- Alte Eidgenossenschaft
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Als Alte Eidgenossenschaft wird die Schweizerische Eidgenossenschaft in der Form bezeichnet, wie sie von den ersten Bündnissen im 13./14. Jahrhundert bis zum Einmarsch der Franzosen und dem Beginn der Helvetik 1798 bestand. Die Alte Eidgenossenschaft war staatsrechtlich gesehen ein lockeres Bundesgeflecht, das stark von den Machtinteressen der einzelnen Mitglieder geprägt war.[1] Sie bestand aus den als «Orte» bezeichneten autonomen Mitgliedsstaaten (ab 1513 dreizehn Orte) mit ihren jeweiligen Untertanengebieten sowie den zugewandten Orten und den gemeinen Herrschaften.
Die idealisierten Erzählungen über die «Alte Eidgenossenschaft» bildeten seit dem 16. Jahrhundert ein zentrales Element eidgenössischer und später schweizerisch-nationaler Identitätsbildung.[2]
Inhaltsverzeichnis
Überblick über die Geschichte
Als möglicher Gründungszeitpunkt einer «Alten Eidgenossenschaft» erlangte eine Urkunde (angeblich) aus dem Jahr 1291, besiegelt von den drei Waldstätten[3] – Uri, Schwyz und Unterwalden (später auch Bundesbriefe genannt) zentrale Bedeutung, ferner der Bund von Brunnen 1315 und das Bündnis zwischen Luzern und den drei Waldstätten von 1332.
Als uneinheitliches politisch-militärisches Bündnisgeflecht zwischen den beteiligten «Orten», denen das aufstrebende städtische Patriziat oder der Landadel vorstanden, richtete sich die Eidgenossenschaft zunächst gegen die Ansprüche der Habsburger, die sich seit dem Erwerb der Stadt Luzern 1291 im Mittelland und der Innerschweiz festgesetzt hatten. Die Bündnisse dienten neben ersten Versuchen territorialer Expansion der Sicherung des Landfriedens sowie der Richtbarkeit und die Bewahrung der von verschiedenen römisch-deutschen Kaisern erworbenen Privilegien und Freiheitsrechte (Mythos von Wilhelm Tell). Aus den scheinbar nur zur Verteidigung geführten Kriegen gegen Habsburg-Österreich im 14. Jahrhundert (Schlacht am Morgarten 1315 bzw. Schlacht bei Sempach 1386, Mythos von Arnold Winkelried) wurde im 15. und 16. Jahrhundert eine kriegerische Expansion nach Süden ins Tessin und durch Soldbündnisse weiter in die Lombardei. Söldner und die Orte aus dem Gebiet der Eidgenossenschaft kämpften erfolgreich unter den Visconti und Sforza) bis zum Sieg 1513 gegen Frankreich bei Novara – nur zwei Jahre später, 1515, folgte die Tragödie der Schlacht bei Marignano, wo sich Söldner aus der Eidgenossenschaft den Truppen einzelner Orte gegenüber standen, nachdem jene Orte abgezogen waren, welche mit den diversen Händeln und Soldbündnissen mit den Franzosen einverstanden waren, von einer Einheit also keine Rede sein konnte.
Alter Zürichkrieg und Stanser Verkommnis
Innere Konflikte über die Haltung der einzelnen Orte gegenüber Habsburg-Österreich führten zu Kriegen unter den Eidgenossen, so zum Alten Zürichkrieg (1436–50), der die Eidgenossenschaft auf eine harte Bewährungsprobe stellte. Ein weiterer Konflikt entstand nach den erfolgreichen Burgunderkriegen, als es um die Aufnahme der Städte Solothurn und Freiburg in die Eidgenossenschaft ging: im sogenannten «Stanser Verkommnis» (1481) rettete der Legende nach nur das Eingreifen des Einsiedlers (und «Nationalheiligen») Bruder Klaus die Gemeinschaft vor dem Zerfall. Nach neueren Forschungsergebnissen (Stettler).[4] – entstand damit überhaupt das erste verfassungsähnliche Vertragswerk, das alle beteiligten Orte einschloss. Diesem Schritt zum verbindlichen Vertragswerk verdankt die Eidgenossenschaft den erfolgreichen Widerstand gegen den Wiedereingliederungsversuch des eidgenössischen Territoriums ins Reich durch den Habsburger Kaiser Maximilian (Schwabenkrieg 1499) und letztlich die spätere vollständige Loslösung vom Kaiserreich.
Reformation
Nach dem Beginn der Reformation zerfielen die Kantone in ein reformiertes und ein katholisches Lager: Während sich die grossen Städte Zürich, Bern und Basel der Reformation anschlossen, bildeten die Waldstätte mit Luzern und Zug als "Fünf Orte" einen eigenen konfessions-politischen Block und gingen darüber hinaus ein Defensivbündnis mit dem Reich ein; dagegen schloss Zürich vorübergendes "Burgrecht" mit reformierten Städten in Süddeutschland, die ausserhalb der Eidgenossenschaft lagen.[5]. Zwischen den beiden konfessionellen Gruppen kam es wiederholt zu militärischen Konflikten, so im Ersten (1529) und Zweiten Kappelerkrieg (1531) und im Ersten 1656 und Zweiten Villmergerkrieg 1712. (? Reformation und Gegenreformation in der Schweiz; 1520–1712)
In der Entstehung der «Alten Eidgenossenschaft» unterscheidet man verschiedene Perioden, die sich an der Anzahl der beteiligten Orte (Stände, Kantone) orientiert.
- 1291–1332 III Orte: Uri, Schwyz und Unterwalden
- 1353–1481 VIII Orte: Luzern, Glarus, Zürich, Zug, Bern
- 1481–1501 X Orte: Freiburg, Solothurn
- 1501–1513 XII Orte: Basel, Schaffhausen
- 1513–1798 XIII Orte: Appenzell
1648 wurde die Eidgenossenschaft im Westfälischen Frieden unabhängig vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.
«Verfassung» der Alten Eidgenossenschaft
Die verfassungsrechtliche Erfassung der Alten Eidgenossenschaft bietet einige Schwierigkeiten. Nach mittelalterlichem Verständnis war sie ein Bündnis mit dem primären Zweck gegen Innen den Landfrieden zu wahren und gegen Aussen das Territorium der Mitglieder gegen fremde Rechtsansprüche sowie kriegerische Übergriffe zu verteidigen. Ausserdem gab es bis 1798 keinen für alle Mitglieder gültigen völkerrechtlichen Vertrag, durch den die Gründung eines Bundesstaates oder eines Staatenbundes abgeleitet werden könnte. Bis 1526 blieb die Zeremonie des gemeinsamen Beschwörens der alten Bündnisse und Verträge die Klammer, durch welche alle Bundesglieder zusammengehalten wurden. Dann fiel wegen der konfessionellen Trennung sogar diese weg.[6] Bereits unter den frühen Staatsrechtlern des 16. Jahrhunderts war es deshalb umstritten, ob die Eidgenossenschaft ein Staatenbund oder ein Bündnis bzw. eine Allianz sei.[7]
Kernpunkt der Schwierigkeit bildet die Frage der Souveränität der eidgenössischen Orte und der Zugewandten. Ein Souveränitätstransfer von den Gliedern auf einen Staatenbund kann erst erfolgen, wenn die Glieder zuvor souverän sind. Die eidgenössischen Orte bzw. Kantone und Zugewandte waren jedoch de iure gegen Aussen erst ab 1648 souverän, als sie durch den Westfälischen Frieden aus dem Römischen Reich «entlassen» wurden. Vorher war die Alte Eidgenossenschaft also ein Bündnis von de facto gegen Aussen souveränen Reichsständen, die ihre Herrschafts- und Freiheitsrechte sowie Privilegien immer noch aus dem Reich ableiteten. Sogar für die Zeit nach 1648 ist eine völlige Souveränität der Alten Eidgenossenschaft nach aussen umstritten, da eine starke Abhängigkeit von Frankreich bestand, die in verschiedenen Soldbündnissen verankert war. Da nach der inneren Spaltung durch die Reformation diese Soldbündnisse zeitweise das einzige von fast allen Orten unterzeichnete Dokument darstellten, ist die Allianz mit Frankreich geradezu als Teil der Verfassung der Alten Eidgenossenschaft zu sehen. Nach dem Auslaufen der Allianz 1723 bildeten der neue Soldbund und das Militärbündnis der 13 Alten Orte sowie der Zugewandten Fürstabtei und Stadt St.Gallen, Wallis, Mülhausen und Biel mit Frankreich den letzten von allen Orten gemeinsam unterzeichneten Vertrag der Alten Eidgenossenschaft. Von der inneren Organisation ausgehend war der Staatenbund trotz der oben erwähnten Einschränkungen spätestens seit 1648 als Staatenbund anzusprechen. Nach Peyer lag sie im europäischen Vergleich in Bezug auf Organisationsgrad zwischen den Niederlanden einerseits und dem Reich andererseits.[8]
Auf der Ebene des Staatenbundes war nur die Institution der Tagsatzung ausgebildet. Ihre Hauptaufgabe war die Verwaltung der Gemeinen Herrschaften, die Aushandlung von Soldverträgen sowie Verhandlungen mit dem Ausland. Grundlage für diese Aufgaben bildeten nach den Kappelerkriegen vier verschiedene sog. Landfriedensverträge, in denen die Machtverteilung zwischen katholischen und reformierten Orten geregelt waren. Verschiedene Ansätze, die Eidgenossenschaft zu einem Bundesstaat weiterzuentwickeln wie z. B. die Bundesreform von 1655, scheiterten im 17. und 18. Jahrhundert.
Struktur der Alten Eidgenossenschaft
Dreizehn Souveräne Kantone
Die Reihenfolge entspricht der traditionellen Zählung. In Klammer die Jahreszahl des Beitritts.
VIII Orte
- Stadt Zürich (1351)
- Stadt Bern (1353)
- Stadt Luzern (1332)
- Land Uri (1291)
- Land Schwyz (1291)
- Land Unterwalden (Ob- und Nidwalden) (1291)
- Land Glarus (1352/86)
- Stadt und Land Zug (1352)
X Orte
XII Orte
- Stadt Basel (1501)
- Stadt Schaffhausen (1501), seit 1454 Zugewandter Ort
XIII Orte
- Land Appenzell (1513), seit 1411 Zugewandter Ort
Die 13 souveränen Stände (Kantone) bildeten als vollwertige Mitglieder die eigentliche Eidgenossenschaft. Zu unterscheiden sind dabei die Länderorte und die Städteorte. In den republikanischen Länderorten bildete die Landsgemeinde als Versammlung aller männlicher Landbewohner mit Bürgerrecht den obersten Souverän. Die laufenden Geschäfte und die Regierung besorgten der Landrat als Vertretung der Gemeinden und der Landesteile sowie der Landamman, der mit einigen hohen Beamten (Häuptern) die Landesregierung bildete. In den Städteorten war die Bürgerschaft der namensgebenden Städte politisch bestimmend. Nach der politisch bestimmenden Schicht des städtischen Bürgertums kann man weiter unterscheiden zwischen Zunftstädten (Zürich, Basel, Schaffhausen) und Patriziaten (Bern, Solothurn, Freiburg, Luzern). In den Zunftstädten war der Souverän der Grosse und der Kleine Rat, die aus den Vorständen der Zünfte bestanden. Die «Herrenschicht» in einer Zunftstadt bestand aus Kaufleuten, Handwerkern, Unternehmern (Verleger), Gutsbesitzern, Gerichtsherren und Offiziersfamilien der fremden Dienste. Im Patriziat waren die Stadträte fest in der Hand einer erblichen und sozial abgeschlossenen Oberschicht aus Land- und Militäradel. Besondere Bedeutung kam hierbei der Stadt Bern zu, die als grösste Stadtrepublik nördlich der Alpen hinsichtlich ihrer Regierungsstruktur oft mit Venedig verglichen wurde. Keine politischen Rechte besassen sowohl in den Länder- wie auch in den Städteorten die Zugezogenen ohne Bürgerrecht, die sogenannten Hintersassen sowie die Bewohner der Untertanengebiete.
Es bestand kein von allen 13 Orten unterzeichneter Bundesvertrag, sondern nur eine Reihe von Bündnissen, die einzelne Kantone miteinander bzw. untereinander geschlossen hatten. Als Klammer fungierten zusätzlich von allen Mitgliedern unterzeichnete Verträge wie der Pfaffenbrief (1370), der Sempacherbrief (1393) und das Stanser Verkommnis (1481). Die gemeinsamen Verträge wurden bis 1526 regelmässig von allen Orten in einer Zeremonie beschworen. Die weitere Entwicklung der Bundesstruktur wurde durch die Spaltung der Alten Eidgenossenschaft durch die Reformation verhindert. Die Städte Zürich, Bern, Basel und Schaffhausen sowie Teile der Länderorte Appenzell und Glarus gingen im 16. Jahrhundert zum reformierten Glauben über, während die Städte Luzern, Freiburg und Solothurn mit den Länderorten Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug beim alten Glauben blieben.
Die nach Konfessionsgruppen gespaltene Eidgenossenschaft wurde mehrfach von Bürgerkriegen um die Vorherrschaft einer Konfessionsgruppe heimgesucht (Kappelerkriege (1529/31), Villmergerkriege 1656/1712). Bis 1712 konnten dabei die im Goldenen Bund organisierten katholischen Kantone eine gewisse Vormachtstellung behaupten. Seit der endgültigen Loslösung der Eidgenossenschaft als Gesamtes aus dem Heiligen Römischen Reich im Westfälischen Frieden 1648 galten die einzelnen Kantone als souveräne Republiken. Seit dieser Zeit wurde die Alte Eidgenossenschaft von den Zeitgenossen als Corpus Helveticum bezeichnet und kann aus heutiger Sicht als loser Staatenbund bezeichnet werden.[9] Nach dem Kappelerkrieg wurden der von den 13 Orten unterzeichnete Erste Landfrieden zu einer Art Verfassung der Eidgenossenschaft. Bis 1712 wurden drei weitere solche Landfrieden unterzeichnet, in denen die gemeinsamen Belange der Kantone geregelt wurden, insbesondere die Modalitäten der Verwaltung der Gemeinen Herrschaften und der religiösen Fragen.
Die einzige zentrale Institution der Alten Eidgenossenschaft war die Tagsatzung, die an verschiedenen Orten, am häufigsten in Baden und in Frauenfeld zusammenkam. Die Versammlung der Abgesandten der Kantone hatte nur sehr beschränkte legislative und exekutive Kompetenzen und war sehr schwerfällig, da die Gesandten an die Instruktionen ihrer Kantone gebunden waren. Seit dem 15. Jahrhundert stand Zürich als Vorort der Vorsitz bei der Tagsatzung zu. Die Standesstimmen der Halbkantone wurden an der Tagsatzung als eine Stimme gezählt. Die alljährlich im Juli stattfindende Jahrrechnungstagsatzung in Baden diente hauptsächlich der Verwaltung der Gemeinen Herrschaften. Bei Bedarf wurden ausserordentliche Tagsatzungen aller Orte oder der konfessionellen Blöcke einberufen.
Zugewandte Orte (Verbündete)
Hinter der Jahreszahl des Bündnisses die bündnisschliessenden eidgenössischen Orte.
«Engere Zugewandte»
- Fürstabtei St. Gallen (1451); Zürich, Luzern, Glarus und Schwyz.
- Stadt Biel (1353); Bern, Freiburg, Solothurn, nominell unter der Oberhoheit des Fürstbistums Basel.
- Stadt St. Gallen (1454); Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, Zug, Glarus.
«Ewige Mitverbündete»
- Republik Wallis (1416/17); Luzern, Uri, Unterwalden; 1475 Bern; 1529 Schwyz, Zug, Freiburg; 1533 Solothurn.
- Freistaat der Drei Bünde (1497/99); Zürich, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Glarus; 1600 Wallis; 1602 Bern; nach 1618 eigentlich nur noch Bern und Zürich.
Evangelische Zugewandte
- Stadt Mülhausen (1515/86); XII Orte; 1586 nur noch Zürich, Bern, Glarus, Schaffhausen, Basel.
- Stadt Genf (1519/36); Bern, Freiburg; 1558 nur noch Bern; 1584 Zürich, Bern.
Übrige (zeitweilige) Verbündete
- Fürstentum/Grafschaft Neuenburg (1406/1529); Bern, Solothurn; 1495 Freiburg; 1501 Luzern.
- Talschaft Urseren (1317–1410); Uri; 1410 zu Uri
- Weggis (1332–1380); Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern; 1480 zu Luzern
- Stadt Murten (1353–1475); Bern; 1475 Gemeine Herrschaft
- Stadt Payerne (1353–1536); Bern; 1536 zu Bern
- Talschaften Saanen und Château-d'Œx (1403–1555) (Hochgreyerz, Teil der Grafschaft Greyerz); Bern; 1555 zu Bern
- Bellenz (1407–1419); Uri, Obwalden; 1419–22 Gemeine Herrschaft
- Grafschaft Sargans (1437–1483); Schwyz, Glarus; 1483 Gemeine Herrschaft
- Freiherrschaft Sax-Forstegg (1458–1615); Zürich; 1615 zu Zürich
- Stadt Stein am Rhein (1459–1484) Zürich, Schaffhausen; 1484 zu Zürich
- Grafschaft Greyerz (Niedergreyerz) (1475–1555); 1555 zu Freiburg
- Grafschaft Werdenberg (1493–1517); Luzern; 1517 zu Glarus
- Stadt Rottweil (1519–1689); XIII Orte; nach 1632 nur noch Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Solothurn, Freiburg
- Fürstbistum Basel (1579–1735); Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Solothurn, Freiburg,
Die Zugewandten Orte waren Staaten, Monarchen oder Landschaften, die mit der Eidgenossenschaft oder Teilen davon verbündet waren. Die «Engeren Zugewandten» hatten definitiv seit 1667 Sitz und Stimme in der eidgenössischen Tagsatzung. Die «Ewigen Mitverbündeten», die Republik Wallis und der Freistaat der Drei Bünde, waren in sich ebenfalls föderativ organisiert. Die Republik Wallis bestand aus sieben Zehnden im Oberwallis, die jeweils eine eigene Landsgemeinde hatten und nur unter einem gemeinsamen Landrat mit Landeshauptmann standen. Der Fürstbischof von Sitten besass als ursprünglicher Landesherr eine Art Ehrenpräsidium. Der Freistaat der Drei Bünde wurde durch den «Beitag» aus den Bundeshäuptern geführt. Der endgültige Entscheid lag aber bei den Volksversammlungen der 55 Hochgerichte bzw. beim Bundestag, der Abgeordnetenversammlung der Hochgerichte. Eine weitere Gruppe von Zugewandten bildeten nach der Reformation die Städte Mülhausen und Genf, die wegen ihres reformierten Glaubens nur noch mit reformierten Kantonen verbunden waren. Die Gruppe der Zugwandten ist sehr heterogen hinsichtlich ihrer Regierungsformen und Staatsstrukturen (Zunftstädte, Patriziate, Landschaften, Monarchien) und die Bündnisse sind von sehr unterschiedlichem Inhalt. Im 17. und 18. Jahrhundert kühlten wegen der konfessionellen und politischen Gegensätze in der Eidgenossenschaft die Beziehungen zwischen einigen Zugwandten und der Eidgenossenschaft stark ab, so dass etwa das Fürstbistum Basel nach 1735 nicht mehr als Zugwandter Ort gezählt werden kann und auch die Drei Bünde praktisch keinen Kontakt mehr mit der Tagsatzung pflegen.[10]
Gemeine Herrschaften (Kondominate)
Neben der Jahreszahl der Erwerbung der Herrschaft stehen die regierenden Orte.
Deutsche Gemeine Vogteien
- Freie Ämter (1415); VII Orte (ohne Bern), nach 1712 Oberes Freiamt: VIII Orte, Unteres Freiamt: Zürich, Bern, Glarus.
- Grafschaft Baden (1415); VII Orte (ohne Uri), nach 1443–1712 VIII Orte, danach nur Zürich, Bern, Glarus.
- Grafschaft Sargans (1460/83); VII Orte (ohne Bern), nach 1712 VIII Orte.
- Landgrafschaft Thurgau (1460); VII Orte (ohne Bern), nach 1712 VIII Orte.
- Herrschaft Rheintal (1490); VIII Orte (ohne Bern mit Appenzell), nach 1712 VIII Orte und Appenzell.
Dritthalbörtige Vogteien
Gemeine Herrschaften von Uri, Schwyz und Nidwalden
- Bollenz (Blenio) (1477–80, 1495)
- Reffier (Riviera) (1403–1422, 1495)
- Bellenz (Bellinzona) (1500)
Ennetbirgische Vogteien
Gemeine Herrschaften der XII Orte (ohne Appenzell)
- Maiental (Val Maggia) (1512)
- Lauis (Lugano) (1512)
- Luggarus (Locarno) (1512)
- Mendris (Mendrisio) (1512)
- Val Travaglia (1512–15)
- Cuvio (1512–15)
- Eschental (1512–15)
Zweiörtige Vogteien
Gemeine Herrschaften von Bern und Freiburg
- Herrschaft Grasburg/Schwarzenburg (1423)
- Murten (1475)
- Grandson (1475); Bern, Freiburg.
- Orbe und Echallens (1475); Bern, Freiburg.
Gemeine Herrschaften von Schwyz und Glarus
- Grafschaft Uznach (1437)
- Herrschaft Windegg/Gaster (1438)
- Herrschaft Hohensax/Gams (1497)
Gemeinsame Herrschaft von Bern und Zürich
- Hurden (1712)
Gemeine Herrschaft mit Zugwandten
Gemeine Herrschaft von Bern und dem Fürstbischof von Basel
- Herrschaft Tessenberg/Montagne de Diesse (1388)
Als Gemeine Herrschaften wurden Gebiete bezeichnet, die von mehreren Orten gemeinsam erobert und als Vogteien auch gemeinsam verwaltet wurden. Die Zahl und die Kombination der regierenden Orte variierten dabei stark. Die «Deutschsprachigen Gemeinen Vogteien» befanden sich im Aargau, im Thurgau und im heutigen Kanton St. Gallen. Unter der Bezeichnung «Ennetbirgischen Vogteien» wurden die im Zuge der Mailänderkriege eroberten Gebiete im heutigen Kanton Tessin zusammengefasst. «Zweiörtige Vogteien» waren Gebiete, die von Bern und Freiburg bzw. Schwyz und Glarus gemeinsam beherrscht wurden. Nach dem Zweiten Villmergerkrieg 1712 erzwangen die reformierten Kantone eine neue Zusammensetzung der regierenden Orte in den deutschsprachigen gemeinen Vogteien.[10]
Schirmherrschaften (Protektorate)
Neben der Jahreszahl der Einrichtung des Protektorats sind die Schirmorte (Protektoren) angegeben.
- Dorf Gersau (1332); Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden.
- Abtei Einsiedeln (1357); Schwyz
- Abtei Bellelay (1414); Bern, Biel, Solothurn. Steht unter der Hoheit des Fürstbistums Basel.
- Fürstabtei Engelberg (1425); Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden.
- Fürstabtei St. Gallen (1451); Zürich, Luzern, Schwyz, Glarus. Gleichzeitig ist die Fürstabtei Zugewandter Ort.
- Herrschaft Rapperswil (1458); bis 1712: Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus, ab 1712 Zürich, Bern, Glarus.
- Grafschaft Toggenburg (1436); bis 1718: Schwyz, Glarus, dann Zürich, Bern. Gleichzeitig ist das Toggenburg Untertanengebiet der Fürstabtei St. Gallen.
- Abtei Pfäfers (1460–1483); Zürich, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Glarus; 1483 zur Grafschaft Sargans.
- Propstei Moutier-Grandval (1486); Bern. Steht unter der Hoheit des Fürstbistums Basel und gilt bis 1797 als Reichsgebiet.
- Stadt Neuenstadt/La Neuveville (1388); Bern. Steht unter der Hoheit des Fürstbistums Basel.
- Erguel (1335); Biel (Militärhoheit). Steht unter der Hoheit des Fürstbistums Basel.
Die Schirmherrschaften sind eigentliche Protektorate, die jedoch nicht in jedem Fall zu einem Untertanenverhältnis der Beschirmten gegenüber den Schirmherren führten. Während zum Beispiel der Fürstabt von St. Gallen eigentlich nur dann auf die Zusammenarbeit mit den Schirmorten angewiesen war, wenn er in Konflikte mit seinen Untertanen oder mit einzelnen eidgenössischen Orten geriet und auch in seiner Aussenpolitik ziemlich eigenständig blieb, waren die Abtei Einsiedeln oder die Herrschaft Rapperswil faktisch in einer ähnlichen Stellung wie die Gemeinen Herrschaften und konnten keine eigenständige Aussenpolitik mehr betreiben. Für das Toggenburg oder auch die von Bern beschirmten Teile des Fürstbistum Basels stellten die Schirmherren wiederum eher Garanten ihrer «Freiheiten» bzw. althergebrachten Privilegien gegenüger der fürstlichen Herrschaft ihrer Feudalherren dar. Die Schirmverträge, die dem Herrschaftsverhältnis zugrunde lagen, legten individuell die Rechte und Pflichten beider Seiten fest, meist ein Recht auf Schutz vor äusseren Feinden, eine institutionalisierte Schiedsgerichtsbarkeit bei inneren Konflikten, eine Pflicht auf militärischem Zuzug etc.[10]
Einzelörtische Untertanen von Länderorten und Zugewandten
Uri
- Livinen (Leventina) (1403, 1439).
- Urseren (1440)
Schwyz
- Küssnacht (1402).
- Fürstabtei Einsiedeln (1397/1424).
- March (1405/36).
- Höfe (1440).
Glarus
- Werdenberg (1485/1517); 1485 zu Luzern; 1517 zu Glarus
Republik Wallis
- St-Maurice (1475/77); VII Zenden
- Monthey (1536); VII Zenden
- Lötschental (15. Jh.); V obere Zenden
- Evian (1536–1569); VII Zenden
Freistaat der Drei Bünde
- Worms (Bormio) (1512)
- Cleven (Chiavenna) (1512)
- Veltlin (Valtellina) (1512)
- Drei Pleven (1512–1526)
- Maienfeld (Bündner Herrschaft) (1509–1790); gleichzeitig Mitglied im Zehngerichtebund.
Neben den Gemeinen (= gemeinsam verwalteten) Herrschaften und den Untertanengebieten einzelner Orte bestand das Territorium der städtischer Orte bis auf das eigentliche Stadtgebiet aus Untertanenland. Ob jemand in der Stadt zur herrschenden Schicht gehörte oder nicht, hing wiederum von der Familienzugehörigkeit ab. Die Rechte und Privilegien einzelner Gebiete konnten jedoch deutlich variieren. So waren beispielsweise die Munizipalstädte Winterthur und Stein am Rhein der Stadt Zürich untergeben, hatten aber ihrerseits ebenfalls ein kleines Untertanengebiet und eine eigene Schicht herrschender Stadtbürger.
Umkehr der Ständeordnung
Im Ausgang des Mittelalters belegen mehrere schriftliche Äusserungen, dass die Eidgenossen überzeugt waren, sie seien ein von Gott auserwähltes Volk. Die Umkehr der «Christlichen Ständeordnung» durch die Schweizer (z. B. in der Schlacht bei Sempach) wo der vom Heiligen Römischen Reich eingesetzte Herzog Leopold III. «auf dem Seinen, um das Seine, von den Seinen» umgebracht wurde, bestärkte ihren Glauben noch mehr: Da der Adel seine Pflichten gegenüber den einfachen Bauern vernachlässigte, war die alte Ordnung nicht mehr gottgewollt: So schenkte die göttliche Vorsehung den Eidgenossen Sieg um Sieg und machte sie zu den wahren Edlen. Damit stellten sie sich gegen die habsburgische anti-eidgenössische Propaganda, die den Eidgenossen ihrerseits Gottlosigkeit und Umsturz der gottgewollten Ordnung vorwarf.
Ein Traktat der Gegenseite warf den Eidgenossen folgendes irrtümliche Selbstverständnis vor: «Wir sind jenes auserwählte Volk, das vom Volke Israel präfiguriert wurde, welches der allmächtige Gott gegen Könige und Fürsten verteidigte, da es seinen Gesetzen und seiner Gerechtigkeit gehorchte.» Gesandte entgegneten z. B. auch bei diplomatischen Verhandlungen gegenüber Karl dem Kühnen selbstbewusst: «Wäre dan der fürst von Österreich in sinem schirm, so wären aber die loblichen eidgenossen in des almechtigen gottes schirm.» Zudem kam die Passionsverehrung (Christi) in der Schweiz erstaunlich früh und «Das Beten mit zertanen (ausgestreckten) armen» war bei den Eidgenossen zum Ende des Mittelalters zu einer geläufigen öffentlich zelebrierten Gebetsgeste geworden, vor allem auch zu Beginn einer Schlacht! [11]
Siehe auch
- Bundesbrief von 1291
- Stanser Verkommnis
- Pfaffenbrief
- Sempacherbrief
- Goldener Bund
- Bundesprojekt von 1655
- Geschichte der Schweiz
- Entstehung und Wachstum der Alten Eidgenossenschaft
- Liste von Schweizer Schlachten
- Enchiridion Helveticum Constantiae Episcopalis
Literatur
- Jean-François Aubert: Petite histoire constitutionelle de la Suisse. Francke, Bern 1974.
- Adolf Gasser: Die territoriale Entwicklung der Schweizerischen Eidgenossenschaft 1291–1797. Sauerländer, Aarau 1932.
- Hans Conrad Peyer: Verfassungsgeschichte der alten Schweiz. Schulthess , Zürich 1978, ISBN 3-7255-1880-7.
- Ulrich Im Hof: Ancien Régime. In: Handbuch der Schweizer Geschichte. Bd. 2. Berichthaus, Zürich 1977, S. 673–784.
- Werner Meyer: Hirsebrei und Hellebarde. Auf den Spuren des mittelalterlichen Lebens in der Schweiz. Walter, Olten/Freiburg im Breisgau 1985, ISBN 3-530-56707-8.
- Bernhard Stettler: Die Eidgenossenschaft im 15.Jahrhundert: Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner. Markus Widmer-Dean, Menziken 2004, ISBN 3-9522927-0-2.
- Guy P. Marchal: Schweizer Gebrauchsgeschichte: Geschichtsbilder, Mythenbildung und nationale Identität. Schwabe, Basel 2006, ISBN 978-3-7965-2242-0.
- Roger Sablonier: Gründungszeit ohne Eidgenossen: Politik und Gesellschaft in der Innerschweiz um 1300. hier+jetzt, Baden 2008, ISBN 978-3-03-919085-0.
- Thomas Maissen: Geschichte der Schweiz. hier+jetzt, Baden 2010, ISBN 978-3-03-919174-1.
Weblinks
Commons: Alte Eidgenossenschaft – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienEinzelnachweise
- ↑ Norbert Domeisen: Schweizer Verfassungsgeschichte, Geschichtsphilosophie und Ideologie. Bern 1978, S. 27 ff. (online).
- ↑ Guy P. Marchal: Schweizer Gebrauchsgeschichte: Geschichtsbilder, Mythenbildung und nationale Identität. Schwabe, Basel 2006, ISBN 978-3-7965-2242-0.
- ↑ Waldstätte im Historischen Lexikon der Schweiz
- ↑ Bernhard Stettler: Die Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert: Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner. Markus Widmer-Dean, Menziken 2004, ISBN 3-9522927-0-2
- ↑ * Thomas Maissen: Geschichte der Schweiz. hier+jetzt, Baden 2010, ISBN 978-3-03-919174-1.
- ↑ Erst am 25. Januar 1798 beschwor die Tagsatzung in Aarau kurz vor dem französischen Einmarsch wieder gemeinsam die alten Bünde, in der vergeblichen Hoffnung, damit Frankreich zu beeindrucken und eine Invasion abwenden zu können.
- ↑ Peter Stadler: «Das Zeitalter der Gegenreformation». In: Handbuch der Schweizer Geschichte 1, S. 571–672; S. 642. Peyer, Verfassungsgeschichte, S. 5
- ↑ Peyer, Verfassungsgeschichte, S. 143–147
- ↑ Ulrich im Hof: «Ancien Régime». In: Handbuch der Schweizer Geschichte 2, S.673–784, 675f.
- ↑ a b c Im Hof, Ancien Régime, S. 732.
- ↑ Quelle: Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft, Die alten Eidgenossen im Wandel der Zeit. «Gott had die unedlen usserwält» Guy Marchal
Kategorien:- Schweizerische Geschichte (Mittelalter)
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