Luftangriff auf Lübeck

Luftangriff auf Lübeck
Ehrenfriedhof Lübeck: Gräberfeld der zivilen Opfer des Bombenangriffes auf Lübeck am 29. März 1942 (Skulptur Die Trauernde)

Der Luftangriff der Royal Air Force auf die Hansestadt Lübeck in der Nacht zum Palmsonntag (28./29. März)[1] 1942 war der erste erfolgreiche Test des Flächenbombardements eines historischen deutschen Großstadtkerns und damit der erste diesbezügliche "Erfolg" des RAF Bomber Command im Zweiten Weltkrieg. Der Angriff markierte den Beginn der am 14. Februar 1942 beschlossenen britischen Moral Bombing Strategie dar.

Inhaltsverzeichnis

Angriff und Folgen

Lübecker Dom nach dem Angriff
Ruinen des Kaufmannsviertels westlich der Lübecker Marienkirche

Für die englischen Bomber herrschten ausgezeichnete navigatorische Sichtflugbedingungen beim Anflug auf die Großstadt. Am Samstagabend des 28. März 1942 schien ein voller Mond bei frostklarer Nacht, so dass die Oberflächen von den Gewässern der Trave, des Elbe-Lübeck-Kanals und der Wakenitz rund um die Altstadt der Stadt an der Lübecker Bucht das helle Mondlicht in den frühen Morgenstunden des folgenden Palmsonntags reflektierten. Ab 23:18 Uhr, dem Beginn des Fliegeralarms, warfen 234 Vickers Wellington und Stirling Bomber bis zum Ende des Angriffs gegen 2:58 Uhr etwa 400 Tonnen Bomben, darunter etwa zwei Drittel oder 25.000 Brandbomben ab. Die RAF Bomber Command verlor bei diesem Einsatz zwölf ihrer Maschinen, 191 der zurückgekehrten Maschinen wollen im Angriff erfolgreich gewesen sein. Einige der eingesetzten Maschinen verfügten bereits über das neue System der GEE (Navigation), das zu diesem Zeitpunkt von der deutschen Seite noch nicht gestört werden konnte. Obwohl GEE nicht bis nach Lübeck reichte, erhöhte sich durch das System jedoch die Sicherheit für einen großen Teil der An- und Abflugstrecken der eingesetzten Bomberverbände.

Der Angriff lief in drei Angriffswellen ab. Infolge der geringen Gegenwehr der fünf schweren und vier leichten Flak-Batterien konnten die englischen Bomber-Crews aus einer sehr niedrigen Flughöhe von nur 2.000 Fuß (etwa 600 m) die Ziele präzise belegen.

Die abgeworfenen Sprengbomben öffneten die Ziegeldächer der backsteingotischen Häuser und die Kupferdächer der mittelalterlichen Kirchen. Sie legten Dachstühle -oft nicht entrümpelt, wie es für den Luftschutz vorgesehen war- mit großen Mengen trockenen Holzes frei, das von den Brandbomben entzündet wurde und mehrere Tage lang brannte. Auf der Altstadtinsel wurde ein etwa 300 m breiter Streifen als Schneise vom Lübecker Dom in Richtung Marienkirche mehr oder weniger dem Erdboden gleich gemacht. Ein weiteres kleineres Gebiet nördlich der Aegidienkirche am Balauerfohr war genauso hart betroffen wie weite Teile der Vorstadt Lübeck-St. Lorenz westlich des Holstentores und des Lübecker Hauptbahnhofs. Der nordöstliche Teil der Altstadt sowie die beiden verbliebenen großen Kirchen, St. Jakobi und St. Aegidien, blieben relativ unbeschädigt.

Nach den Angaben der Polizei verloren 320 Personen ihr Leben, drei blieben vermisst, 783 wurden verletzt. Mehr als 15.000 Lübecker verloren das Dach über dem Kopf, da 1.468 Gebäude völlig zerstört, 2.180 schwer und 9.103 leicht beschädigt wurden. Der Verkehr der Lübecker Straßenbahn blieb bis zum Jahr 1945 unterbrochen.

Hintergrund

Anderthalb Jahre zuvor hatten die Engländer bei dem wirkungsvollen Angriff der Luftwaffe (The Blitz) auf die in der Innenstadt von Coventry gelegenen Rolls-Royce Triebwerkfabriken einen Eindruck von der moralischen Wirkung eines großflächigen Angriffs auf eine gewachsene Stadt erhalten. Vor diesem Hintergrund wurde die in der Vorkriegszeit formulierte Trenchard-Doktrin zu Beginn des Jahres 1942 zur Area Bombing Directive fortentwickelt. Diese Anweisung von Mitte Februar war von dem eine Woche später ernannten Air Officer Commanding Bomber Command Arthur Harris umzusetzen. Er schrieb hierzu nach dem Krieg 1947, dass Lübeck hätte in Flammen aufgehen müssen, weil es eine Stadt von überschaubarer Größe gewesen sei, mit einem Hafen von gewisser Bedeutung mit einer U-Boot Werft[2] in Stadtnähe. Es sei kein wichtiges Ziel gewesen, aber es sei ihm zweckmäßiger erschienen, zunächst eine Industriestadt von mittlerer Bedeutung zu zerstören, als bei der Zerstörung einer großen Industriestadt womöglich zu versagen.[3]

Danach könnte entgegen landläufiger Vermutung der angelsächsische Pragmatismus und nicht die Frage der Vergeltung[4] der Grund dafür gewesen sein, dass sich der erste Angriff des moral bombing gegen Lübeck richtete. Sie war eine Stadt der entsprechenden Kategorie mit für den geplanten Angriff unmittelbar vor Einsatzbeginn optimalen Wetterbedingungen. A. C. Grayling hingegen meint, dass Lübeck auf Grund der in Coventry gemachten Erfahrungen von den Stäben der RAF gezielt ausgesucht wurde, um die Wirkung eines moral bombing mit einem sehr hohen Anteil von Brandbomben in einer dicht besiedelten größeren Altstadt ausprobieren zu können.[5]

Die nationalsozialistische Propaganda unter Joseph Goebbels war offensichtlich von der Wirkung des Angriffs auf Lübeck in der deutschen Bevölkerung so beeindruckt, dass unverzüglich die groß inszenierten aber weitgehend wirkungslosen Baedeker-Angriffe auf englische Mittelstädte, beginnend mit Exeter am 23. April 1942, als Vergeltung eingeleitet wurden.

Lübecker Märtyrer

Gedenktafel in den Wallanlagen beim Untersuchungsgefängnis Hamburg

Die Lübecker Märtyrer waren eine Gruppe von drei katholischen und einem evangelischen Geistlichen. Der lutherische Pastor Karl Friedrich Stellbrink ordnete in seiner Predigt am Palmsonntag die Ereignisse der vergangenen Nacht als Gottesurteil ein und machte sich damit in den Augen der Nationalsozialisten der Wehrkraftzersetzung schuldig. Alle vier Geistlichen wurden kurze Zeit darauf verhaftet, 1943 vom Volksgerichtshof auf einer auswärtigen Sitzung in Lübeck zum Tode verurteilt und gemeinsam kurz nacheinander am 10. November 1943 in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg am Holstenglacis durch Enthauptung hingerichtet.

Rotkreuz-Hafen

Carl J. Burckhardt

1944 erreichte es Eric M. Warburg als Verbindungsoffizier zwischen den Generalstäben von US Army Air Force und RAF in Zusammenarbeit mit dem schweizerischen Diplomaten und ehemaligen Völkerbundskommissar für Danzig Carl Jacob Burckhardt als Präsidenten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, Lübeck als Versorgungshafen des Roten Kreuzes vor weiteren größeren Luftangriffen zu schützen. Über Lübeck wurden die alliierten Kriegsgefangenen in deutschen Lagern mit Post und Lebensmitteln versorgt. Diese Maßnahmen wurden vom schwedischen Roten Kreuz unter Federführung seines Vizepräsidenten Folke Bernadotte mit Frachtschiffen unter schwedischer Flagge von Göteborg aus durchgeführt. Das schwedische Rote Kreuz transportierte die zu verteilenden Güter mit Lastwagen von Lübeck weiter. Bernadotte organisierte auch die Rettungsaktion der Weißen Busse, benannt nach den weißen Omnibussen, die vom Hauptquartier in Friedrichsruh in ganz Norddeutschland unterwegs waren, im wesentlichen jedoch das nahegelegene Konzentrationslager Neuengamme zu betreuen hatten, in dem die Nazis vereinbarungsgemäß die dänischen und norwegischen Häftlinge zusammen zogen.

Wiederaufbau und Gedenkstätte

Siehe auch Hauptartikel: Wiederaufbau Lübecks

Gedenkstätte mit herabgestürzten Glocken im Südturm der Marienkirche

Unter den Kriegs- und Nachkriegsbedingungen ließen sich die angehäuften Schuttberge nur schwer beseitigen. Von geschätzten 700.000 m³ Schutt waren Ende 1948 noch 100.000 m³ zu räumen. Der Schutt wurde mit Lorenbahnen abtransportiert. Aufgrund des Vorrangs für St. Marien wurde der Dom erst 1982 und die St. Petri 1986 wiederhergestellt.

Die verbliebenen und wieder erbauten Gebäude der Altstadtinsel bilden heute als Flächenkulturerbe einen Bestandteil des Welterbes der UNESCO. Das wichtigste Denkmal des Luftangriffs des Jahres 1942 sind die heruntergefallenen Glocken im Südturm der Marienkirche. Die zivilen Opfer des Angriffs wurden auf dem Ehrenfriedhof in einem Sammelgrab beigesetzt.

Literatur

  • Thorsten Albrecht: Lübeck in Farbe. Farbfotografien von 1928 bis 1943. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2008. ISBN 978-3-86568-410-3.
  • Peter Guttkuhn: 28./29. März 1942: ... und Lübeck sollte sterben ... In: Vaterstädtische Blätter. 33. Jg., Lübeck 1982, S. 3-6.
  • Antjekathrin Graßmann: Lübeckische Geschichte. 2. überarbeitete Auflage, Schmidt-Römhild, Lübeck 1989, S.723-728. ISBN 3-7950-3202-4, S. 723-728
  • A. C. Grayling: Among the dead cities. (Engl.) Bloomsbury, London 2006, ISBN 0-7475-7671-8, S. 50f.
  • Arthur Harris: Bomber Offensive. (Engl.) 1947; Paperback: Pen & Swords, 2005, ISBN 1844152103, S. 105
  • Lutz Wilde: Bomber gegen Lübeck. Eine Dokumentation der Zerstörungen in Lübecks Altstadt beim Luftangriff im März 1942. Schmidt-Römhild, Lübeck 1999. ISBN 3-7950-1235-X.

Quellen und Anmerkungen

  1. Die Erinnerung und das Gedenken ist in Lübeck an Palmarum, an die an diesem Tage stattfindenden Konfirmationen und nicht an den Kalendertag geknüpft.
  2. Flender-Werke
  3. Harris:Bomber Offensive. S.105
  4. Anm.: In Lübeck wird der Luftangriff immer wieder als späte Vergeltung für den deutschen Luftangriff von 1940 auf Coventry gesehen.
  5. A. C. Grayling: Among the dead cities. S.50ff

Siehe auch

Weblinks


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