Auslegekunst

Auslegekunst

Die Hermeneutik (von griech. ἑρμηνεύειν hermēneuein mit den Bedeutungen: (Gedanken) „ausdrücken“, (etwas) „interpretieren“, „übersetzen“) ist eine Theorie über die Auslegung von Werken und über das Verstehen. Beim Verstehen verwendet der Mensch Symbole. Er ist in eine Welt von Zeichen und in eine Gemeinschaft eingebunden, die eine gemeinsame Sprache benutzt. Nicht nur in Texte, sondern in alle menschliche Schöpfungen ist Sinn eingegangen, den herauszulesen eine hermeneutische Aufgabe ist.

In der Antike und im Mittelalter diente die Hermeneutik als Wissenschaft und Kunst der Auslegung grundlegender Texte, besonders der Bibel und Gesetze. In der Neuzeit weitete sich ihr Anwendungsbereich aus, sie entwickelte sich zu einer allgemeinen Lehre von den Voraussetzungen und Methoden sachgerechter Interpretation und zu einer Philosophie des Verstehens.[1] Mit der von Immanuel Kant entscheidend beförderten Einsicht in die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit stellte sich für die Hermeneutik seit dem 19. Jahrhundert unter anderem das Problem der geschichtlichen Gebundenheit menschlichen Denkens und Verstehens. Als einflussreichster Vertreter der philosophischen Hermeneutik im 20. Jahrhundert hat Hans-Georg Gadamer diese Beschränkung positiv gewendet und das Verstehen in den Zusammenhang eines prinzipiell nicht zu beendenden Gesprächs über die Deutung wichtiger Zeugnisse der geschichtlichen und kulturellen Überlieferung gerückt.

Hermeneutik ist ein künstlich geschaffenes Wort aus der Neuzeit, das wohl erstmals von dem Straßburger Philosophen und Theologen Johann Conrad Dannhauer verwendet wurde. Die allgemeine Hermeneutik beschäftigt sich mit der Auslegung von Texten oder von Zeichen im Allgemeinen. Die besondere Hermeneutik behandelt die mit der Auslegung von Texten verbundenen Probleme, wie sie sich aus den einzelnen Fächern der Rechtswissenschaft, Theologie, Literaturwissenschaft, Geschichte oder Kunstgeschichte ergeben. Nach idealistischer Auffassung ist Verstehen eine Seinsweise, in der die Welt sich selbst auslegt. Nach einer anderen Auffassung ist Verstehen etwas Unmittelbares, das aller Reflexion vorausgeht und aller Erkenntnis und dem diskursiven Denken zugrunde liegt.

Inhaltsverzeichnis

Begriffliche Herkunft

Hermes, der Götterbote

Das Orakel von Delphi gab weder konkrete Anweisungen noch verbarg es seinen Sinn völlig, vielmehr deutete es an. Die hermeneutische Kunst sollte die Sprache der Götter erhellen.[2] Die etymologische Ableitung der Hermeneutik von dem griechischen Götterboten der Antike Hermes ist umstritten,[3] eine gemeinsame Wurzel aber anzunehmen.[4] In der griechischen Mythologie war Hermes nicht nur der Überbringer von Botschaften der Götter, sondern auch der Übersetzer dieser Botschaften. Ohne seine Interpretation blieben sie kryptisch. Hermes gilt in dieser Mythologie auch als der Erfinder der Schrift und der Sprache.[5] Zum selben Wortstamm gehört der ἑρμηνεύς (Hermeneus), der bei Platon in zweierlei Gestalt vorkommt: als Dichter, der die Botschaft der Götter vermittelt, und als Rhapsode, der die Werke der Dichter interpretiert.[6] Als ἑρμηνευτική τέχνη (hermeneutike techne) ist der Begriff zuerst bei Platon im Zusammenhang mit religiöser Weissagung überliefert.

Geschichtliche Entwicklung

Auch wenn die begriffliche Fixierung der Hermeneutik und ihre systematische Entwicklung zu einem eigenen wissenschaftstheoretischen Bereich erst in die frühe Neuzeit fallen, reichen ihre historischen Wurzeln sehr viel weiter zurück. Hermeneutik als Kunst der Interpretation hat ihren Ursprung in der antiken Exegese, der jüdischen Auslegung des Tanach[7] und in altindischen Lehren.[8]

Antike Hermeneutik

Erkundung der Bedeutung

Hermeneutik hatte in der griechischen Religion, Mythologie und in der antiken Philosophie frühe Anwendungsbereiche. Die Kunst der Weissagung erkundete die verborgene Bedeutung eines Objektes und wurde Mantik (μαντεία) genannt.[9] Die Interpretationslehre beschäftigte sich mit der Bedeutung hinter den offensichtlichen Bedeutungen. So wurde bei der Exegese (exégesis = Auslegung, Erläuterung) der Werke Homers zunächst die Bedeutung der Wörter und der Sätze kommentiert. Erst auf einer tieferen Ebene ging es darum, die allegorische (αλληγορειν – etwas anders ausdrücken) Bedeutung zu diskutieren und auszulegen.[10] Sokrates provozierte seine Mitbürger mit der Frage, wie es in Wahrheit um ihr künftiges Schicksal und ihre Seele stehe. Er unterzog ihre Antworten einer scharfen Bedeutungskritik und zeigte, dass alles hinterfragt werden muss, um einen festen Ausgangsboden zu gewinnen.

Platon

Nach Platon sind die zwei Seiten des Seins, die es zu verstehen gilt, die sinnlich wahrnehmbare Beschaffenheit und das nicht sinnlich wahrnehmbare wesenhafte Sein. Die Seele strebe nicht nach der sinnlich wahrnehmbaren Beschaffenheit, sondern nach dem wesenhaften Sein.[11] Bei jedem der Dinge komme die vollständige geistige Erkenntnis in fünf Schritten zustande:

  1. der Name (den wir laut aussprechen),
  2. die sprachlich ausgedrückte Begriffsbestimmung (aus Nenn- und Aussagewörtern zusammengesetzt, z.B. „der Kreis ist das von seinem Mittelpunkt überall gleich weit Entfernte“),
  3. das durch die fünf Sinne Wahrnehmbare (z.B. vom Zeichner oder vom Drechsler angefertigt),
  4. die begriffliche Erkenntnis (Begreifen durch den vernünftig denkenden Geist, kognitive Vorstellung von solchen Dingen),
  5. dasjenige, was sich nur durch Vertiefung in der Vernunft erkennen lässt und das wahre Urbild, die Idee des Dinges ist (ideelle oder intelligible Realität oder Wesenheit, die reine, nicht sinnliche Wahrheit, das ursprünglich vollkommen Wesenhafte).[12]

Die Annäherung an das innere Wesen der Dinge könne nur frei von verfälschenden Leidenschaften erfolgen:

„Erst wenn durch fleißige gegenseitige Vergleichung Namen, definierende Beschreibungen mittels der Sprache, sinnliche Anschauungen und Wahrnehmungen in Beziehung auf ihre Aussagen vom Wesen der Dinge in leidenschaftslosen Belehrungen berichtigt werden, und wenn wir hierbei ohne leidenschaftliche Rechthabereien die rechte dialektische Methode anwenden, dann erst geht uns das Licht der rein geistigen Wahrnehmung und der reinen Vernunftauffassung des inneren Wesens der Dinge auf.“

Platon, Siebter Brief[13]

Aristoteles

Bei Aristoteles steht neben der Aussage als Ausdruck und als elementare Grundlage des logischen Denkens jegliche Aussage auch immer in dem Fragebezug zu dem, was mit ihr gemeint ist. Bereits das Aussagen selbst wurde im klassischen Griechenland als ein Interpretieren (ἑρμηνεύειν) verstanden.[14] Die Aussage wandelt ein innerlich Gedachtes in geäußerte Sprache um. Die Auslegung des Gesprochenen erfordert den umgekehrten Weg von der Äußerung zur gedachten Aussageabsicht: „Das ἑρμηνεύειν erweist sich also durchaus als ein Vorgang der Sinnvermittlung, die vom Äußeren auf ein Inneres von Sinn zurückgeht.“[15]

Die Allegorese

Bei der antiken Auslegung von Texten sowohl in Griechenland als auch im Judentum war die Allegorese von Bedeutung. Dabei geht es um die Ermittlung eines verborgenen Sinns der Texte, der sich von dem wörtlichen Sinn unterscheidet. Einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung allegorischer Auslegungsmethoden leistete die Stoa, die ihrerseits die jüdische Bibelinterpretation insbesondere des Philon von Alexandria beeinflusste. Auch Origenes als frühchristlicher Kommentator der Bibel ging davon aus, dass neben dem wörtlichen Sinn in der Heiligen Schrift vor allem ein höherer geistiger und seelischer Sinn präsent ist. Die frühchristliche Dogmatik musste sich mit dem Bedeutungskonflikt zwischen der besonderen Heilsgeschichte des jüdischen Volkes, wie sie das Alte Testament enthält, und der universalistischen Verkündigung Jesu im Neuen Testament auseinandersetzen. Beeinflusst von neuplatonischen Vorstellungen lehrte Augustinus den Aufstieg des Geistes über den wörtlichen und den moralischen zum geistlichen Sinn.[16] Nach seiner Auffassung sind die Dinge auch als Zeichen zu verstehen (res et signa). Selbst das Gebiet der Dinge verlangt demnach eine Erschließung des Sinns der Schöpfung.

Mittelalterliche Exegese

Im christlichen Mittelalter wurde die Tradition der antiken Exegese in ihrer Grundstruktur der Zweiteilung fortgesetzt. Gegenstand war die Bibel. Die patristische Hermeneutik, die Origenes und Augustin zusammengefasst hatten, wurde durch Cassian zur Methode des vierfachen Schriftsinns entwickelt und systematisch dargestellt. Die Grenzen der Textkritik wurden durch eine Doktrin, den exegetischen Kode[17] bestimmt. Grund war der Konflikt zwischen der Dogmatik der Auslegung und den Ergebnissen damals neuer Erforschungen.[18] Nach dieser Doktrin besaß die Bibel einen äußeren Mantel, den cortex, der einen tieferen Kern, den nucleus umzog. Auf der Cortex-Ebene wurden Grammatik und Semantik hinsichtlich des buchstäblichen Sinns (sensus litteralis) und des historischen Sinns (sensus historicus) hin interpretiert. Auf der Kern-Ebene (nucleus) wurde die tiefere Bedeutung, die sententia, erforscht. Dazu wurde der nucleus in drei Tiefen der Ausformungen von Bedeutung unterteilt. Auf der ersten Nucleus-Stufe wurde die moralische Bedeutung (sensus tropologicus) erforscht, von der sich das Verhalten der Menschen untereinander leiten lassen sollte. Auf der nächst tieferen standen die christologischen und kirchlichen Bedeutungen (sensus allegoricus), mit denen die Glaubensgehalte expliziert werden sollten. Auf der tiefsten Ebene des nucleus ging es in der Exegese um den sensus anagogicus, den hinführenden Sinn, der die Tiefe des Geheimnisses der Offenbarung deutlich macht und dadurch auf Künftiges hinweist. Die tiefsten Bedeutungen, die die himmlischen Mysterien betrafen, galten als für die Menschen im Diesseits nicht erschließbar. Sie werden ihnen erst im Jenseits offenbart (Offenbarung).[19]

Rezeption des römischen Rechts

Die Tradition der juristischen Hermeneutik gewann eine neue Bedeutung, als die Rechtswissenschaft im Kampf des aufstrebenden städtischen Bürgertums gegen den Adel zu einer ökonomisch und politisch relevanten Kunst wurde. Das Ringen um die richtige Auslegung juristischer Texte führte zu einer säkularisierten hermeneutischen Methodenlehre. Sie wurde zu einem Auslegungsverfahren für Denkprodukte der Vergangenheit. Unter Berufung auf anerkannte historische Autoritäten sollten juristische Prozesse beeinflusst werden. Es galt nicht nur, die römischen Juristen zu verstehen, sondern zugleich die Dogmatik des römischen Rechtes auf die neuzeitliche Welt anzuwenden. Daraus erwuchs der Rechtswissenschaft eine enge Bindung der hermeneutischen an die dogmatische Aufgabe. Die Auslegungslehre konnte sich nicht allein auf die Absicht des Gesetzgebers stützen. Sie musste vielmehr den „Grund des Gesetzes“ zum hermeneutischen Maßstab erheben.

Reformation

Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. 1532 Philipp Melanchthon

Rückgewinnung des Maßgeblichen

Gegenstand der Hermeneutik, die sich mit Reformation und Humanismus Anfang des 16. Jahrhunderts neu entfaltete, war die richtige Auslegung von solchen Texten, die das eigentlich Maßgebliche enthalten, das es zurückzugewinnen gilt. Dies galt insbesondere auch für die Biblische Hermeneutik. Die zu ihrer Legitimation wesentlich auf die Geltung und Auslegung der Bibel gestützte protestantische Reformation hat der Hermeneutik nachhaltig neue Impulse gegeben. Die Reformatoren polemisierten gegen die Tradition der Kirchenlehre und deren Behandlung des Textes mit der allegorischen Methode. Sie forderten die Rückbesinnung auf den Wortlaut der Heiligen Schrift. Die Exegese sollte objektiv, objektgebunden und frei von aller subjektiven Willkür sein.

Luther und Melanchton

Luther betonte, dass der Schlüssel zum Verständnis der Bibel in ihr selbst angelegt sei („sui ipsius interpres“). Jeder Christenmensch besäße die Fähigkeit, die Schrift selbst auszulegen und zu verstehen (Sola scriptura-Prinzip). Melanchthon stützte sich bei der Ausarbeitung einer frühprotestantischen Hermeneutik auf die humanistische Rhetoriktradition. Das begriffliche Vokabular entstammte durchweg der antiken Rhetorik. Melanchton deutete die antiken rhetorischen Grundbegriffe für das rechte Studium der Bücher (bonis auctoribus legendis) um. Die Forderung, alles Einzelne aus dem Ganzen zu verstehen, geht auf das Verhältnis von „caput et membra“ (Haupt und Glieder) zurück: Dem Haupt sind die anderen Glieder untergeordnet. Damit verbunden war eine Akzentverschiebung weg von der Konzeption einer wirksamen eigenen Rede („ars bene dicendi“) hin zur verständigen Lektüre und Deutung von Texten („ars bene legendi“): „Die Beschäftigung mit der rhetorischen Theorie dient nicht dazu, Beredsamkeit zu erzeugen, sondern für die auszubildende Jugend ein methodisches Rüstzeug bereitzustellen, um elaborierte Texte kompetent zu beurteilen.“ [20]

Matthias Flacius

Melanchthons Schüler Matthias Flacius betonte die dogmatische Einheit des Kanon, die er gegen die Einzelauslegung der neutestamentlichen Schriften ausspielte. Damit schränkte er den lutherischen Grundsatz „sacra scriptura sui ipsius interpres“ stark ein. Er unterstrich die Notwendigkeit gediegener Sprachkenntnisse für das Verständnis vermeintlich dunkler Bibelstellen, deren Klärung er durch das systematische Heranziehen von Parallelstellen der Heiligen Schrift betrieb. Oft konnte er dabei an Untersuchungen des Augustinus und anderer Kirchenväter anknüpfen. Die Schwierigkeiten, die das Verstehen der Bibel stellenweise hemmten seien rein sprachlich oder grammatisch: „Die Sprache ist nämlich ein Zeichen oder ein Bild der Dinge und gleichsam eine Art Brille, durch welche wir die Dinge selbst anschauen. Wenn daher die Sprache entweder an sich oder für uns dunkel ist, so erkennen wir mühsam durch sie die Sachen selbst.“ [21]

Renaissance

Johann Conrad Dannhauer

Ars critica

In der Renaissance entwickelte sich die Textkritik (ars critica) als eigenständige Disziplin. Sie bemühte sich um die ursprüngliche Gestalt der Texte. Die bestehende Tradition wurde durch die Aufdeckung ihrer verschütteten Ursprünge aufgebrochen oder verwandelt. Der verdeckte und entstellte Sinn der Bibel und der Klassiker sollte wieder aufgesucht und erneuert werden. Im Rückgang zu den originalen Quellen sollte ein neues Verständnis gewonnen werden für das, was durch Verzerrung und Missbrauch verdorben war: die Bibel durch die Lehrtradition der Kirche, die Klassiker durch das barbarische Latein der Scholastik. Das neu belebte Studium der überlieferten Klassiker der römischen, dann auch der griechischen Antike führte in Verbindung mit dem Buchdruck zu einer erheblichen Ausweitung der Auslegung und Deutung von Texten. Es erwachte das Bedürfnis nach einer neuen Methodenlehre der überall aufsprießenden Wissenschaften. Es wurde ein neues Organon des Wissens benötigt, um das aristotelische zu ersetzen oder zu komplettieren.[22]

Johann Conrad Dannhauer

Nun erst kam die Hermeneutik zu ihrem Begriff, den Johann Conrad Dannhauer prägte.[23] Seine bislang wenig beachtete Schrift „Idea Boni Interpretis[24] von 1630 konzipierte er als „hermeneutica generalis“. 1654 veröffentlichte er dann sein Werk „Hermeneutica sacra sive methodus exponendarum sacrarum litterarum“: Zur wahren Interpretation und „Beseitigung der Dunkelheit“ sind erforderlich die Unbestechlichkeit des Urteils, die Untersuchung des Vorangehenden und des Folgenden, die Beachtung der Analogie, des Scopus und der Zielsetzung des Textes, die Kenntnis des Sprachgebrauchs durch den Autor sowie die Berücksichtigung von Übersetzungsfehlern.

Dannhauer hat als erster auf die Bedeutung der allgemeinen Hermeneutik hingewiesen: „Wie es nicht hier eine juristische Grammatik gibt, dort eine davon verschiedene theologische und noch eine andere medizinische Grammatik, sondern eine allgemeine, allen gemeinsame, so gibt es eine allgemeine Hermeneutik, auch wenn in den einzelnen Gegenständen Verschiedenheit vorliegt.“ Ihm ging es um eine allgemeine Wissenschaft vom Interpretieren, um eine philosophische Hermeneutik, die auch anderen Fakultäten wie Recht, Theologie und Medizin das Instrumentarium zur Auslegung schriftlicher Aussagen bereitstellen sollte. Bei dieser universalen Ausrichtung handelte es sich um eine propädeutische Wissenschaft, die im klassischen Wissenschaftsspektrum zur Logik gerechnet werden konnte.

Aufklärung

Die theologische Hermeneutik der frühen Aufklärung lehnte die Lehre von der Verbalinspiration ab und versuchte, allgemeine Regeln des Verstehens zu gewinnen. Die historische Bibelkritik fand damals ihre erste hermeneutische Legitimation.

Baruch Spinoza

Baruch Spinozas theologisch-politischer Traktat (1670) enthielt eine Kritik des Wunderbegriffs und machte den Anspruch der Vernunft geltend, dass nur Vernünftiges, also Mögliches, anerkannt werden dürfe. Das in der Heiligen Schrift, woran die Vernunft Anstoß nimmt, verlangt nach einer natürlichen Erklärung. Dieses Anliegen führte zu einer frühen Wendung ins Historische: von den unverständlichen Wundergeschichten zu dem verständlichen Wunderglauben.

Johann Martin Chladni

Johann Martin Chladni

Von Johann Martin Chladni wurde mit dem „Sehepunkt“ des Interpreten 1742 ein Aspekt in die hermeneutische Theorie eingeführt, der in unterschiedlicher Hinsicht aktuell geblieben ist: „Diejenigen Umstände unserer Seele, unseres Leibes und unserer ganzen Person, welche machen oder Ursache sind, dass wir uns eine Sache so und nicht anders vorstellen, wollen wir den Sehe-Punckt nennen.“ Den Ausdruck „Sehepunkt“ hat Chladni zufolge Leibniz geprägt, der damit den unaufhebbaren Perspektivismus der Monaden kennzeichnete.[25] Erst die Berücksichtigung des Sehepunktes ermögliche Objektivität, denn nur dadurch ergebe sich die Chance, die individuellen „Abwechselungen, die die Menschen von einer Sache haben“, angemessen zu berücksichtigen. Es geht Chladni also um das richtige Verständnis durch Rückführung auf den sie leitenden Sehepunkt. Ein Sprachobjektivismus, der vom Sehepunkt absehen würde, ginge an den Sachen vollkommen vorbei. Dies ist die Grundlehre der universalen Hermeneutik.[26]

Georg Friedrich Meier

Wie Chladenius gehörte auch Georg Friedrich Meier mit seiner 1757 erschienenen Schrift zur Auslegekunst dem Zeitalter der Aufklärung an. Meier weitete den hermeneutischen Anspruch weit hinaus über die Textdeutung auf eine Universalhermeneutik aus, die auf Zeichen aller Art, naturhafte wie künstliche, gerichtet war. Verstehen bedeutet demnach das Einordnen in einen die ganze Welt umschließenden Zeichenzusammenhang. Die Harmonie des Weltganzen wiederum bedingt nach Meier, der hier Leibniz’ Vorstellung von der besten aller Welten aufgreift, dass jedes Zeichen auf ein anderes verweisen kann, weil in dieser Welt ein optimaler Zeichenzusammenhang gegeben sei.[27]

Chladenius wie Meier haben folglich in unterschiedlicher Weise in Leibniz’ Denken ihren Ausgangspunkt. Grondin sieht darin zwei Fronten der gegenwärtigen Hermeneutik-Diskussion vorgezeichnet: „auf der einen Seite die herausfordernde Ubiquität des Perspektivismus (der sich nach dem Szientismus des 19. Jh. Relativismus glaubte nennen zu müssen) im kontinentalen Bereich, auf der anderen die semiotische Unterwanderung des hermeneutischen Denkens in der strukturalistischen Linguistik, von der der postmoderne Dekonstruktivismus, für den jedes Wort eine Abtrift von Zeichen signalisiert, zehrt.“[28]

Immanuel Kant

Dass die dem Rationalitätsbegriff der Aufklärung verpflichteten hermeneutischen Ansätze wenig später keine Rolle mehr spielten und völlig vergessen schienen, geht auf die Wirkung Kants zurück, dessen Kritik der reinen Vernunft in erkenntnistheoretischer Hinsicht den Zusammenbruch des aufklärerisch-rationalen Weltbilds zur Folge hatte. In Kants Unterscheidung zwischen der Welt der Phänomene, wie sie der menschliche Erkenntnisapparat vermittelt, und den „Dingen an sich“ liegt „eine der geheimen Wurzeln der Romantik und des Aufschwungs, der der Hermeneutik seitdem widerfahren ist.“[29] Mit der durch Kant geförderten Einsicht in die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit stellte sich für die Hermeneutik seit dem 19. Jahrhundert unter anderem das Problem der geschichtlichen Gebundenheit menschlichen Denkens und Verstehens.

19. Jahrhundert

Friedrich Ast

Die These vom hermeneutischen Zirkel wurde wohl erstmals von dem Altphilologen Friedrich Ast (1778 bis 1841) aufgestellt:

„Wenn wir nun aber den Geist des gesamten Altertums nur durch seine Offenbarungen in den Werken der Schriftsteller erkennen können, diese aber selbst wieder die Erkenntnis des universellen Geistes voraussetzen, wie ist es möglich, da wir immer nur das eine nach dem anderen, nicht aber das Ganze zu gleicher Zeit auffassen können, das Einzelne zu erkennen, da dieses die Erkenntnis des Ganzen voraussetzt? Der Zirkel, dass ich a, b, c usw. nur durch A erkennen kann, aber dieses A selbst wieder nur durch a, b, c usf., ist unauflöslich, wenn beide A und a, b, c als Gegensätze gedacht werden, die sich wechselseitig bedingen und voraussetzen, nicht aber ihre Einheit anerkannt wird, so dass A nicht erst aus a, b, c usf. hervorgeht und durch sie gebildet wird, sondern ihnen selbst vorausgeht, sie alle auf gleiche Weise durchdringt, a, b, c also nichts anderes als individuelle Darstellungen des Einen A sind. In A liegen dann schon auf ursprüngliche Weise schon a, b, c; diese Glieder selbst sind die einzelnen Entfaltungen des Einen A, also liegt in jedem auf besondere Weise schon A, und ich brauche nicht erst die ganze unendliche Reihe der Einzelnheiten zu durchlaufen, um ihre Einheit zu finden.“

Friedrich Ast, Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik[30]

Der Schüler Schellings erklärte das historische Verstehen in diesem Sinne durch ein „Grundgesetz“: Es gelte „aus dem Einzelnen den Geist des Ganzen zu finden und durch das Ganze das Einzelne zu begreifen; jenes die analytische, diese die synthetische Methode der Erkenntnis.“[31] Nach Ast ist der Geist des Ganzen in jedem einzelnen Element repräsentiert. Die Idee des Ganzen werde nicht erst durch die Zusammensetzung aller seiner einzelnen Elemente geweckt, sondern schon „mit der Auffassung der ersten Einzelnheit“.[32] Das Verstehen und Erklären eines Werkes sei „ein wahrhaftes Reproduzieren oder Nachbilden des schon Gebildeten.“[33]

Friedrich Schleiermacher

Friedrich Schleiermacher (1768–1834)

Für die Entwicklung der Hermeneutik im 19. Jahrhundert setzte der Theologe Friedrich Schleiermacher grundlegende Akzente. Für Schleiermacher war Hermeneutik die Kunst des Verstehens und die Technik der richtigen Auslegung. Er hat auf die durch Kant bewirkte fundamentale Verunsicherung reagiert, die in Bezug auf die menschliche Vernunft eingetreten ist: Deren Verstehensanstrengungen wurden seit Kant prinzipiell als begrenzt, perspektivisch und hypothetisch angesehen. Schleiermacher[34] wollte deshalb Vorkehrungen gegen ein mögliches Missverstehen treffen: Der einzelne Gedanke solle aus dem Ganzen des Lebenszusammenhangs gedeutet werden, dem er entspringt.

Zwei Ebenen der Textauslegung gelte es den Regeln der Kunst gemäß zu beachten: die grammatische, die den sprachlichen Kontext des Schriftzeugnisses aufschlüsselt, und die psychologische, die die Motive des Verfassers zu erschließen trachtet, und zwar in einem Maße, dass der Interpret den Autoren zuletzt besser versteht, als es dieser selbst vermocht hat.[35] Mit dieser Erweiterung verliert die Hermeneutik ihre traditionelle Beziehung zu Texten als Wahrheitsvermittlern. Stattdessen werden diese als der Ausdruck der Psyche, des Lebens und der geschichtlichen Epoche des Verfassers begriffen, und das Verstehen wird gleichgesetzt mit einem Wiedererleben und Einleben in das Bewusstsein, das Leben und die geschichtliche Epoche, aus der die Texte entstammen. Bezogen auf die Bibelexegese, die Schleiermacher vorschwebte, vertrat er, dass die Autoren nur aus ihrer gesamten Lebenssituation heraus verstanden werden könnten.[36] Die Hermeneutik wird zu einer allgemeinen Kunstlehre, sich in das Leben einzufühlen, das hinter einem gegebenen Geistesprodukt steht. Ein Interpret versucht, sich in das Denken des Autors hineinzuversetzen, um den schöpferischen Akt nachzuvollziehen und auf diese Weise den möglichen Sinn des Kunstwerkes aufzudecken. Diese Theorie des „Einlebens“, welche Schleiermacher Divination nennt, wird mit einer allgemeinen metaphysischen Theorie verbunden, nach der Verfasser und Leser beide Ausdruck ein und desselben überindividuellen Lebens (des Geistes) sind, welches sich durch die Weltgeschichte entwickelt.

Bereits Schleiermacher hat die Fremdheit des zu Verstehenden als eines der zentralen Themen in die hermeneutische Diskussion eingeführt. Er geht von einer grundsätzlichen Differenz zwischen dem verstehenden Subjekt und dem zu Verstehenden aus. Die Überwindung dieser Differenz sei Aufgabe der Hermeneutik als Kunst des Verstehens und sei grundsätzlich möglich.[37] Dieser Optimismus der prinzipiellen Überwindbarkeit der Fremdheit des zu Verstehenden hat die weitere hermeneutische Diskussion nachhaltig geprägt.

Historismus

Johann Gustav Droysen hat das „Verstehen“ erstmals als wissenschaftlichen Begriff zur Bezeichnung der Methode der Geschichtswissenschaften eingeführt. Er unterschied ihn von dem „Entwickeln“ bzw. später „Erkennen“ für die philosophisch-theologische Methode und von dem „Erklären“ für die mathematisch-physikalische Methode. Die Möglichkeit des Verstehens beruht auf der geistig-sinnlichen Natur des Menschen: Jeder innere Vorgang bekundet sich in einem entsprechenden äußerlich wahrnehmbaren Vorgang. Dieser kann von einem anderen Menschen wahrgenommen werden und ruft bei ihm dann den gleichen inneren Vorgang hervor.[38]

Die Hermeneutik wurde zur Grundlage für alle historischen Geisteswissenschaften, nicht nur für die Theologie. Die psychologische Interpretation wurde - in der Nachfolge Schleiermachers und gestützt auf die romantische Lehre vom unbewussten Schaffen des Genies - die immer entschiedenere theoretische Basis der Geisteswissenschaften insgesamt. Das neue erkenntnistheoretische Interesse hatte sich bei August Boeckh in seinen Vorlesungen über „Enzyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften“ (1877) durchgesetzt. Boeckh war ein Schüler Schleiermachers. Das Verstehen ist eine eigene Art der Erkenntnis, die das Individuelle auf intuitive Weise erfasst. Boeckh bestimmte die Aufgabe der Philologie als das „Erkennen des Erkannten“. Er unterschied die verschiedenen Interpretationsweisen, nämlich die grammatische, die literarisch-gattunghafte, die historisch-reale und die psychologisch-individuale.

Wilhelm Dilthey

Wilhelm Dilthey (1833–1911)

Bei Wilhelm Dilthey kam es zu einer systematischen Neubegründung der Idee der Geisteswissenschaften auf eine verstehende und beschreibende Psychologie. Der Mensch lebt im Gegensatz zur Natur und hat Erlebnisse. Das Erlebnis ist das Einzige, was unmittelbar gewiss ist: „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.“[39] Entsprechend unterscheidet Dilthey zwei psychologische Erkenntnisweisen, nämlich die beschreibende und zergliedernde Psychologie einerseits und die an der naturwissenschaftlichen Methode orientierte erklärende und konstruktive Psychologie andererseits. Dabei ist das Verstehen vor allem die Methode der beschreibenden und zergliedernden Psychologie. Das Seelenleben wird von dieser als ein primär gegebener, einziger Zusammenhang begriffen. In diesem sind nicht nur die Bestandteile, sondern auch deren Verbindungen, mithin die Übergänge eines Seelenzustandes zum anderen mitsamt dem Erwirken, das von einem zum anderen führt, in innerer Wahrnehmung ursprünglich gegeben, das heißt erlebt. Das Verstehen beruht dabei nicht auf rein intellektuellen Erkenntnisakten sondern auf dem „Zusammenwirken aller Gemütskräfte in der Auffassung.“[40] Dagegen versucht die erklärende oder konstruktive Psychologie, die seelischen Erscheinungen aus einem Kausalzusammenhang abzuleiten. Dieser ist aber nicht ursprünglich in der Wahrnehmung gegeben, das heißt er ist nicht erlebt. Stattdessen wird er aus einer begrenzten Anzahl von Elementen erst mithilfe verbindender Hypothesen konstruktiv erschlossen. Beide psychologische Erkenntnisweisen ergänzen sich aber. Die beschreibende Psychologie fasst die seelischen Erscheinungen in feste, beschreibende Begriffe. Diese geben dann ihrerseits die Basis für Hypothesenbildungen der erklärenden Psychologie ab.[41]

Das Ganze ist die Lebenseinheit. Das Einzelne soll aus dem Zusammenhang des Ganzen verstanden werden. Die Lebensstruktur wird analog zu einem Text interpretiert, sie baut ihre Einheit aus ihrer eigenen Mitte heraus auf. Das Ganze bestimmt den Sinn und die Bedeutung der Teile, jeder Teil drückt etwas vom Ganzen aus: „Wir gehen im Verstehen vom Zusammenhang des Ganzen, der uns lebendig gegeben ist, aus, um aus diesem das Einzelne uns fassbar zu machen.“[42] Das Verstehen von Geschichtlichem setzt einen „historischen Sinn“ voraus - so wie sich die Bedeutung eines einzelnen Wortes vom Satz her erschließt, der Satz seinen Sinn durch den Kontext des ganzen Textes erhält und der Text nur dann wirklich verstanden wird, wenn alle überlieferten Texte für die Auslegung herangezogen werden. Das historische Verstehen breitet sich über alle einzelnen Gegebenheiten aus und wird universal, weil es in der Totalität des Geistes seinen Grund findet.[43]

Unter dem Eindruck des fulminanten Aufschwungs und Prestigegewinns der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert kommt es Dilthey vor allem darauf an, den Geisteswissenschaften einen klar definierten Zuständigkeitsbereich nachzuweisen und vorzubehalten, indem er, ausgehend von den Naturwissenschaften, Abgrenzungen vornimmt:

„Wir bemächtigen uns dieser physischen Welt durch das Studium ihrer Gesetze. Diese Gesetze können nur gefunden werden, indem der Erlebnischarakter unserer Eindrücke von der Natur, der Zusammenhang, in dem wir, sofern wir selber Natur sind, mit ihm stehen, das lebendige Gefühl, in dem wir sie genießen, immer mehr zurücktritt hinter das abstrakte Auffassen derselben nach den Relationen von Raum, Zeit, Masse, Bewegung. Alle diese Momente wirken dahin zusammen, dass der Mensch sich selbst ausschaltet, um aus seinen Eindrücken diesen großen Gegenstand Natur als eine Ordnung nach Gesetzen zu konstruieren. Sie wird dem Menschen zum Zentrum der Wirklichkeit.
Aber derselbe Mensch wendet sich dann von ihr rückwärts zum Leben, zu sich selbst. Dieser Rückgang des Menschen in das Erlebnis, durch welches für ihn erst die Natur da ist, in das Leben, in dem allein Bedeutung, Wert und Zweck auftritt, ist die andere große Tendenz, welche die wissenschaftliche Arbeit bestimmt. Ein zweites Zentrum entsteht. Alles, was der Menschheit begegnet, was sie erschafft und was sie handelt, die Zwecksysteme, in denen sie sich auslebt, die äußeren Organisationen der Gesellschaft, zu der die Einzelmenschen in ihr sich zusammenfassen – all das erhält nur hier eine Einheit. Von dem sinnlich in der Menschengeschichte Gegebenen geht hier das Verstehen in das zurück, was nie in die Sinne fällt und doch in diesem Äußeren sich auswirkt und ausdrückt.“

Wilhelm Dilthey 1910.[44]

Die Hermeneutik wird damit auf jenen geschichtlichen Boden verwiesen, ohne den geisteswissenschaftliche Erkenntnis nach Dilthey nicht zu erlangen ist, da jedem individuellen menschlichen Leben die kulturgeschichtlichen Voraussetzungen konstitutiv mitgegeben sind. Die Abgrenzung der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik von naturwissenschaftlichen Methoden vollzog er unter anderem am Beispiel der Psychologie. Der „erklärenden“ Psychologie, die er in der Nähe der auf Hypothesenbildung und Kausalitäten gegründeten Erkenntnisweise der Naturwissenschaften sah, setzte Dilthey eine auf das Verstehen von Erlebniszusammenhängen gegründete Psychologie entgegen.[45] Der historisch-hermeneutische Horizont wird von Dilthey weit ausgespannt:

„Von der Verteilung der Bäume in einem Park, der Anordnung der Häuser in einer Straße, dem zweckmäßigen Werkzeug des Handwerkers bis zu dem Strafurteil im Gerichtsgebäude ist um uns stündlich geschichtlich Gewordenes. Was der Geist heute hineinverlegt von seinem Charakter in seine Lebensäußerung, ist morgen, wenn es dasteht, Geschichte. Wie die Zeit voranschreitet sind wir von den Römerruinen, Kathedralen, Lustschlössern der Selbstherrschaft umgeben. Geschichte ist nichts vom Leben Getrenntes, nichts von der Gegenwart durch ihre Zeitferne Gesondertes. […] Nur was der Geist geschaffen hat, versteht er. Die Natur, der Gegenstand der Naturwissenschaft, umfasst die unabhängig vom Wirken des Geistes hervorgebrachte Wirklichkeit. Alles, dem der Mensch wirkend sein Gepräge aufgedrückt hat, bildet den Gegenstand der Geisteswissenschaften.“

Wilhelm Dilthey 1910.[46]

Diltheys Bestreben, eine universelle Methodik der auf „geschichtlichen Seelenvorgängen“ beruhenden Geisteswissenschaften zu entwickeln und diese von den Gegenständen und Arbeitsweisen der Naturwissenschaften abzugrenzen, übte einen nachhaltige Wirkung aus. Er wollte hinter alle Relativität auf ein Konstantes zurückzugehen und entwarf eine einflussreiche Typenlehre der Weltanschauungen, die der Mehrseitigkeit des Lebens entsprechen sollte.

20. Jahrhundert

Heinrich Rickert

Heinrich Rickert unterschied den Begriff des historischen Verstehens von dem des psychologischen Verstehens im Sinne eines Nacherlebens. Die Tatsachen in der Geschichte gewinnen ihre historische Bedeutung erst durch ihr Bezogensein auf Kulturwerte. Bei diesen handelt es sich nicht um Realitäten, sondern um irreale Sinngebilde. Geschichte handelt nur von solchen zeitlichen Vorgängen, die sich zugleich als Träger dieser Sinngebilde erweisen. Das historische Verstehen ist deshalb das Erfassen der irrealen Sinngebilde der Kultur.[47] Das psychologische Nacherleben als Erkenntnisweise der seelischen Vorgänge bringt reale Vorgänge und keine irrealen Sinngebilde zur Erfahrung. Deshalb muss es vom historischen Verstehen begrifflich getrennt werden. Mit dieser grundlegenden Differenzierung des Verstehensbegriffs beeinflusste Rickert sowohlt Georg Simmel[48] als auch Max Weber.[49]

Martin Heidegger

Martin Heidegger hat die Hermeneutik zusätzlich mit Bedeutung aufgeladen, indem er sie – weniger in seinem Hauptwerk Sein und Zeit als in seinen Vorlesungen der frühen 1920er Jahre – als Grundlage menschlicher Daseinssorge und Daseinsbewältigung begreiflich zu machen suchte. Verstehen ist ein konstitutives Element der gesamten Seinsverfassung des Menschen, ein „Existenzial“. Verstehen ist hier nicht mehr ein Verhalten des menschlichen Denkens unter anderen, sondern die Grundbewegtheit des menschlichen Daseins. Das Dasein selbst ist durch Seinsverständnis ausgezeichnet, es besitzt ein hermeneutisches Wesen. Dasein heißt immer auch Verstehen. Es geht um eine verstehende Auslegung dessen, was Dasein ist und als was es sich selbst versteht. Hermeneutik ist für Heidegger weder das Auslegen noch eine Auslegungslehre. Es ist der Versuch, das Wesen der Auslegung zu allererst aus dem Hermeneutischen zu bestimmen. Es muss aus dem Wesen des Daseins bestimmt werden, das sich selbst in der Welt und in der Geschichte auslegt.[50] Sein Verstehenskonzept setzt weit vor der geisteswissenschaftlichen Erkenntnissuche an und bildet als ein „Sich-auf-etwas-Verstehen“ im Lebensalltag die unabdingbare Voraussetzung allen praktischen Könnens.

„Dieses, nennen wir es ‚praktische‘, Verstehen denkt Heidegger als ‚Existenzial‘, d. h. als Seinsweise oder Grundmodus, kraft dessen wir in der Welt zurechtkommen und zurechtzukommen suchen. Das Verstehen bedeutet weniger eine ‚Weise des Erkennens‘ als ein von Sorge getragenes Sichauskennen in der Welt. […] Dies steht im Einklang mit der grundlegenden Bemühung der Hermeneutik um ein Erreichen dessen, was vor, oder besser: in oder hinter der Aussage steht, kurzum um die Seele, die sich im Wort ausdrückt. Es besteht kein Zweifel, dass Heidegger diesem Streben des hermeneutischen Verstehens folgt, um es gleichwohl durch die universale Einbettung des Verstehens in die Sorgestruktur des Daseins zu radikalisieren. […] Es wäre aber ein Missverständnis der Intentionen Heideggers, würde man meinen, die Selbstauslegung des Daseins habe außerhalb der Sprache zu erfolgen. […] Nicht um ein Verkennen oder Verdrängen der Sprache kann es sich handeln. Heidegger will lediglich, dass man in jedem gesprochenen Wort die sich kundgebende Sorge des Daseins mithört.“

Jean Grondin.[51]

In einer Linie mit der von Dilthey gemeinten „Kritik der historischen Vernunft“ liegt Heideggers Begriff der „Geworfenheit“, der die geschichtliche Perspektive reflektiert, die allem Verstehen beigegeben ist:

„Die Hermeneutik hat die Aufgabe, das je eigene Dasein in seinem Seinscharakter diesem Dasein selbst zugänglich zu machen, mitzuteilen, der Selbstentfremdung, mit der das Dasein geschlagen ist, nachzugehen. In der Hermeneutik bildet sich für das Dasein eine Möglichkeit aus, für sich selbst verstehend zu werden und zu sein.“

Martin Heidegger.[52]

Der Mensch wird so zu einem Wesen, das sich zu sich selbst verhält. Dieses Verhältnis ist ein unmittelbares, prä-reflexives Wahrhaben des In-der-Welt-Seins und keine reflexive Selbsterkenntnis. Das Verstehen geht der Reflexion voraus. Die Seiten des In-der-Welt-Seins sind Verstehen, Befindlichkeit und Sorge. Sie liegen der Erkenntnis und dem diskursiven Denken zugrunde. Heideggers früh skizzierte philosophische Hermeneutik, der er bis zu seinem Tode keine systematische Ausarbeitung mehr hat folgen lassen, erlangte für die Auseinandersetzung um die Hermeneutik im 20. Jahrhundert weitreichende Bedeutung.

Hans-Georg Gadamer

Als einflussreichster Vertreter der philosophischen Hermeneutik im 20. Jahrhundert hat Hans-Georg Gadamer das Verstehen in den Zusammenhang eines prinzipiell nicht zu beendenden Gesprächs über die Deutung wichtiger Zeugnisse der geschichtlichen und kulturellen Überlieferung gestellt. Den Anstoß für die nachfolgende lebenslange Beschäftigung mit einer universalen philosophischen Hermeneutik empfing Gadamer 1923 in den Freiburger Vorlesungen Heideggers über die „Faktizität der Hermeneutik“.[53] In der Einleitung zu seinem 1960 erschienenen Hauptwerk Wahrheit und Methode skizzierte Gadamer Grundzüge seiner hermeneutischen Lehre folgendermaßen:

„Es gehört zur elementaren Erfahrung des Philosophierens, daß die Klassiker des philosophischen Gedankens, wenn wir sie zu verstehen suchen, von sich aus einen Wahrheitsanspruch geltend machen, den das zeitgenössische Bewußtsein weder abweisen noch überbieten kann. […] Wenn wir das Verstehen zum Gegenstand unserer Besinnung machen, so ist das Ziel nicht eine Kunstlehre des Verstehens, wie sie die herkömmliche philologische und theologische Hermeneutik sein wollte. Eine solche Kunstlehre würde verkennen, dass angesichts der Wahrheit dessen, was uns aus der Überlieferung anspricht, der Formalismus kunstvollen Könnens eine falsche Überlegenheit in Anspruch nähme. […] Die folgenden Untersuchungen glauben damit einer Einsicht zu dienen, die in unserer von schnellen Verwandlungen überfluteten Zeit von Verdunkelung bedroht ist. Was sich verändert, drängt sich der Aufmerksamkeit unvergleichlich viel mehr auf, als was beim Alten bleibt. Das ist ein allgemeines Gesetz unseres geistigen Lebens. Die Perspektiven, die sich von der Einführung des geschichtlichen Wandels her ergeben, sind daher immer in der Gefahr, Verzerrungen zu sein, weil sie die Verborgenheit des Beharrenden vergessen.“

Hans-Georg Gadamer 1960.[54]

Den Ansatz, sich in den Geist vergangener Zeiten zu versetzen, wie es der Historismus anstrebte, verwirft Gadamer. Die Überlieferung, in der wir leben, ist nicht kulturelle Überlieferung, die aus Texten und Denkmälern allein besteht und einen sprachlich verfassten oder geschichtlich dokumentierten Sinn vermittelt. Vielmehr wird uns die kommunikativ erfahrene Welt selbst als eine offene Totalität beständig übergeben. Hermeneutische Anstrengung gelingt nach Gadamer überall dort, wo Welt erfahren und Unvertrautheit aufgehoben wird, wo Einleuchten, Einsehen, Aneignung erfolgen, und am Ende auch dort, wo die Integration aller Erkenntnis der Wissenschaft in das persönliche Wissen des Einzelnen gelingt.[55] Er betont die Chance, den zeitlichen Abstand zwischen Betrachter und Gegenstand der Überlieferung produktiv zu nutzen:

„Die Ausschöpfung des wahren Sinns aber, der in einem Text oder in einer künstlerischen Schöpfung gelegen ist, kommt nicht irgendwo zum Abschluß, sondern ist in Wahrheit ein unendlicher Prozeß. Es werden nicht nur immer neue Fehlerquellen ausgeschaltet, so daß der wahre Sinn aus allerlei Trübungen herausgefiltert wird, sondern es entspringen stets neue Quellen des Verständnisses, die ungeahnte Sinnbezüge offenbaren. Der Zeitenabstand, der die Filterung leistet, hat nicht eine abgeschlossene Größe, sondern ist in einer ständigen Bewegung und Ausweitung begriffen.“

Hans-Georg Gadamer 1960.[56]

Zentral für Gadamers Ansatz zu hermeneutischem Erkenntnisgewinn ist das unter gemeinsamer Fragestellung zu führende Gespräch:

„Ein Gespräch führen heißt, sich unter die Führung der Sache stellen, auf die die Gesprächspartner gerichtet sind. Ein Gespräch führen verlangt, den anderen nicht niederzuargumentieren, sondern im Gegenteil das sachliche Gewicht der anderen Meinung wirklich zu erwägen. […] Wer die ‚Kunst‘ des Fragens besitzt, ist einer, der sich gegen das Niedergehaltenwerden des Fragens durch die herrschende Meinung zu erwehren weiß. Wer diese Kunst besitzt, wird selber nach allem suchen, was für eine Meinung spricht. Dialektik besteht darin, daß man das Gesagte nicht in seiner Schwäche zu treffen versucht, sondern es erst selbst zu seiner wahren Stärke bringt.“

Hans-Georg Gadamer 1960.[57]

Die subjektive Standortgebundenheit des individuellen Denkens und Erkennens wird von Gadamer positiv gewendet, weil dadurch eine fruchtbare Begegnung und Auseinandersetzung mit Überliefertem angeregt und ein falsches Vorurteil der Prüfung ausgesetzt werde. Jegliche Vorurteilsbehaftung auszublenden, komme der Naivität des historischen Objektivismus gleich.[58]

„So gibt es gewiß kein Verstehen, das von allen Vorurteilen frei wäre, so sehr auch immer der Wille unserer Erkenntnis darauf gerichtet sein muß, dem Bann unserer Vorurteile zu entgehen. Es hat sich im Ganzen unserer Untersuchung gezeigt, daß die Sicherheit, die der Gebrauch wissenschaftlicher Methoden gewährt, nicht genügt, Wahrheit zu garantieren. Das gilt im besonderen Maße von den Geisteswissenschaften, bedeutet aber nicht eine Minderung ihrer Wissenschaftlichkeit, sondern im Gegenteil die Legitimierung des Anspruchs auf besondere humane Bedeutung, den sie seit alters erheben. Daß in ihrer Erkenntnis das eigene Sein des Erkennenden mit ins Spiel kommt, bezeichnet zwar die wirkliche Grenze der ‚Methode‘, aber nicht die der Wissenschaft. Was das Werkzeug der Methode nicht leistet, muß vielmehr und kann auch wirklich durch eine Disziplin des Fragens und des Forschens geleistet werden, die Wahrheit verbürgt.“

Hans-Georg Gadamer 1960.[59]

Der Geschehnischarakter der Erfahrung ist für Gadamer unabhängig von einem Subjekt. Im Geschehen der Sprache und des Verstehens kommt die vorgängige Zusammengehörigkeit des Subjektiven und des Objektiven vor aller Synthese und Subjekt-Objekt-Dialektik zum Ausdruck. Das Subjekt ist dem Geschehen einverleibt. Nicht das Subjekt tut, vielmehr tut sich die Sache selbst vermittels des Subjekts. Das Subjekt instrumentiert weder die Dinge dieser Welt noch die Sprache. Objektivität als Produkt der Tätigkeit des Subjekts und als Objekt-Adäquatheit subjektiver Bewusstseinsinhalte ist ausgeschlossen. Das Geschehen des Verstehens setzt ein produktives Sich-Einstellen auf das Geschehen voraus, Verschlossenheit wäre hinderlich. Verstehen ist nicht die Tätigkeit eines Subjekts. Es ist das Ereignis, das ganz Unmittelbare, vergleichbar nur der Erfahrung des Schönen in der Kunst. Wahrheit ist kein Resultat oder Prozess sondern widerfährt uns. Alles Verstehen ist ein Einbezogen-Sein in ein Wahrheitsgeschehen. Der Mensch ist kein Subjekt. Er kann in seinem Leben meist weniger als Subjekt gestalten, als er möchte. Er ist in einen Lebenszusammenhang mit tradierten Regeln hineingeboren. Es widerfährt ihm mehr, als ihm lieb ist: „Das Subjekt des Spiels sind nicht die Spieler, sondern das Spiel kommt durch die Spieler lediglich zur Darstellung.“[60] Das Spiel bemächtigt sich in seinem Verlauf der Spieler. Es gibt keine Objektbezüge, nur ein Wiedererkennen seiner selbst. Wahrheit kann sich nur als unmittelbare Erfahrung einstellen in dem Erlebnis eines Wiedererkennens und in dem Gefühl: Das ist es.

Neuere Ansätze

Gadamers Auseinandersetzung mit dem Historismus, auf der seine Neukonzeption der philosophischen Hermeneutik wesentlich beruht, hat Fundamente gelegt, auf denen die nachfolgende kritische Reflexion einer zeitgemäßen Hermeneutik bis heute aufbaut. Widerspruch ausgelöst haben vor allem Gadamers Behauptung einer autoritativen Geltung klassischer Texte und Kunstwerke gegenüber dem Gegenwartshorizont sowie seine Wendung gegen ein methodisches Instrumentarium, das die Gewinnung von Objektivität und Wahrheit in den Geisteswissenschaften sichern soll.[61]

Karl-Otto Apel

Mit der Setzung eines Ergänzungsverhältnisses von „erklärenden“ Naturwissenschaften und „verstehenden“ Geisteswissenschaften verbindet Karl-Otto Apel einen methodisch zu entwickelnden ideologiekritischen Anspruch, der sich für ihn vor allem mit Blick auf die außereuropäischen Kulturen aufdrängt:

„Für sie ergibt sich von Anfang an die Notwendigkeit, zugleich mit der hermeneutischen Besinnung auf die eigenen und die fremden Traditionen ein quasi-objektives, geschichtsphilosophisches Bezugssystem zu erarbeiten, das es möglich macht, die eigene Position in den weltgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen, der ohne ihr Zutun durch die europäisch-amerikanische Zivilisation geschaffen worden ist. Sie werden durch die für sie unvermeidliche Verfremdung ihrer eigenen Tradition auch sogleich auf die Tatsache hingewiesen, dass geistige Sinndeutungen der Welt, z. B. religiös moralische Wertordnungen, im engsten Zusammenhang mir den sozialen Lebensformen (den Institutionen) zu begreifen sind. Was sie daher vor allem suchen, ist eine philosophisch-wissenschaftliche Orientierung, welche das hermeneutische Verständnis der eigenen und fremden Sinn-Traditionen durch soziologische Analysen der jeweils zugehörigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen vermittelt.“

Karl-Otto Apel 1973.[62]

Analog zur psychotherapeutischen Arzt-Patienten-Situation sei daher ein partieller Abbruch der hermeneutischen Kommunikation zugunsten objektiver Erkenntnismethoden nötig. Heranzuziehen seien neben hermeneutischen Verfahren die „objektiven Strukturanalysen der empirischen Sozialwissenschaften zur Erklärung etwa der nicht literarisch belegbaren Interessen-Konstellationen in der politischen und auch in der Ideengeschichte.“[63]

Anders als das hermeneutische Verstehen glichen psychologische und sozialpsychologische Verhaltensanalysen dem prognostisch relevanten Wissen der Naturwissenschaft; wie diese ermöglichten sie „eine technische Herrschaft über ihren Gegenstand“, wie sie in Manipulationen von Konsumenten durch den Werbefachmann oder der Wähler durch den demoskopisch geschulten Politiker zum Ausdruck kämen.[64] Aus diesen Überlegungen ergebe sich, so Apel, „die methodologische Forderung einer dialektischen Vermittlung der sozialwissenschaftlichen ‚Erklärung‘ und des historisch-hermeneutischen ‚Verstehens‘ der Sinntradition unter dem regulativen Prinzip einer ‚Aufhebung‘ der vernunftlosen Momente unseres geschichtlichen Daseins.“[65]

Paul Ricœur

Ausgehend davon, dass Hermeneutik zunächst auf Regeln für die „Interpretation von schriftlichen Dokumenten unserer Kultur“ gerichtet ist, stellt sich für den französischen Philosophen Paul Ricœur die Frage der Übertragbarkeit einer Methodologie der Textinterpretation auf humanwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung im Allgemeinen.[66] Ansatzpunkt seiner Untersuchung ist die These, dass die menschliche Handlung ebenso wie ein Text „ein unvollendetes offenes Werk ist, dessen Sinn in der Schwebe bleibt.“[67] Der Text als ein Ganzes sei ebenso Individuum wie ein Lebewesen oder Kunstwerk:

„Als Individuum kann er nur durch einen Prozess der Einengung und Spezifikation von Gattungsbegriffen erfasst werden, welche sich auf die literarische Gattung beziehen, auf die Kategorie von Texten, zu denen dieser Text gehört, und auf die Strukturen der verschiedenen anderen Kategorien, die sich in diesem Text überschneiden.“

Paul Ricœur 1971.[68]

Es gebe immer mehr als einen Weg der Konstruktion oder Rekonstruktion eines Textes.

„Die Logik der Validierung eröffnet uns einen Interpretationsrahmen zwischen Dogmatismus und Skeptizismus. Es ist immer möglich, für oder gegen eine Interpretation zu argumentieren, Interpretationen einander entgegenzusetzen, sich zwischen ihnen zu entscheiden und nach Übereinstimmung zu suchen, auch wenn diese Übereinstimmung nur jenseits unserer Reichweite liegen kann.“

Paul Ricœur 1971.[69]

Die strukturale Textanalyse läuft für Ricœur dabei nur auf eine „Oberflächen-Semantik“ hinaus, während das eigentliche Verstehen und Erfasstsein des Lesers eine Tiefen-Semantik erfordere. „Die Tiefensemantik des Textes ist nicht das, was der Autor selbst zum Ausdruck bringen wollte, sondern ist das, von dem der Text handelt, d. h. er handelt von den nicht-ostentativen Bezügen des Textes. Und der nicht-ostentative Bezug des Textes ist jene Welt, die von der Tiefensemantik des Textes erschlossen werden kann. […] Verstehen hat nur wenig zu tun mit dem Autor und seiner Situation. Es möchte die durch den Text eröffneten Weltdeutungen begreifen. Einen Text verstehen heißt, seiner Bewegung vom Sinn zum Bezug, von dem, was er sagt, zu dem, wovon er handelt, folgen.“ So bestehe der Sinn von Texten mythischen Charakters in der Aufforderung, den Text als Ausgangspunkt einer neuen Weltsicht zu nehmen.[70]

Eine analoge Tiefensemantik gibt es für Ricœur auch bei der Interpretation sozialer Phänomene, „d. h. die Entfaltung einer Welt, die nicht mehr nur Umwelt ist, der Entwurf einer Welt, die mehr ist als eine bloße Situation: Können wir nicht sagen, dass wir auch in den Sozialwissenschaften mit Hilfe der strukturalen Analysen fortschreiten von naiven zu kritischen Interpretationen, von Oberflächen-Interpretationen zu Tiefen-Interpretationen?“[71]

Jürgen Habermas

Als wichtiger Vertreter der Kritischen Theorie hat sich auch der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas mit Gadamers Hermeneutik auseinandergesetzt. Die Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Forschungsansätze und einer emanzipatorischen Ideologiekritik verbindet ihn mit Apel, die Einforderung einer Meta- und Tiefenhermeneutik mit Ricœur. Habermas kritisierte vor allem, dass der dialogisch gewonnene hermeneutische Konsens im Sinne Gadamers auch Ausfluss einer ideologisch verschleierten Herrschaftsstruktur sein könne, die es aufzudecken gelte. Wie die Psychoanalyse das geeignete Instrumentarium zur Aufdeckung individueller Bewusstseinstrübung bereitstelle, so habe die Ideologiekritik falsches gesellschaftliches Bewusstsein sozialwissenschaftlich aufzuarbeiten.

Die Auseinandersetzung Gadamers mit den von Habermas und Apel eingenommenen Positionen hat einen wechselseitigen Lernprozess ausgelöst. Die Analogie von Psychoanalyse und Ideologiekritik hat Gadamer zwar deutlich zurückgewiesen, da es auch unter Berufung auf die Kompetenz einer emanzipatorischen Sozialwissenschaft nicht angehe, einem Gesellschaftsverband, der sich nicht als behandlungsbedürftiger Patient sehe, ein falsches Bewusstsein zu attestieren. Gadamer ist aber von Habermas dazu angeregt worden, das kritische Potential seiner Hermeneutik in der Folge deutlicher herauszuarbeiten. Bei Habermas hingegen ist es zu einer Abkehr vom Paradigma der soziologisch erweiterten Psychoanalyse gekommen und zur Universalisierung der hermeneutischen Grundkategorie der Verständigung im Modell einer herrschaftsfreien Diskursethik.[72] In dieser Hinsicht beobachtet Grondin eine „tiefgreifende Solidarität“ zwischen Gadamer und Habermas, die zur Gemeinschaft führe „gegen die neue Herausforderung des Dekonstruktivismus und des neohistorischen Postmodernismus.“[73]

Interkulturelle Hermeneutik

Der österreichische Philosoph Hans Köchler hat – mit Anklang an Apels Blick auf die außereuropäischen Kulturen – herauszuarbeiten gesucht, wie die Gadamer’sche Hermeneutik als Grundlage eines „Dialoges der Zivilisationen“ dienen könne.[74] Die kulturphilosophischen Aspekte internationaler Kooperation sah Köchler 1974 von der „Dialektik des kulturellen Selbstverständnisses“ geprägt und zog Gadamers Begriff der „Horizontverschmelzung“ zur Erläuterung der Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen heran.[75] Seine hermeneutisch akzentuierte Kritik am Paradigma des „Konfliktes der Zivilisationen“ hat Köchler auch auf die Theorie der internationalen Beziehungen anzuwenden versucht.[76]

Hermeneutischer Intentionalismus

Der hermeneutische Intentionalismus zielt darauf ab, die Gedanken und Absichten des Autors zu erfassen. Bedeutende Vertreter dieser Richtung sind im 20. Jahrhundert Paul Grice und Quentin Skinner. Skinner unterscheidet streng zwischen der retrospektiven Bedeutsamkeit eines historischen Werks (significance) und der Bedeutung, die das Werk für seinen Autor hat (meaning). Von der Bedeutsamkeit könne weder auf die Bedeutung des Werkes für den Autor noch auf die Bedeutung des Werkes selbst geschlossen werden. Vielmehr sei die Bedeutung eines Werkes immer identisch mit der Bedeutung, die dieses Werk für seinen Autor habe. Denn es seien die Absichten des Autors, welche die Bedeutung des Werkes festlegten. Letztlich fixiere der Autor, was sein Werk bedeute. Der Werkkonsument könne dann nur diese Bedeutung feststellen und das Werk retrospektiv mit seinen Wirkungen ins Verhältnis setzen. Dabei dürfe die vom Autor festgelegte Werkbedeutung nicht verletzt werden.[77]

Der Verstehensprozess als Spiralform

Jürgen Bolten möchte den Begriff des Zirkels durch den Begriff der „hermeneutische Spirale“ ersetzen. Der Vorgriff auf das Ganze des Textes werde durch ein genaueres Verständnis des Einzelnen laufend korrigiert. Der Verstehensprozeß führe zu einem ständigen Verstehenszuwachs und sei damit kein zirkuläres Zurückkehren zu seinem Ausgangspunkt:

„Einen Text verstehen heißt demzufolge, Merkmale der Textstruktur bzw. des -inhaltes und der Textproduktion unter Einbeziehung der Text- und Rezeptionsgeschichte sowie der Reflexion des eigenen Interpretationsstandpunktes im Sinne eines wechselseitigen Begründungsverhältnisses zu begreifen. Daß es dabei weder falsche noch richtige, sondern allenfalls mehr oder minder angemessene Interpretationen geben kann, folgt aus der [...] Geschichtlichkeit der Verstehenskonstituenten und der damit zusammenhängenden Unabschließbarkeit der hermeneutischen Spirale. [...] Der Spiralbewegung entsprechend, unterliegt die Interpretation hinsichtlich ihrer Hypothesenbildung diesbezüglich einem Mechanismus der Selbstkorrektur.“

Jürgen Bolten, Die Hermeneutische Spirale [78]

Psychologie des Verstehens

In der modernen Psychologie wird Verstehen als ein konstruktiver und rekonstruktiver Prozess beschrieben, durch den neue Information mit so viel Sinn wie möglich ausgestattet wird. Dieser Prozess ist mit dem Wahrnehmen und Erinnern eng verknüpft. Der Mensch verlässt sich beim Verstehen auf existierende kognitive Strukturen. Information wird dabei als zu einem bestimmten Schema gehörig interpretiert.[79] Schemata in diesem Sinne sind Strukturen des Denkens und Wissens, die Vorannahmen über konkrete Gegenstände, Menschen, Situationen und die Art ihrer Beziehungen enthalten. Es handelt sich dabei um reale psychische Einheiten, die systemisch strukturiert sind. Hinweise des aktuellen Inputs lenken auf ein bestimmtes Schema. Die Information wird dann im Lichte der Erwartung aufgrund bereits existierender Schemata interpretiert. Der Rest des Bildes wird mit schemarelevanter Information aufgefüllt. Sobald Information als zu einem bestimmten Schema gehörig interpretiert wird, können sich aber auch unbemerkt die bereits vorhandenen alten Strukturen verändern.[80]

Schemata beeinflussen also als Vorwissensstrukturen die Integration neuer Information. Sie erfüllen dabei folgende Funktionen:

  1. Nur die Information wird aufgenommen, die für bereits vorhandene Schemata relevant erscheint (Selektion).
  2. Es werden aufgrund von Erwartungen bestimmte Leerstellen eröffnet, die aus dem konkreten Informationsangebot aufgefüllt werden (Erwartung).
  3. Schemabezogene Information erhält mehr Aufmerksamkeit als schemairrelevante Information und wird deshalb auch besser behalten (Aufmerksamkeit).
  4. Nur die Bedeutung, nicht aber die Form einer Information wird weiter verarbeitet (Abstraktion).
  5. Information wird in Bezug auf die vorhandenen Schemata interpretiert (Interpretation).
  6. Die verarbeitete Information wird mit den Schemata zu einem neuen System verbunden oder geht in ihm ganz auf (Integration).[81]

Das auf Dilthey zurückgehende Konzept des Verstehens im Sinne eines innerlichen Nacherlebens wird teilweise als spekulativ und dogmatisch kritisiert. Dass sich bei einem „verstehenden Psychologen“ die Überzeugung einstelle, er habe bestimmte Zusammenhänge in ihrem Wesen durchschaut, entbehre der wissenschaftlichen Objektivität. Andere Wissenschaftler könnten dieser subjektiven Überzeugung aufgrund ihres jeweils eigenen Verstehens desselben Sachverhalts widersprechen. Das Kriterium der Überprüfbarkeit entfalle.

Siehe auch

Literatur

Philosophische Hermeneutik
  • Bühler, Axel: Unzeitgemäße Hermeneutik. Interpretation und Verstehen im Denken der Aufklärung Frankfurt 1994
  • Bühler, Axel: Hermeneutik. Basistexte zur Einführung in die wissenschaftstheoretischen Grundlagen von Verstehen und Interpretation Heidelberg 2003
  • Gadamer, Hans-Georg & Gottfried Boehm: Seminar: Philosophische Hermeneutik. Frankfurt am Main 1979.
  • Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. 1960.
  • Grondin, Jean: Einführung in die philosophische Hermeneutik. 2. überarbeitete Auflage, Darmstadt 2001. ISBN 3-534-15076-7 (trefflicher und konzentrierter historischer Gesamtüberblick)
  • Ineichen, Hans: Philosophische Hermeneutik. Freiburg 1991. ISBN 3-495-47492-7
  • Jung, Matthias: Hermeneutik zur Einführung. Junius 2001 (knappe systematische Einführung, auf neuere philosophische Fragestellungen v.a. im Zusammenhang mit Gadamers Hermeneutik Bezug nehmend) ISBN 3-88506-334-4
  • Koselleck, Reinhart: Hans Georg Gadamer: Hermeneutik und Historik. ISBN 3-8253-3932-7
  • Lessing, Hans Ulrich (Hrsg.): Philosophische Hermeneutik. Freiburg (Breisgau) – München 1999. ISBN 3-495-47968-6 (Textsammlung von Dilthey bis Ricœur)
  • Schreiter, Jörg: Hermeneutik – Wahrheit und Verstehen, Akademie-Verlag Berlin 1988, ISBN 3-05-000664-1
  • Vetter, Helmuth: Philosophische Hermeneutik. Unterwegs zu Heidegger und Gadamer. Frankfurt a. M. 2007 (Reihe der Österreichischen Gesellschaft für Phänomenologie; Band 13) ISBN 3-631-53869-3
Hermeneutik als geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche Methode
  • Betti, Emilio: Die Hermeneutik als allgemeine Methodik der Geisteswissenschaften. Tübingen 1962
  • Brinkmann, Hennig: Mittelalterliche Hermeneutik Tübingen 1980
  • Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. I-XII. 1914-36, fortgeführt 1962ff. (bisher 18 Bde.).
  • Droysen, J. G.: Historik, I-III. 1937.
  • Eberhard, Kurt: Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie (2. Aufl.) Kohlhammer, 1999 (mit abduktionslogisch deduzierten Regeln für eine validitätsorientierte Hermeneutik) ISBN 3-17-015486-9
  • Körtner, Ulrich: Einführung in die theologische Hermeneutik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 3-534-15740-0.
  • Kurt, Ronald: Hermeneutik. Eine sozialwissenschaftliche Einführung. UTB, Stuttgart 2004, ISBN 3-8252-2572-0.
  • Meder, Stephan: Mißverstehen und Verstehen. Savignys Grundlegung der juristischen Hermeneutik. Mohr Siebeck, Tübingen 2004.
  • Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Hg. und eingeleitet von Manfred Frank. Suhrkamp, Frankfurt/Main. 8. Aufl. 1999. ISBN 3-518-27811-8
  • Jörg Schönert, Friedrich Vollhardt (Hgg.): Geschichte der Hermeneutik und die Methodik der textinterpretierenden Disziplinen, Walter de Gruyter 2005, ISBN 311018303X,
  • Seiffert, Helmut: Einführung in die Hermeneutik. Die Lehre von der Interpretation in den Fachwissenschaften. Francke, Tübingen 1992, ISBN 3-8252-1666-7 (UTB 1666) (relativ knapp gehaltene, übersichtliche Einführung mit Schwerpunkt auf klassischen Bereichen angewandter Texthermeneutik: Theologie, Jura, Philologie, Geschichte).
Hermeneutik und kritische und transzendentalpragmatische Philosophie
  • Albert, Hans: Kritik der reinen Hermeneutik. Mohr, Tübingen 1994.
  • Apel, Karl-Otto: Die Erklären-Verstehen-Kontroverse in transzendental-pragmatischer Sicht. 1979
Hermeneutik und Dekonstruktion und andere neuere Methoden
  • Angehrn, Emil: Interpretation und Dekonstruktion. Untersuchungen zur Hermeneutik. Weilerswist: Uelbrück 2003
  • Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion, Konturen einer Auseinandersetzung der Gegenwartsphilosophie, München : Wilhelm Fink Verlag 2002, ISBN 3-7705-3643-6
  • Ph. Forget (Hg.): Text und Interpretation. Deutsch-französische Debatte mit Beiträgen von J. Derrida u.a. München: Fink 1984
  • Gumbrecht, H.U.: Diesseits der Hermeneutik
  • Hörisch, Jochen: Die Wut des Verstehens, edition suhrkamp, erweiterte Nachauflage 1998, ein fulminant verfasstes Essay zur Kritik der Hermeneutik ISBN 3-518-11485-9
  • Jacques Lacan : Écrits
  • Harro Müller: Hermeneutik oder Dekonstruktion? In: Karl Heinz Bohrer (Hrsg.): Ästhetik und Rhetorik. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, S. 98ff.
  • Raman Selden (Hrsg.): The Cambridge History of Literary Criticism. Bd. 8: From Formalism to Poststructuralism. Cambridge University Press 1995, ISBN 0-521-30013-4.
  • Paul Ricœur : Le conflit des interprétations,
  • Hugh J. Silverman: Textualities. Between Hermeneutics and Deconstruction. London 1994 (Routledge) ISBN 0-415-90818-3
  • Toni Tholen: Erfahrung und Interpretation, Der Streit zwischen Hermeneutik und Dekonstruktion, C. Winter Universitätsverlag, Heidelberg 1999, ISBN 3-8253-0883-9

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik. 2. Auflage, Metzler, Stuttgart u. a. 2000, ISBN 978-3-476-01226-5.
  2. Vgl. Ineichen, S. 21.
  3. „Der Zusammenhang ist wohl zu offensichtlich, um auch wahr zu sein. So wurde er in der neueren Philologie fast allenthalben mit überlegener Skepsis betrachtet. Indessen hat es noch keine bessere Deutung vermocht, sich allgemein durchzusetzen, so dass die Frage um die Herkunft des Wortfeldes ἑρμηνεύειν hier offen bleiben muß.“ Grondin, S. 39.
  4. Seiffert, S. 9.
  5. Gerhard Ebeling: Hermeneutik. In: Kurt Galling: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Bd. 3, 3. Auflage, Tübingen 1959. „Hermessen“ ist eine analogisierende Bezeichnung für den Vorgang des Interpretierens.
  6. Grondin, S. 38.
  7. José Faur: Golden Doves with Silver Dots: Semiotics and Textuality in Rabbinic Tradition. Bloomington 1986.
  8. Tzvetan Todorov: Théories du symbole. Paris 1977. Tzvetan Todorov Symbolism and Interpretation. London 1983.
  9. Tzvetan Todorov 1997 und 1983.
  10. Vgl. Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik. 2. Auflage, Metzler, Stuttgart u. a. 2000.
  11. Platon, Siebter Brief 343b f.
  12. Platon, Siebter Brief 342a ff.
  13. Platon, Siebter Brief 344b
  14. „So konnte Aristoteles’ logisch-semantische Schrift >Peri Hermeneias<, die vom wahr oder falsch sein könnenden Aussagesatz […] handelt, durchweg durch >De interpretatione< auf Latein wiedergegeben werden.“ Grondin, S. 37.
  15. Grondin, S. 37.
  16. Augustinus, De doctrina christiana
  17. Umberto Eco: Semiotik und Philosophie der Sprache. München 1985.
  18. Vgl. Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik. 2. Auflage, Metzler, Stuttgart u. a. 2000.
  19. Vgl. Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik. 2. Auflage, Metzler, Stuttgart u. a. 2000.
  20. Philipp Melanchthons „Rhetorik“, hrsg. von J. Knape, Tübingen 1993, 107, 158. Zit.n. Grondin, S. 62.
  21. Flacius, De ratione, S. 7. Zit.n. Grondin, S. 65f.
  22. Grondin, S. 77.
  23. Grondin, S. 78.
  24. Johann Conrad Dannhauer, Idea Boni Interpretis Et Malitiosi Calumniatoris Quae Obscuritate Dispulsa, Verum Sensum à falso discernere in omnibus auctorum scriptis ac orationibus docet, & plenè respondet ad quaestionem Unde scis hunc esse sensum non alium?, Glaser, Argentorati 1630
  25. J. M. Chladenius, Einleitung zur richtigen Auslegung vernünftiger Reden und Schriften, Leipzig 1742. Zitiert nach Grondin, S. 85.
  26. Grondin, S. 86.
  27. Grondin, S. 87f.
  28. Grondin, S. 90.
  29. Grondin, S. 100.
  30. Friedrich Ast, Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik, Landshut 1808, S. 179 f.
  31. Friedrich Ast, Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik, Landshut 1808, S. 178 ff.
  32. Friedrich Ast, Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik, Landshut 1808, S. 186
  33. Friedrich Ast, Grundlinien der Grammatik, Hermeneutik und Kritik, Landshut 1808, S. 187
  34. „Das Geschäft der Hermeneutik darf nicht erst da anfangen, wo das Verständniß unsicher wird, sondern vom ersten Anfang des Unternehmens an, eine Rede verstehen zu wollen. Denn das Verständniß wird gewöhnlich erst unsicher, weil es schon früher vernachlässigt worden.“ Friedrich Schleiermacher: Allgemeine Hermeneutik von 1809/10, S. 1272; zitiert nach Grondin, S. 106.
  35. Vgl. Ineichen, S. 121ff.
  36. Seiffert, S. 29.
  37. Schleiermacher unterscheidet eine "laxere Praxis" der Hermeneutik von einer "strengeren Praxis". Die strengere Praxis "geht davon aus, daß sich das Missverstehen von selbst ergibt und daß Verstehen auf jedem Punkt muss gewollt und gesucht werden" (Schleiermacher, Hermeneutik, §14.1), während sich bei der laxeren Praxis "das Verstehen von selbst ergibt" (ebd.).
  38. Johann Gustav Droyen, Grundriss der Historik, Berlin 1862, S. 4 ff.
  39. Dilthey, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, Berlin 1894, S. 1314
  40. Wilhelm Dilthey, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, Ges. Schriften Bd. V, Stuttgart 1974, S. 172
  41. Wilhelm Dilthey, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, Ges. Schriften Bd. V, Stuttgart 1974, S. 139 bis 175
  42. Dilthey, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, Berlin 1894, S. 1342
  43. Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Ges. Werke Bd. VII, Leipzig 1927, S. 146 ff.
  44. Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 53.
  45. Ineichen, S. 147f.
  46. Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 72f.
  47. Heinrich Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften, 3. und 4. Aufl., Tübingen 1921, S. 404 ff.
  48. Georg Simmel, Die Probleme der Geschichtsphilosophie, Leipzig 1892, S. 14 ff.
  49. Max Weber, Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, Logos Bd. IV, 1913, S. 253 ff.
  50. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1960, S. 97 f.
  51. Grondin, S. 135, S. 143 und S. 136.
  52. Martin Heidegger: Gesamtausgabe, Frankfurt am Main 1975ff., Bd. 63, S. 12; zitiert nach Grondin, S. 141.
  53. Jean Grondin: Einführung zu Gadamer. Tübingen 2000, S. 8.
  54. Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Band 1, 6. Aufl., Tübingen 1990, S. 2ff.
  55. Gadamer, Art. Hermeneutik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, S. 1071
  56. Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Band 1, 6. Aufl., Tübingen 1990, S. 303.
  57. Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Band 1, 6. Aufl., Tübingen 1990, S. 373.
  58. Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Band 2, 2. Aufl., Tübingen 1993, S. 64.
  59. Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Band 1, 6. Aufl., Tübingen 1990, S. 494.
  60. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 1975, S. 98
  61. Fünf Jahre vor dem Erscheinen von Gadamers Hauptwerk hatte Emilio Betti 1955 noch vier Kanones der Interpretation vorgeschlagen, die hermeneutische Objektivität gewährleisten sollten. Vgl. Ineichen, S. 208f.
  62. Karl-Otto Apel: Transformation der Philosophie. Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973; zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 251.
  63. Karl-Otto Apel: Transformation der Philosophie. Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973; zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 253.
  64. Karl-Otto Apel: Transformation der Philosophie. Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973; zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 255.
  65. Karl-Otto Apel: Transformation der Philosophie. Bd. 2: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973; zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 257.
  66. Paul Ricœur: Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München 1972 (Erstpublikation 1971). Zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 260.
  67. Paul Ricœur: Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München 1972 (Erstpublikation 1971). Zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 276.
  68. Paul Ricœur: Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München 1972 (Erstpublikation 1971). Zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 280.
  69. Paul Ricœur: Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München 1972 (Erstpublikation 1971). Zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 282.
  70. Paul Ricœur: Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München 1972 (Erstpublikation 1971). Zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 289f.
  71. Paul Ricœur: Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen. München 1972 (Erstpublikation 1971). Zitiert nach Lessing (Hrsg.), S. 292.
  72. Grondin, S. 183f.
  73. Grondin, S. 186.
  74. Hans Köchler: Philosophical Foundations of Civilizational Dialogue. The Hermeneutics of Cultural Self-comprehension versus the Paradigm of Civilizational Conflict. University of Malaya Library, Kuala Lumpur 1997 (3rd International Seminar on Civilizational Dialogue, Kuala Lumpur, 15.–17. September 1997).
  75. Hans Köchler: Kulturphilosophische Aspekte internationaler Kooperation. In: Zeitschrift für Kultur-Austausch, Bd. 28 (1978), S. 40–43 (Vortrag vor der Königlichen Wissenschaftlichen Gesellschaft Jordaniens, März 1974. Siehe auch den Sammelband Hans Köchler (Hrsg.): The Cultural Self-comprehension of Nations. Erdmann, Tübingen 1978, ISBN 3-7711-0311-8.
  76. Zu Köchlers Ansatz vgl. Andreas Oberprantacher: Towards a Hermeneutics of Mutual Respect and Trans-cultural Understanding: Köchler’s Foundation of Civilizational Dialogue. In: F. R. Balbin (Hrsg.): Hans Köchler Bibliography and Reader. Manila/Innsbruck 2007, S. 151–162, ISBN 978-3-900719-04-3.
  77. Quentin Skinner, Meaning and Understanding in the History of Ideas, 1969, in: James Tully, Meaning and Context. Quentin Skinner and his Critics, Cambridge 1988, S. 44 ff.
  78. Jürgen Bolten, Die Hermeneutische Spirale. Überlegungen zu einer integrativen Literaturtheorie, in: Poetica 17 (1985), H. 3/4., S. 362 f.)
  79. Das Schema als kognitive Struktur geht zurück auf Henry Head (1920), Jean Piaget (1928) und Frederick Charles Bartlett (1932).
  80. Grundlegend z.B. der Beitrag von J. W. Alba und L. Hasher, Is memory schematic?, in: Psychological Bulletin, 93, 1983, S. 203 ff.
  81. Vgl. dazu P. W. Thorndyke und F.R. Yekovich, A Critic of Schema-based Theories of Human Story Memory, Poetics 9, 1980, 23-49; J. W. Alba und L. Hasher, Is memory schematic?, in: Psychological Bulletin 93, 1983, S. 203 ff; R. C. Anderson und P.D. Pearson, A schema-theoretic view of basic processes in reading, in: In P. D. Pearson, R. Barr, M. L. Kamil, P. Mosenthal (Hrsg.), Handbook of reading research. Longman, New York 1984; S. P. Ballstaedt, H. Mandl, W. Schnotz, S. O. Tergan, Texte verstehen, Texte gestalten. Urban & Schwarzenberg, München 1981

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