Göktürken

Göktürken

Das Reich der Göktürken bestand von 552 bis 742 als Verbindung nomadischer Stämme mit einer ca. 50-jährigen Unterbrechung zwischen dem ersten und dem zweiten Göktürken-Reich, in der die von Chinesen als tujue 突厥 bezeichneten Reichsgründer vom China der Tang-Dynastie abhängig waren.[1] Das Reich der Göktürken erstreckte sich zeitweise von Kaspischen Meer bis zur Mandschurei und war der erste Staat in der Geschichte der zentralasiatischen Nomadenstaaten, dessen Amtssprache (Alttürkisch) aufgrund gefundener Grabstelen zu Ehren seiner Herrscher, den Orchon-Runen, zweifelsfrei identifiziert werden konnte.[2]

Inhaltsverzeichnis

Umfeld und Vorgeschichte

Bevor der Stamm der Türk (tujue) sein erstes Reich gründen konnte, wurde die Steppen- und Wüstenregionen Zentralasiens von verschiedenen nomadischen und sesshaften Völkern bewohnt. Das einflussreichste war das sesshafte Volk der iranischen Sogder, die den Handel über die Seidenstraße dominierten. Dieses Volk wird mit den ebenfalls iranischsprachigen, aber nomadischen Skythen in Verbindung gebracht. Die Skythen waren das erste Nomadenvolk Zentralasiens, das bei seinen Kriegszügen auf die Verwendung von pferdebespannten Streitwagen setzte. Auch war ihnen die Verarbeitung von Eisenerz bekannt. Die Skythen waren aber nicht allein ein Krieger-, sondern auch ein Handelsvolk, das zeitweise die osteuropäischen Steppengebiete beherrschte und teilweise mit den griechischen Städten am Schwarzen Meer und Persien in Verbindung stand.

Das Reich der Han-Chinesen nahm aber erst die nördlich seiner Grenzen lebenden barbarischen Steppennomaden wahr, als eines begann, regelmäßig in sein Herrschaftsgebiet einzufallen. Dieses Steppenvolk war eine Föderation verschiedener zentralasiatischer Stämme, unter denen auch zahlreiche türkischsprachige waren. Han-China nannte dieses Steppenvolk „Xiongnu“ und es fand deswegen Eingang in die chinesischen Chroniken, weil Han-China ihm damals Tribute zahlen musste. Die Xiongnu errichteten in ihrem Steppenreich zwei Dynastien und feste Machtzentren. Diese Dynastien nannte das damalige Han-China ebenfalls Xiongnu oder auch nur Hu. Diese Dynastien waren zwar nur kurzfristig, aber für die spätere Geschichte Chinas als wichtig anzusehen. Die erste Dynastie wurde die Frühe Zhao-Dynastie genannt und bestand von 304 v. bis 34 n. Chr.

Die zweite Dynastie wurde als Späte Zhao-Dynastie bezeichnet und bestand von 329–352 n. Chr. Die beiden Dynastien waren zwar noch nomadisch-vorstaatlich, aber sie standen in engem politischen Verhältnis zum damaligen China. Unter den vielen Stämmen der Xiongnu soll auch ein Stamm gewesen sein, der sich als A-shih-na oder Türk bezeichnet haben soll. Der Legende nach waren diese Türk die Waffenschmiede der Xiongnu.

Später entstand im späteren Herrschaftsbereich der Türk auch die nomadische Stammesföderation der Xianbei, die im 5. Jahrhundert Eingang in die chinesischen Chroniken fand. Doch wurden die Xianbei schließlich von der türkischen Tuoba-Dynastie der Tabgatsch unterworfen, die auch Teile der südlichen Hu erobern konnten. Diese südlichen Hu werden heute als türkisch angesehen. Die Tuoba-Dynastie herrschte vor allem in jenen Gebieten, die spätere die Region Xinjiang ausmachte.

Im frühen 5. Jahrhundert breitete sich die nomadisch lebende Föderation der Ruanruan aus, die fast alle Alttürkisch und Altmongolisch sprechenden Nomaden umfasste. Hier wird der Stamm der Türk erstmals geschichtlich greifbar, da die Mitglieder dieses Stammes laut verschiedener Quellen als Waffenschmiede und Vasallen der Ruanruan erscheinen. Da sich 552 n. Chr. der Ruanruan-Herrscher weigerte, dem Khan der Türk eine Prinzessin zur Frau zu geben, schloss dieser ein Bündnis mit dem damaligen chinesischen Herrscherhaus und zerschlug das Reich der Ruanruan blutig.

Der am weitesten verbreitete Abstammungsmythos der Türk sah laut der chinesischen Schriftwerke Zhou shu und Bei shi eine Wölfin als Vorfahren an, die einen Jungen rettete, der der einzige Überlebende seines Stammes war. Aus der Vereinigung mit der Wölfin (Asena) gingen der Legende nach zehn Jungen hervor. Wissenschaftler brachten die Zahl „zehn“ mit der Stammesföderation der On-Ok in Verbindung, jenen zehn Stämmen, aus denen das westtürkische Reich (der westliche Teil des ersten Göktürkenreichs) bestand.[3] (siehe dazu den Artikel über die Asena-Legende)

Die politische Struktur des Göktürken-Reiches war weit komplexer als die einer primitiven „Stammesdemokratie“. Um eine Schicht von militärischen Führern sammelten sich junge Männer, die unter der Führung des Kagans Beutezüge unternahmen. Dadurch war die föderal-demokratische Struktur eines Stammeszusammenschlusses unterlaufen. Der als heilig gehaltene Hakan war der religiöse, geistliche und legitime Führer des Verbands. Die Macht in dieser Gesellschaft wurde von einer Art Kriegerklasse getragen. Wie auch in anderen nomadischen Gesellschaften existierten im Göktürken-Reich Spuren älterer sozialer Formen. Klane konnten weiter existieren und die Frau spielte eine wesentlich bedeutendere Rolle als zum Beispiel in der islamischen Welt.[4]

Erstes Göktürken-Reich

Gründung

Im sechsten Jahrhundert erschien der von den Chinesen als „tujue“ umschriebene und in der Eigenbezeichnung „türk“ genannte Stamm in den chinesischen Annalen. Die Türk waren ursprünglich in Ost-Turkestan und dem Altai ansässig und übernahmen die Tradition und verwaltungstechnische Erfahrung ihrer Vorgänger. Die Türk waren geschickte Eisenschmiede und kontrollierten den wirtschaftlich strategischen Punkt, die Kreuzung zweier Handelswege: der eine führte am Altai vorbei und verband das Orchon-Tal im Osten mit dem Ili-Tal im Westen, der andere führte vom oberen Jenissei nach Süden zum Altai und Tianshan.[5] Tatsächlich sind aus dem heute russischen Teil des Altai für das Frühmittelalter eine Reihe eisenmetallugischer Fundplätze bekannt.[6] Die Türk lebten unter der Oberhoheit der Rouran (eine vorwiegend vermutlich altaische Großkonföderation). 520 kam es zum Thronstreit bei den Rouran, der dazu führte, dass zuerst der unterlegene A-na-kuei, später auch der überlegene Po-lo-men aufgrund eines Angriffs der vermutlich türkischen Gaoche Zuflucht bei den Chinesen suchten. Die Chinesen verhalfen mit der Strategie Divide et impera beiden Rouran-Herrschern zur Macht. Po-lo-men war mit dem ihm zugewiesenen Gebiet nicht zufrieden und suchte nach Unterstützung bei den Hephtaliten. Er starb unter ungeklärten Umständen nach Gefangennahme durch die Wei (einem Nachfolgestaat der Tabgatsch). Unter Ausnutzung der Streitigkeiten versuchten die Gaoche 546 erneut, sich von der Oberherrschaft der Rouran zu befreien. Die Türk benachrichtigten allerdings A-na-kuei und verhinderten somit einen Erfolg der Gaoche. Der Führer der Türk Bumin forderte nun den Rouran-Herrscher A-na-kuei auf, eine seiner Töchter ihm zur Frau zu geben, was A-na-kuei allerdings ablehnte mit der Begründung, es sei unangemessen, dem Stamm, der der Großkonföderation als Schmiedesklaven diente, eine Prinzessin auszuliefern. Bumin fasste dies vermutlich als Beleidigung auf, er heiratete eine Prinzessin der Westlichen Wei (ein Nachfolgestaat der Nördlichen Wei, die wiederum Nachfolger der Tabgatsch waren) und revoltierte gegen die Rouran.[7]

Im Jahre 552 schlug Bumin das Herrscherhaus der Rouran vernichtend und schaffte somit die Voraussetzung zur Gründung eines neuen Reiches. Bumin entstammte wie fast alle (Gök-)Türk-Herrscher dem Adelsgeschlecht der A-shih-na. Bumins Reich bestand von 552 bis 742.[8]

Teilung in zwei Verwaltungseinheiten

Staatsgründer Bumin wurde zum ersten Regierenden (Khan) des gegründeten türkischen Reichs. Das türkische Reich wurde sehr bald nach seiner Gründung in zwei Verwaltungseinheiten geteilt (im Jahr 552 entweder bereits unter Bumin Kaghan oder unter seinem Nachfolger Kuo-lo Kaghan, dessen Name nur in seiner Umschreibung in chinesischen Quellen bekannt ist). Bei vorherigen zentralasiatischen Nomadenstaaten war eine sofortige Zweiteilung nach der Gründung der Fall gewesen. Der Westteil unterstand politisch dem Ostteil. Faktisch jedoch regierte der Herrscher des Westteils als unabhängiger Herrscher. Keine Quelle unterrichtet über die kurze Regierungszeit Bumins, der noch im Jahr der Reichsgründung – also 552 – starb. (Vgl. türkische Inschriften über Bumins und Iştämis Herrschaft)[9]

Kuo-lo regierte das Reich nur eine kurze Zeit (nur bis 553), sein Nachfolger war Bumins ältester Sohn Muhan. Muhan regierte also den Ostteil, sein Vertreter im Westteil, also der Yabghu des Göktürkenreichs, war Bumins jüngerer Bruder Iştämi. Den Westteil bildete das Gebiet westlich des Altai. Muhan regierte bis 572, Iştämi regierte bis 575.[9]

Ereignisse im Ostteil 552–630

Die Ereignisse im Ostteil haben zur Regierungszeit Muhans und der seines Nachfolgers Taspar nicht die gleiche welthistorische Dimension wie die Ereignisse im westtürkischen Reich erreicht. Muhans Möglichkeiten zur Expansion seines Staates wären im Westen nur auf Kosten des Bruderstaates der Westtürken zu realisieren gewesen.[9]

Im Süden des osttürkischen Reichs von Muhan befanden sich die Dynastien der Nördlichen Qi und der Nördlichen Zhou (ab 550 bzw. 557 waren beide Dynastien aus der Spaltung der Tabgatsch hervorgegangen), die in gegenseitige Kämpfe verwickelt und deshalb keine starken Gegner waren, im Osten befanden sich die offenbar mongolischen Kitan und im Norden befanden sich die Kirgisen. Muhan verheiratete eine seiner Töchter offenbar als diplomatische Geste an die Nördlichen Zhou und hatte damit die Hände frei für die Bekämpfung der Kitan und der Kirgisen. Die Kitan besiegte er im Jahr 560.[10]

Die 1956 entdeckte und 1971 entzifferte Bugut-Stele wirft Fragen über den Nachfolger Muhans auf. Vermutlich hat einige Jahre Mahan Tegin regiert, bevor Taspar die Herrschaft über das Ostreich übernahm. Das Tegin bezeichnet einerseits einen Angehörigen der Familie des Khans und andererseits ist es die Bezeichnung für den ständigen Vertreter des Khans und für den vom Khan selbst eingesetzten Nachfolger. Vermutlich war Mahan Tegin nach der Herrschaft Muhans und vor der Herrschaft Taspars einige Jahre Khan über das Göktürkenreich.[10]

Herrschaft Taspar Khans und Buddhismus

Nach Einsetzen von Religionsverfolgungen im Jahr 574 unter Kaiser Wudi der Nördlichen Zhou verließ der buddhistische Mönch Jinagupta die Nördliche Zhou-Dynastie. Er folgte einer Einladung Taspar Khans in das Osttürkische Reich und war damit wahrscheinlich der Mensch, der die buddhistische Gemeinde bei den Türken gründete. Auf Wunsch von Taspar Khan wurde zwischen 572 und 581 ein samgha (eine buddhistische Mönchsgemeinde) begründet, womit Taspar Khan offiziell den Buddhismus angenommen hatte.[11]

Zur Regierungszeit Taspars war das Göktürken-Reich nach innen wie nach außen noch stabil. Die beiden Nachfolgestaaten der Tabgatsch – Nördliche Qi und Nördliche Zhou – waren wahrscheinlich tributär abhängig vom Göktürken-Reich. Die Annalen der Sui-Dynastie – das Sui Shu – schreiben:

„In dieser Zeit (Taspars Regierungszeit) verfügte T’a-po (Taspars Name in chinesischen Quellen) über einige 100 000 Soldaten, und China fürchtete sich vor ihm. Sowohl die Nord-Zhou als auch die Nord-Qi wetteiferten, sich mit der Herrscherfamilie der T’u-küe durch eine Heirat zu verbinden; sie entleerten ihre Schatzkammern, um mit (den Kostbarkeiten) den T’u-küe zu dienern. T’a-po wurde immer anmaßender und pflegte zu seinen Untertanen zu sagen: Wenn nur meine beiden Söhne im Süden (die Kaiser von Nord-Zhou und von den Nord-Qi) weiter pietätvoll und gehorsam bleiben, brauche ich dann noch Armut zu befürchten?“[12]

Nach Taspars Tod im Jahr 581 und dem Machtantritt seines Bruders Nivar sollte die Macht des ersten Göktürkenreichs zerbrechen. Zu den Gründen zählten Rivalitäten zwischen dem Ost- und dem Westteil des türkischen Reichs, Rivalitäten auch innerhalb des Ostteils, das ja die Hegemonialmacht über das Gesamtreich bildete. Zu den Gründen der Streitereien innerhalb des Ostteils zählten die Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern und den Gegnern des Buddhismus im Herrscherklan. Ähnliche Spannungen waren auch Mitgrund der Spaltung der Tabgatsch. Zwischen 582 und 584 löste sich der Westteil unter dem Yabghu Tardu von der Vorherrschaft des Ostteils, was für die Osttürken ein psychologisches Moment war.[13]

Niedergang des Osttürkischen Reichs

Tardu war zu seinem Schritt wohl durch den chinesischen Kaiser Wen ermuntert worden. Kaiser Wen hatte weite Teile Nordchinas in der Sui-Dynastie vereinigt und sah in der Schwächung der Türken eine wichtige Bedingung für das eigene Überleben. Anfänglich hatten beide Teile des türkischen Khaganats ein Bündnis mit China, doch nach der Vernichtung der Nördlichen Zhou-Dynastie durch Kaiser Wen waren einige Tabgatsch an den Hof des Khans in das osttürkische Reich geflohen und versuchten die Türken zu überreden, ihnen bei der Rückeroberung ihrer Macht in Nordchina zu helfen.[13]

Die Sui griffen zum Trick des Zwietrachtsähens zwischen dem Ost- und dem Westtürkischen Reich, versuchten aber auch die Türken gegen die Tabgatsch aufzuhetzen. Die Auseinandersetzungen bei den Osttürken erreichten ein Ausmaß, dass Nivar Khan, der von 581 bis 587 regierte, die Macht von zweien seiner Vettern streitig gemacht wurde. Im Westen des osttürkischen Reichs kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Westtürken, im Osten zu Kämpfen mit den Kitan.[13] Nach Schwächung des östlichen Khaganats unterstützten die Chinesen nun Nivar Khan, denn Tardu im Westen könnte nach Schwächung des Ostteils zu stark werden und ein neues gesamttürkisches Reich – diesmal mit dem Westteil als Hegemonialmacht – gründen.[14]

Nivars Nachfolger war ab 587 Mu-ho-tua (Name nur aus chinesischer Überlieferung bekannt). Er tötete seinen Rivalen, aber starb selbst im selben Jahr seines Regierungsantritts. Auch sein Nachfolger T'u-lan (Name nur aus chinesischer Überlieferung bekannt), der von 587 bis 600 regierte, war mit einem Rivalen (namens T'u-lin) konfrontiert, der von China unterstützt wurde.[14]

Die Chinesen nahmen den unterlegenen T'u-lin und seine Anhänger auf, da diese Lostrennung T'u-lins und seiner Anhänger vom osttürkischen Reich eine mehrjährige Spaltung des osttürkischen Reichs zur Folge hatte. Im Jahr 600 schaffte es T'u-lin an die Macht über das gesamte osttürkische Reich. Unter seinem Sohn Shih-pi (609–619) kam es zum kurzlebigen Wiedererstarken des osttürkischen Reichs – die Sui-Dynastie war mittlerweile selbst in dynastische Streitigkeiten verwickelt und sah sich erneut einer osttürkischen Gefahr ausgesetzt.[15]

624 kam es zu einem neuen Angriff der Osttürken gegen die Chinesen unter dem neuen Khan Xieli. In China hatte mittlerweile die Tang-Dynastie die Macht an sich gerissen, die den Angriff Xielis erfolgreich abwehrte. Schon sechs Jahre später griff Xieli erneut China an. Die Tang-Dynastie war unter Kaiser Taizong mittlerweile allerdings sehr stark geworden. Xieli musste sich 630 nach seinem erfolglosen Angriff endgültig den Chinesen unterwerfen.[15]

Inschriften über den Niedergang

Die Köl-Tegin-Inschrift erzählt von der Größe und der Weisheit der ersten Kaghane und erwähnt, dass zur Bestattung der ersten Kaghane Gesandte der Chinesen, der Tibeter, der Awaren, aus Byzanz, von den Kirgisen kamen. Im Anschluss werden die späteren Kaghane kritisiert:

„Dann bestiegen die jüngeren Brüder den Thron, und die Söhne bestiegen den Thron. Aber offensichtlich ähnelten die jüngeren Brüder nicht ihren älteren Brüdern und die Söhne nicht ihren Vätern. So bestiegen Kaghane ohne Weisheit den Thron, schlechte Kaghane bestiegen den Thron. Und auch ihre Berater waren ohne Weisheit und schlecht. Da zwischen den Noblen und dem Volk keine Einigkeit herrschte und weil das chinesische Volk listig und falsch war, denn sie waren hinterhältig und spalteten jüngere und ältere Brüder und veranlassten die Noblen und das Volk, sich gegenseitig zu verunglimpfen. So ließ das türkische Volk seinen Staat, den es gegründet hatte, untergehen und ließ den Kaghan, den es auf den Thron gesetzt hatte, zusammenbrechen. Ihre Söhne, die Noble hätten werden sollen, wurden Sklaven und ihre Töchter, die noble Frauen hätten werden sollen, wurden Sklavinnen des chinesischen Volkes. Die türkischen Noblen gaben ihren türkischen Titel auf.“ [15]

Ereignisse im Westteil 552–659

Der erste Yabghu des Westteils war Iştämi, der von 552 bis 575 regierte. Ungefähr zehn Jahre nach seinem Amtsantritt kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Hephtaliten. In der Folge kam es zu einer Allianz zwischen dem sassanidischen Persien und den Westtürken: infolge dieser Allianz wurden die Hephtaliten von verschiedenen Seiten angegriffen und geschlagen. Anschließend flohen sie aus dem Gebiet (Badakhshan in Nordost-Afghanistan war ihr Zentrum), ihr Gebiet wurde zwischen den Türken und den Sassaniden aufgeteilt. Die Sassaniden bekamen Baktrien, das ihnen von den Türken aber wieder weggenommen wurde.[16]

Die Hinzugewinnung des hephtalitischen Gebiets bedeutete für die Türken den Zugewinn eines außerordentlich wichtigen wirtschaftlichen Faktors: die Kontrolle über einen signifikanten Teil der Seidenstraße.[16]

Die Seidenstraße führte von Kansu ca. 7000 km bis zum Schwarzen Meer. Südlich der Gobi ging es 2000 km bis Kumul, wo sich der Weg teilte. Einer der Wege führte nach Westen zum Tarim-Becken und den alten Stadtstaaten, der andere Weg führte nach Nordwesten (nördlich des Tianshan), dann nach Südwesten bis nach Samarkand, Buchara und Marw. Von Samarkand gab es Wege nach Baktrien und Indien, in die Reiche der Parther und Sassaniden, nach Anatolien und Syrien, nach Chwarezm, also östlich des Kaspischen Meer, nördlich des Schwarzen Meeres, also ein Weg, der nach Byzanz führte. Auf der Seidenstraße wurden Seide, Baumwolle, Gewürze und Drogen transportiert.[16]

Der Transport von Rohseide aus China und Textilverarbeitungen aus der Seide bildeten einen wichtigen Faktor im sassanidisch-oströmischen Handel. Allerdings waren Persien und Ostrom traditionell verfeindet und hatten mehrmals Krieg geführt. Das türkische Reich spielte daher nun eine wichtige strategische und wirtschaftliche Rolle: es konnte nach Gutdünken die Seidenstraße sperren und es Ostrom helfen, das sassanidische Persien zu umzingeln. Das Oströmische Reich versuchte daher schon bald nach 560, die Türken als Bündnispartner zu gewinnen.[17]

Oströmisch-türkisches Bündnis

Die Sassaniden waren sich dieser Gefahr bewusst und versuchten durch drastische Aktionen, den Türken zu demonstrieren, dass sie sich den Zwischenhandel nicht aus den Händen nehmen lassen wollten. Bei einer Aktion kauften die Perser die Waren sogdischer Kaufleute, die im Namen des türkischen Khans kamen, auf, verbrannten sie dann aber demonstrativ. Eine andere türkische Handelsdelegation nach Persien war genauso erfolglos: mehrere Delegationsmitglieder wurden angeblich sogar getötet (nach Ansicht von Forschern wie James Howard-Johnston schufen die Türken diesen Vorwand für einen Angriff allerdings selbst). Die Türken sahen sich jedenfalls veranlasst, direkten Kontakt zum oströmisch-byzantinischen Reich herzustellen.[17]

Im Jahr 567 wurde im Namen des Khans eine Gesandtschaft nach Konstantinopel geschickt. Die Delegation wurde durch den Sogder Maniakh geleitet. Der oströmische Kaiser Justin II., der einer Revision des 562 geschlossenen römisch-persischen Friedensvertrages anstrebte, empfing Maniakh freundlich.[17]

In Konstantinopel wurden der türkischen Delegation zu ihrem Erstaunen chinesische Seidenraupen gezeigt – vermutlich wollten die Römer damit ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit von den Türken demonstrieren (bereits um 550 waren unter Kaiser Justinian I. Seidenraupen nach Ostrom geschmuggelt worden). Andererseits ist das kaiserliche Interesse an einem guten Kontakt mit den Türken dadurch besiegelt, dass zusammen mit der türkischen Delegation – die nach einem vollen Jahr am oströmischen Hof die Rückkehr antrat – ein kaiserlicher Diplomat namens Zemarchos ausgesandt wurde, der 568 Gast am Hof des türkischen Herrschers Sizabulos (so dessen griechische Namensform) war. Dort kam nun ein türkisch-römische Bündnis gegen das sassanidische Persien zustande.[18]

Zemarchos war beeindruckt von seinem Empfang und dem Prunk am türkischen Hof. Die wohl auf seinem Bericht beruhenden Schilderungen oströmischer Autoren (Menander Protektor, Johannes von Ephesos) erzählen von einem goldenen Thron auf Rädern, auf dem der türkische Yabghu saß, von vergoldete Holzsäulen, von Unmengen an Silbergeschirr und einem goldenen Bett.[18][19]

572 brach der Krieg aus, und obwohl die Berichte in den Quellen nur spärlich fließen, sind die Ereignisse in den Grundzügen klar: Die Sassaniden unter Chosrau I. konnten sich des römisch-türkischen Zangenangriffs erfolgreich erwehren und ihre Feinde bis 573 an beiden Fronten zurückschlagen. Zwischen Ostrom und dem türkischen Kaghanat kam es dennoch bis 576 zu mehreren diplomatischen Kontakten, die beweisen, wie wichtig es den Kaisern war, einen Verbündeten gegen die Sassaniden zu haben. Kaiser Tiberius Constantinus entsandte Valentinus als Botschafter, der aber nicht mehr auf den 575 verstorbenen Iştämi, sondern auf dessen Nachfolger, seinen Sohn Tardu, traf. Valentinus nahm an den Bestattungsfeierlichkeiten für Iştämi teil und berichtete nach seiner Rückkehr über den Brauch, die Lieblingspferde des Khans zu töten und sich das Gesicht zu zerschneiden, was auch Valentinos mitmachen musste.[18] Insgesamt wurden die oströmischen Hoffnungen aber enttäuscht, der Krieg gegen Persien zog sich bis 591 hin und wurde zuletzt nicht etwa aufgrund des Bündnisses mit den Türken, sondern aufgrund inner persischer Wirren beendet (siehe Römisch-Persische Kriege).

Niedergang des Westtürkischen Reichs

Tardu zeigte sich verstimmt über das Bündnis der Byzantiner mit den Awaren, die er als unter dem türkischen Machtbereich stehend ansah. Die Auseinandersetzungen mit Byzanz unter Tardu nahmen bald kriegerische Formen an, die Türken pflegten aber auch ihre Feindseligkeiten gegen die Sassaniden. Tardu stieß 588/589 bis nach Herat vor, er konnte Herat nicht einnehmen, doch geriet das heutige Nordafghanistan mit den wichtigen Städten Kunduz und Balkh in türkische Abhängigkeit.[20]

Tardu gilt als Staatsmann ohne diplomatisches Geschick. Sein Wille zur Ausdehnung seines Machtbereichs führte zu Auseinandersetzungen mit Byzanz, den Sassaniden und sogar mit dem osttürkischen Khan: 584 sagte er sich vom osttürkischen Reich los, gegen die Osttürken ging er ein Bündnis mit Sui-China ein.[21]

Bei einem Aufstand der Töliş-Stämme kam Tardu ums Leben. Sein Reich wurde im folgenden Opfer innerdynastischer Rivalitäten. Tardus Enkel Shih-kuei erhielt den Westen des Westtürkischen Reichs, Ch'u-lo bekam den Osten. Da Ch'u-lo ähnliche Machtbestrebungen wie Tardu zeigte, entzogen die Chinesen ihre Unterstützung, so dass sich Shih-kuei durchsetzte.[21]

Doch noch einmal gelang ein Wiederaufstieg. Shih-kueis Nachfolger T'ung shih-hu (618630) schaffte es, den Machtbereich der Türken bis über den Oxus hinaus zu erweitern. Zu dieser Zeit erstreckte sich der Westteil vom Altai über den Hindukusch bis zum Kaspischen Meer. Nach dem Bericht des chinesischen Pilgers Xuanzang bekundete T'ung shih-hu großes Interesse am Buddhismus. Xuanzang beschreibt das Leben am Hof des Khans T'ung shih-hu: der Khan bekleidete sich mit einem Mantel aus grünem Satin, ein langes Seidenband hatte er um den Kopf gewickelt, 200 Offiziere umgaben ihn, die Brokatmäntel trugen, der Khan hatte mehrere Pferde, Kamele und war mit Truppen gut ausgestattet.[21] Xuanzang beschreibt seinen Empfang als eine eindrucksvolle Zeremonie. 627 griffen die Türken zudem erneut in den Konflikt zwischen Ostrom und den Sassaniden ein, indem sie als Verbündete des Kaisers Herakleios den Osten Persiens angriffen. Diesmal scheint ihr Eingreifen entscheidend zur Niederlage der Perser unter Chosrau II. beigetragen zu haben, doch wenig später brach ihre Machtstellung in sich zusammen: T'ung- shih-hu starb 630 während eines Aufstands der Karluk. Es kam zu Machtkämpfen zwischen den zehn westtürkischen Stämmen, in deren Folge es den Chinesen 657 gelang, das westtürkische Gebiet in zwei chinesische Protektorate aufzuteilen.[22] 659 wird das westtürkische Reich von China endgültig einverleibt.[23]

Westwanderung der Stämme

Im Zuge der Auflösung des westtürkischen Reichs wanderten verschiedene Stämme Richtung Westen – zu den bedeutendsten gehören die Chasaren, die am Asowschen Meer einen Staat errichteten.[23]

Zweites Göktürken-Reich (682–742)

Das zweite Göktürken-Reich im Jahr 700

Die Rückgewinnung der türkischen Souveränität ab 682 kam nach mehreren Hürden zustande: chinesische Quellen berichten von mehreren Aufständen türkischer Stämme – Überfälle, Plünderungen, die aber immer wieder erfolgreich niedergeschlagen werden konnten. Verschiedene Faktoren führten zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit:

  • Mit Kutluğ (Ku-tuo-lu chinesischer Quellen) trat ein türkischer Stammesführer hervor, der sich innerhalb seiner Föderation durchsetzen konnte.
  • Die Tang waren mittlerweile geschwächt; die Tibeter hatten 670 das Tarim-Becken in ihre Gewalt gebracht und dabei den Chinesen schwere Niederlagen zugefügt; dynastische Streitigkeiten hatten begonnen.[24]

Kutluğ wurde unter dem Ehrennamen Eltäriş Khan (der Reichssammler) vom Heerführer Tonjukuk eingesetzt.[25][24] Tonjukuk war der Berater von Eltäriş. Eltäriş entstammte dem Adelsgeschlecht der A-shih-na,[24] während Tonjukuk dem Clan der A-shih-te entstammte.[26]

Für die staatliche oder nationale Bewusstseinswerdung der Türken hatten vermutlich die verschiedenen Kontakte mit Menschen unterschiedlichen ethnischen Ursprungs oder unterschiedlicher Religionen im Tang-China Einfluss: vertreten war der Manichäismus, der Mazdaismus, das nestorianische Christentum. Die ersten Juden und die ersten Muslime waren da und natürlich die Sogder.[27]

Ab 681 trat Kutluk Ilteris in die Geschichte ein. Ilteris war einst Söldner in chinesischen Diensten gewesen. Er gründete nun das zweite Göktürkenreich, das in der türkischen Turkologie meist nur als „Karluken-Herrschaft“ (türkisch: Karluk Devleti) bezeichnet wird und das in der westlichen Geschichtsschreibung als „Reich der Ilig-Khane“ bekannt ist. In diesem Reich spielte in der Tat der Karluken-Stamm die tragende Rolle. Dieses neue Türkenreich kontrollierte nach zahlreichen Kriegszügen die Steppen von der Großen Mauer bis zu den Außenposten der (seit 705 nach Transoxanien vordringenden) Araber. Das Zentrum war die Gegend des Changai-Gebirges.

Zwar musste Ilteris 681 eine herbe Niederlage gegen die Chinesen einstecken, doch seinem persönlichen Erfolg tat diese keinen Abbruch. Ab 682 begann er mit 16 verbündeten Stämmen die Göktürken zu vereinen. Einen Verbündeten hatte er in Tonyukuk, der dem verwandten „A-shi-te-Clan“ vorstand und den er zum obersten Befehlshaber seiner Truppen ernannte.

Zwischen 683 und 687 unterwarf Ilteris die meisten Stämme des Ostreiches, nur der Tolu-Herrscher Hushile Khagan konnte sich mit einigen Stammesangehörigen nach China flüchten.

Als Ilteris 691 verstarb, wurde sein Bruder Bökö (reg. 692–716) auf einer Kuriltai der Stämme zum Oberhaupt des Reiches ernannt und wurde als „Kapagan Khan“ bezeichnet. Kapagan hatte unter anderem auch eine chinesische Erziehung genossen und war dem entsprechend dort als „Moch’o“ bekannt. In dessen Regierungszeit gedieh noch einmal das erneutere Göktürken-Reich.

Er stand dem Reich nur als Vormund seines Neffen Kül-Tegin vor, der damals sechs Jahre alt war. Nur deshalb kann man sich erklären, das Kapgan nicht den Khagan-Titel annahm. Ihm unterstellten sich unter anderem die Stämme der Karluken und Oghusen freiwillig und 699 war das Westreich wieder mit dem Ostreich vereinigt. Aber auch nichttürkische Völker wie die Kitan wurden unterworfen.

Zwar führte Kapagan ein hartes Regiment über die Völker seines Reiches. So kam es erneut 711/12 zu Unruhen unter den Völkerschaften der Basmil und Teilen der On-Ok. Doch im Großen und Ganzen blühte nun im Göktürkenreich der Wohlstand.

Im Kampf gegen die muslimischen Araber, die ab 705 Mittelasien überrannten, war er weniger erfolgreich, Kül-Tegin wurde hier bei Buchara blutig zurückgeschlagen. Um 715 kam es auch zum endgültigen politischen Bruch zwischen den beiden Türkenreichen. Unter der Führung der Türgesch sagte sich das Westreich bzw. die On-Ok-Konföderation erneut vom Ostreich los und ging eigene politische Wege. Ihr damaliger Anführer war Sulu Khaqan (reg. 717–738), der erneut Kämpfe gegen die Araber führte. Auch begannen die Oghusen langsam westwärts zu wandern und sich im Gebiet des ursprünglich iranischsprachigen Turkestan niederzulassen, das zum Herrschaftsbereich der On-Ok gehörte.

Auf einer Strafexpedition gegen jene Stämme, die von den Tang-Chinesen gegen ihn aufgehetzt worden waren, verlor Kapagan sein Leben: 716 wurde er in der heutigen Mongolei, nördlich des Flusses Tula, von Angehörigen des Bayirqu-Stammes ermordet.

Mit dem plötzlichen Tode Kapagans drohten neue Wirren. Besonders tat sich da Ilteris’ Sohn Kül-Tegin hervor. Fugiuy-bogiu Kuchuk-Khan ernannte sich 716 zum Herrscher der Göktürken. Doch wurde auf einem Friedens-Kuriltai nicht er oder Kül-Tegin, sondern Kutluq Bilge-Kül (ein anderer Sohn Ilteris’) zum Khagan ausgerufen. Dieser holte sich jedoch Tonyukuk und Kül-Tegin als Berater an seine Seite, damit war der Frieden im Reich wieder formal hergestellt. (Mit diesem Herrscher begann auch der eigentliche politische Aufstieg der späteren Uiguren.)

Kutluq Bilge-Kül veränderte erfolgreich die Kriegstechnik: Die erfolgreichste Kriegstruppe stellten die berittenen Bogenschützen. Die besten Schützen durften weiße Falkenfedern an ihren Helmen tragen. Entschlossen und hoch diszipliniert griffen sie in einer Pfeilformation ihre Gegner an. Dabei trugen sie Rüstungen aus hartem Leder oder aus Metall. Kutluq Bilge-Kül warb darüber hinaus Söldner aus anderen Völkerschaften an, so dass in seinen Reihen sowohl Türken als auch Nichttürken wie Mongolen, Tanguten und zahlreiche Chinesen kämpften.

Kutluq Bilge-Kül dehnte ab 717 den Machtbereich des Göktürkenreiches immer weiter aus: Er unterwarf nun alle Gebiete bis zum Syr-Darja im Westen, im Osten reichte sein Machtbereich bis in die chinesische Provinz Shandong und im Süden bis Tibet. Auch die Stämme der Tula-Region konnte er schließlich unterwerfen, was seinen Vorgängern Idat und Kapagan nicht gelungen war.

Kutluq Bilge-Küls Reich umfasste wahrscheinlich um die 18 Millionen km².

Das Reich der Göktürken umfasste nun die Gebiete vom Schwarzen Meer bis China und vom Altai bis zum Hindukusch. Es bestand also nicht nur aus Steppe, sondern auch aus Wüste.

Der Rang des Khagan hatte sich nun verändert: Ursprünglich nur ein untergeordneter Führertitel (der weit unter dem alten Titel des „Shanyu beziehungsweise des „Tanhu“ stand), war er nun für die späten Göktürken ein Halbgott. Sein Zelt, die Jurte, bestand aus reich bestickter roter Seide.

Im Sommer zog nun der Herrscher Kutluq Bilge-Kül mit seinem Hofgefolge in die üppigen Weidegebiete des Nordens und im Herbst wieder nach Süden.

731 verstarb nun Kül-Tegin und so stieg Tonyukuk zum alleinigen Ratgeber Kutluq Bilge-Küls auf. Diese Tatsache ist in den Inschriften des Tonyukuk belegt. Doch war Kutluq Bilge-Kül kein langes Herrscherdasein beschieden, denn bereits 734 wurde er vergiftet. Aber er konnte noch auf dem Totenbett die Hinrichtung seiner Mörder und deren Anstifter miterleben. Es waren Angehörige des Basmil-Stammes, der dadurch in Ungnade fiel.

Auf der Kuriltai setzten 734 die Anhänger Bilge-Küls die Wahl seines Sohnes Yiran durch. Doch dieser verstarb noch im selben Jahr, so dass dessen minderjähriger Sohn Bilge Kutluq-Tengri zum Herrscher bestimmt wurde. Als dessen Vormünder wurden ihm zwei seiner Onkel zur Seite gestellt, in deren Händen die wahre Macht lag. Der „linke Schad“, Il-Itmysh Bilge-Khan, herrschte über den Westen, der „rechte Schad“, Ozmysh Khan, über die Gebiete des Ostens; das Göktürkenreich drohte erneut in zwei unabhängige Teilreiche zu zerfallen.

Als 740 Tang-China die Herrschaft Tengris über die Osttürken anerkannt hatte, lud dessen Mutter Pofu Il-Itmysh Bilge, den „linken Schad“ der Westtürken, zu einer Kuriltai ein. Dort kaum eingetroffen, wurde dieser von der Leibgarde der Mutter ergriffen und enthauptet. Die Westtürken unterstellten sich darauf hin Tengri, der sich nun den Namen des „Oghus Khan“ zulegte. Doch dieser Verrat der Mutter brachte eine schreckliche Folge mit sich: Der andere Onkel, Ozmysh Khan, der „linke Schad“ der Ostgebiete, sah sich mit der Namensgebung Tengris in seiner Macht bedroht und er griff nun 741 Tengri an und ermordete diesen.

Ozmysh Khan gedachte nun, die Nachfolge Tengris anzutreten. Unter dem Namen „Wusumishi“ nahm er den Khagan-Titel an, doch er war ein unbeliebter Herrscher. Vor allem die Stämme des Westens verabscheuten ihn, und die Basmıl galten als dessen ärgste Feinde. 744 einigten nun die Karluken die Stämme der Basmıl und Oghusen und griffen Ozmysh an. Dieser wurde bei den Kämpfen getötet und mit dessen Tod ging das zweite Göktürkenreich zu Ende.

Bomei-Tegin Khan, der Bruder des 744 ermordeten Ozmysh Khagan, versuchte zwar noch als „Bomei Khagan“ die Macht im Ostreich an sich zu reißen, doch konnte er bereits 745 von Angehörigen der Uiguren ermordet werden.

Karluken, Oghusen und Basmıl gründeten nun auf dem Boden des Ostreiches das Uigurische Reich.

Erster Herrscher aus dem „Uiguren-Geschlecht“ war der chinesische Söldner Gulipeiluo. Dieses Reich sollte von 744 bis 840 bestehen. Gulipeiluo nahm nun den Titel „Kutluq Bilge-Kül Khagan“ an und machte die Stadt Kara Balgasun (am oberen Orchon, das alte Ordu Balyk und spätere Karakorum, zum Zentrum seines Reiches. Die Karluken hatten schließlich in Kuz Ordu, dem heutigen Balasagun, ihren Hauptsitz.

Die Karluken schufen als erstes türkisches Volk in der Geschichte eine einheitliche Amtssprache, die bis zum persischen Choresm-Reich ausstrahlte und heute entweder als „Karluk-Choresmisch“ oder als „Karluk-Uigurisch“ bezeichnet wird.

Nachgeschichte

Die Kriterien, die nach Ethnologen eine Ethnie ausmachen, trafen auf die Bevölkerung des Göktürkenreichs weitgehend zu. Nach dem Zusammenbruch des Göktürkenreichs zerstreuten sich die türkischen Stämme. Verschiedene ethnische Gemeinschaften entwickelten sich oder wiedererschienen auf der Geschichtsbühne, z.B. die Oghusen oder die Kiptschaken. Sie bewahrten Elemente der göktürkischen Kultur auf, aber wuchsen in neue Richtungen. Diese Prozesse werden in Mahmud al-Kashgharis Darstellung der türkischen Welt reflektiert. Nach Zusammenbruch des Reichs Dschingis Khans geschah ein ähnlicher Prozess. Dieses Mal lösten sich etablierte Stammesgemeinschaften aber auf und bildeten neue Konföderationen, welche mit der Zeit zu den modernen Völkern wurden.[28]

Göktürkische Herrscher

Erstes Göktürken-Reich

Anmerkung: Kursiv notiert sind die Namen der Herrscher (Khans), mit denen sie in chinesischen Quellen benannt wurden. Die türkischen Originalnamen sind seit der Auffindung verschiedener türkischer Stelen bekannt (Orchon-Runen, Bugut-Stele etc.) Wenn der türkische Name nicht aufgeführt ist, ist er bis heute unbekannt. (Stand: Scharlipp 1992)

Ostteil des ersten Reichs

  • Kuo-lo (552–553)[9]
  • Muhan (553–572)[9]
  • evtl. Mahan Tegin (Einzige namentliche Erwähnung in der Bugut-Stele aus dem Jahr 580. Vermutlicher Übergangskhan der Türken vor Taspar.)[30][10]
  • Taspar (T'a-po, 572–581)[12]
  • Nivar (Sha-po-liu, 581–587)[13]
  • Mu-ho-tua (587–587)[14]
  • T'u-lan (587–600)[14]
  • T'u-lin (600–609)[15]
  • Shih-pi (609–619)[15]
  • Hsieh-li (619–630)[15]
  • Einverleibung durch China (630)

Westteil des ersten Reichs

Die Verwalter des Westteils trugen bis Taspars Tod 581 den Titel Yabgu.

  • Iştämi (552–575) [9]
  • Tardu (575–603)[31]
  • Shih-kuei (603–618, regiert den Westen des Westteils) / Ch'u-lo (regiert kurze Zeit den Osten des Westteils)[21]
  • T'ung shih-hu (618–630)[21]
  • Machtkämpfe zwischen den zehn Stämmen des Westtürkischen Reichs (630–657)[23]
  • Tu-lu (633–634)[32]
  • Tu-lu (638–653, nicht zu verwechseln mit vorhergehendem Tu-lu)[33]
  • Aufteilung des Westtürkischen Reichs in zwei chinesische Protektorate (657–659)[23]
  • Einverleibung durch China (659)

Zweites Göktürken-Reich

  • Kutluğ; erhielt später den Ehrennamen Eltäriş (Ku-tuo-lu)[24]
  • Kapağan (Mo-ch'uo)[34]
  • Fugiuy-bogiu Kuchuk-Khan (716)
  • Kutluk Bilge-Kül Khan ↔ Mogilian Bilge-Kül (716–34; ermordet)
  • Yollyg-Tegin Izhan-Khan (734–39)
  • Bilge Kutluk Tengri-Khan (739–41)
  •  ??
  • Siuan Khan (741)
  • Il-Itmysh Bilge-Khan (741–42)
  • Ozmysh Khan (742–43)
  • Bomei-Tegin Khan (743–45)

Siehe auch

Literatur

  • Édouard Chavannes: Documents sur les Tou-kiue (Turcs) occidentaux, St. Petersburg 1903 (Nachdruck Paris 1941)
  • René Giraud: L'Empire des Turcs Célestes. Les Règnes d'Elterich, Qapghan et Bilgä (680-734), Paris 1960
  • René Grousset: Die Steppenvölker. Attila, Dschingis Khan, Tamerlan, Magnus-Verlag, Essen 1975
  • Elcin Kürsat-Ahlers: Zur frühen Staatenbildung von Steppenvölkern. Über die Sozio- und Psychogenese der eurasischen Nomadenreiche am Beispiel der Xiongnu und Göktürken, mit einem Exkurs über die Skythen, Duncker & Humblot, Berlin 1994, ISBN 3-428-07761-X
  • Ali Kemal Meram: Göktürk İmparatorluğu, Istanbul 1974
  • Edward H. Parker: A thousand years of the Tartars, Routledge, London 1996, ISBN 0-415-15589-4
  • Wolfgang E. Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien. Eine Einführung in ihre Geschichte und Kultur. Darmstadt 1992, ISBN 3-534-11689-5
  • Wolfgang Scharlipp: Kurzer Überblick über die buddhistische Literatur der Türken, in Materialia Turcica 6, 1980, S. 37-53
  • Denis Sinor: Inner Asia. History – Civilisation – Language. A syllabus, Bloomington 1969
  • Denis Sinor (Hrsg.): The Cambridge History of Early Inner Asia, CUP, Cambridge
    • 1. - From the earliest times to the rise of the Mongols, 1990, 1994, ISBN 0-521-24304-1 (bis jetzt nur dieser Bd. erschienen)
  • Sören Stark: On Oq Bodun. The Western Türk Qaghanate and the Ashina Clan in Archivum Eurasiae Medii Aevi 15 (2006/2007), 159-172
  • Sören Stark: Die Alttürkenzeit in Mittel- und Zentralasien. Archäologische und historische Studien (Nomaden und Sesshafte, Band 6), Reichert, Wiesbaden 2008

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp Die frühen Türken in Zentralasien, S. 30
  2. Denis Sinor〉 The legendary Origin of the Türks, in Egle Victoria Zygas, Peter Voorheis〉 Folklorica: Festschrift for Felix J. Oinas, S. 223f.: “Of all the great nomad empires centered on Mongolia, that of the Türks was the first whose official language can be identified without the shadow of a doubt. It was a Turkic dialect well known to us through some funeral steles erected in the eighth century, the first monuments of any Turkic—indeed of any Uralic and Altaic—language.”
  3. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S. 18; Sören Stark: On Oq Bodun. The Western Türk Qaghanate and the Ashina Clan in Archivum Eurasiae Medii Aevi 15 (2006/2007), S. 161–170
  4. Michael Neumann-Adrian/Christoph K. Neumann: Die Türkei. Ein Land und 9000 Jahre Geschichte, München 1990, S. 152
  5. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S. 12, S. 18
  6. Sören Stark: Die Alttürkenzeit in Mittel- und Zentralasien, S. 57
  7. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S. 11f.
  8. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp Die frühen Türken in Zentralasien, S. 18f., S. 30, S. 133
  9. a b c d e f Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.19
  10. a b c Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.20
  11. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S. 20f.
  12. a b Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.21f.
  13. a b c d Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.22
  14. a b c d Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S. 23
  15. a b c d e f Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.24
  16. a b c Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.25
  17. a b c Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.26
  18. a b c Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.27
  19. Sören Stark: Die Alttürkenzeit in Mittel- und Zentralasien, S. 192–194
  20. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.27f.: Der chinesische Pilger Xuanzang berichtet, dass in diesem Gebiet ein Angehöriger des westtürkischen Herrscherhauses regierte.
  21. a b c d e Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.28
  22. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S. 28f.
  23. a b c d Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S. 29
  24. a b c d Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.30
  25. Edith G. Ambros/P. A. Andrews/Çiğdem Balim/L. Bazin/J. Cler/Peter B. Golden/Altan Gökalp/Barbara Flemming/G. Hazai/A. T. Karamustafa/Sigrid Kleinmichel/P. Zieme/Erik Jan Zürcher, Artikel Turks, in Encyclopaedia of Islam, Brill, digitale Edition, Abschnitt 1.1 The pre-Islamic period: the first Turks in history and their languages
  26. Denis Sinor: The legendary Origin of the Türks, in Egle Victoria Zygas, Peter Voorheis: Folklorica: Festschrift for Felix J. Oinas, S. 231
  27. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien, S.31
  28. Peter B. Golden: An Introduction to the History of the Turkic Peoples: Ethnogenesis and State-Formation in Medieval and Early Modern Eurasia and the Middle East, S. 2
  29. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp Die frühen Türken in Zentralasien, S.18f.
  30. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken, S.52/53
  31. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp Die frühen Türken in Zentralasien, S.27
  32. Denis Sinor The legendary Origin of the Türks, in Egle Victoria Zygas, Peter Voorheis Folklorica: Festschrift for Felix J. Oinas, S. 228; Édouard Chavannes: Documents sur les Tou-kiue (Turcs) occidentaux, 1903, S. 27
  33. Denis Sinor: The legendary Origin of the Türks, in Egle Victoria Zygas, Peter Voorheis: Folklorica: Festschrift for Felix J. Oinas, S. 227
  34. Wolfgang-Ekkehard Scharlipp Die frühen Türken in Zentralasien, S.38

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