Rhetoriker

Rhetoriker

Rhetorik (griechisch ῥητορική [τέχνη] rhetorikē (technē) „die Redekunst“) ist die Kunst der Beredsamkeit. Sie stammt aus der griechischen Antike und spielte insbesondere in den meinungsbildenden Prozessen in Athen eine herausragende Rolle.

Die Aufgabe der Rede ist es, den Zuhörer von einer Aussage zu überzeugen oder zu einer bestimmten Handlung zu bewegen. Insofern die Rhetorik die Kunst der Rede ist, stellt sie hierzu die Mittel bereit, als Theorie der Überzeugung analysiert sie diese. Schon bevor die erste explizite Theorie der Überzeugung von Aristoteles ausgearbeitet worden war, gab es die Praxis der Rhetoriklehrer und existierten Rhetorikhandbücher. Die Rhetoriker gehörten zudem teilweise zur Bewegung der Sophisten und legitimierten die Überredung mit der Ansicht, dass eine Wahrheit nicht existiere oder wenn, sie nicht erkennbar sei. Im Mittelalter gehörte die Rhetorik neben Logik und Grammatik zum Trivium des in der Antike entstandenen Kanons der Sieben freien Künste.

In der Aufklärung wurde der Rhetorik vorgeworfen, den Fokus nicht auf die Vernunft und die rationale Erkenntnis zu lenken, und sie wurde zunehmend aus dem Alltag, den Wissenschaften und dem Denken verdrängt. Daher wird unter Rhetorik meist nur noch eine Technik der Rede und der Textanalyse bzw. eine Theorie und Praxis der Rede und des Gesprächs verstanden. Wissenschaftliche Arbeiten zur Rhetorik beschäftigen sich - vor allem seit der Mitte des 20. Jahrhunderts - überwiegend mit dem Gespräch sowie mit Fragen der Rede- und Gesprächspädagogik; die Forschungen kommen aus unterschiedlichen Wissensgebieten: der Sprechwissenschaft, der Linguistik, der Psychologie, der Pädagogik, der Soziologie u. a.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte der Rhetorik

Rhetorik in der Antike

Die Geschichte der Rhetorik beginnt in der griechischen Antike. In den Stadtstaaten des antiken Griechenlands, in denen Teilhabe der männlichen Vollbürger an den politischen und rechtlichen Entscheidungen existierte, spielte die Rhetorik eine große Rolle. Streitigkeiten beispielsweise um offene Grundstücksfragen nach Tyrannenvertreibungen oder um unterschiedliche politische Positionen, die für die Allgemeinheit relevant waren, führten dazu, sich tiefergehend mit der Kunst der öffentlichen Rede zu beschäftigen. Wer zu seinem Recht kommen wollte, musste sein Anliegen vor Gericht persönlich vortragen. Da die breiten Schichten der Bevölkerung längst nicht ausreichend gebildet waren, suchten sie sich Redelehrer – wie Korax oder dessen Schüler Gorgias – die ihnen beim Ausarbeiten der Reden halfen oder dies übernahmen. Zwar hat es die praktische Beredsamkeit schon immer gegeben (bereits die Homerischen Epen reflektieren darüber), Lehre dieser Kunst entwickeln sich jedoch erst im 5. Jahrhundert v. Chr. aus praktischen Bedürfnissen heraus. So entstanden auch Lehrbücher der Rhetorik, die alle Arbeitsschritte von der Konzeption der Rede, dem Finden und Anordnen passender Argumente, ihrer wirkungsvollen sprachlichen Ausgestaltung bis zum Auswendiglernen der Rede und dem mündlichen Vortrag regelten.

Korax befasste sich wohl als erster mit der überzeugenden Rede und dem Wahrscheinlichkeitsschluss. Wesentliche Elemente der Rhetorik wie Beweismittel, Indizien und Schlussfolgerung, Überredung und der richtige Zeitpunkt eines bestimmten Argumentes tauchen hier bereits auf, wenn auch noch nicht systematisiert.

Auch in Platons Dialogen (Gorgias) werden Auseinandersetzungen über die Redekunst geführt. Die zentrale Unterscheidung ist dabei die zwischen Philosophen und Sophisten. Der Unterschied wird erkenntnistheoretisch wie ethisch begründet: Dem Sophisten geht es nur um die Überredungskraft der Rede, selbst wenn das Gegenüber von etwas Falschem oder Widersprüchlichem überzeugt werden soll. Diese Position ist zwar erfolgreich, aber ethisch fragwürdig; dem wahren Philosophen kann es nur darum gehen, durch die Rede zur Wahrheit hinzuführen. Sokrates wird dabei die Mäeutik (im metaphorischen Sinne) zugeschrieben, die „Hebammenkunst“ des geschickten Fragens und Ausdeutens von Paradoxen, durch die ein Gegenüber „von selbst“ zur Wahrheit findet. Eine positiv verstandene Rhetorik kann deshalb, wie Platon im Phaidros ausführt, nur Seelenleitungskunst (Psychagogie) sein. Es ist jedoch heute umstritten, ob nicht die gesamten platonischen Dialoge eine Sophistik ganz eigener Art vorführen.

Aristoteles entwickelte in seiner Rhetorik als erster eine systematische Darstellung der Redekunst. Er definiert sie als „Fähigkeit, bei jeder Sache das möglicherweise Überzeugende (pithanon) zu betrachten“ (Rhet. I 2, 1355b26f.) und betrachtet sie als Gegenstück zur Argumentationstheorie der Dialektik (Rhet. I 1, 1354a1). Aristoteles unterscheidet zwischen drei Formen der Überzeugung (Rhet. II 1, 1356a2-4):

  • dem Charakter des Redners (ethos);
  • dem emotionalen Zustand des Hörers (pathos);
  • dem Argument (logos).

Das Argument hält er für das wichtigste Instrument. (Rhet. I 1, 1355a7f.) Der Rhetoriker überzeugt vor allem damit, dass er aus den vorliegenden Überzeugungen der Zuhörer die gewünschte These ableitet. Diese Form des Arguments nennt er Enthymem.[1] Für diese Enthymeme liefert er zahlreiche Konstruktionsanleitungen - sogenannte Topen - etwa:

„Ein weiterer (Topos ergibt sich) aus dem Eher und Weniger, wie zum Beispiel: 'Wenn schon die Götter nicht alles wissen, dann wohl kaum die Menschen.' Denn das bedeutet: Wenn etwas dem, dem es eher zukommen könnte, nicht zukommt, dann ist offensichtlich, dass es auch nicht dem zukommt, dem es weniger zukommen könnte.“

Rhet. II 23, 1397b12-15.

Aristoteles kritisiert an seinen Zeitgenossen das sachfremde Erregen von Emotionen, etwa wenn der Angeklagte seine Familie mitleidserregend während der Verhandlung auftreten lässt. Hierdurch werde ein sachbezogenes Urteil beim Richter verhindert. (Rhet. I 1) Seine eigene Theorie der Emotionserregung zielt hingegen darauf ab, dass bestehende Sachverhalte hervorgehoben werden und so die adäquaten Emotionen gefördert und inadäquate verhindert würden.[2] Der Charakter des Redners überzeugt schließlich dann, wenn er glaubwürdig erscheint, d.h. wenn er wohlwollend, gut und tugendhaft ist. (Rhet. I 2, 1356a5-11; II 1, 1378a6-16)

Die optimale sprachliche Form einer Rede sei dann erreicht, wenn sie primär klar, dabei aber weder banal noch erhaben erscheint. (Rhet. III 2, 1404b1-4) Hierdurch werde sowohl das Verständnis als auch die Aufmerksamkeit gefördert. Als besonders geeignet hierfür erklärt er das Stilmittel der Metapher.

Römische Rhetorik

Die systematische Rhetorik wurde zu einer langlebigen Textsorte. Cicero und Quintilian übersetzten und ergänzten die aristotelische „Rhetorik“ und publizierten eigene Lehrbücher. Im Mittelalter wurden diese Quellen zur Grundlage des Triviums (Grammatik, Dialektik, Rhetorik), das an den Universitäten Europas das Grundstudium und die Grundlage jeder intellektuellen Tätigkeit bildete.

Rhetorik in der Neuzeit

Für die gesamte Frühe Neuzeit (16.-18. Jahrhundert) ist die Rhetorik die unbestrittene Grundlage der Literatur und ihrer Theorie, der Poetik. Dichter wie Martin Opitz oder Georg Philipp Harsdörffer verfassten deutschsprachige Poetiken, deren Struktur und Inhalt sich am Vorbild der Rhetoriken orientierte. Das Gedicht galt als Rede im Sinne der Lobrede, und vom Poeten wurde Gelehrsamkeit und rhetorische Schulung verlangt. Vorbild für diesen Prozess der Vernakularisierung war die lateinische Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde mit dem Aufkommen der Genieästhetik unter deutschen Intellektuellen die Rhetorik abgewertet. Reden sollten nunmehr überzeugend wirken, weil sie aus dem Inneren der Seele oder des Herzens flossen, und nicht mehr, weil eine bestimmte Technik möglichst geschickt angewandt wurde. Diese Abwertung führte dazu, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts die Rhetorik als Lehrfach zunehmend verschwand. Goethe, der einer der größten Gegner der rhetorischen Kunstlehre war und diese als Schule des Verstellens bezeichnete, hatte dabei selbst eine rhetorische Ausbildung genossen. Die Rhetorik fördere das Aufwieglertum und sei eine Technik, mit der es dem Redner möglich sei, „gewisse äußere Vorteile im bürgerlichen Leben zu erreichen“. Immanuel Kant wertet in seiner Kritik der Urteilskraft die Rednerkunst als eine Methode ab, sich der Schwächen des Gegners zu bedienen, weshalb sie „gar keiner Achtung würdig“ sei. Walter Jens führt das schlechte Ansehen der Rhetorik in Deutschland u. a. auf das feudalistische System vieler Territorialherren zurück. Die Rhetorik sei vom Wesen her Sprachmacht der Vernunft, die über Moral und Humanität reflektiere und keine bloße Technik. Die abendländische Beredsamkeit sei aber durch das Untertanendenken zur Dürftigkeit deutscher Zeremonialrhetorik abgesunken. Bismarck selbst, obwohl großer Redner, habe die Rhetorik verachtet und sei stolz darauf gewesen, kein Rhetor gewesen zu sein. In der Missachtung des Wortes gegenüber der Tat zeigten sich Reste einer Untertanengesinnung, die nur Befehlen und Gehorchen kenne. Dieses Fehlen einer rhetorischen Tradition in Deutschland gegenüber England und Frankreich sei ein Grund für die Anfälligkeit gegenüber massenpsychologischer Propaganda gewesen. Auch für Nietzsche beginnt die Bedeutung der Rede erst mit der politischen Form der Demokratie.

In Frankreich dagegen, wo seit dem Mittelalter der Einfluss der antiken Rhetoriker am meisten spürbar war (im geistlichen Bereich u. a. Bossuet und Louis Bourdaloue), wurde durch die Französische Revolution ein weiterer Aufschwung in der öffentlichen Beredsamkeit ausgelöst. In England förderte das Parlament die Ausbildung von Rhetorikern, wie William Pitt, Edmund Burke, William Ewart Gladstone, Charles James Fox und Thomas Babington Macaulay.

Rhetorik im 20. Jahrhundert

Im 20. Jahrhundert wurde die Rhetorik von einer Reihe von Theoretikern aus unterschiedlichen Perspektiven (Studium der Massenkultur, Theorie der Argumentation, Grundlegung der Literaturwissenschaft etc.) wieder 'entdeckt'. Zu den prominenten Beispielen dieses erneuerten Interesses an der Rhetorik zählen Roland Barthes, Ed Black, Wayne C. Booth, Kenneth Burke, Karlyn Kohrs Campbell, Dale Carnegie, Edward P. J. Corbett, Jacques Derrida, G. Thomas Goodnight, James Kinneavy, Richard A. Lanham, Paul de Man, Michael Calvin McGee, Marie Hochmuth Nichols, Jean Paulhan, Chaim Perelman, Robert Pirsig, I. A. Richards, Stephen Toulmin, Lucy Olbrechts Tyteca und Richard M. Weaver.

Nur an wenigen Universitäten (z. B. der Eberhard-Karls-Universität Tübingen oder der Paris-Lodron-Universität Salzburg) wird Rhetorik noch als eigenes Fach gelehrt. Die Sprechwissenschaft und Sprecherziehung hingegen beschäftigt sich lehrend und forschend überwiegend mit der angewandten rhetorischen Kommunikation. In der modernen Linguistik werden rhetorische Fragen beispielsweise im Rahmen der Gesprächsanalyse behandelt. Inzwischen wurde die rhetorische Tradition auch in der Literaturwissenschaft rehabilitiert. Als Gebrauchsrhetorik (etwa als Rhetorik für Manager) hat sie auch wieder ihren Platz in den Bücherregalen, wenn auch meistens auf den unmittelbaren und manchmal zweifelhaften Gebrauchswert reduziert.

Begriff der Rhetorik

Dass der Gebrauch der Bezeichnung Rhetorik heute in so unterschiedlichen Kontexten und Bedeutungen erfolgt, hat mit ihren zwei wesentlichen Dimensionen zu tun: Einerseits ist sie Praxis, andererseits ist sie Theorie. Rhetorik war immer Kunstlehre und Kunstübung zugleich. Bis ins 17. Jahrhundert erfolgte eine Differenzierung zum einen in die 'rhetorica' oder 'rhetorica docens' als Bezeichnung für die Theorie ('Redekunst'), zum anderen in die 'oratoria', 'eloquentia' oder 'rhetorica utens' für die Praxis ('Beredsamkeit'). Heute bemüht sich die Wissenschaft um eine terminologische Unterscheidung in 'Allgemeine Rhetorik' (für die Theorie) und 'Angewandte Rhetorik' (für die Praxis). Rhetorik-Trainer und Ratgeber-Autoren ignorieren dies allerdings weitgehend. Insofern ist das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis hierzulande stark gekennzeichnet durch gegenseitige Ignoranz und Arroganz.

Unter „Angewandte Rhetorik“ kann man die Disziplin der praktischen Rede verstehen. Dabei macht jemand bewusst oder unbewusst Gebrauch von den Regeln und Techniken, die im historisch entstandenen System der „Allgemeinen Rhetorik“ formuliert sind. Als konkrete Anleitung zur verbalen wie schriftlichen Kommunikation umfasst sie Ausbildung und Übung des wirkungsorientierten Sprechens, Verhaltens und Schreibens. Erkenntnisse der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung fließen dabei heute ebenso ein wie Erkenntnisse der Psychologie und Linguistik (Sprachlehre). Die Angewandte Rhetorik bezieht sich vor allem auf die Redepraxis in der Wirtschaft, in der Politik und vor Gericht; doch sind auch das therapeutische Gespräch oder die private Kontroverse von ihr geprägt. Da sie sich nicht nur auf den Monolog, sondern ebenso auf den Dialog bezieht, beschäftigt sie sich ebenso mit Dialektik (im sokratischen Sinne) und wird gelegentlich auch als 'Gesprächsrhetorik' (siehe Sprecherziehung) bezeichnet.

System der Rhetorik

Produktionsstadien einer Rede

Von der Idee bis hin zum Vortrag sind fünf Schritte (officia oratoris bzw. rhetorices partes) zu durchlaufen:

  1. inventio: Auffindung der Argumente. Wichtigstes Hilfsmittel ist dabei die Topik.
  2. dispositio: Gliederung des Vortrags
  3. elocutio: Einkleidung der Gedanken in Worte (Redeschmuck, ornatus); die sprachliche Gestaltung (Wahl der Worte, Rhetorische Figuren, kommunikative Direktion, Satzbau, Pausen)
  4. memoria: Einprägen der Rede für den auswendigen Vortrag (Memoria); Auswendiglernen durch Mnemotechnik, etwa durch bildliche Vorstellungen
  5. pronuntiatio / actio: Öffentlicher Vortrag, bei dem stimmliche, mimische und gestische Mittel eingesetzt werden. Die stimmliche Ausführung (Lautstärke, Tempo und Pausensetzung, Artikulation, Timbre, Prosodie); Mimik, Gestik und Haltung (Blick- bzw. Augenkontakt, Physiognomie, persönliche Präsenz, Körpersprache)

In der klassischen Rhetorik gilt für die Entwicklung einer Rede die Differenz zwischen Gegenständen und Gedanken einerseits und ihrer sprachlichen Formulierung andererseits.

Redegattungen

Aristoteles unterscheidet in seiner Rhetorik drei Gattungen:

  1. Gerichtsrede (gr. γένος δικανικόν (génos dikanikón), lat. genus iudiciale)
  2. Beratungsrede; politische Entscheidungsrede (gr. γένος συμβουλευτικόν (génos symbouleutikón), lat. genus deliberativum)
  3. Lob- und Festrede (gr. γένος ἐπιδεικτικόν (génos epideiktikón), lat. genus demonstrativum oder genus laudativum)

Während in der Gerichtsrede über Vergangenes geurteilt wird (z. B. Hat der Angeklagte Herrn XY ermordet?), geht es in der politischen Entscheidungsrede um ein in der Zukunft liegendes Thema (zum Beispiel: Soll Krieg geführt werden oder nicht?). In beiden Fällen aber geht es um eine aktive Entscheidung, die durch die Rede beeinflusst werden soll. Im Falle der Lob- und Festrede dagegen bleibt das Publikum weitgehend unbeteiligt.

In der weiteren Geschichte der Rhetorik wurde diese Gattungstrias normativ verstanden. Erst in der Spätantike wurde sie um weitere rhetorische Textsorten wie den Brief, den Lehrvortrag (Sachrede) oder die Predigt erweitert. In der Sachrede werden dem Zuhörer feststehende Tatsachen nahegebracht. Die Predigt ist dazu da, dem Publikum aus der Bibel (vor allem dem Evangelium) zu erzählen und diese(s) zu erklären und verständlich zu machen.

Redeteile

Die einzelnen gedanklichen Abschnitte einer Rede werden bezeichnet als partes orationis (Teile einer Rede).

  1. Einleitung (exordium/prooemium) – Der Redner versucht, das Wohlwollen des Publikums zu erlangen und seine Aufmerksamkeit sicherzustellen.
  2. Erzählung (narratio) – Darauf folgt eine Schilderung des Sachverhaltes, um den es geht; bei der Gerichtsrede wird hier der Fall erzählt.
  3. Gliederung (propositio) der nachfolgenden Beweisführung
  4. Beweisführung (argumentatio) – Der eigentlich argumentierende Teil der Rede, in dem der Redner für die Glaubwürdigkeit seiner Sache argumentiert (confirmatio). Kann auch die Widerlegung der gegnerischen Argumente umfassen (confutatio).
  5. Redeschluss (peroratio/conclusio) – Schluss: Hier kann z. B. noch einmal an die Emotionen des Publikums appelliert werden.

Wirkungsweisen einer Rede

Officia oratoris heißen die Wirkungsweisen der Rede:

  • docere et probare (belehren, argumentieren)
  • conciliare et delectare (gewinnen, erfreuen)
  • flectere et movere (rühren, bewegen)

Stilhöhen einer Rede

Die antike Stiltheorie unterschied v. a. drei Stilebenen für Reden, die teilweise lose mit den Wirkungsweisen verknüpft wurden. Welche Stilebene wann zu wählen sei, war Gegenstand heftiger Debatten, von denen etwa Ciceros Orator Zeugnis ablegt. Cicero plädiert dafür, die Stilebene je nach dem Gegenstand der Rede zu wählen:

  • genus humile oder subtile: schlichter Stil ähnlich der Alltagssprache, arbeitet besonders mit einfacher Argumentation
  • genus medium oder mixtum: mittlerer bzw. gemischter Stil, typisch etwa für den wissenschaftlichen Vortrag
  • genus grande oder sublime: gehobener bzw. erhabener Stil, steht der dichterischen Sprache nahe, arbeitet stark mit Affekterzeugung

Monolog und Dialog

Für den freien Vortrag (Monolog) nutzt der Redner verschiedene rhetorische Figuren, Thesen, Prämissen und Argumente. Das Argument steigert hier die Prämisse oder These durch eine gezielte Konklusion, mit der der Redner sein Gegenüber zu überzeugen sucht. Durch die Anordnung dieser Elemente in der freien Rede (Steigerung, Reihung, Dialektik etc) erzeugt der Sprecher Aufmerksamkeit und Spannung beim Publikum.

Im Dialog eines Gespräches gewinnt die Interaktion besondere Bedeutung. Weit mehr als beim Vortrag, der durchaus auch gewisse Interaktionen bilden kann, hat der Redner nun auf die verbalen und nonverbalen Reaktionen seines Gegenübers zu reagieren. Hierbei spielen gerade die körpersprachlichen Signale als Gradmesser der emotionalen Verfassung eines Gesprächspartners eine besonders große Rolle, die mitunter ja widersprüchlich sein kann. Sind nonverbale und verbale Aussagen unstimmig, spricht man von Inkongruenz. Die Anordnung der rhetorischen Elemente im Dialog hängt so vor allem von der Wirkung ab, die er erzielt.

Hermeneutik

Die Rhetorik ist auch literaturwissenschaftliche Hilfslehre für die zentrale Aufgabe der Hermeneutik. Hier fragt sie nach den Strategien der Darstellung, der Leserführung und der internen Wirkungsabsicht von Texten. Mit dem textkritischen Wissen der Rhetorik können schriftliche Quellen auf ihre Überzeugungsstrategien hin analysiert werden.

Ethik und Rhetorik

Cicero

Gedanken zur Ethik sind von jeher Bestandteil der Rhetorik. Wann handelt es sich bei einer Rede (noch) um ein legitimes Beeinflussen von Einstellungen? Wo beginnt Manipulation? Heiligt der Zweck alle Mittel? Ein Konflikt um diese Fragen entwickelte sich in der Antike bereits zwischen Sophisten (etwa Gorgias, Isokrates) und Philosophen (etwa Sokrates, Platon). Damit eng verbunden war die Frage nach einer „letzten“ Wahrheit, die hätte Klarheit schaffen können, wie und wovon man überzeugen darf.

Viele antike Autoren entwickelten Vorstellungen davon, welche Mittel der Rhetorik ethisch legitim sind und so die Akzeptabilität der Rede erhöhen. Bei Aristoteles etwa heißt es: „Dadurch, wie der Redner erscheint, gewinnen wir Vertrauen, und das ist dann der Fall, wenn er als rechtschaffener oder freundlich gesinnter Mensch oder als beides erscheint“ (rhet. 1366a). Ethik im Sinne der charakterlichen Prägung des Redners zählt für ihn - neben Leidenschaftserregung und Argumentation - zu den drei Überzeugungsmitteln. Vor ihm war es bereits Isokrates (370 v. Chr.), der in seiner Rede „Nikokles“ etwa die Goldene Regel als Empfehlung für den Redner formulierte.

Im antiken Rom sind es insbesondere Cicero, Quintilian und Seneca, die ein Idealbild des Redners als orator Perfectus (Cicero) oder vir bonus (Quintilian) entwerfen und somit Beredsamkeit, Weisheit und tugendhaftes Leben miteinander verknüpfen.

Im Mittelalter zeigt sich die Ethik als Form angewandter Rhetorik etwa darin, dass Thomas von Aquin strenge Regeln für einen „Scholastischen Disput“ formulierte. Diese Streitgespräche erzwangen das Zuhören (als eine Form der Wertschätzung). Denn bevor jemand seinen eigenen Standpunkt in diesen Übungsreden darstellen durfte, musste er vorher den gegnerischen Redebeitrag sinngemäß richtig mit eigenen Worten wiedergeben (Paraphrasierung). Andernfalls wurde er disqualifiziert.

Wenn in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahllose Vorbehalte gegenüber der Rhetorik bestanden, so ist dies auch auf ihre einseitige Instrumentalisierung durch den Nationalsozialismus zurückzuführen. Das Dritte Reich selbst und seine Gräueltaten können auch als eine Konsequenz einer Rhetorik ohne einwandfreies ethisches Fundament angesehen werden (siehe Joseph Goebbels). Es gibt nach verbreiteter Ansicht keine „böse Sprache“ - nur „böse Sprecher“.

Kritiker würden in dieser Argumentation allerdings einerseits selbst eine rhetorische Figur erkennen und andererseits auf das sprachwissenschaftliche Werk Victor Klemperers verweisen, der die Sprache des Dritten Reiches, ihre Euphemismen und Verschleierungen aus der Perspektive eines von Verfolgung bedrohten Juden erforschte. Schimpfworte, Diffamierungen und Kampfbegriffe sind ebenso Teil der Sprache, können jedoch kaum als neutral angesehen werden.

Dass in der deutschen Sprache das Verb „überreden“ als anrüchig empfunden und statt dessen von „überzeugen“ als Ziel der Rhetorik gesprochen wird - eine Differenzierung übrigens, die weder Griechen noch Römer kannten - mag auch als Beleg für die Relevanz einer ethisch orientierten Redekultur gewertet werden.

Der Gebrauch von Rhetorik und rhetorischen Strategien an sich werden daher nicht als illegitim angesehen. Sie dienen der Meinungsbildung so lange der Öffentlichkeit die Absicht der Persuasion bewusst ist und die Möglichkeit zum Vergleich mit anderen Ansichten besteht. Rhetorische Strategien werden auch heute in der Politik verwendet. Die Verantwortung diese zu erkennen und zu verwerten liegt beim Bürger.

Berühmte historische Reden

Zitate

  • „Eine gute Rede hat einen guten Anfang und ein gutes Ende – und beide sollten möglichst dicht beieinander liegen.“ (Mark Twain)
  • „Ehe wir uns anschicken, andere zu überzeugen, müssen wir selbst überzeugt sein.“ (Dale Carnegie)
  • „Die Redekunst ist die allerumfassendste Kunst.“ (Aurelius Augustinus)
  • „Daher ist es erforderlich, Kunstfertigkeit anzuwenden, ohne dass man es merkt, und die Rede nicht als verfertigt, sondern als natürlich erscheinen zu lassen – dies nämlich macht sie glaubwürdig.“ (Aristoteles)
  • „Beherrsche die Sache, dann folgen auch die Worte − rem tene, verba sequentur.“ (Cato der Ältere, 234–149 v. Chr.)
  • „Eine gute Rede ist wie ein Bikini - knapp genug, um spannend zu sein, aber alle wesentlichen Stellen abdeckend.“ (John F. Kennedy)

Siehe auch

Quellentexte zur Geschichte der Rhetorik

Klassische Texte

  • Platon: Gorgias.
  • Platon: Phaidros.
  • Aristoteles: Rhetorik.
  • Rhetorica ad Herennium.
  • Cicero: De inventione - Über das Finden des Stoffes.
  • Cicero: Brutus.
  • Cicero: Orator.
  • Cicero: De oratore - Über den Redner.
  • Quintilian: Institutio oratoria - Ausbildung des Redners.
  • Tacitus: Dialogus de oratoribus - Gespräch über die Redner.

Humanistische Texte

  • Johannes Susenbrot: Epitome troporum

Literatur zu Geschichte und Theorie der Rhetorik

Geschichte der Rhetorik

  • Øivind Andersen: Im Garten der Rhetorik. Die Kunst der Rede in der Antike, Darmstadt 2001, ISBN 3-534-14486-4
  • Werner Eisenhut: Einführung in die antike Rhetorik und ihre Geschichte, 5. Aufl. Darmstadt 1994. ISBN 3-534-04177-1
  • Marc Fumaroli (Hg.): Histoire de la rhétorique dans l'Europe moderne, Paris 1999
  • Urs Meyer: Politische Rhetorik, Paderborn 2001. ISBN 3-89785-111-3
  • Craig R. Smith, Rhetoric & human consciousness: a history. 2. ed., Prospect Heights, Ill. 2003, ISBN 1-57766-174-5
  • Handbuch der Altertumswissenschaft 2,3

Theorie der Rhetorik

  • Karl-Heinz Göttert: Einführung in die Rhetorik. München 1998
  • Joachim Knape: Was ist Rhetorik?. Stuttgart 2000
  • Heinrich Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik. Eine Einführung für Studierende der klassischen, romanischen, englischen und deutschen Philologie. 4., durchges. Aufl. München 1971.
  • Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. 3. Aufl., Stuttgart 1990
  • Peter L. Oesterreich: Fundamentalrhetorik. Hamburg 1990
  • Peter L. Oesterreich: Philosophie der Rhetorik. Bamberg 2003
  • Ottmers, Clemens: Rhetorik. Metzler, Stuttgart und Weimar 1996
  • Chaim Perelman: Das Reich des Rhetorik. München 1980
  • Chaim Perelman, Lucie Olbrechts-Tyteca: Die neue Rhetorik. Eine Abhandlung über das Argumentieren. Hrsg. von Josef Kopperschmidt. Stuttgart-Bad Cannstatt 2004
  • Heinrich F. Plett: Textwissenschaft und Textanalyse. Semiotik, Linguistik, Rhetorik. UTB, Heidelberg 1975
  • Heinrich F. Plett (Hrsg.): Rhetorik. Kritische Positionen zum Stand der Forschung. München 1977
  • Heinrich F. Plett: Einführung in die rhetorische Textanalyse. 9. aktualis. u. erw. Aufl., Hamburg 1991
  • Heinrich F. Plett: Systematische Rhetorik. Konzepte und Analysen. UTB, München 2000
  • Helmut Schanze, Josef Kopperschmidt (Hrsg.): Rhetorik und Philosophie. München 1989
  • Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Band 1ff., Tübingen 1992ff. [bisher erschienen: Bd. 1-7: Pos-Rhet]
  • Gert Ueding, Bernd Steinbrink: Grundriss der Rhetorik. Geschichte. Technik. Methode. 4. Aufl. Stuttgart und Weimar 2005
  • Gert Ueding (Hrsg.): Rhetorik. Begriff - Geschichte - Internationalität. Niemeyer, Tübingen 2005 [= die einschlägigen Rhetorik-Artikel des Historischen Wörterbuchs der Rhetorik].

Reflexion über die Praxis der Rhetorik

  • Albert Bremerich-Vos: Populäre rhetorische Ratgeber. Tübingen 1991.
  • Andrea Hausberg: Analyse politischer Sprache an Hand aktueller Beispiele. Rhetorisch-argumentative Strategien in Reden zum Irak-Krieg, Saarbrücken 2007.
  • Josef Kopperschmidt (Hrsg.): Hitler der Redner, München 2003, ISBN 3-7705-3823-4
  • Thomas Reschke, Michael Thiele: Predigt und Rhetorik. Mit einem Vorwort und einem Beitrag von Gert Otto, (Studien zur Praktischen Theologie 39) EOS Verlag, St. Ottilien 1992, ISBN 3-88096-969-8
  • Rouven Soudry (Hrsg.): Rhetorik - eine interdisziplinäre Einführung. Heidelberg 2006

Ratgeberliteratur

  • Vera F. Birkenbihl: Rhetorik, München 2004³
  • Karsten Bredemeier: Provokative Rhetorik? Schlagfertigkeit!, Zürich und Köln 2000
  • Dale Carnegie: Besser miteinander reden, New York 1969
  • Peter Heigl: 30 Minuten für gute Rhetorik, Offenbach 2001 (13.Auflage 2009)
  • Paul Herrmann: Reden wie ein Profi, München 1991
  • Ralf Höller: 50 Mal Rhetorik. Richtig reagieren in 50 Standardsituationen. Zürich 2006
  • Jens Kegel: Selbstvermarktung freihändig: Schreiben fürs Reden – auch gegen den Strom, Göttingen 2009
  • Jos Kessels: Die Macht der Argumente, Weinheim und Basel 2001
  • Alexander Kirchner/ Baldur Kirchner: Rhetorik und Glaubwürdigkeit, Wiesbaden 1999
  • Bernd-Wolfgang Lubbers: Das etwas andere Rhetorik-Training oder Frösche können nicht fliegen, 2002
  • Hilde Malcomess: Rhetorik - souverän und überzeugend reden, Berlin 2009
  • Doris Märtin: Smart Talk. Sag es richtig., Frankfurt 2006
  • Winni Mühlbauer, Joachim Fenner: NLP-Rhetorik - Die neue Schule der Rhetorik, 2. Aufl. München 2002
  • Rupert Lay: Führen durch das Wort, Frankfurt 2001
  • Samy Molcho: Alles über Körpersprache, München 1995
  • Matthias Pöhm: Vergessen Sie alles über Rhetorik, Frankfurt 2002
  • Albert Thiele: Überzeugend Argumentieren, Wiesbaden 1999
  • Ulrich Ulonska: Rhetorik, Stuttgart 2003
  • Stefan Wachtel: Rhetorik und Public Relations, München 2003
  • Maximilian Weller: Das Buch der Redekunst, Düsseldorf und Wien 1954
  • Thies O. Wolfhagen: Relevanz von Rhetorik in verschiedenen Praxisfeldern (Personalführung, Jugend- & Erwachsenenbildung), Eckernförde 2005

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Christof Rapp: Aristoteles. Rhetorik, Berlin 2002, Bd. II, S. 223-240.
  2. Christof Rapp: Aristoteles. Rhetorik, Berlin 2002, Bd. II, S. 543–583.

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