Medienpsychologie

Medienpsychologie

Medienpsychologie ist ein Zweig der Psychologie, der menschliches Erleben und Verhalten im Umgang mit Medien untersucht. Obwohl diese Disziplin im Vergleich zu anderen psychologischen Teilgebieten recht jung ist, hat sie sich als eigenständiger Zweig der Psychologie etabliert. Die Ursprünge der Medienpsychologie gehen auf Forschung zum Film und Hörfunk zurück. Seit den 1990er-Jahren werden zunehmend auch Neue Medien wie Online-Dienste, interaktives Fernsehen und andere computergestützte Medien untersucht.

Inhaltsverzeichnis

Gegenstand

Medienpsychologen beschäftigen sich zum einen mit der Frage, welche Voraussetzungen für eine effiziente Auswahl und Nutzung von Medien erfüllt sein müssen (Motivation, individuelle Kompetenz), zum anderen untersuchen sie die Effekte von Medien auf Individuen und Gruppen. Eine weitere Aufgabe der Medienpsychologie ist es, Grundlagen für die Weiter- bzw. Neuentwicklung von Medien zu schaffen. Es werden sowohl Massenmedien, bei denen der Informationsfluss von einem Sender zu vielen Empfängern (Rezipienten) läuft (Fernsehen, Zeitung), als auch Medien der Individualkommunikation, bei denen der Informationsfluss in beide Richtungen läuft (z. B. E-Mail), betrachtet. Meist wird die Medienpsychologie dem Bereich der angewandten Psychologie zugeordnet, allerdings bewegt sich ein großer Teil der Medienpsychologen eher im Bereich der Grundlagenforschung.

Eine wichtige Basis der Medienpsychologie stellen Theorien zur Kommunikation und Massenkommunikation dar.

Geschichte

Schon Anfang des 20. Jahrhunderts begann man sich mit medienpsychologischen Problemstellungen und Theorieansätzen zu beschäftigen. Allerdings war zu dieser Zeit der Begriff der Medienpsychologie noch nicht geprägt, weshalb Veröffentlichungen nicht unter dem Begriff der Medienpsychologie entstanden. Das Ziel der meisten dieser frühen Untersuchungen war es, die Inhalte von Medien und den Umgang mit ihnen zu verstehen. Dazu wurde der Zusammenhang zwischen der Nutzung von Medien und verschiedenen individuellen Variablen, die beispielsweise auf Soziodemographie, Persönlichkeit oder das Lernverhalten der Nutzer bezogen wurden, untersucht. Die Geschichte der Medien selbst findet sich auch in der Geschichte der Medienpsychologie wieder. 1912 wurde der erste Stummfilm gezeigt und 1913 begann man in Deutschland und Anglo-Amerika das Thema Film zu beforschen. 1916 wurde die erste psychologische Studie zum Film von Hugo Münsterberg durchgeführt: The photoplay - A psychological study. Darin sollte die Bedeutung des damals neuen Mediums für die Gesellschaft und das Individuum beleuchtet werden. In dieser Zeit interessierte man sich vor allem für die pädagogischen Einsatzmöglichkeiten des Films und dessen Wirkung auf Jugendliche. 1950 wurde die Filmforschung dann durch die Fernsehforschung abgelöst. Deren erste Studien (1950 – 1970) beschäftigten zum einen mit den individuellen Merkmalen der Nutzer. Außerdem wurden die TV-Nutzungsgewohnheiten von Jugendlichen untersucht und man prüfte, wie der Fernseher zum Lehren und Lernen eingesetzt werden konnte. Allerdings widersprachen die ersten Ergebnisse den Annahmen der Forscher: Durch die Nutzung des Fernsehers verminderten sich die sozialen Aktivitäten nicht und man fand keine Zusammenhänge zwischen der Fernsehnutzung und formaler Bildung. Auch negative Auswirkungen auf Jugendliche konnten nicht nachgewiesen werden. Man begann jedoch erst in den 1970er Jahren, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, was wesentlich zur Konturierung des Faches Medienpsychologie in Deutschland beitrug.

Als weiteres großes Forschungsfeld ist die Radioforschung zu nennen, die einen Teil der theoretischen Grundlagen der heutigen Medienpsychologie hervorbrachte. Als die wichtigsten Vertreter der frühen Radioforschung gelten Gordon W. Allport, Hadley Cantril, Hazel Gaudet, Herta Herzog und Paul F. Lazarsfeld. Ähnlich wie in der Fernsehforschung gab es auch hier vor allem drei große Themenkomplexe: Man untersuchte die soziodemographischen Charakteristika der Rezipienten und ihr Rezeptionserleben und beschäftigte sich mit der damit verknüpften Frage nach den Gratifikationen von Radioprogrammen und ihrer Bewertung durch die Hörer. Außerdem bestand ein großes Interesse an der Methodenforschung. Des Weiteren befasste man sich mit der Bedeutung des Radios in Zeiten des Krieges, insbesondere mit dem Radio in Deutschland und mit deutschen Radiosendungen.

Den Printmedien hat die sich entwickelnde Medienforschung weniger Aufmerksamkeit zugewandt, was damit zusammenhängt, dass zu dieser Zeit bereits zeitungswissenschaftliche Institute etabliert waren. Die Medienpsychologie beschäftigte sich allerdings mit dem Lesen von Büchern und untersuchte vor allem die Lesemotivation und die Wirkung von Lektüre. Ende der 1970er Jahre bis in die 1990er Jahre konnte die Medienpsychologische Forschung einen wahren Boom erleben, dessen Höhepunkt Ende der 1980er Jahre lag. Die medienpsychologische Forschung dieser Zeit lässt sich anhand von zwei Dimensionen bestimmen: Die klassischen Fragen der Medienpsychologie beschäftigen sich mit den Forschungsarbeiten der 1970er Jahre, weiteten diese aus und systematisierten sie, untersucht wurde vor allem das Fernsehen.

Die aktuellen Fragen der Medienpsychologie haben hauptsächlich Neue Medien wie das interaktive Fernsehen, das Internet oder andere computergestützte Medien zum Forschungsgegenstand. Gefördert werden medienpsychologischen Themen in Deutschland vor allem durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Landesmedienanstalten. Die Tatsache, dass die Medienpsychologie heute als Institution etabliert ist, verdankt sie vor allem den medienpsychologischen Periodika. In Deutschland ist dies heute vor allem die Zeitschrift für Medienpsychologie, die beim Hogrefe-Verlag erscheint, seit 2008 englischsprachig als Journal of Media Psychology. Das US-amerikanische Pendant ist die Media Psychology. Die Gründung der Fachgruppe Medienpsychologie war eine weitere formale Konsequenz aus der zunehmenden Etablierung des Faches auf inhaltlicher Ebene. Heute, im 21. Jahrhundert, wird die medienpsychologische Forschung der 1990er Jahre fortgeführt. Ein Schwerpunkt liegt heute auf der Auseinandersetzung mit dem Rezeptionserleben und –verhalten. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der computer-vermittelten Kommunikation (cvK) und der Mensch-Computer-Interaktion. Der dritte Schwerpunkt bezieht sich ebenfalls auf computergestützte Medien, dabei geht es um das Lernen und die Sozialisation mit Neuen Medien.

Forschungsfelder

  1. Werbewirkungsforschung
  2. parasoziale Beziehungen
  3. Kultivationshypothese
  4. emotionale Medienwirkungen
  5. Darstellung von Gewalt in Medien und deren Folgen
  6. Medienkompetenz
  7. Wissensvermittlung durch Fernsehen (Schulfernsehen, Telekolleg)
  8. Analyse der Mensch-Computer-Interaktion
  9. Netzbasierte Wissenskommunikation
  10. Analyse der Nutzung von Computerspielen
  11. computervermittelte Kommunikation

Institute für Medienpsychologie

Literatur

  • Bernad Batinic, Markus Appel (Hrsg.): Medienpsychologie. Springer, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-46894-3.
  • Gary Bente, Roland Mangold, Peter Vorderer (Hrsg.): Lehrbuch der Medienpsychologie. Hogrefe, Göttingen/Bern/Toronto/Seattle 2004, ISBN 3-8017-1489-6.
  • Hanko Bommert, Christel Dirksmeier, Ralf Kleyböcker: Differentielle Medienrezeption. Lit, Münster 2000, ISBN 3-8258-4897-3.
  • Hanko Bommert, Karl W. Weich, Christel Dirksmeier: Rezipientenpersönlichkeit und Medienwirkung. Lit, Münster 2000, ISBN 3-8258-2109-9.
  • Hanko Bommert, Ralf Kleyböcker, Andrea Voß-Frick: TV-Interviews im Urteil der Zuschauer. Lit, Münster 2002, ISBN 3-8258-6073-6.
  • Hanko Bommert, Andrea Voß-Frick: Fakten und Images - Interviews im dualen System des deutschen Fernsehens. Lit, Münster 2005, ISBN 3-8258-8366-3.
  • Wolfgang Frindte: Einführung in die Kommunikationspsychologie. Beltz, Weinheim/Basel 2002, ISBN 3-407-25254-4.
  • Nicole C. Krämer, Stephan Schwan, Dagmar Unz, Monika Suckfüll (Hrsg.): Medienpsychologie: Schlüsselbegriffe und Konzepte. Kohlhammer, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-17-020112-5.
  • Schwab, Frank: Evolution und Emotion. Evolutionäre Perspektiven in der Emotionsforschung und der angewandten Psychologie. Kohlhammer, Stuttgart 2008, ISBN 3-17-017188-7.
  • Peter Winterhoff-Spurk: Fernsehen - Fakten zur Medienwirkung. 2. Auflage, Huber, Bern 2001, ISBN 3-456-83443-8.
  • Peter Winterhoff-Spurk: Kalte Herzen - Wie das Fernsehen unseren Charakter formt. Klett-Cotta, Stuttgart 2005, ISBN 3-608-94102-9.
  • Peter Winterhoff-Spurk: Medienpsychologie - Eine Einführung. Kohlhammer, Stuttgart 2004, ISBN 3-17-017966-7.
  • Leon Tsvasman (Hrsg.): Das große Lexikon Medien und Kommunikation. Kompendium interdisziplinärer Konzepte. Ergon Verlag, Würzburg 2006, ISBN 3-89913-515-6.
  • Ulrike Six, Ulrich Gleich, Roland Gimmler (Hrsg.): Kommunikationspsychologie und Medienpsychologie. Beltz, Weinheim 2007, ISBN 978-3-621-27591-0.
Fachzeitschriften

Weblinks


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