Karl Aloys Schenzinger

Karl Aloys Schenzinger

Karl Aloys Schenzinger (* 28. Mai 1886 in Neu-Ulm; † 4. Juli 1962 in Prien am Chiemsee) war Arzt, Autor von Romanen, Sachbüchern und NS-Propaganda.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Schüler und Student

Karl Aloys Schenzinger wurde in Neu-Ulm geboren als Sohn eines Steueruntersuchungsassistenten, dessen Familie aus Schwendi im Oberamt Laupheim stammte. In Ravensburg, wo er aufwuchs, besuchte er das Gymnasium und legte das Abitur ab. Danach begann er eine Apothekerlehre, studierte von 1908 bis 1913 Medizin und promovierte zum Dr. med. Im Ersten Weltkrieg stand er als Sanitätsoffizier im Einsatz.

Schriftstellerische Anfänge

Nach dem Krieg zog Schenzinger nach Hannover und widmete sich seinen schriftstellerischen Neigungen. In „Das Kestnerbuch“, herausgegeben von Paul Erich Küppers, erschien 1919 in Hannover beim Heinrich Böhme Verlag sein expressionistisches Drama Berggang.

Mit einem Überseedampfer fuhr er 1923 in die USA, ohne zunächst ein Wort Englisch zu sprechen, und schlug sich in mehreren Berufen durch. Schenzinger erwarb eine Filmkamera, gründete die „West Star Film Company“ und wollte damit den großen Filmfirmen Konkurrenz machen, wurde aber bei seinen Plänen vom Pech verfolgt.

Illustriertenromane

Nach seiner Rückkehr nach Europa ließ Schenzinger sich 1925 in Berlin/Wedding, einem Arbeiterbezirk, als Kassenarzt nieder und widmete sich nebenbei dem Schreiben. Sein erster großer Erfolg wurde 1928 der Abenteuerroman Abitur am Niagara, der von der „Frankfurter Illustrierten“ für ein Honorar von 6000 Reichsmark abgedruckt wurde. Er kündigte daraufhin seinen ungeliebten Arztberuf und begab sich im Auftrag eines Verlages auf Weltreise (Kanada, USA, Südsee). Seine Reiseeindrücke fanden in drei Illustriertenromanen ihren Niederschlag.

„Hitlerjunge Quex“

Mit dem Roman Man will uns kündigen (1931) ließ Schenzinger erstmals Sympathien für die NSDAP durchblicken. Baldur von Schirach, der spätere Reichsjugendführer, wurde auf ihn aufmerksam und beauftragte ihn, einen Propagandaroman über die Hitler-Jugend zu verfassen. So entstand der HJ-Roman Der Hitlerjunge Quex, den er nach eigenen Angaben in 14 Tagen fertigstellte. In ihn flossen seine Kenntnisse des Milieus der Berliner Arbeiterschaft und das Schicksal des erstochenen Hitlerjungen Herbert Norkus ein. 1932 wurde Quex zunächst als Fortsetzungsroman im „Völkischen Beobachter“, dem Zentralorgan der NSDAP, publiziert. Noch im selben Jahr erschien er als Buch und erreichte bis 1945 eine Auflage von einer halben Million verkaufter Exemplare. Sogar die UFA riss sich um den Stoff und verfilmte Hitlerjunge Quex 1933 unter der Regie von Hans Steinhoff und mit Heinrich George in der Rolle des Vaters von Quex bzw. Heini Völker.

Zwischen 1932 und 1936 schrieb er weitere Bücher, in denen seine Sympathien für die Ziele der NSDAP deutlich werden.

„Anilin“

Dieser Roman beschreibt die Entwicklung der organischen Chemie.

Die überwiegende Teil des Romans handelt von Chemikern, Unternehmern und Entdeckungen, die es früher gegeben hat. Mitunter lässt sich Schenzinger Autoren-Freiheiten in der Darstellung der persönlichen Begebenheiten oder des Handlungsaufbaus.

Kurzdarstellung des Inhalts

Das bislang wertlose Abfallprodukt aus der Gewinnung von Koks (für die Eisengewinnung) und Stadtgas (für die Beleuchtung) war das Teeröl. Professor Friedlieb Ferdinand Runge untersuchte in Oranienburg, bei Berlin, das wertlose Abfallprodukt Teeröl. Runge findet viele interessante Stoffe im Teeröl: Kyanol (Anilin), Leukol (Chinolin), Carbolsäure (Phenol), Stearin. Er entdeckt farbige Substanzen im Teer und kann das Stearin als Wachs für Kerzen in seiner Seehandlung verkaufen.

Die chemischen Stoffe, die Runge gefunden hat, wurden jedoch noch nicht chemisch analysiert. Der junge Student August Wilhelm von Hofmann nimmt sich bei Justus von Liebig in Gießen der Stoffanalyse an. Ein anderer junger Chemiker aus Heidelberg, Kekulé, macht sich Gedanken zur Struktur der organischen Verbindungen des Teeröls. Hofmann findet aufgrund der richtigen chemischen Analyse auch eine neue Darstellungsmethode für Anilin aus Benzol. Hofmann wird einer der ersten Professoren für Chemie am Royal College of Chemistry in London. In London hat Hofmann zwei große Schüler: William Henry Perkin und Charles Mansfield. Perkin findet den ersten synthetischen Farbstoff: das Mauvein. Mansfield stirbt bei einem Unfall mit einem Teerölprodukt.

Schenzinger stellt im weiteren Teil dar, wie Grundstoffe aus dem Steinkohleteer genutzt wurden, um die ersten Heilstoffe gegen gefährliche Krankheiten zu entwickeln (Phenatidin, Acetanilid) - oder wie Farbstoffe für die Mikroskopie wertvoll wurden. Robert Koch nutzte den Farbstoff Methylenblau für Zellfärbungen und konnte den Tuberkulose-Bazillus nachweisen. Er beschrieb auch die erste synthetische Darstellung von Indigo, Alizarin oder die erste großchemische Herstellung von Schwefelsäure. Zu den Personen des Romans gehören auch Carl Duisberg, Heinrich von Brunck, Schering, Karl Graebe, Robert Koch, Rudolf Knietsch.

Metall

Dieses Buch behandelt zum Anfang teils frei erfundene vielfach - im späteren Teil - jedoch wahre Begebenheiten aus dem Leben von Naturwissenschaftlern, naturwissenschaftlichen Unternehmensgründern. Der Leser wird dabei geistiger Augenzeuge von Problemen, Gedanken, Hoffnungen der Forscher und Unternehmer. Das Buch umfasst etwa einen historischen Rahmen zwischen 1710 und 1910. Dabei erhält der Leser auch viel Hintergrund-Informationen über naturwissenschaftlich-technische Prozesse und Entwicklungen, sowie Leistungen von Einzelforschern.

In einzelnen Episoden verpackte Schenzinger schriftstellerisch wichtige Bezugspunkte der Gesellschaft zu Metallen, Alchemie, Technik: Mord durch Goldgier (Ausklang Kapitel Gold), Ersetzung der Arbeitskraft durch Dampfmaschinen (Beginn Kapitel Eisen), Geschwindigkeit des Fortschritts und Wettbewerb von Unternehmern und Forschern, Zwiespalt des Forschers zwischen familiären Glück und Forschungsarbeit (R. Mayer, W. Siemens).

Die Kapitelabfolge ist mit Metallnamen belegt: Gold, Silber, Eisen, Aluminium, Magnesium. Jedes Kapitel umfasst zwei oder drei bahnbrechende Entwicklungen der Technikgeschichte. Grundlage der Alchemie war, unedle Metalle in Gold oder Silber zu verwandeln, der Alchemist durchlief dabei einen Läuterungsprozess, der im individuellen Erkenntnisstreben mit dem gesamten Kosmos verbunden war. Die Kapitelabfolge ist jedoch bewusst invers gewählt, sie geht vom Metall Gold zu Silber, Eisen, Aluminium und Magnesium.

Gold: Im ersten Kapitel wurde der Zeitabschnitt von Georg Ernst Stahls Phlogiston-Theorie behandelt. In diesem Kapitel wurden weniger die technische Fortschritte als vielmehr Treue und Glauben behandelt.

Silber: Die Entdeckung des Sauerstoffs, die neue Atomtheorie und die Ablösung der Phlogistonlehre. Erzeugung des Stroms durch Voltaische Zellen. In dieser Zeitperiode wurden französische, englische, italienische, deutsche Forscher ( Antoine Laurent de Lavoisier, Jacques Alexandre César Charles, James Watt, Humphry Davy, Luigi Galvani, Alessandro Volta, Johann Wilhelm Ritter) und ihre Erfindungen dargestellt.

Eisen: Empfindungen der Maschinenstürmer, Entwicklung von Dampfmaschinen, Erforschung von Strom und Magnetismus, Fotografie, Energieerhaltungssatz. Die Entdeckungen und Schicksale von Forschern und Unternehmern wie Richard Trevithick, Robert Stephenson, Fox Talbot, André-Marie Ampère, Werner von Siemens, Julius Robert von Mayer wurden dargestellt.

Aluminium: Entwicklung des Elektrolyse-Verfahrens zur Gewinnung von Aluminium. Ablösung der Dampfmaschine durch Verbrennungsmotoren. Erhöhung der Geschwindigkeit und Verringerung des Gewichts von Verbrennungsmotoren. Beginn der Luftschifffahrt durch das Leichtmetall Aluminium. Darstellung von Forschern und Unternehmern: Paul Héroult, Nikolaus Otto, Gottlieb Daimler, Wilhelm Maybach, Otto Lilienthal, Ferdinand Graf von Zeppelin.

Die Technikgläubigkeit der 1920er Jahre bekommt bei Schenzinger einen entschieden nationalistischen Zug: deutsche Forscher wirken selbstlos zum Wohle der Menschheit, was die Siegermächte des 1. Weltkriegs zu verhindern versuchen, indem die Früchte deutscher Geistesarbeit (Patente, Literatur) gestohlen werden oder durch dunkle Machenschaften die Entfaltung des von ihnen ausgehenden Segens zu hintertreiben versucht wird. Zu den Hintermännern dieser Machenschaften gehören „vorwiegend Händler […], die aus ihrem Blut und ihrer Gesinnung heraus dem neuen Deutschland nicht gewogen waren.“[1] Schenzinger stellt fest: „Der künstliche Werkstoff bedingt heute die Zukunft der deutschen Nation. Der künstliche Werkstoff ist zur deutschen Lebensfrage geworden.“[2]

Das Buch Anilin war auch noch in der Nachkriegszeit erfolgreich und erreichte 1951 eine Auflage von 1,6 Millionen.[3] Allerdings handelte es sich um eine sehr sorgfältig durchgesehene, von allen nun anstößigen Formulierungen bereinigte Fassung. Das oben angeführte Zitat lautete in der Nachkriegsversion: „Der künstliche Werkstoff bedingt heute die Zukunft der deutschen Wirtschaft.“[4]

Weitere Sachromane Schenzingers waren Atom (1950) und Schnelldampfer (1951).

Zweiter Weltkrieg

Im Zweiten Weltkrieg war Schenzinger als Arzt bei der deutschen Luftwaffe in Wien stationiert. Dort lernte er seine um 30 Jahre jüngere Ehefrau Gertraud kennen, die er 1944 heiratete. Zwei Jahre danach kam Sohn Axel auf die Welt.

Nachkriegszeit

Nach Kriegsende wurde Schenzinger im Lager Mauerkirchen in der amerikanischen Zone interniert. Vor der Landauer Spruchkammer wurde er als „Mitläufer“ eingestuft, da er trotz Sympathien für den Nationalsozialismus nie eingetragenes Mitglied der NSDAP war. Zwischen 1945 und 1949 war er in der Amerikanischen Besatzungszone mit einem Verbot schriftstellerischer Tätigkeiten belegt. In der Sowjetischen Besatzungszone wurden viele seiner Schriften auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[5][6]

Schenzinger übte erneut seinen Beruf als Arzt aus und praktizierte zunächst an der Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen bei Deggendorf. Dort eröffnete er 1950 auch eine eigene Arztpraxis, ohne in dieser Zeit vom Schreiben abzulassen. Ab 1951 lebte er mit seiner Familie in Prien am Chiemsee, wo er 1962 im Alter von 76 Jahren starb.

Schenzingers Vergangenheit als Autor eines der bekanntesten NS-Propagandaromane behinderte keineswegs seine Nachkriegskarriere. In dem Jahrzehnt vor seinem Tod entstanden weitere populärwissenschaftliche Bücher, und seine naturwissenschaftlichen Romane wurden mehrmals neu aufgelegt, zuletzt 1973–1975 als Heyne-Taschenbuch. Im Heimatbuch der Gemeinde Schwendi von 1969[7] wird er im Kapitel Bedeutende Männer als Gestalter „sprödeste[r] technische[r] Probleme zu spannenden Romanen in farbigster Art“ porträtiert, ohne dass der Hitlerjunge Quex auch nur erwähnt wird.

Werke

  • 1919: Berggang. In: Das Kestnerbuch. Böhme, Hannover. 1921 bei Rowohlt
  • 1926: Ass! Ass! und Ass! Kiepenheuer, Potsdam.
  • 1926: ††† – Das Drama mit den drei Kreuzen. Kiepenheuer, Potsdam.
  • 1928: Abitur am Niagara. Josef Singer, Berlin.
  • 1929: Hinter Hamburg. Brückenverlag, Berlin.
  • 1931: Man will uns kündigen. Dom Verlag, Berlin.
  • 1932: Busse wandert aus. Berlin: Die Buchgemeinde.
  • 1932: Es brennt in USA. Dom Verlag, Berlin.
  • 1932: Der Hitlerjunge Quex. Zeitgeschichte-Verlag, Berlin u. a.
  • 1933 bis 1940: Der Braune Reiter. Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift des Braunen Buch-Rings des Zeitgeschichte-Verlags Wilhelm Andermann Berlin.
  • 1933: Feuer in USA. Die Buchgemeinde, Berlin.
  • 1933: Ein Deutscher wandert aus. Dom, Berlin.
  • 1933: Wehe den Wehrlosen! Zeitgeschichte-Verlag, Berlin u. a.
  • 1933: Der erste deutsche Mai. Herausgeber des Bildbandes. Zeitgeschichte-Verlag, Berlin,
  • 1934: Der Herrgottsbacher Schülermarsch. Zeitgeschichte-Verlag, Berlin.
  • 1936: Der schwarze Ritter. Kriegserlebnisse des Kampffliegers Eduard Ritter von Schleich. Zeitgeschichte-Verlag, Berlin.
  • 1937: 1932 – Das unruhige Jahr. Die Geschichte einer dt. Familie. Zeitgeschichte-Verlag, Berlin.
  • 1937: Anilin. Zeitgeschichte-Verlag, Berlin.
  • 1939: Metall. Andermann, Berlin.
  • 1950: Atom. Andermann, München.
  • 1951: Schnelldampfer. Andermann, München u. a.
  • 1951: Bei I.G. Farben. Andermann, München u. a.
  • 1956: 99 % Wasser. Roman des Unentbehrlichen. Franckh, Stuttgart.
  • 1957: Magie der lebenden Zelle. Andermann, München u. a.
  • 1969: mit Heiner Simon und Anton Zischka: Heinrich Nordhoff. Andermann, München.

Literatur

  • Hans Krah: Literatur und ‚Modernität’. Das Beispiel Karl Aloys Schenzinger. In: Gustav Frank, Rachel Palfreyman, Stefan Scherer (Hrsg.): Modern Times? German Literature and Arts Beyond Political Chronologies. Kontinuitäten der Kultur. 1925–1955. Aisthesis, Bielefeld 2005, ISBN 3-89528-415-7.
  • Christian Adam: Lesen unter Hitler. Galiani, Berlin 2010, ISBN 978-3869710273
  • Johannes Sachslehner: Schenzinger, Aloys. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, S. 683 f. (Onlinefassung).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Schenzinger Anilin Berlin 1937, S. 297
  2. Schenzinger Anilin Berlin 1937, S. 305
  3. Adam Lesen unter Hitler Berlin 2010, S. 87
  4. Schenzinger Anilin München 1949, S. 378
  5. http://www.polunbi.de/bibliothek/1946-nslit-s.html
  6. http://www.polunbi.de/bibliothek/1948-nslit-s.html
  7. Max Hammer: Schwendi. Heimatbuch einer Gemeinde in Oberschwaben. Konrad, Weißenhorn 1969, S. 126

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