Stefan Weinstock

Stefan Weinstock

Stefan Weinstock (* 7. November 1901 in Nagyvárad; † 5. Juni 1971 in Oxford) war ein britischer Althistoriker, klassischer Philologe und Religionswissenschaftler österreich-ungarischer Herkunft.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Weinstock wurde 1901 im damaligen k.u.k. Österreich-Ungarn in eine jüdische Familie geboren. Zum Zeitpunkt seines Schulabschlusses im Jahr 1919 war seine Heimatstadt bereits an Rumänien übertragen worden, weswegen er zusätzlich die rumänische Staatsbürgerschaft erlangte.

1920 nahm er sein Hochschulstudium auf, das ihn zunächst an die philosophische Fakultät der Universität von Prag und an die Universität Innsbruck führte, wo er Student der alten Geschichte unter Heinrich Swoboda sowie der klassischen Philologie unter Ernst Kalinka (1865–1946) und Alois Rzach war. In dieser Zeit konvertierte er zum römisch-katholischen Glauben. Nach seinem Abschluss wechselte er an die Universität Breslau, wo er unter Ernst Kornemann, Konrat Ziegler, Ludolf Malten und Wilhelm Kroll an seiner Dissertation über Platon arbeitete (siehe unten), die er 1926 abschloss.

Weinstock plante zu diesem Zeitpunkt eine Laufbahn als Gymnasiallehrer, für die er 1930 eine Stelle als Studienassessor in Breslau aufnahm. Mit seinem Einstieg in den preußischen Beamtendienst verlor er seine rumänische Staatsbürgerschaft und wurde Deutscher. Nach Verabschiedung des Beamtengesetzes vom 7. April 1933 wurde er als gebürtiger Jude aus dem Staatsdienst entlassen. Er blieb jedoch in Breslau und führte seine Forschung fort. In dieser Zeit arbeitete er unter Kroll in der Glotta-Redaktion und lehrte Altgriechisch am Theologischen Seminar unter Adolf Kardinal Bertram. Weiterhin begann er in dieser Zeit mit der Arbeit an Artikeln zur Veröffentlichung im Pauly-Wissowa. Nachdem Weinstock im Jahr 1937 öffentlich denunziert worden war, als Jude unter Wilhelm Kroll zu arbeiten, emigrierte er nach Rom, wo er für die Vatikanische Apostolische Bibliothek unter Franz Cumont am Catalogus Codicum Astrologorum Graecorum (CCAG) arbeitete.

Er emigrierte 1939 zunächst nach London, und 1940 nach Oxford. 1946 erhielt er den Offiziersgrad des Majors in der United States Army, um im Auftrag der Bodleian Library im besetzten Deutschland nationalsozialistische Publikationen zu erwerben. 1947 wurde Weinstock als britisches Subjekt eingebürgert. Nach einer finanziell schwierigen Zeit, in der er weiter am CCAG arbeitete und vom Althistoriker Hugh Last (1894–1957) unterstützt wurde, erlangte er 1952 an der Universität Oxford zunächst einen Posten als Lecturer und später einen Lehrstuhl als Senior Lecturer. In Rom wurde er 1960 Mitarbeiter am Deutschen Archäologischen Institut und an der British School. Weiterhin wurde er Mitglied und 1965 Fellow am Exeter College. Weinstock emeritierte 1969 und verstarb 1971. Seine Monographie über Divus Iulius wurde kurz nach seinem Tod veröffentlicht.

Forschung

Neben seiner fünfzehnjährigen Arbeit zum Thema antike Astrologie konzentrierte Stefan Weinstock den Großteil seiner Forschung auf die römische Religion. Er bewunderte Theodor Mommsen und Georg Wissowa, deren Arbeit er von „unermüdlicher Suche“ und nüchternem „Respekt für Belege [sowie für Roms] Gesetze und Geschichte“ geprägt sah.[1] Weinstock bevorzugte die kulturelle der individuellen Beobachtung von antiken Phänomenen. Er lehnte naturalistische Herangehensweisen ab und kritisierte zum Beispiel vehement die anthropologische Interpretation des numen.[2] Weinstock unterschied zwischen der „insularen“ und der „kontinentalen“ Methode bei historischen Untersuchungen und Kommentaren. Er favorisierte die kontinentale Methode, da sie sich in alle Richtungen erstreckt und mit einer Vielzahl von Quellen auch für jene Forscher relevant ist, die sich nur indirekt mit dem Thema befassen.[3] In seinen Werken kam dies durch enorme Quellensammlungen, durch strenge, aber subtile und vielseitige Analysen und Synthesen sowie sinnstiftende, klare Strukturen zum Vorschein, die zwar keine Sensationen erzeugten, dafür aber ihren Autor als „würdigen Diener einer großen Tradition“ auszeichnen sollten.[4] Einigen von Weinstocks Hypothesen wurde widersprochen, darunter seiner Neudeutung der Göttin Pax in der Ara Pacis Augustae,[5] sowie seiner Deutung des geographischen Katalogs in der Apostelgeschichte des Lukas.[6]

Divus Julius

Ausgehend von seiner Forschung zur antiken Astrologie, von der unter anderem Augustus ein großer Anhänger war, plante Weinstock ursprünglich eine religionswissenschaftliche Monographie über den ersten römischen Kaiser. Dieses Buch wurde nie begonnen, da Weinstock zu der Auffassung gelangte, dass alle Elemente der imperialen „augusteischen Religion“ ihren Ursprung in den religiösen Charakteristiken und religionspolitischen Reformen von Julius Caesar hatten. So entwickelte sich das Einleitungskapitel über Caesar zu einer eigenständigen Monographie, die später als „großartige und bedeutende Leistung“ bezeichnet wurde.[7] Einer der Gründe, das Buch Divus Julius zu schreiben, lag in Weinstocks Widerwillen, der Auffassung zu folgen, dass Caesar als Rationalist gesehen werden muss, und er sowie die römische Religion im Lichte puritanischer Ideale bewertet werden können.[8] Einer der Kernpunkte des Buches ist, dass Caesar versuchte, seine Vergöttlichung bereits zu Lebzeiten einzuleiten. Dies wurde als kontrovers bezeichnet, da es Caesars Apotheose vom späteren Kaiserkult deutlich abhebt,[9] eine Sichtweise, die aber mittlerweile von vielen Historikern befürwortet wird.[10] Eine umfangreiche und wertvolle Kritik, die viele Fehler berichtigte, aber grundsätzlich positiv zu Weinstocks Buch stand, wurde von Andreas Alföldi veröffentlicht.[11]

Schriften (Auswahl)

  • Die platonische Homerkritik und ihre Nachwirkungen. Dissertation, Leipzig 1927.
  • Mundus Patet. In: MDAI(R) 45, 1930, S. 111.
  • Ludi Tarentini und Ludi Saeculares. In: Glotta 21, 1932, S. 40.
  • Templum. In: MDAI(R) 47, 1932, S. 95.
  • Clodius and the Lex Aelia Fufia. In: JRS 27, 1937, S. 215.
  • Parca Maurtia and Neuna Fata. In: Festschrift Rumpf, 1952, S. 151.
  • A Lex Sacra from Lavinium. In: JRS 42, 1952, S. 34.
  • Weihinschriften aus Veii. In: Glotta 33, 1954, S. 306.
  • The Image and Chair of Germanicus. In: JRS 47, 1957, S. 144.
  • Victor and Invictus. In: The Harvard Theological Review 50 (3), Juli 1957, S. 211-247.
  • Two Archaic Inscriptions from Latium. In: JRS 50, 1960, S. 112.
  • Saturnalien und Neujahrsfest in den Märtyrerakten. In: Mullus (Festschrift Theodor Klauser (= Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 1), Münster 1964, S. 391.
  • Pax and the Ara Pacis. In: JRS 50, 1960, S. 44.
  • Divus Julius. Clarendon Press (OUP), Oxford 1971, ISBN 0198142870.

Literatur

  • Peter John Parsons: Stefan Weinstock †. In: Gnomon 46 (2), April 1974, ISSN 0945-9790, S. 217-220.

Weblinks

Einzelbelege

  1. Stefan Weinstock: Rezension von Kurt Latte, Römische Religionsgeschichte. In: JRS 51, 1961, S. 206.
  2. Stefan Weinstock: Rezension von H.J. Rose, Ancient Roman Religion. In: JRS 39, 1949, 166.
  3. Martin Litchfield West: Rede vor der Interationalen Stiftung Preis Balzan (Balzan Preis für Klassische Altertumskunde). 2000.
  4. Stefan Weinstock in: Peter John Parsons: Stefan Weinstock †. In: Gnomon 46 (2), April 1974, S. 220.
  5. Vgl. Jocelyn M.C. Toynbee: The 'Ara Pacis Augustae'. In: JRS 51, 1961, S. 153-156.
  6. Apg 2:9-11; vgl. Bruce M. Metzger: Ancient Astrological Geography and Acts 2:9-11. In: W. Ward Gasque (Hrsg.), Ralph P. Martin (Hrsg.): Apostolic History and the Gospel. Biblical and Historical Essays Presented to F.F. Bruce. The Paternoster Press, Exeter 1970, ISBN 085364098X, S. 123-133.
  7. J.A. North: Praesens Divus. In: JRS 65, 1975, S. 171.
  8. Stefan Weinstock: Divus Julius. Clarendon Press, Oxford 1971, S. vii.
  9. J.A. North: Praesens Divus. In: JRS 65, 1975, S. 176.
  10. U.a. Ittai Gradel: Emperor Worship and Roman Religion. Oxford University Press, Oxford 2002.
  11. Andreas Alföldi: Rezension von St. Weinstock, Divus Julius. In: Gnomon 47, 1975, S. 154-179.

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