Hans Lammers

Hans Lammers
Hans Heinrich Lammers 1921
Reichsminister und Chef der Reichskanzlei: Lammers im Oktober 1941
Hans Heinrich Lammers 1947
Hans Heinrich Lammers beim Wilhelmstraßen-Prozess, 1948


Hans Heinrich Lammers (* 27. Mai 1879 in Lublinitz/Oberschlesien; † 4. Januar 1962 in Düsseldorf), war ein deutscher Jurist, während der Zeit des Nationalsozialismus Chef der Reichskanzlei und verurteilter Kriegsverbrecher.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Vor 1933

Lammers, Sohn eines Tierarztes, studierte nach Abschluss der evangelischen Fürstenschule in Pless an den Universitäten Breslau und Heidelberg Rechtswissenschaft und trat nach einjährigem Militärdienst in den preußischen Justizdienst ein. 1901 legte er das Referendarsexamen ab und war als Universitätsassistent tätig, 1904 folgte die Promotion zum Dr. jur. über Die Rentenschuld des Bürgerlichen Gesetzbuchs und kurze Tätigkeit in einer Rechtsanwaltpraxis. 1906 wurde er Leutnant der Reserve, nach der großen Staatsprüfung 1907 Gerichtsassessor in Breslau und 1912 Landrichter in Beuthen (Oberschlesien). Am 29. April 1913 heiratete er in Gleiwitz Elfriede Tepel (1894–1945); sie hatten zwei Töchter (1914 und 1918 geboren). 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und wurde Reserveoffizier im 4. Niederschlesischen Infanterie-Regiment Nr. 51 in Breslau. 1917 wurde er schwer verwundet und verlor dabei das linke Auge, weshalb er dann als Verwaltungsoffizier (zuletzt Leiter der Finanzabteilung) beim kaiserlichen Generalgouvernement Warschau eingesetzt wurde. Ende 1920 wurde er ins Reichsministerium des Innern, Abteilung I berufen, 1921 wurde er Oberregierungsrat, 1922 Ministerialrat und Leiter des Verfassungsreferates in der Staatsrechtsabteilung. In dieser Funktion vertrat er das Reich in Prozessen gegen die Länder. 1925 fiel seine Rechtslastigkeit sozialdemokratischen Abgeordneten auf und 1928 wurde er vom sozialdemokratischen Minister Carl Severing gerügt, der in einem Zeitungsartikel bei Lammers eine „absichtliche Herabsetzung der Reichsverfassung“ sah. Dass auch Severings Vorgänger, der deutschnationale Walter von Keudell, Lammers bei Beförderungen übergangen hatte, wird als Grund für seinen Eintritt in die NSDAP im Februar 1932 angenommen. Als überzeugter Monarchist und nationalkonservativer Beamte war er zuvor Mitglied der DNVP und des Stahlhelmbundes gewesen.

Rolle im „Dritten Reich“

Am Tag der Machtübernahme der Nationalsozialisten (30. Januar 1933) ernannte Adolf Hitler Lammers zum Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei, wo er zusammen mit den anderen „Sekretären“ Hitlers (Martin Bormann, Otto Meißner ab 1938 auch Wilhelm Keitel) die praktischen Regierungsgeschäfte organisierte. Am 26. November 1937 wurde er von Hitler zum Reichsminister ohne Portefeuille mit der Amtsbezeichnung Reichsminister und Chef der Reichskanzlei ernannt.

Am 29. September 1933 trat Lammers in die SS ein und erhielt den Rang eines SS-Oberführers. Danach folgten die schrittweisen Beförderungen zum SS-Brigadeführer (20. April 1935), SS-Gruppenführer (30. Januar 1938) und SS-Obergruppenführer (20. April 1940). Seit dem 30. November 1939 war er geschäftsführendes Mitglied des unter Görings Vorsitz stehenden Ministerrats für die Reichsverteidigung. Lammers war an der Aktion T4 beteiligt. Diese „Euthanasie“-Tarnorganisation hatte ihren Sitz in Berlin in der Tiergartenstraße 4.

Funktion als Studentenschaftsführer

Lammers, Mitglied der akademischen Verbindung Wratislavia Breslau im Miltenberger Ring, übernahm im Januar 1935 die Führung der Gemeinschaft Studentischer Verbände (GStV), die nach dem Ausscheiden der Deutschen Burschenschaft, des Vertreter-Convents der Turnerschaften und der Deutschen Sängerschaft aus dem Allgemeinen Deutschen Waffenring (ADW) die verbliebenen gemäßigten Korporationsverbände vereinte. Die GStV wurde vom Nationalsozialististischen Deutschen Studentenbund als Gesamtvertretung der studentischen Verbände anerkannt. Lammers hatte in seiner Mittlerfunktion zwischen ADW und dessen Führer Walter Langhoff und der Reichsführung maßgeblichen Anteil an der Gleichschaltung und letztlich Auflösung der studentischen Korporationsverbände im Oktober 1935.[1]

Prozess und Haft

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Lammers im April 1945 verhaftet, als er den Versuch unterstützte, Hitler durch Göring zu ersetzen. Vor der von Hitler daraufhin angeordneten Erschießung durch die SS wurde er von amerikanischen Truppen gefangengenommen. Am 8. und 9. April 1946 trat Lammers als Zeuge im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher auf. Im Wilhelmstraßen-Prozess gegen Mitarbeiter verschiedener Ministerien des nationalsozialistischen Deutschen Reiches wurde er am 11. April 1949 wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, u. a. der Mitwirkung an der Ermordung der europäischen Juden, vom IV. Alliierten Militärgericht zu 20 Jahren Haft verurteilt. Am 31. Januar 1951 wurde diese Strafe vom amerikanischen Hohen Kommissar John Jay McCloy auf 10 Jahre abgemildert; am 16. Dezember 1951 wurde er begnadigt und aus dem Gefängnis in Landsberg am Lech entlassen.

Mitgliedschaften

Auszeichnungen

Werke

  • (Herausgeber) Reichsverfassung und Reichsverwaltung, Berlin 1929, Nachtrag 1930
  • Grundlagen, Aufbau und Wirtschaftsordnung des nationalsozialistischen Staates. Berlin 1936 (3 Bände)

Verweise

Literatur

  • Wolfgang Benz, Hermann Graml (Hrsg): Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. München 1988
  • Akten der Parteikanzlei der NSDAP; Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes; Band 1-4. Bearbeitet von Helmut Heiber. München/Wien 1983f.
  • Peter Diehl-Thiele: Partei und Staat im Dritten Reich. Untersuchungen zum Verhältnis von NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung 1933-1945. München 1969
  • Georg Franz-Willing: Die Reichskanzlei 1933-1945; Rolle und Bedeutung unter der Regierung Hitler. Tübingen 1984
  • Robert M. W. Kempner, Carl Haensel: Das Urteil im Wilhelmstraßen-Prozess, Schwäbisch Gmünd 1950
  • Peter Longerich: Hitlers Stellvertreter; Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Hess und die Partei-Kanzlei Bormanns. München 1992
  • Der Prozess gegen die Hauptverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, vom 14. November 1945 1. Oktober 1946. 21 Doppelbände, Reprint. München 1976
  • Dieter Rebentisch: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945. Stuttgart 1989
  • Dieter Rebentisch, Karl Teppe (Hrsg): Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System. Göttingen 1986
  • Hermann Weiß (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 1998, ISBN 3-10-091052-4

Weblinks

Fußnoten

  1. Vgl. dazu das Archiv des Allgemeinen Deutschen Waffenrings, Institut für Hochschulkunde Würzburg, Kösener Archiv B 6

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