Ulrich Sporleder

Ulrich Sporleder
Ulrich Sporleder (ca. 1940)

Ulrich Sporleder (* 7. Juli 1911 in Schwerte; † 23. Juli/24. Juli 1944 in Ostrów Lubelski bei Lublin, Polen) war ein deutscher evangelischer Theologe, Pfarrer der Bekennenden Kirche in Marienburg und Marienwerder, Offizier der deutschen Wehrmacht und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Ulrich Sporleder wurde als zweites von drei Kindern in eine ursprünglich in Mecklenburg (Schloss/Rittergut Steinbeck bei Bellin) und Schlesien (Rittergut Reinshain) begüterte, teils monarchistisch-nationalkonservativ, teils christlich-sozial und sozialdemokratisch geprägte Gutsbesitzerfamilie hineingeboren. Der ehemalige Oberbürgermeister von Herne Georg Sporleder (1877-1959) ist sein Onkel und der Schriftsteller, Philologe und Psychologe Gerd Schimansky (1912-2010) sein Schwager. Seine Jugend verbrachte er vorwiegend in Frankfurt am Main und auf Schloss Braunfels/Lahn. Durch seine Mutter Marie Anna Katharina Sporleder, die unter Freifrau von Hadeln auch Geschäftsführerin des monarchistischen Königin-Luise-Bundes war, kam er früh in Kontakt mit den christlichen Jugendbewegungen, so insbesondere mit der Marburger Michaelsbruderschaft als Teil der Berneuchener Bewegung.

Zu seinen engen Weggefährten, Lehrern und Freunden gehörten neben Martin Niemöller, der 1939 Pate seines ersten Sohnes Martin wurde, Gerhard Ritter, Karl Bernhard Ritter, Hans Joachim Iwand, Horst Symanowski, Rudolf Bultmann und Hans Freiherr von Soden unter anderem auch hochranginge Offiziere der Reichswehr und späteren deutschen Wehrmacht.

Sporleder studierte nach dem in Frankfurt absolvierten Abitur, wahrscheinlich seit dem Wintersemester 1930/31 Theologie an der Universität Marburg unter anderem bei Hans Freiherr von Soden und Rudolf Bultmann. Spätestens zum WS 1934/35 wechselte er an die Universität Königsberg, wo er u. a. bei den Professoren Hans Joachim Iwand und Martin Noth sein Theologiestudium fortsetzte und im gleichen Semester zum Fachschaftsleiter gewählt wurde. In dieser Funktion kündigte er am 9. November 1934 eine Diskussion mit Prof. Hans Michael Müller über dessen Buch Vom Staatsfeind im Audimax der Universität an. Im selben Monat war er federführend an der Gründung der Bruderschaft junger Bekenntnistheologen beteiligt.

Am 12. April 1935 kündigte Sporleder im ostpreußischen Reichsbruderrat den scharfen Protest der Theologenschaft gegen den Rust-Erlass an. Vom 16. bis zum 19. März 1936 legte er als einer von 19 Kandidaten sein erstes Theologisches Examen bei der Bekennenden Kirche ab. Am 25. April 1936 war er Mitglied des Förderausschusses zum Wissenschaftslager der Theologischen Fachschaft in Tilsit und reiste am 15. Juni 1936 zum Studententag nach Posen. In diese Zeit fällt eine von ihm verfasste Predigt über Hebr. 12, 1-6, in der er als Reaktion auf die Nürnberger Rassegesetze unter dem Wort „heute sind wir (Christen und Juden) mehr denn je ein Geschlecht (d.h. aus dem Geschlechte Davids)“ zu Kampf und Widerstand aufrief. Vom 1. Mai 1936 an wirkte er bis zu seiner Beurlaubung zum Reichsheer am 17. Oktober 1936 als Vikar in Heilsberg/Ostpreußen. Seine Ausbildung als Offiziersanwärter erhielt er bei einem der traditionsreichen Husarenregimenter Ostpreußens. Im Anschluss war er Vikar bei Pfarrer Werner Lehmbruch in Rehhof und bewirkte den Aufbau einer Bekenntnissgemeinde in Marienwerder. Am 14. November 1937 predigt er im Rahmen eines sog. Kirchentages der Bekennenden Kirche gemeinsam mit Lehmbruch und weiteren Pfarrern, Hilfspredigern und Prädikanten in verschiedenen Kirchen Elbings. Am selben Tag wird er erstmals von der Gestapo zusammen mt Werner Lehmbruch und fünf weiteren Pfarrern festgenommen und im Gestapo-Gefängnis Elbing inhaftiert. Seine Predigten, Telefongespräche und der Briefverkehr wurden bereits seit einiger Zeit überwacht und dienen nun zur Begründung der Untersuchungshaft und der Anklageerhebung. Am 7. und 14. Dezember 1937 stand er als letzter (Nr. 87) auf der reichsweiten Fürbittenliste der Bekennenden Kirche, die von Pfarrer Martin Niemöller (Nr. 1) angeführt wurde.

Nach seiner Haftentlassung wurde Sporleder am 1. Mai 1938 als Nachfolger Helmut Passauers zum Hilfsprediger der Bekennenden Kirche in Marienburg ernannt. Dort stand er ebenso wie sein Vorgänger als einziger Bekenntnisgeistlicher vier „Deutsch-Christlichen“ Pfarrern gegenüber. In diese Zeit fallen auch erste intensivere Kontakte zu späteren Mitgliedern des militärischen Widerstands. Seine Gottesdienste wurden von Spitzeln der Gestapo besucht und er wurde auch mehrfach von Gemeindemitgliedern wegen des Inhalts seiner Predigten und seines Konfirmandenunterrichts denunziert. Im Sommer des Jahres 1938 heiratete er Annemarie Weissenborn, eine Tochter des ehemaligen Oberbürgermeisters von Halberstadt. Wegen der Sammlung von Kollekten für die Bekennende Kirche und Predigtfürbitten für gemaßregelte und inhaftierte Pfarrer steht er im Herbst des Jahres 1938 in zwei Prozessen als Angeklagter vor dem Reichsgericht. Nachdem er in der Marienkirche im Silvestergottesdienst 1938 die Novemberpogrome gegen die jüdische Bevölkerung scharf angeprangert hatte, wurde er auf gemeinsames Betreiben des Konsistoriums, des Reichskirchenministeriums und der Gestapo Anfang 1939 rückwirkend zum 31. Dezember 1938 seines Amtes enthoben und mit Redeverbot belegt. Allerdings wurde ihm zugestanden, die von Passauer übernommenen Konfirmandinnen und Konfirmanden bis zu ihrer Konfirmation im Frühjahr 1939 weiter unterrichten zu dürfen.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges nahm er als Offizier einer im Wehrkreis I aufgestellten Panzerjägereinheit, die zur „Gruppe Brandt“, 3. Armee gehörte, am Polenfeldzug teil. Seit dem 10. Mai 1940 erfolgte der Einsatz beim Frankreichfeldzug im Rahmen der sog. Panzergruppe von Kleist. Während des Krieges gegen die Sowjetunion war er als Hauptmann Kommandant einer mit den Panzertypen „Sturer Emil“, „Dicker Max“, „Elefant“ und „Hornisse“ bzw. „Nashorn“ ausgerüsteten schweren Panzerjäger-Kompanie bzw. Abteilung und wurde mehrfach schwer verwundet. Im Anschluss an einen Lazarettaufenthalt legte er im Januar 1940 sein 2. Theologisches Examen, das er im August 1939 aufgrund seiner Einberufung unterbrechen musste, ab und wurde anschließend in Königsberg ordiniert. Den vom Konsistorium geforderten sog. „Führereid“ lehnte er wie zuvor weiterhin ab. Lazarettaufenthalte und Heimaturlaube nutzte er nun vermehrt um den Kontakt zu seiner Gemeinde und zu Widerstandsgruppen zu pflegen und sich politisch zu betätigen. Wohl im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten wurde er 1942 vor dem Reichskriegsgericht angeklagt, entkam durch die Protektion, die er von Teilen der Generalität erfuhr aber einer Verurteilung. Seit dem 25. Juli 1944 galt er als in der Nähe von Lublin vermisst. Nach einem zumindest fragwürdigem Augenzeugenbericht soll er sich gemeinsam mit fünf weiteren Offizieren seiner Einheit in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 1944 durch einen Kopfschuss selbst getötet haben.

Die Rekonstruktion der Biographie Sporleders gestaltet sich schwierig.

Zitate

„Heute sind wir (Christen und Juden) mehr denn je ein Geschlecht [...]“ (aus einer Predigt Sporleders aus den Jahren 1935/36, die auf die Nürnberger Rassegesetze und die Erlasse des Reichsministers Bernhard Rust Bezug nimmt)

„[...] möge Gott über uns alle seine schützende Hand halten und uns nicht verlassen, damit wir überall seine Nähe und Liebe erfahren. Das ist doch das Größte, was uns geschenkt werden kann, dass wir mitten in allem Leid und Tod, die uns umgeben, spüren, wie dennoch dem, der auf den gekreuzigten und auferstandenen Herrn schaut, ein Friede geschenkt wird, der sich genügen lässt an dem, dass wir etwas schauen dürfen von der verborgenen Herrschaft Gottes in dieser Welt. Es sieht ja nach außen wahrlich so aus, als habe Gott seine Herrschaft abgetreten an die dunklen Mächte dieser Erde und uns dem Zorn dieser Kräfte preisgegeben. Aber in Wahrheit führt sein Weg ja nur durch das Kreuz zur Auferstehung. Wer an ihn glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe und wer da lebt und glaubt an ihn, der wird nimmermehr sterben.“

(Wort Sporleders aus einem Brief vom 3. Juli 1944)

Literatur über Ulrich Sporleder

  • Ernst Burdach: Hans Joachim Iwand. Theologe zwischen den Zeiten. Ein Fragment 1899–1937. Beienrode 1982.
  • Walter Hubatsch: Geschichte der Evangelischen Kirche Ostpreußens. 3 Bände, Göttingen 1968.
  • Manfred Koschorke (Hrsg.): Geschichte der Bekennenden Kirche in Ostpreußen 1933–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1976.
  • Manfred Koschorke: Materialsammlung vom Kirchenkampf in Ostpreussen September 1934–1939. O. O. u. J.
  • Hans Graf von Lehndorff: Die Insterburger Jahre. Mein Weg zur Bekennenden Kirche. München 1969.
  • Hugo Linck: Der Kirchenkampf in Ostpreußen 1933 bis 1945. Geschichte und Dokumentation. Gräfe und Unzer, München 1968.
  • Kurt Meier, Die theologischen Fakultäten im Dritten Reich, Berlin/New York 1996, S. 271.
  • Wolfgang Scherffig: Junge Theologen im „Dritten Reich“. 3 Bände, Neukirchen 1989–1994.
  • Gerd Schimansky: Ich lüge mich an die Wahrheit heran. Erzählung aus der Zeit des Kirchenkampfes. Moers 1983.
  • Jürgen Seim: Hans Joachim Iwand. Eine Biographie. Gütersloh 1999.

Weblinks


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