aber selbst die Frage, ob er überhaupt ein „informeller“ Künstler sei, also jemand, der ausnahmslos nach dem Prinzip des Formlosen arbeite, das in seiner Entstehungszeit, ab Mitte der 1940er Jahre, gegen die geometrische Abstraktion gerichtet war.

Nach diesem Kriterium allein, so Werner Schmalenbach, könne „die Kunst eines so ausgezeichneten Künstlers wie Sonderborg nicht etikettiert werden. […] Daß sie dem Tempo huldigt, ist offenbar. Aber das betrifft schließlich nicht den geistigen Inhalt der Bilder, sondern nur den Stil, in dem sich die geistige Beunruhigung hier äußert“.

Sonderborg fand in den 1950er/1960er Jahren, als Bewegung und Geschwindigkeit entscheidenden Einfluss auf die avantgardistischen Künste hatte, die Inspiration für seine Arbeit eher auf der Straße als im Museum, in der Kunstgeschichte, in der er ohnehin keine Vorbilder sah. Sonderborg war Teilnehmer der documenta II (1959) und der documenta III im Jahr 1964 in Kassel.

ZEN 49 und Action Painting

Willi Baumeister, Cavael, Fietz, Geiger, Hempel und Meier-Denninghoff gründeten 1949 die Gruppe ZEN 49, der sich Sonderborg 1953 nach Auffassung Baumeisters angeschlossen hatte. Niederschläge dieser eher kontemplativen und spirituellen Richtung finden sich in Sonderborgs Arbeit zum Beispiel in seiner meditativ anmutenden „Zeichnung, 5. August 1953“. Andererseits wurde er aber auch von einer Außenwelt vorangetrieben, die dem Dynamismus der Aufbruchszeit 50er Jahre huldigte und sich in entsprechenden Charakterisierungen wie „Überschall, 25. September 1953“ äußerte. Überhaupt hat es in allen seinen Schaffensphasen parallel zueinander stillere, nach innen gerichtete, und „vorwärts“ signalisierende Zeichnungen und Bilder gegeben.

Sonderborg wechselt oft seinen Lebensmittelpunkt, was Kritiker zu der Vermutung brachte, dass er nicht nur in seiner Kunst, sondern auch in seinem Leben die Bewegung benötigt. In Paris, dem Mekka der Künstler in den 1950er/60er Jahren, unterhielt er lange eine Wohnung. Aber auch in Chicago oder Berlin hielt er sich immer wieder auf. Es ist bekannt, dass er auch in fortgeschrittenem Alter noch ein Swingboy war, der gerne gut isst, tagelang um „die Häuser zieht“ und ausgiebig die lokalen Jazz-Clubs frequentiert.

Nach Detlef Bluemler dauert dieser Zustand des Verharrens und Abwartens oft Tage, bis der Mal-Akt selbst beginne. Mit Vorliebe nutze er Hotelzimmer oder einen sonstigen Raum, in dem er sich ausbreiten könne, als Atelier. Auf dem Fußboden ordne er Leinwände, Zeichenkartons, Farben, Pinsel, Spachtel, Scheibenwischer, Kratzer, Messer und andere Utensilien griffbereit an. Im Malprozeß selbst erreiche er „ein Höchstmaß an Wachheit und Konzentration“, das ihn jedoch „nicht an einer gleichzeitig bestehenden, kontemplativen Ruhe und Übersicht hindert“. Da Sonderborg lange Zeit kein festes Atelier hatte sondern vorwiegend in Hotelzimmern arbeitete bezeichnete man ihn auch als Maler ohne Atelier.[1]

Oft dauere es Stunden, bis er alles vorbereitet habe. Häufig korrigiere er die Anordnung der Hilfsmittel, um sich später einen exakten Bewegungsablauf garantieren zu können. Im Verlauf dieser Tätigkeiten wachse seine innere Anspannung und entlade sich dann mit einem Mal, so dass er plötzlich mit großer Energie und Geschwindigkeit loslege, ähnlich wie dies die Anhänger des Action Painting tun. Dabei mache er sich die schnelle Trocknung von Eitempera oder Acrylfarbe zunutze. Hielte er die Arbeit für abgeschlossen, so gebe er ihr einen Titel. Seit den 1960er Jahren bestehen diese Titel bei Sonderborg lediglich aus Datierungen, etwa in der Form 3. Mai 1963, 21.02-21.21 h. Nach eigener Aussage lehnte er jede interpretatorische Angabe zu seinen Arbeiten ab und wollte lediglich darauf hinweisen, wann, wo und zu welcher Zeit sie entstanden waren.

Fasziniert war er von der Dynamik der Mahlstöme wie der Moskenstraumen zwischen den Inseln der Lofoten, den er mehrmals bereiste. In seine Bildern finde man immer wieder diese kreisenden, dynamischen Wirbel.[2]

Gelegentlich wirken Sonderborgs Arbeiten aber auch fast gegenständlich, insbesondere wenn er sich der Technik der Federzeichnung bedient. Dabei muss er schon technisch bedingt bedächtiger zu Werke gehen und kann auch nicht fortwährend ab- und wieder neu ansetzen. Dennoch zeigt er auch hier durch Abschaben oder Abkleben von Linien einen ungewöhnlichen Duktus.

Rezeption

Die kunsthistorische Position des Informel und insbesondere die von K. R. H. Sonderborg wird uneinheitlich rezipiert. Wie Götz, Hoehme, Schultze, Thieler und Trier war auch er in der Londoner Ausstellung „Deutsche Kunst im 20. Jahrhundert“ der Royal Academy nicht vertreten. Dies verwundert, betraf es doch jene Künstler, die nach dem 12-jährigen Nazi-Terror eigentlich die wiedereroberte künstlerische Freiheit symbolisierten. Die Stuttgarter Staatsgalerie, die die Ausstellung aus London übernahm, gewährte Sonderborg jedoch 1987 eine große Einzelschau, der die Stadt in ihrer Galerie, verbunden mit dem Molfenter-Preis, 1988 eine weitere folgen ließ.

Auszeichnungen

Quellen

Einzelnachweise

  1. Alexander Klar: K. R. H. Sonderborg, Maler ohne Atelier. Kunsthalle in Emden, Emden 2003
  2. Alexander Klar: K. R. H. Sonderborg, Maler ohne Atelier. Kunsthalle in Emden, Emden 2003

Literatur

  • Will Grohmann: K. R. H. Sonderborg. In: Quadrum. 1961, Nr. 10, S. 131.
  • Wolfgang Kermer: Vollständiges Literatur- und Ausstellungsverzeichnis. In: Kat. K. R. H. Sonderborg. Ulmer Museum, Ulm 1977, S. 30-32, 34-36, 39, 42, 44.
  • Hans Platschek: K. R. H. Sonderborg: Eine Vorgeschichte. In: Kat. K. R. H. Sonderborg. XPO Galerie, Hamburg 1985, S. 6ff.
  • Georg-W. Költzsch (Hrsg.): Deutsches Informel. Symposion Informel, 2. Aufl., Berlin 1986, S. 123.
  • Werner Haftmann: K. R. H. Sonderborg. In: Kat. K. R. H. Sonderborg. Ulmer Museum, Ulm 1977, S. 10.
  • Werner Schmalenbach: K. R. H. Sonderborg. In: Hermann Reusch u. a. (Hrsg.): Junge Künstler 1958/59. Köln 1958, S. 51.
  • Una E. Johnson: Drawings of the Masters. 20th Century Drawings, Part 11.1940 to the Present, New York 1964, S. 138.
  • Helmut Heißenbüttel: Die Zweifel des Informellen. In: Kat. K. R. H. Sonderborg, Chicago Series 1986. Galerie der Stadt Stuttgart 1987, S. 9
  • K. R. H. S. In: Kat. aktiv-abstrakt, Neue Malerei in Deutschland. Städt. Galerie München 1957.
  • Werner Haftmann: Malerei im 20. Jahrhundert. München 1954, S. 463.
  • Ausstellungskatalog: K.O. Götz - K.R.H. Sonderborg, Kestner-Gesellschaft, Hannover, 1956
  • Alexander Klar: K. R. H. Sonderborg, Maler ohne Atelier. Kunsthalle in Emden, Emden 2003.
  • Stuttgarter Begegnungen: die Schenkung Wolfgang Kermer; Städtische Galerie Neunkirchen, 18. Mai – 24. Juni 2005 / [Hrsg.: Neunkircher Kulturgesellschaft gGmbH; Nicole Nix-Hauck. Katalog: Wolfgang Kermer]

Weblinks


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