Oberleitungslastkraftwagen

Oberleitungslastkraftwagen
Ein Oberleitungslastkraftwagen des sowjetischen Typs KTG-1 in Sankt Petersburg

Ein Oberleitungslastkraftwagen, auch Oberleitungslastwagen oder Oberleitungs-Lkw, ist ein streckengebundenes aber nicht spurgeführtes elektrisch angetriebenes Verkehrsmittel für den Güterverkehr. In der Schweiz wird er Trolleylastkraftwagen oder Trolleylastwagen genannt. Technisch ist der hier behandelte Fahrzeugtyp mit einem Oberleitungsbus vergleichbar, beide sind elektrisch angetrieben und beziehen ihren Fahrstrom mittels Stromabnehmern aus einer Oberleitung. Daher werden häufig auch die Bezeichnungen Güter-Obus beziehungsweise Güter-Trolleybus verwendet. Diese sind jedoch sachlich falsch, da man unter einem Bus ausschließlich ein Personenverkehrsmittel versteht.

Inhaltsverzeichnis

Funktionsprinzip

Ein Oberleitungslastkraftwagen ist wie ein konventioneller Lastkraftwagen aufgebaut, wird jedoch von einem oder mehreren Elektromotoren angetrieben. Die für den Antrieb benötigte Energie bezieht er aus einer über der Straße oder dem Gelände gespannten zweipoligen Gleichstrom-Oberleitung. Die Stromabnehmer werden durch starke Zugfedern an die Oberleitungen gepresst, so dass der Trolleylastwagen immer eine Welle auf der Fahrleitung vor sich herschiebt.

Da lange Strecken selten nur eine Stromversorgungsquelle haben, sind kurze (etwa 300 Millimeter) stromlose Stellen im Fahrleitungsdraht erforderlich. Diese sind so angeordnet, dass sie an Stellen liegen, an denen ein Halten der Fahrzeuge unwahrscheinlich ist (Kreuzungen etc.). Als Fahrspannung sind heute zwischen 600 und 750 Volt Gleichspannung üblich. Die meisten modernen Fahrzeuge haben zusätzlich eine kleine Akkureserve, Super- oder Ultrakapazitäten (Kondensatoren), ein Schwungrad oder einen zusätzlichen Antrieb (Gas/Dieselmotor). Dadurch wird es möglich, auch ohne den Strom aus der Oberleitung mit verminderter Geschwindigkeit weiter zu fahren.

Moderne Trolleylastwagen haben eine maximale Leistungsaufnahme von über 700 kW und erreichen Beschleunigungen, die über denen der meisten Lkw liegen. Sie sind deshalb auch in topografisch schwierigen Gegenden einsetzbar und erweisen sich bis heute den Diesel-Lastwagen als überlegen. Besonders auf Straßen mit extremen Steigungswerten sind Trolleylastwagen im Vorteil.

Diese Strecken können mit verbrennungsmotorgetriebenen Fahrzeugen nur schwer befahren werden. Die benötigten Drehmomente werden nur erreicht, wenn die Getriebeübersetzungen derart groß eingestellt werden, dass die Motoren bei relativ geringen Geschwindigkeiten fast ständig auf ihrer höchsten Drehzahl laufen. Der elektrische Antrieb ist die einzige praktikable Alternative, sobald die im Durchschnittsbetrieb erforderlichen Drehmomentwerte eine gewisse Schwelle überschreiten. Oberleitungs-Lkw sind streckengebunden, jedoch nicht spurgebunden, sondern können sich auf dem durch die Fahrleitung vorgegebenen Fahrweg so flexibel bewegen wie Omnibusse und Hindernisse umfahren.

Muldenkipper nutzen in Bergwerken oft Oberleitungen zur Stromzufuhr. Solche Strecken werden aus finanziellen Gründen nur in großen Tagebauen angelegt und nur von Schwerkraftwagen mit dieselelektrischen Antrieb benutzt. Das ist meist bei Fahrzeugen ab einer Nutzlast von 100 Tonnen der Fall. Die Strecken müssen aufgrund hoher Investitionskosten mehrere Jahre benutzbar sein. Ein ausreichend großes Gelände muss zur Verfügung stehen, da die Strecke meist nur in eine Richtung befahren wird und oft für die Berg- und Leerfahrten eine weitere Fahrspur zur Verfügung gestellt werden muss.

Der Muldenkipper fährt direkt unter die Oberleitung und der Kraftfahrer gibt dann manuell das Signal zum Herausfahren der Stromabnehmer. Nach dessen Kontakt mit der Oberleitung regelt die Elektronik des Fahrzeugs den Dieselantrieb herunter, die Radnabenmotoren werden über die Oberleitung direkt mit Strom versorgt. Am Ende der Strecke stellt die Fahrzeug-Elektronik den dieselbetriebenen Motor wieder auf die gewünschte Leistung ein und der Muldenkipper fährt wieder mit Dieselantrieb. Die Strecke kann von mehreren Fahrzeugen gleichzeitig benutzt werden, ein seitliches Ein- oder Herausfahren ist jederzeit möglich.

Geschichte

1903: ein früher russischer Oberleitungslastkraftwagen in Sankt Petersburg

Deutschland

Schiemann’sche Güter-Traktoren im Deutschen Reich

Während das Elektromote von 1882 ausschließlich der Personenbeförderung diente, gilt die von Königstein in der Sächsischen Schweiz ausgehende Bielatalbahn als erstes Einsatzgebiet von Oberleitungslastkraftwagen. Tatsächlich handelte es sich bei diesen vom Ingenieur Max Schiemann entwickelten Fahrzeugen jedoch eher um elektrische Traktoren, sie zogen antriebslose Anhänger hinter sich her. Die Gütertransporte auf der 2,8 Kilometer langen Bielatalbahn bedienten in erster Linie die Papierfabrik in Hütten, parallel dazu wurde auf der Strecke Personenverkehr zum Kurbad Königsbrunn durchgeführt. Die Anlage bestand von 1901 bis 1904.

Von 1903 bis 1907 fuhren auf der Kalkbahn Grevenbrück solche Oberleitungs-Traktoren. Die Strecke war ausschließlich für den Transport von Kalksteinen vom Steinbruch zum Bahnhof Grevenbrück gebaut worden. Zum Einsatz kamen ein Motorwagen und verschiedene Anhänger. Die 1,5 Kilometer lange Strecke wies Steigungen von über vier Prozent auf. Die Verlegung des Steinbruchs führte zur Stilllegung. Außerdem verkehrte von Grevenbrück aus die Veischedetalbahn, auf welcher in den Anfangsjahren zusätzlich zum Personenverkehr ebenfalls Güterverkehr durchgeführt wurde.

Im Rheinland verkehrte von 1904 bis 1908 die Gleislose Bahn Monheim–Langenfeld, auch sie wurde sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr betrieben. Aufgrund der starken Beschädigungen der Straßen durch die schweren Fahrzeuge wurde die Bahn bereits nach vier Betriebsjahren durch einen Eisenbahnbetrieb, die heute noch existierenden Bahnen der Stadt Monheim, ersetzt.

In Wurzen transportierte die Industriebahn Wurzen von 1905 bis 1929 Güter. Zwischen 1905 und 1914 kam das Transportmittel auf der Mühlenbahn Großbauchlitz (heute Döbeln) zum Einsatz. Auf der Hafenschleppbahn Altona verkehrten von 1911 bis 1949 zwischen Hafen und Rathaus elektrische Schleppfahrzeuge. Die vier Fahrzeuge ersetzten den Pferdevorspann auf dem Anstieg von der Elbe nach Altona.

Landsberg an der Warthe

Ein Kuriosum des kurzlebigen Landsberger Obus-Betriebs (1943 bis 1945), stellte eine elektrische Zugmaschine der Firma Faun dar, die ihren Strom ebenfalls aus der Obusfahrleitung bezog. Mit diesem Fahrzeug wurden Kohlen vom Hafen an der Warthe zum E-Werk, zum Gaswerk und zur Landesanstalt befördert. Dafür wurde sogar noch eine über einen Kilometer lange Zweigleitung angelegt. Auch dieser Güterverkehr bestand nur von 1943 bis 1945.

Muldenkipper in der DDR

In Bitterfeld verkehrte zwischen 1984 und 1988 ein umgebauter sowjetischer Belaz-Kipper als Oberleitungs-Lkw. In den Kalkwerken Elbingerode wurde von März 1988 bis Februar 1989 eine Anlage zum Transport von Gütern errichtet. Wegen wirtschaftlicher Existenzprobleme des Werkes während der Wende in der DDR führte der Oberleitungs-Lkw, ebenfalls ein Belaz-Kipper, nur am 27. November 1989 eine Probefahrt durch.

Österreich

In Österreich wurden Oberleitungslastkraftwagen zwischen 1945 und 1951 in Sankt Lambrecht eingesetzt. Die Dynamit Nobel AG verwendete sie für den Werkverkehr vom Bahnhof Mariahof-Sankt Lambrecht nach Heiligenstadt. Auf der circa acht Kilometer langen Strecke kamen dreiachsige Fahrzeuge, aufgebaut auf Fahrgestellen der Firma Lohner, zum Einsatz.

Außerdem dienten im Zweiten Weltkrieg O-Busse im Batteriebetrieb als Zugmaschinen für jeweils mehrere Lastwagenanhänger. Diese Betriebsform war durch den kriegstypischen Treibstoffmangel bedingt und konnte in Salzburg und Klagenfurt beobachtet werden.[1]

Schweiz

In der Schweiz verkehrten Trolleylastwagen zum einen auf der Gleislosen Bahn Gümmenen–Mühleberg (1918 bis 1922) und zum anderen auf der Linie Fribourg–Farvagny (1911 bis 1932), auf letzterer fand jedoch überwiegend Personenverkehr statt.

Frankreich

Ein französische Besonderheit war der Treidel-Betrieb mit elektrischen Traktoren entlang dem Rhein-Marne-Kanal. Der elektrifizierte Abschnitt führte von Sarrebourg nach Gondrexange und war circa zwölf Kilometer lang. Die Anlage bestand von 1910 bis 1965.

Italien

Im Veltlintal, Italien, kamen beim Bau der beiden Staudämme Lago di San Giacomo und Lago di Cancano Oberleitungs-Lkw zum Einsatz. Auf zwei Linien (Tirano-Bormio-Boscopiano-Tal, 66 Kilometer, 1940–1950 und Bivio Molina-Digapoli, 14 Kilometer, 1952–1956) transportierten 20 Trolleylastwagen Güter und zwei Oberleitungsbusse Personen zur Baustelle.

Ehemalige Sowjetunion

Viele Städte in der Sowjetunion benutzten Oberleitungslastkraftwagen. Das Modell MAZ-525 wurde 1954 in Charkiw in der Ukraine zu einem solchen umgebaut. Wegen zahlreicher Probleme kam es dann aber später zur Einstellung des Experimentes. Weitere Modelle sind heute in zahlreichen Städten Russlands in Dienst. Der KTG-1 dient beispielsweise zur Ausführung von Reparatur- und Wartungsarbeiten städtischer Obusnetze, der KTG-2 dagegen zum Transport von Gütern.

Weltweit

In Australien, Kanada, DR Kongo (ein Betrieb), Namibia (ein Betrieb), Schweden, Südafrika (zwei Betriebe) und weiteren Ländern kommen Oberleitungslastkraftwagen heute als Muldenkipper in Bergbaubetrieben zum Einsatz. Diese Schwerkraftwagen können durch ihre Antriebsweise und Bauart (Räder mit sehr großem Durchmesser) große Mengen und Gewichte auch in unwegsamem Gelände transportieren. Diese Geräte erreichen Einsatzgewichte bis zu 600 Tonnen und können Nutzlasten bis zu 360 Tonnen befördern. Oft werden diese Fahrzeuge zum Transport von der Abbaustelle zu Förderanlagen oder Brechern benutzt.

Einzelnachweise

  1. Trolleybus in Salzburg 1940-1960

Literatur

  • Gerhard Bauer: Von der Gleislosen zum Oberleitungsomnibus. Die Entwicklung zwischen 1882 und 1945. Verlag für Verkehrsliteratur, Dresden 1997, ISBN 3-9804303-1-6.
  • Alan Murray: World Trolleybus Encyclopaedia. Trolleybooks, Yateley (Hampshire) 2001, ISBN 0-904235-18-1.
  • Werner Stock: Obus-Anlagen in Deutschland. Die Entwicklung der Oberleitungs-Omnibus-Betriebe im Deutschen Reich, in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik seit 1930. Hermann-Busch-Verlag, Bielefeld 1987, ISBN 3-926882-00-X.

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Oberleitungslastkraftwagen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Oberleitungsbus — Der Oberleitungsbus Landskrona in Schweden …   Deutsch Wikipedia

  • Hafenschleppbahn Altona — Streckenlänge: 1 km Stromsystem: 550 Volt = Legende …   Deutsch Wikipedia

  • Straßenbahn Gorzów Wielkopolski — Ein aus Kassel stammender Straßenbahnwagen in Gorzów Die Straßenbahn Gorzów Wielkopolski bedient seit 1899 den innerstädtischen Verkehr in der polnischen Stadt Gorzów Wielkopolski (deutsch: Landsberg an der Warthe). Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Gleislose Bielathal-Motorbahn mit elektrischer Oberleitung — Königstein–Kurbad Königsbrunn Die Strecke auf einer zeitgenössischen Wanderkarte Streckenlänge: 4,4 km Stromsystem: 500 Volt = Maximale Neigung …   Deutsch Wikipedia

  • Oberleitungsbus Sankt Lambrecht — Der Oberleitungsbus Sankt Lambrecht war ein Oberleitungsbus Betrieb im österreichischen Bundesland Steiermark. Er bestand vom 16. November 1945 bis zum 21. April 1951, war etwa acht Kilometer lang und führte vom Bahnhof Mariahof Sankt Lambrecht… …   Deutsch Wikipedia

  • DAC 112 E — ist die Bezeichnung eines ehemaligen rumänischen Oberleitungsbus Typs. Die Typenbezeichnung setzte sich wie folgt zusammen: DAC = Diesel Auto Camion, eine rumänische Nutzfahrzeugmarke unter welcher auch Omnibusse, Lastkraftwagen und Muldenkipper… …   Deutsch Wikipedia

  • Elektrofahrzeug — Dieser Artikel wurde auf der Qualitätssicherungsseite des Portals Transport und Verkehr eingetragen. Bitte hilf mit, ihn zu verbessern, und beteilige dich an der Diskussion. ( …   Deutsch Wikipedia

  • Gleislose Bahn — ist eine veraltete Bezeichnung für einen Oberleitungsbus eine veraltete Bezeichnung für einen Oberleitungslastkraftwagen Diese Seite ist eine Begriffsklärung zur Unterscheidung mehrerer mit demselben Wort bezeichnet …   Deutsch Wikipedia

  • Gleislose Bahn Gümmenen–Mühleberg — Gümmenen–Mühleberg Streckenlänge: 6,5 km Legende …   Deutsch Wikipedia

  • Güterstraßenbahn — CarGoTram in Dresden Eine Güterstraßenbahn ist eine Straßenbahn, die dem Transport von Gütern dient. Mit der Etablierung der Straßenbahnen in vielen Innenstädten kam auch die Frage auf, ob und wie Güter mit den Schienenfahrzeugen in der… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”