- Anilin
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Strukturformel Allgemeines Name Anilin Andere Namen - Aminobenzol
- Aminobenzen
- Benzenamin
- Benzidam
- Phenylamin
Summenformel C6H7N CAS-Nummer 62-53-3 PubChem 6115 Kurzbeschreibung farblose bis braune Flüssigkeit mit aminartigem Geruch[1]
Eigenschaften Molare Masse 93,13 g·mol−1 Aggregatzustand flüssig
Dichte 1,02 g·cm−3[1]
Schmelzpunkt Siedepunkt 184 °C[1]
Dampfdruck Löslichkeit schlecht in Wasser (34 g·l−1)[1]
Sicherheitshinweise GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [1] Gefahr
H- und P-Sätze H: 351-341-331-311-301-372-318-317-400 EUH: keine EUH-Sätze P: 273-280-308+313-302+352-305+351+338-309-310 [1] EU-Gefahrstoffkennzeichnung aus RL 67/548/EWG, Anh. I [2] Giftig Umwelt-
gefährlich(T) (N) R- und S-Sätze R: 23/24/25-40-41-43-48/23/24/25-68-50 S: (1/2)-26-27-36/37/39-45-46-61-63 MAK 2 ml·m−3 bzw. 7,7 mg·m−3[1]
LD50 Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Anilin [aniˈliːn] (nach spanisch oder auch arabisch: an-nil = blau = Indigo-Farbe) ist eine farblose, leicht ölige Flüssigkeit mit süßlichem Geruch, die an der Luft leicht bräunlich wird. Es handelt sich um einen Benzolring mit einer Aminogruppe (–NH2) und damit um eine aromatische Verbindung. Mit Säuren versetzt bildet es Anilinsalze. Die basische Wirkung von Anilin wird durch den mesomeren Effekt verringert, da dieser die Elektronendichte der Aminogruppe verringert.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Anilin wurde 1826 von Otto Unverdorben erstmals durch Kalkdestillation aus Indigo hergestellt.[4] Er nannte das erhaltene Öl Crystallin (eine charakteristische Eigenschaft ist die Bildung kristallisierbarer Salze mit Säuren). 1834 isolierte Friedlieb Ferdinand Runge erstmal Anilin aus der lange Zeit wichtigsten Quelle, dem Steinkohlenteer[5], den er Kyanol (Blauöl, nach dem Verhalten der Substanz gegenüber Chlorkalklösung) nannte. Fritzsche hatte 1840 das Anilin aus der Destillation von Anthranilsäure erhalten, er konnte auch die Identität des von Zinin dargestellten Produktes nachweisen.[6]Zinin erhielt Anilin (von ihm Benzidam genannt) aus Nitrobenzol durch Reduktion mit Schwefelwasserstoff.[7] A. W. Hofmann zeigte, dass diese Verbindungen identisch sind, er konnte ferner das Nitrobenzol mit einem deutlich verbesserten Verfahren (Zink + Säure) zu Anilin reduzieren.[8], [9]
Seit 1897 wird Anilin von der Badischen Anilin- und Soda-Fabrik (BASF) zur Synthese des vorher nur aus pflanzlichen Rohstoffen gewonnenen Farbstoffs Indigo eingesetzt (Heumann-Synthese). Schon vorher wurde Anilin in großem Maßstab hergestellt, etwa von der Agfa (Aktien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation) ab 1873. Eine bekannte Anwendung des Farbstoffes war Anilinleder. Auch in der Drucktechnik wurde Anilin verwendet, u. a. bekam der Flexodruck den auch heute noch verwendeten Beinamen Anilindruck, da erst durch das Anilin eine gute Druckqualität erzeugt werden konnte.
Herstellung
In der Technik gewinnt man Anilin durch eine Reduktion von Nitrobenzol mit Eisen in Gegenwart von Salzsäure (Bechamp-Reduktion):
- Nitrobenzol, Eisen und Wasser reagieren zu Anilin und Eisen(II,III)-oxid.
Anschließend wird mit Branntkalk (CaO) neutralisiert, und das Anilin zusammen mit dem Wasser abdestilliert. Das als Nebenprodukt entstehende Eisen(II,III)-oxid kann als Pigment eingesetzt werden.
Es gibt noch andere Verfahren, zum Beispiel die Ammonolyse von Chlorbenzol oder Phenol:
Verwendung
Es dient in der chemischen Industrie in erster Linie als Ausgangsstoff für die Synthese von Farben und Kunstfasern, aber auch zur Herstellung von Kautschuk und Medikamenten und als Komponente hypergoler Treibstoffe in der Raumfahrt.
Reaktionen
Die Reaktion von Anilin mit alkalischer Acetonlösung führt zum N-(2-Propyliden)anilin:
Die Reaktion von Anilin mit Benzaldehyd führt zum Benzalanilin (Benzylidenanilin):
Bei der Reaktion von Anilin mit Essigsäureanhydrid entsteht das N-Phenylacetamid (Acetanilid):
Anilin ist das einfachste aromatische Amin, das nicht wasserlöslich ist. Um die Wasserlöslichkeit zu begünstigen bzw. diese zu erhöhen, versetzt man das Anilin mit einer Säure (beispielsweise Salzsäure)- dies führt zur sofortigen Salzbildung. Mit Salzsäure entsteht das Anilinhydrochlorid (Aniliniumchlorid):
Auch die Sulfonierung an Anilin ist möglich. Hierbei handelt es sich um eine elektrophile aromatische Substitution (SE). Als elektrophiles Teilchen wird Schwefeltrioxid (SO3) eingeführt, welches durch Reaktion von Schwefelsäure mit sich selbst gebildet wird:
Bildung des Elektrophils (Schwefeltrioxid):
Nach dem Prinzip der elektrophilen Substitution (Sulfonierung) ist die Sulfanilsäure synthetisierbar.
Auch weitere elektrophile Substitutionen sind möglich. Beispielsweise die Halogenierung, die Friedel-Crafts-Alkylierung und die Friedel-Crafts-Acylierung.
Lässt man Anilin mit seinem Salz (beispielsweise Anilinhydrochlorid) in der Hitze reagieren, so entsteht das Diphenylamin:
Die Darstellung von Nitrobenzol aus Anilin ist ebenfalls denkbar. Dabei wird das Anilin mit einem Oxidationsmittel (wie zum Beispiel Wasserstoffperoxid, mCPBA, Kaliumpermanganat, Chrom(VI)-oxid oder Blei(IV)-oxid) über die Zwischenstufe Nitrosobenzol zum Nitrobenzol umgesetzt.
Die Reaktion von Nitrosobenzol und Anilin führt durch Wasserabspaltung zu, Azobenzol:
Eine direkte Nitrierung mit Nitriersäure führt zu Oxidationen der Aminogruppe. Die gewünschten Nitroaniline erhält man erst nach vorherigem Schützen der Aminogruppe als Acetanilid.
Wenn man die nun erhaltenen Nitroaniline mithilfe eines Reduktionsmittels (wie zum Beispiel Zink in Salzsäure, Natriumborhydrid,Lithiumaluminiumhydrid oder Natriumsulfit) reduziert, erhält man die Phenylendiamine:
Eine katalytische Hydrierung von Anilin in Gegenwart eines Katalysators führt zum Cyclohexylamin (CHA). Als Katalysator für katalytische Hydrierungen benutzt man üblicherweise (Edel)-Metalle wie zum Beispiel Palladium:
Ebenso ist auch die Reaktion mit dem Namen Diazotierung bekannt. Dabei reagiert das Anilin mit Natriumnitrit in Gegenwart von zum Beispiel Salzsäure oder salpetriger Säure zum Benzoldiazoniumchlorid:
Das Benzoldiazoniumchlorid ist ein starkes, instabiles Elektrophil, das in der Farbstoffchemie eine große Anwendung findet. Das Benzoldiazoniumchlorid kann dabei zum Beispiel mit Wasser zu Phenol unter Stickstoffverlust reagieren. Ebenso ist eine Sandmeyer-Reaktion in Gegenwart von Kupfer(I)-chlorid und Salzsäure unter Wärmezufuhr möglich – dabei entsteht das Chlorbenzol ebenfalls unter Stickstoffverlust. Unter Erhalt von Stickstoff lässt sich das Benzoldiazoniumion zum Beispiel mit Natriumsulfit in wässriger Lösung zum Phenylhydrazin reduzieren:
Lässt man das Benzoldiazoniumchlorid zum Beispiel mit einer alkalischen 2-Naphthol-Lösung (C10H7O) reagieren, so erhält man unter Erhalt von Stickstoff das sog. Sudan I. Diese Reaktion wird auch als Kupplungsreaktion, genauer als Azokupplung bezeichnet:
Abgesehen vom den Naphtholen können auch andere Kupplungsreagenzien wie zum Beispiel 1-Naphthylamin eingesetzt werden. Aufgrund der Vielzahl an möglichen Kupplungsreagenzien existieren viele wichtige Azofarbstoffe, deshalb bilden sie zahlenmäßig auch die stärkste Farbstoffklasse.
Lässt man Anilin mit Formaldehyd (37%ig) nach dem Mechanismus der Aldol-Addition reagieren erhält man das N-Methylidenanilin:
Der Reaktionsmechanismus ist ähnlich einer Aldoladdition mit anschließender Aldolkondensation. Zuerst greift der Stickstoff der Aminogruppe des Anilins an der Aldehydgruppe (Carbonylgruppe) des Formaldehyd an. Aus dem doppelt gebundenem Sauerstoff der Aldehydgruppe wird ein einfach gebundener mit einer negativen Ladung. Der Stickstoff ist vorerst positiv geladen, bis er sein Proton an den negativ geladenen Sauerstoff der Aldehydgruppe abgibt. Spontan oder durch Zugabe eines wasserentziehenden Mittels wird aus dem Molekül Wasser abgespalten (Hydroxygruppe des ehemaligen Formaldehyds + Proton des Stickstoffs). Zustande kommt eine Verbindung der allgemeinen Struktur R'–N=CH–R). N-Methylidenanilin gehört zu der Verbindungsklasse der Azomethine (Schiffschen Basen) und besitzt aufgrund der Methylidengruppe einen sehr reaktiven Angriffspunkt für Nucleophile.
Sicherheitshinweise
Anilin ist ein starkes Blutgift. Es oxidiert den roten Blutfarbstoff Hämoglobin zu Methämoglobin und verhindert damit den Sauerstofftransport im Blut. Das Gift kann durch Schlucken, Einatmen und durch die Haut aufgenommen werden. Bei leichten Vergiftungen kommt es zur Blaufärbung der Haut und der Fingernägel, zu Schwindelanfällen und Erregungszuständen. Bei höherer Konzentration treten Kopfschmerzen, Schwindel, Bewusstseinsstörungen und Atemnot auf. Letzteres kann den Tod verursachen. Langfristige Vergiftungserscheinungen zeigen sich in Schwächegefühl, Appetitlosigkeit und Blasenkrebs. Beim Verdacht auf eine Anilinvergiftung sollte man den Betroffenen an die frische Luft bringen, betroffene Hautpartien gut abwaschen, und einen Notarzt hinzuziehen. Bei Atemstillstand sollte man eine künstliche Beatmung durchführen, sofern dies ohne direkten Hautkontakt möglich ist (Eigenschutz des Ersthelfers: Verwendung von geeigneten Beatmungshilfen).
Anilin war 1981 auch eine der Ursachen für die in Spanien durch verunreinigtes Rapsöl aufgetretenen Massenvergiftung (Spanisches Ölsyndrom)[10]: Mit Anilin vergälltes Rapsöl für industrielle Zwecke wurde dabei redestilliert und anschließend über Straßenhändler als „Olivenöl“ verkauft. 20.000 Personen erkrankten, 400 starben. Die genauen Ursachen der Vergiftung allerdings sind bis heute ungeklärt.
Siehe auch
Literatur
- Karl Aloys Schenzinger: Anilin – Roman eines Farbstoffes. 1936, ASIN: B000W83G7E.
- Christian Mähr: Von Alkohol bis Zucker – Zwölf Substanzen, die die Welt veränderten, Köln 2010, ISBN 978-3-8321-9549-6.
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g h i Eintrag zu Anilin in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 13. September 2007 (JavaScript erforderlich).
- ↑ Eintrag zu CAS-Nr. 62-53-3 im European chemical Substances Information System ESIS
- ↑ a b Datenblatt Anilin bei Merck, abgerufen am 19. Januar 2011.
- ↑ Otto Unverdorben: "Ueber das Verhalten der organischen Körper in höheren Temperaturen", in: Annalen der Physik und Chemie VIII (1826). S. 397 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
- ↑ F. F. Runge: Annalen der Physik und Chemie XXXI (1834). S. 65 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
- ↑ Annalen der Chemie, 36, Nr.1, 84-90 (1840), J. Fritzsche: Über das Anilin, ein neues Zersetzungsprodukt des Indigos
- ↑ Dr. N. Zinin: Journal für praktische Chemie (1842). S. 140 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
- ↑ A.W. Von Hofmann, J. S. Muspratt: Neue Bildungsweisen des Anilins, Vol. 53 (1845), S.221-229 Annalen der Chemie (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
- ↑ A. W. von Hofmann: Über eine sichere Reaction auf Benzol, S. 200, Liebigs Annalen, XLVIII
- ↑ E. Gelpí et al.: “The Spanish Toxic Oil Syndrome 20 Years after Its Onset: A Multidisciplinary Review of Scientific Knowledge”. Environmental Health Perspectives 110 (5) (2002). (PDF, 745 kB).
Weblinks
Commons: Anilin – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienWikisource: Einen „Beitrag zur Geschichte wissenschaftlicher Entdeckungen“ – Die Entdeckung des Anilin durch Friedlieb Ferdinand Runge. In: Die Gartenlaube, 1863.Kategorien:- Stoff mit Verdacht auf krebserzeugende Wirkung
- Giftiger Stoff
- Sensibilisierender Stoff
- Umweltgefährlicher Stoff
- Aminobenzol
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