Bernhard Kimmel

Bernhard Kimmel

Bernhard Kimmel, in den Medien auch Al Capone von der Pfalz“ (* 21. Mai 1936 in Liestal, Schweiz[1]), wurde deutschlandweit bekannt, weil er um 1960 sowie im Jahre 1981 an Aufsehen erregenden Straftaten beteiligt war. Er verbüßte zuerst eine langjährige, später eine lebenslange Freiheitsstrafe. Wegen guter Führung wurde er im Dezember 2003 nach insgesamt mehr als 31 Jahren Haft vorzeitig entlassen.

Inhaltsverzeichnis

Familie und Ausbildung

Kimmels Vater stammte aus der pfälzischen Kleinstadt Lambrecht, die in der Mittelgebirgsregion Pfälzerwald (Rheinland-Pfalz) liegt, seine Mutter aus der Schweizer Gemeinde Liestal (Kanton Basel-Landschaft). Dort und bei der Großmutter in Basel verbrachte Kimmel seine frühe Kindheit.

Während des Zweiten Weltkriegs scheiterte die Ehe der Eltern. Kimmels Vater kehrte nach Lambrecht zurück, wobei er seinen Sohn mitnahm. Dort erreichte Kimmel den Volksschulabschluss und erlernte Anfang der 1950er Jahre den Beruf des Tuchwebers. Schon in jungen Jahren geriet er auf die schiefe Bahn.

Tatorte in Deutschland
Bernhard Kimmel (Deutschland)
Pfälzerwald (1957–61)
Pfälzerwald (1957–61)
Trebur (1975)
Trebur (1975)
Bensheim (1981)
Bensheim (1981)
Tatorte in Deutschland

Straftaten im Pfälzerwald

Die Kimmel-Bande

Seit dem Jahr 1957, als die ersten Straftaten bekannt wurden, bis zum 7. Januar 1961 war Kimmel der Kopf der nach ihm benannten „Kimmel-Bande“. Diese Gruppierung von sechs jungen Kriminellen[2] machte zunächst mit gefundenen Waffen, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammten, dann auch mit gestohlenen die Gegend um Lambrecht unsicher. Vor allem die südlich der Stadt durch den Wald führende Totenkopfstraße und ihre Umgebung waren mehr als drei Jahre lang Tummelplatz der Bande, von der 187 Delikte registriert wurden. Die dabei erbeuteten knapp 150.000 DM (rund 77.000 Euro) waren zu dieser Zeit angesichts eines monatlichen Durchschnittseinkommens unter 400 DM (knapp 200 Euro) ein beträchtliches Vermögen.[3]

Am Ende ein Mord

Ritterstein Nr. 190 bei der Hellerhütte, wo Karl Wertz von der Kimmel-Bande ermordet wurde

Die Liste der Straftaten begann 1957 mit Schießübungen auf Straßenschilder, setzte sich fort über Brandstiftungen an Gebäuden (z. B. Niederbrennen der Totenkopfhütte) und steigerte sich auf eine dreistellige Zahl von Einbrüchen. Diese hatten überwiegend Banken zum Ziel; der erste allerdings richtete sich am 24. Oktober 1957 gegen die AOK in Lambrecht, deren Tresor entwendet und vergraben wurde. Ein späterer Einbruch erfolgte in Lachen-Speyerdorf (heute Ortsteil von Neustadt an der Weinstraße) in ein Waffendepot der damaligen französischen Besatzungsmacht.[3]

Die Ereignisse gipfelten schließlich in einem Mord: In der Neujahrsnacht 1960/61 um 3 Uhr früh schoss das Bandenmitglied Lutz Cetto mit einer 9-mm-Armeepistole Walther P88[4] den damals 49-jährigen Hüttenwart Karl Wertz (1911–1961) nieder, der für den Pfälzerwald-Verein die zwischen Neustadt und Lambrecht im Pfälzerwald gelegene Hellerhütte betrieb. Wertz hatte die jungen Leute, die angetrunken vor der Hütte randalierten und um sich schossen, mit einer Taschenlampe angeleuchtet, und Cetto hatte, wie sich später vor Gericht ergab, befürchtet, der Hüttenwart könnte Bandenmitglieder als Täter identifizieren. Im Krankenhaus von Neustadt wurde wenig später festgestellt, dass Wertz auf dem Transport verstorben war. Zeuge der Todesschüsse war ein Mitglied des Pfälzerwald-Vereins.[4]

Großfahndung und Festnahme

Nach dieser Bluttat kam es zur Großfahndung. Sie wurde koordiniert durch den Leiter der Kripo Ludwigshafen, Georg Fleischmann (1906–1970), der 1963 wegen des Vorwurfs, im Zweiten Weltkrieg Mordtaten begangen zu haben, sein Amt verlor. Mehr als tausend Polizisten – von denen eine größere Anzahl im Lambrechter Schulhaus untergebracht wurde, so dass die Schüler einige Tage „Sonderferien“ hatten – spürten Kimmel nach, der mit seiner damaligen Lebensgefährtin Mathilde „Tilly“ Dohn eine Woche lang im winterlichen Pfälzerwald unterwegs war. Dann wurden beide festgenommen und kamen in Untersuchungshaft.[2] Kimmel war durch eine entfernte Verwandte, bei der er sich Verpflegung besorgt hatte, zur Aufgabe überredet worden.[5]

Während eines Lokaltermins im Folgemonat gelang Kimmel unter den Augen von vier Polizisten noch einmal eine spektakuläre Flucht: Er hatte sich im Wald die Handschellen abnehmen lassen, damit er seinen Mantel ausziehen könne, um ihn seiner angeblich frierenden Lebensgefährtin umzuhängen. Ohne Fesseln sprang er dann plötzlich einen steilen Abhang hinunter und versorgte sich in einem nahegelegenen Versteck mit Waffen. Bei der nachfolgenden Schießerei konnte auch seine Freundin flüchten. Nach vier Tagen jedoch musste das Pärchen vor der Februarkälte kapitulieren und stellte sich den Behörden.[2]

Prozesse

1962 erfolgten erste Verurteilungen wegen der Einbrüche und Diebstähle. Zuständig für den Tatkomplex um den nächtlichen Mord war dann das Schwurgericht beim Landgericht Frankenthal unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Erich Barbier, das an mehreren Tagen im Januar und Februar 1963 verhandelte[6] und die 1962 ausgesprochenen Strafen teilweise in die neuen Urteile einbezog.

Besonders weil ein Teil der Beute, die angeblich in Aluminium-Milchkannen im Wald vergraben wurde, verschwunden blieb und weil er der Anführer der Bande war, erhielt Kimmel eine 14-jährige Freiheitsstrafe. Von dieser musste er (unter Anrechnung der Untersuchungshaft) etwas mehr als neun Jahre verbüßen. Im Mai 1970 kam er wegen guter Führung vorzeitig auf freien Fuß.

Cetto wurde wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; nach wenigen Monaten in der Justizvollzugsanstalt nahm er sich noch 1963 das Leben. Die weiteren der fünf Bandenmitglieder[6], die bei der Mordtat zugegen waren, wurden mit zeitlichen Haftstrafen belegt: Rudi Hartmann erhielt neun Jahre und acht Monate, Bruno Veit drei Jahre, Mathilde Dohn zwei Jahre und zehn Monate.[7]

Bankeinbruch und Freispruch

1975 wurde in Trebur (südwestlich von Frankfurt am Main) nachts ein Einbruch in eine Bank verübt. In der Nähe des Tatorts nahm die Polizei Kimmel fest und fand in seinem Auto auch Werkzeug, das zur Tatausführung gepasst hätte. Er weigerte sich, ein Geständnis abzulegen, und wurde angeklagt, 1976 jedoch mangels ausreichender Beweise freigesprochen.

Bankeinbruch und Polizistenmord

Am 12. Dezember 1981 versuchte Kimmel gemeinsam mit einem Komplizen einen nächtlichen Einbruch in eine Sparkasse in Bensheim an der südhessischen Bergstraße. Dabei attackierte er mit Waffengewalt die alarmierten Polizisten. Durch einen von Kimmel gezündeten Sprengsatz erlitt der 26-jährige Achim Benick eine Querschnittslähmung, und mit einer Pistole wurde der 31-jährige Hubert Rupprecht aus wenigen Metern Entfernung durch einen Kopfschuss getötet. Für diese Tat wurde Kimmel, der bei der Ausführung selbst angeschossen worden war, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Von dieser musste er 22 Jahre absitzen; die meiste Zeit war er im Hochsicherheitstrakt der nordhessischen Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt inhaftiert.

Kimmel und die Öffentlichkeit

Bereits um 1960 hatte Kimmel unter dem Namen „Al Capone“, mit dem er auf den berüchtigten US-amerikanischen Gangsterboss anspielte, Pressekontakte gesucht und auch entsprechende Beachtung gefunden, vor allem bei der Regenbogenpresse, welche die Bezeichnung immer wieder aufgriff. Auch ein 1969 über das Geschehen im Pfälzerwald gedrehter Fernsehfilm führte den Spitznamen im Titel: Al Capone im deutschen Wald. Unter der Regie von Franz Peter Wirth und nach dem Drehbuch von Peter Adler spielten u. a. Will Danin, Angelika Bender, Christof Wackernagel und Rainer Werner Fassbinder.

Über dieselben Ereignisse inszenierte das Chawwerusch Theater aus Herxheim bei Landau 2003 ein dramatisches Schauspiel in Pfälzer Mundart mit dem Titel Kohle in de Milchkann („Geld in der Milchkanne“) und dem Untertitel Eine Räubergeschichte aus dem Pfälzer Wald.[8] Regie führte Ben Hergl, Mitautoren waren Walter Menzlaw und Peter Schraß. Die Aufführung stand bis 2004 auf dem Spielplan.

Bei der Erstellung einer filmischen Dokumentation in den 1970er Jahren lernte Kimmel den Schriftsteller Martin Walser kennen, der sich erfolglos für Resozialisierung des Häftlings stark machte. Während der zweiten Haftperiode begann Kimmel mit der Modellierung von Skulpturen, die schon in Ausstellungen präsentiert wurden.

Auch nach seiner zweiten Haftentlassung war Kimmel bei den Medien gefragt und präsentierte sich jenseits seines 70. Geburtstages immer noch als „edler Räuber“ von der Art eines Schinderhannes. So brachte er 2006 in einer 45-minütigen Dokumentation des Südwestrundfunks[9][10] zum wiederholten Male zum Ausdruck, wie sehr er sich als Opfer der Gesellschaft und widriger Umstände sieht: Er äußerte z. B. Unverständnis dafür, dass er wegen Polizistenmordes durch Kopfschuss belangt worden sei, obwohl er doch „über den Kopf hinweg gezielt“ habe. Ebenfalls 2006 drehte Regisseur Peter Fleischmann über Kimmel, den er schon 1970 in seinem Film Das Unheil eingesetzt hatte, einen Dokumentarfilm mit dem Titel Mein Freund, der Mörder. Der Kinostart war am 21. Juli, die TV-Ausstrahlung erfolgte am 18. September 2006.[11]

Literatur

  • Thomas B. Hutter: „Ich wollte ein edler Räuber sein“. Die Kimmel-Bande, ein Pfälzer Mythos. In: Klaus Schönberger (Hrsg.): Va Banque: Bankraub – Theorie, Praxis, Geschichte. Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg 2001, ISBN 3-922611-83-4, S. 78–91.
  • Michail Krausnick: Al Capone im deutschen Wald. Edition Durchblick, Neckargemünd 1999, ISBN 3-89811-146-6.
  • Rainer Thielen: Al Capone Bernhard Kimmel. Ein Pfälzer Schinderhannes? Höma Verlag. Offenbach an der Queich 2008, ISBN 978-3-937329-34-5.

Einzelnachweise

  1. Rainer Thielen: Al Capone Bernhard Kimmel. S. 12
  2. a b c Polizei. Großfahndung. Kimmel-Türken. In: Der Spiegel. Nr. 9/1961, 22. Februar 1961, S. 23–24, abgerufen am 15. März 2010.
  3. a b Der Al Capone aus der Pfalz. In: Magazin G/Geschichte. Heft 9/2008, abgerufen am 6. September 2010 (Internet-Zusatzartikel zur Printausgabe).
  4. a b Hamburger Abendblatt: Der Todesschuß kam aus seiner 9-mm-Pistole. 1. Februar 1963, abgerufen am 11. Juli 2011.
  5. Nürnberger Nachrichten: Grießpudding für Al Capone. 12. Februar 1961, abgerufen am 11. Juli 2011.
  6. a b Hamburger Abendblatt: Der Prozeß gegen die Al-Capone-Bande. 7. Februar 1963, abgerufen am 11. Juli 2011.
  7. Hamburger Abendblatt: Lebenslänglich für Cetto. 9. Februar 1963, abgerufen am 11. Juli 2011.
  8. theaterportal.de: Kohle in de Milchkann. Abgerufen am 12. Juli 2011.
  9. Film von Roland May und Dirk Laabs (Südwestrundfunk): Bernhard Kimmel – der „Al Capone“ aus der Pfalz. Ausstrahlung durch die ARD, 20. März 2006, 21:00 Uhr
  10. Eberhard Dersch: Filmaufnahmen zu „Kriminalfall Kimmel“. In: polizeioldtimer.de. 16. März 2006, abgerufen am 25. November 2010.
  11. Film von Peter Fleischmann: Mein Freund, der Mörder. Ausstrahlung durch arte, 18. September 2006, 22:30 Uhr
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