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Die Nord-Stream-Pipeline, ehemals North European Gas Pipeline, NEGP, auch Ostseepipeline, ist eine Gasleitung, die am 8. November 2011 eingeweiht wurde und russisches Erdgas vom Erdgasfeld Juschno-Russkoje durch die Ostsee nach Deutschland transportiert. Eigentümer sind der russische Gasexportmonopolist Gazprom mit 51 %, die deutschen Energieversorger Wintershall und E.ON mit jeweils 15,5 % sowie die niederländische Gasunie und die französische GDF Suez mit jeweils 9 %.[1]
Inhaltsverzeichnis
Planung und Bau
Planung
Um den künftigen Erdgasbedarf in den EU-Mitgliedstaaten zu decken und erstmals einen direkten Zugang zum europäischen Absatzmarkt zu erhalten, hatte Russland vorgeschlagen, eine Erdgasleitung durch die Ostsee von Russland nach Deutschland zu errichten. Die Planungen zum Bau der Ostsee-Gaspipeline wurde anfangs von der EU unterstützt und das Projekt erhielt bereits im Jahr 2000 den Status eines prioritären Projekts im Programm Transeuropäische Netze. Im September 2005 unterzeichneten der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und der damalige russische Präsident Wladimir Putin dazu eine Absichtserklärung.
Die Haltung gegenüber dem Projekt änderte sich jedoch teilweise, nachdem Russland Ende 2005 der Ukraine wegen Unstimmigkeiten Gaslieferungen sperrte. Hierdurch kam es kurzfristig auch zu Lieferausfällen in die EU. Analoge Vorgehen wiederholten sich bei Gaslieferungen nach Weißrussland und Georgien. In den von russischen Erdgaslieferungen besonders abhängigen mittel- und nordosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten stieg nach diesen Ereignissen die Skepsis gegenüber der geplanten Ostseepipeline. Auf EU-Ebene beschleunigten diese Vorkommnisse Überlegungen, eine eigene Energieaußenpolitik zu entwickeln und künftig Energiequellen, Lieferanten und Transportwege stärker zu diversifizieren. In diesem Zusammenhang wurde beschlossen, den Bau einer anderen Gaspipeline vom Schwarzen Meer unter Umgehung Russlands, der Nabucco-Pipeline, nach Österreich zu unterstützen.
Die Ostsee-Pipeline beginnt im russischen Wyborg und erreicht Deutschland in Lubmin bei Greifswald. Sie hat eine Länge von 1223 Kilometer und verläuft – abgesehen von Anfangs- und Endpunkt – ausschließlich durch Seegebiete, die keinem Hoheitsgebiet eines Anrainerstaates zugeordnet sind. Die durchquerten Seegebiete liegen jedoch in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Schwedens, Finnlands und Dänemarks. Aufgrund der deshalb notwendigen Genehmigungsverfahren können diese Länder Einfluss auf den Bau der Pipeline nehmen.
Das Projekt sieht auch die Möglichkeit vor, Abzweigungen nach Polen und Lettland zu bauen, dies wird von beiden Ländern bislang jedoch strikt abgelehnt. Über die in Lubmin abzweigende Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung (OPAL) wird Tschechien angebunden, über die geplante Nordeuropäische Erdgasleitung und die ebenfalls in Planung befindliche NORDAL-Pipeline ist ein Anschluss an das deutsche Gasnetz vorgesehen.
Die Leitung soll im Endausbau jährlich etwa 55 Milliarden Kubikmeter Gas über zwei parallele Leitungsstränge befördern können. Nach ursprünglich 4 Milliarden Euro werden die Kosten Ende März 2008 auf 7,6 Milliarden Euro geschätzt.
Bau
Am 8. September 2005 wurde der Vertrag über den Bau der Pipeline von der russischen Gazprom und den deutschen Konzernen E.ON Ruhrgas und BASF im Beisein von Gerhard Schröder und Wladimir Putin unterzeichnet. Eigentümerin und Betreiberin wird die Nord Stream AG mit Sitz in Zug in der Schweiz, in der seit 2006 der deutsche Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder und auch der frühere finnische Ministerpräsident Paavo Lipponen beschäftigt sind. Der Name der Pipeline wurde inzwischen in Nord Stream geändert.
Am 9. Dezember 2005 begannen in Babajewo die Bauarbeiten für den russischen Landabschnitt der Pipeline. Rohre für die Pipeline lagern bis zu ihrer Verlegung auch im Fährhafen Sassnitz (Rügen). Vor der Verlegung mit einem Spezialschiff werden sie mit Beton ummantelt und auf dem Schiff vor Ort endlos verschweißt. Die Stahlrohre haben einen Innendurchmesser von 1,153 Meter, eine Wanddicke zwischen 27 und 41 Millimeter, Auslegungsdrücke von 220/200/170 bar, und bei einer Länge von 13 Metern eine Masse von 11 Tonnen. Durch 60–150 mm Betonmantel erhöht sich die Masse auf je 25 Tonnen, um gut am Meeresboden zu liegen.[1]
Nach der Regierung Dänemarks erteilten im November 2009 die Regierungen Finnlands und Schwedens die Erlaubnis zum Bau des Nord Stream durch die Ostsee.[2] Am 21. Dezember kam die Genehmigung Deutschlands hinzu. Der Planfeststellungsbeschluss gilt für ein 50 km langes Trassenstück im Zuständigkeitsbereich des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern.[3]
Das erste Rohr für die rund 1220 km lange Pipeline vom russischen Wyborg bis ins mecklenburg-vorpommersche Lubmin bei Greifswald wurde am 6. April 2010 vom Rohrleger Castoro Sei am Meeresgrund verlegt.[4]
Die Rohre werden per Schiff angeliefert, hochgekrant, zuerst jeweils paarweise und dann ebenfalls an Deck an das Pipelineende geschweißt, das langsam unterstützt durch eine mehrere hundert Meter lange Ablauframpe, den Stinger, leicht gebogen unter Zug in Richtung Meeresboden abgelassen wird. Jede Schweißnaht – von innen dünn, von außen ein „V“ – wird mit Ultraschall und magnetisch geprüft und bei Bedarf ausgebessert. Nach dem Korrosionsschutz wird jede Fügestelle mit Schrumpfschlauch und Verguss mit PU-Harz stabil doch reparierbar abgedeckt. Pro Tag können so drei Kilometer Pipeline gefertigt und verlegt werden.
Seit Mitte 2010 kommen zwei andere Verlegeschiffe, die Castoro 10 und die Solitaire, zum Einsatz, wobei ersteres die weniger tiefliegenden Abschnitte am Ost- und Westende verlegt. Die Pipeline wird meist frei auf ausgesucht ebene Stellen des Meeresgrundes gelegt, im Bereich von Schifffahrtsrouten oder nahe den Landungsstellen jedoch in einen hergestellten Graben, der mit Sand gefüllt wird, um Schutz vor Ankern zu gewähren. Der dänischen Insel Bornholm wird nördlich mit acht Kilometer ausgewichen, um Sicherheitsabstand vor Munitionsablagerungen südlich der Insel zu gewähren.[5]
Ab 15. Mai 2010 wurden umfangreiche Baggerarbeiten im Trassenverlauf innerhalb des Greifswalder Boddens durchgeführt. Die Arbeiten wurden Ende 2010 erfolgreich abgeschlossen.[6] Der Beginn der Rohrverlegearbeiten erfolgte dort ab der 26. Kalenderwoche. Vom Anlandungspunkt der Gasleitung, dicht östlich der Zufahrt vom Hafen Lubmin, über Neptungrund, Schumachergrund, dem Fahrwasser „Landtief“ folgend zur Tonne „Landtief A“ werden die Verlegearbeiten beider Rohrstränge durch die Verlegebarge Castoro 10 durchgeführt.[7][8]
Die Nord Stream AG hat am 5. Mai 2011 die Fertigstellung des ersten Stranges der Pipeline gemeldet und verkündete in diesem Zusammenhang, dass die Arbeiten planmäßig voran gingen und der Bau pünktlich im Jahr 2012 abgeschlossen werde.[9] Gazprom-Chef Miller sagte, dass man angesichts der steigenden Gasnachfrage in Europa den möglichen Bau von zusätzlichen Zweigen erörtern kann.[10][11]
Baulogistik
Für die zweisträngige Pipeline werden insgesamt 200.000 Rohre mit einer Länge von jeweils zwölf Meter und einem Gewicht von etwa zwölf Tonnen benötigt. Für den ersten Strang lieferte Europipe (Mülheim/Ruhr) 75.000 und der russische Hersteller OMK (Wyksa) 25.000 Rohre. In Deutschland wurden jede Woche 15 Güterzüge, die mit jeweils 100 Rohren beladen waren, von DB Schenker Rail zum Fährhafen Sassnitz (Mukran) gefahren. In Russland wurden die Großrohre durch die RŽD zum finnischen Seehafen Kotka transportiert. In beiden Seehäfen befanden sich Spezialwerke, in denen die Stahlrohre durch die Ummantelung mit Beton auf das doppelte Gewicht von 25 t gebracht wurden, um sicherzustellen, dass die Rohre am Meeresboden liegen bleiben und nicht aufschwimmen. Die nun schwereren Rohre wurden von Mukran zu den schwedischen Zwischenlagern Karlskrona und Slite verschifft, von Kotka aus ging es dann zum finnischen Zwischenlager Hanko. Die Lage der insgesamt fünf Rohrlager wurde so gewählt, dass die maximale Entfernung zu einem Rohrverlegepunkt (100 Seemeilen) nicht überschritten wird. Dadurch konnte die Anzahl der Rohr-Zubringer-Schiffe auf drei begrenzt werden. Die Verlegung des ersten Stranges begann im Frühjahr 2010 mit einem speziellen Rohrlegerschiff.[12]
Eröffnung
Anfang September 2011 wurde damit begonnen den Betriebsdruck, der für den Erdgastransport im laufenden Betrieb notwendig ist, aufzubauen. Die offizielle Einweihung fand am 8. November 2011 durch die Bundeskanzlerin Angela Merkel und den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew statt.
Bereits für 2012 rechnet man mit einer Liefermenge von 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, für diese Kapazität ist die Pipeline auch ausgelegt.[13][14][15]
Kritik und Interessen
Um die Ostseepipeline hat sich eine teils heftige Debatte entwickelt. Während des deutschen Wahlkampfes 2005 waren diese Argumente Teil der parteipolitischen Auseinandersetzung.
Interessen Deutschlands und Russlands
Deutschland sichert sich dank der Ostsee-Pipeline einen vertraglichen Zugang zu russischen Gasvorkommen und somit mehrere strategische Vorteile. Es entfallen Transitländer und somit mit ihnen verbundene potenzielle politische Spannungen, die sich negativ auf die Lieferungen nach Deutschland auswirken könnten. Angesichts der höheren Emissionen bei der traditionellen heimischen Kohleverstromung und des vereinbarten Atomausstiegs ist Erdgas ein brauchbarer Ersatzenergieträger. Kritiker bemängeln, dass die Erdgasversorgung Deutschlands mit der Pipeline noch stärker an den bisherigen Hauptlieferanten Russland gebunden wird. Diese Abhängigkeit berge nicht nur die Gefahr einer volkswirtschaftsschädigenden Preissteigerung auf Grund einer russischen Monopolstellung, sondern auch politische Risiken. Als weiteren schwerwiegenden Grund für das deutsche Einverständnis können persönliche Interessen von Gerhard Schröder gewertet werden, der zwei Wochen nach seiner Amtsaufgabe als Bundeskanzler auf Vorschlag von russischer Seite Aufsichtsratschef der Pipeline-Betreibergesellschaft NEGP Company wurde.[16]
Russland werde in die Lage versetzt, die Gasexporte nach Westeuropa auf direktem Wege zu gewährleisten. Somit wären sowohl der Lieferant als auch der Konsument künftig von den Schwierigkeiten durch Transitländer unabhängig, beispielsweise wenn diese Preisangleichungen an das europäische Niveau nicht akzeptieren wollen oder wenn es technisch bedingte Pipeline-Ausfälle gibt. Bisher konnten Transitländer ihre unverzichtbare Transitrolle als Druckmittel nutzen, um exklusive Lieferbedingungen für sich selbst durchzusetzen und gefährdeten so die Versorgungssicherheit Westeuropas.
Interessen der Ostsee-Anrainerstaaten
Nach der Unterzeichnung gab es heftige Proteste von Seiten mehrerer osteuropäischer Staaten,[17] wie Polen, Litauen, Lettland und Estland, die Russland Bemühungen zur Spaltung der Europäischen Union und Deutschland die Nichtbeachtung ihrer Interessen vorwarfen.
Der damalige polnische Verteidigungsminister Radosław Sikorski verglich 2006 den deutsch-russischen Vertrag sogar mit dem Hitler-Stalin-Pakt.[18] Die gemeinsamen Interessen im Streit um die Pipeline sorgten auch für die Annäherung zwischen Polen und Litauen. Ein weiterer Grund für den Widerstand Polens liegt darin, dass die Ostseepipeline mit bestehenden Landpipelines konkurrieren würde und für Polen Einnahmen aus Transitgebühren damit wegfielen.[19] Man plant u.a. zur Stärkung der Sicherheit der eigenen Energieversorgung den gemeinsamen Bau und Betrieb einiger Kernkraftwerke im Nordwesten Polens[20] und in Litauen.
Aber auch in Schweden ist seit Juli 2006 eine aufkeimende Kritik zu bemerken. Energiepolitisch wird die Pipeline als „falscher Schritt“ bezeichnet[21], zusätzlich wird aber auch auf ökologische und Spionage-Gefahren hingewiesen. Unter anderem rief Krister Wahlbäck (ehemaliger Botschafter und sicherheitspolitischer Experte) die Regierung auf, schwedische Interessen nicht länger zurückzuhalten und bei der deutschen und russischen Regierung ihre Bedenken wegen der ökologischen Risiken für die Ostsee vorzubringen. In Gotland und der umliegenden Region verbringen Hunderttausende Schweden ihren Urlaub. Deshalb ist schwedischen Politikern auch ein geplanter Gasturm von 70 Metern Höhe östlich von Fårö ein Dorn im Auge. Auf die Sicherheitsgefahren anderer Art hat der ehemalige schwedische Verteidigungsminister Mikael Odenberg hingewiesen, er vermutete, Moskau werde die Pipeline und deren angekündigten Schutz durch die Kriegsflotte für Militär- und Industriespionage missbrauchen.[22][23]
Unterstützung bekamen die schwedischen Kritiker im September 2008 von den USA. Der US-Botschafter in Schweden, Michael M. Wood, forderte die Regierung in Stockholm in einem ganzseitigen Artikel in der Tageszeitung „Svenska Dagbladet“ auf, den Bau der Pipeline zu verhindern. Die Krise im Kaukasus zeige, dass sich Europa und die USA nicht von dem unzuverlässigen Energielieferanten Russland abhängig machen dürften, heißt es in dem Artikel unter der Überschrift „Sagt Nein zu Russlands unsicherer Energie“.[24] Die deutsche Regierung mochte die vorgetragene Absicht des US-Botschafters, Europa vor unsicherem russischen Erdgas bewahren zu wollen, nicht nachvollziehen und protestierte bei der US-Botschaft in Berlin gegen die Einmischung.[25] Botschafter Wood kehrte anlässlich des Regierungswechsels in die USA zurück.
EU-Interessen
Russland wird oft, wegen seiner vermeintlich unsicheren politischen Lage, nicht als verlässlicher Partner angesehen. Dagegen spricht, dass seit ca. dreißig Jahren bis zum heutigen Tag, selbst während zahlreicher politischer Krisen, von Russland jeder Liefervertrag eingehalten wurde. Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine 2005 sowie zwischen Russland und Weißrussland 2006 (bei denen es um den lang geforderten Übergang zu marktwirtschaftlichen Handelsbeziehungen ging), aber auch die Gazprom-Kooperation mit China[26] zeigten, dass Russland gewillt sei, die Gasversorgung als politisches Druckmittel einzusetzen. Angesichts dessen ist die EU primär an der Energieversorgungssicherheit und der Vermeidung der Energiemarktmonopolisierung interessiert. Um dies zu gewährleisten bemüht sich die EU die Erdgasversorgung auf andere Herkunftsregionen, insbesondere den Nahen Osten, Nordafrika und Zentralasien, auszuweiten. Man plant z.B. den Bau einer Pipeline zum Kaspischen Meer (Nabucco-Pipeline) unter Umgehung Russlands.[27]
Ökologische Aspekte
Es wird angeführt, dass eine Gas-Pipeline durch das Meer stets ökologische Risiken mit sich bringt. Auf Empfehlung der HELCOM wird diese Pipeline auf Umweltverträglichkeit überprüft.[28] Besondere Brisanz erhält der Bau dadurch, dass am Meeresgrund chemische Waffen sowie weitere gefährliche Rückstände aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg vermutet werden. Deren Entsorgung könnte neben erhöhten Kosten auch gravierende Umweltbelastungen zur Folge haben. Diese und weitere mögliche Meeresumweltbeeinträchtigungen beschäftigten das EU-Parlament.[29] Eine weitere Bedrohung der Meeresumwelt droht durch hochgiftige Chemikalien, die beim Bau der Pipeline verwendet werden sollen. (Man beabsichtigte die Spülung des Pipelinevolumens innen mit Glutaraldehyd-Lösung als Bakterizid.)[30]
Ökonomische Aspekte
Kritiker wiesen auf die vermeintliche wirtschaftliche Irrationalität dieses Projektes hin, da die Baukosten auf dem Meeresgrund 1½-mal höher sind als durch die Länder. Dagegen steht, dass Russland und Deutschland durch die Ostsee-Pipeline Transitgebühren sparen werden, die sonst den Transitländern zufließen würden.
Kontroverse um Gerhard Schröder als Aufsichtsratsvorsitzenden und die Bürgschaft der Bundesregierung für Milliardenkredite
Im Juni 2005 trafen sich Deutsche-Bank-Vorstand Tessen von Heydebreck und der Vorstandschef von Gazprom Alexej Miller in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Hier berieten sie über einen Kredit der Deutschen Bank und der Staatlichen KfW Bankengruppe in Höhe von einer Milliarde Euro – getragen zu gleichen Teilen von 500 Millionen Euro je Bank – für den Bau des Zubringer zwischen dem Gasfeld Juschno-Russkoje (Mehrheitsaktionär BASF-Tochter Wintershall) und der Hafenstadt Wyborg. Abgesichert werden sollte der Kredit durch eine Bürgschaft.[31] Anschließend beauftragten die beiden Banken die PricewaterhouseCoopers AG, die im Auftrag des Bundes sich um Bürgschaften für ausländische Unternehmen kümmert. Vier Tage nach der Bundestagswahl stellten am 22. September desselben Jahres die Banken ihr Vorhaben dem interministeriellen Ausschuss zur Vergabe von Garantien vor. Das Gremium setzt sich unter der Leitung des Wirtschaftsministeriums aus den Finanz-, Außen- und Entwicklungshilfeministerien zusammen. Das Kanzleramt ist dort nicht vertreten. Am 24. Oktober, zwei Wochen nach der Ankündigung Schröders, sich aus der Politik zurückzuziehen, tagte das Gremium erneut und bewilligte die Bürgschaft unter den Konditionen, dass der Bund 900 Millionen Euro plus Zinsen im Falle eines Scheiterns übernehmen würde. Anders als sonst üblich gilt die Bürgschaft aber auch für „die Deckungszusage sowohl für das politische als auch das wirtschaftliche Risiko“.
Bei den Feierlichkeiten zum Baustart der Pipeline am 9. Dezember 2005 teilte Gazprom-Chef Alexei Miller mit, dass Gerhard Schröder Aufsichtsratsvorsitzender der Betreibergesellschaft werden soll. Dies führte zu Kritik von verschiedenen Seiten, insbesondere von Politikern der Oppositionsparteien, da Schröder das Projekt als Bundeskanzler selber aktiv mit gestaltet und zusammen mit Russlands Präsident Wladimir Putin forciert hatte.
Bekannt wurde diese Bürgschaft erst am 31. März 2006 in einer Gerichtsverhandlung zwischen Gerhard Schröder und Guido Westerwelle. Westerwelle behauptete, dass Schröder den „Auftrag“ zum Bau der Pipeline gegeben hätte, doch dieser wollte wegen Rufschädigung gegen Westerwelle vorgehen. In der Verhandlung legte Westerwelles Verteidiger einen Vermerk des Finanzministeriums vor, der an den Haushaltsausschuss des Bundestags adressiert war. Aus dem Papier geht hervor, dass Putin und Schröder den Bau der Pipeline „vereinbart“ hätten, woraus die Verteidigung den „Auftrag“ ableitete. In diesem Papier war aber auch von der Bürgschaft und den Konditionen die Rede.
Schröder entgegnete den Vorwürfen der Verbindung zwischen der Bürgschaft des Bundes und seinem Sitz im Aufsichtsrat, dass das Bundeskanzleramt nicht im Gremium zum Beschluss der Bürgschaft beteiligt gewesen war. Auch unterstrichen er und Gazprom, dass es nie zu der Bürgschaft gekommen sei, weil Gazprom den Kredit zum Bau des Abschnittes letztendlich nicht nutzte.
Nach Angaben aus Regierungskreisen haben zwar der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), Schröders Wirtschaftsberater im Kanzleramt Bernd Pfaffenbach und Staatssekretär im Finanzministerium Caio Koch-Weser von den Verhandlungen gewusst und die Bürgschaft genehmigt, der Kanzler selbst wurde aber „bewusst“ nicht informiert.[32] Allerdings haben sogar Schröders Koalitionspartner – Bündnis 90/Die Grünen – erklärt, dass Schröder davon gewusst haben muss.[33]
Im Juni 2007 kritisierte der Leiter des Auswärtigen Ausschuss des US-Kongresses, Tom Lantos, Schröder wegen dieser Tätigkeit scharf;[34] die Bundesregierung wies die Äußerungen Lantos’ mit „Deutlichkeit und Entschiedenheit“ zurück.
Siehe auch
Literatur
- Roland Götz: Pipeline-Popanz. Irrtümer der europäischen Energiedebatte. In: Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hrsg.): Blick in die Röhre. Europas Energiepolitik auf dem Prüfstand. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-8305-1615-6.
- Detlef Bimboes: Die Ostseepipeline – Das Erdgas aus dem Osten und der neue Kalte Krieg. 2. April 2006 (AG Friedensforschung an der Uni Kassel)
- Roland Götz: Die Ostseegaspipeline – Instrument der Versorgungssicherheit oder politisches Druckmittel? (PDF) In: SWP-Aktuell, September 2005
- Michael Kaczmarek: Gas-Pipelines: Der Kampf gegen die Energieabhängigkeit. euro|topics, 20. Juni 2007 (Bundeszentrale für politische Bildung)
- Michael Thumann: Wenn Putin Gas gibt. Berlin und Moskau lassen ein gewaltiges Erdgasrohr durch die Ostsee legen. Deutschlands Versorgung wird damit nicht sicherer. In: Die Zeit, 37/2005, 8. September 2005
- Jochen Lamp: Die Ostseepipeline. Ein transnationales Infrastrukturprojekt als Prüfstein internationaler Umweltstandards. In: Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hrsg.): Blick in die Röhre. Europas Energiepolitik auf dem Prüfstand. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-8305-1615-6.
Weblinks
- Website der Nord-Stream AG
- russland.RU Nachrichtendossier zur Nordeuropäischen Gaspipeline NEGP
- BASF-Tochter Wintershall
- Die neue Gas-Pipeline n-tv, 8. September 2005
- Kritische Stimmen aus Schweden (schwedisch)
- Ostsee & MV Gas
- Bildergalerie. In: Die Welt, 9. April 2010
- Arte: Mit offenen Karten – Die Ostseepipeline Arte (Video bei Dailymotion)
- Infografik zur Nord Stream Pipeline auf RIA Novosti (deutsch)
- "Vollgas durch die Ostsee" (pdf-Datei, Spektrum der Wissenschaft Custom Publishing, 2011)
Einzelnachweise
- ↑ a b Vgl. Nord Stream AG, Daten & Fakten. Abgerufen am 2. August 2009.
- ↑ Schweden und Finnland billigen Ostsee-Pipeline, Reuters, 5. November 2009
- ↑ Deutschland stimmt Bau der Nord Stream zu. In: FAZ, 22. Dezember 2009, mit Video, 1:28 Min.
- ↑ Bau der Ostsee-Pipeline beginnt mit Festakt, dpa / N24, 9. April 2010 | Video, 3:02 Min. Tagesschau, 9. April 2010
- ↑ Facts, Ausgabe 3 (PDF; 510 kB) Nord Stream, September 2007, 4 S. (abgerufen 10. April 2010)
- ↑ Arbeiten im Greifswalder Bodden beendet. Bau der Ostsee-Pipeline im Greifswalder Bodden abgeschlossen, tagesschau.de, 6. Januar 2011
- ↑ Bekanntmachung für Seefahrer (T)57/10
- ↑ Bekanntmachung für Seefahrer (T)79/10
- ↑ RIA Novosti am 5. Mai 2011 (abgerufen 5. Mai 2011)
- ↑ Eröffnung der Pipeline zum 8. November 2011
- ↑ Eröffnung und mögliche Erweiterung der Pipeline
- ↑ Vgl. Logistik für Nord Stream-Pipeline im Plan. Nord Stream AG, 21. Oktober 2009, abgerufen am 18. Januar 2010.
- ↑ [1]
- ↑ Eröffnung der Pipeline - Die Zeit am 6. September 2011
- ↑ http://www.thelocal.de/national/20111106-38697.html
- ↑ Alexander Schwabe, Carsten Volkery: Schröder verrubelt seinen Ruf. In: Spiegel Online, 12. Dezember 2005
- ↑ Zündstoff im Baltikum. Streit um die geplante deutsch-russische Gasleitung. In: Das Parlament, 49-50/2005
- ↑ Indirekter Hitler-Vergleich. Polnischer Minister poltert gegen Schröder und Merkel. In: Spiegel online, 30. April 2006
- ↑ Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste: Die Ostsee-Pipeline. (PDF) Nr. 23/2008, 12. August 2008
- ↑ Polnisches AKW an deutscher Grenze? (nicht mehr online verfügbar) In: tagesschau.de, 3. Mai 2006
- ↑ schweden-portal.de: Politikum Ostseepipeline
- ↑ Sicherheitspolitisches Stirnrunzeln über Ostseepipeline
- ↑ Schweden fürchtet Ostseepipeline. In: Financial Times Deutschland, 14. November 2006
- ↑ handelsblatt.com In: Handelsblatt, 11. September 2008
- ↑ tagesspiegel.de. In: Der Tagesspiegel, 13. September 2008
- ↑ Gazprom droht EU mit Gas-Entzug (nicht mehr online verfügbar). In: tagesschau.de, 20. April 2006
- ↑ Karin Kneissl: Die Politik der Pipelines. In: Österreichische Militärische Zeitschrift, 3/2006 (Bundesministerium für Landesverteidigung)
- ↑ europarl.europa.eu
- ↑ EU-Parlament: Maßnahmen zum Schutz und Erhalt der Meeresumwelt
- ↑ Gasprom will Gift in die Ostsee pumpen. In: Spiegel online, 23. Februar 2008
- ↑ Gazprom-Affäre – „Ein völlig normaler Vorgang“. In: Süddeutsche Zeitung, 3. April 2006
- ↑ Der Gasprom-Kanzler. In: Der Spiegel. Nr. 15, 2006 (online).
- ↑ Clement eilt Schröder zu Hilfe. In: Spiegel Online
- ↑ Attacke gegen Ex-Kanzler – US-Abgeordneter wirft Schröder „politische Prostitution“ vor. In: Süddeutsche Zeitung, 12. Juni 2007
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