Jugend ohne Gott

Jugend ohne Gott

Jugend ohne Gott ist der dritte Roman (Sechsunddreißig Stunden, 1929; Der ewige Spießer, 1930; Jugend ohne Gott, 1937) des österreich-ungarischen Schriftstellers Ödön von Horváth. Er erschien im Jahr 1937 und wurde kurz danach, Anfang des Jahres 1938, in acht weitere Sprachen übersetzt.

Inhaltsverzeichnis

Der Roman

Inhalt

Ein Lehrer korrigiert gerade die Klassenarbeiten (Geographie) seiner Schüler. Dabei stellt er fest, dass der Schüler N sich sehr despektierlich gegenüber Farbigen (im Buch nach damals üblicher Diktion noch rein deskriptiv „Neger“ genannt) äußert. Er bemängelt dies, streicht es jedoch nicht an, da er solche Vorurteile schon im Radio gehört hatte. Und was im Radio verkündet wird, darf nicht als falsch bezeichnet werden. Er denkt in dieser Zeit über vieles nach, besonders über Gott. Er gesteht, dass er seinen Glauben im 1. Weltkrieg verloren hat und nur noch vor anderen so tut, als ob er noch glauben würde. Er glaubt, dass, wenn es überhaupt einen Gott gäbe, er kein guter Gott sei, weil er all das Unheil zulässt.

Am kommenden Schultag gibt er bei der Rückgabe der Klassenarbeiten an seine Schüler seine Meinung N bekannt und sagt ihm, dass Farbige auch Menschen seien. Daraufhin wird der Lehrer vom Vater des Schülers aufgesucht. Der Vater des N missbilligt die Aussage des Lehrers und zeigt den Lehrer beim Direktor der Schule an. Der Direktor rät dem Lehrer lediglich, sich an die äußeren Gegebenheiten anzupassen, wenn er seine Pension nicht verlieren wolle. Außerdem unterschreibt die gesamte Klasse einen Beschwerdebrief, mit welchem die Schüler eine neue Lehrkraft einfordern. Der Direktor erstickt die Forderung der Schüler im Keim und weist den Lehrer an, mit dem Unterricht fortzufahren. Der Lehrer, der Angst vor einer Disziplinarstrafe hat und keinen Gefallen an seinem Beruf mehr findet, geht am Abend in eine Bar und trifft dort in alkoholisiertem Zustand auf einen alten Lehrerkollegen, genannt Julius Cäsar. Er weiht ihn in seine Probleme ein, und Julius Cäsar versucht, dem Lehrer den Wandel der Gesellschaft anhand der Sexualität und der Stellung der Frau zu erläutern. Er spricht vom Zeitalter der Fische. Er erklärt, dass die Seele des Menschen bald so unbeweglich sein wird wie das Antlitz eines Fisches. Der Lehrer glaubt mit jedem Tag mehr an die Worte seines Kollegen.

Während dieser Zeit stirbt der Schüler W an einer Lungenentzündung. Beim Lehrer treten daraufhin wieder Zweifel an Gott auf, denn er sieht nicht ein, warum er diesem Armen nicht hilft. Beim Begräbnis bemerkt er das erste Mal den kalten, starren Blick des T, die Augen von T erinnern den Lehrer an einen Fisch. Da der Direktor auf der Seite des Lehrers steht, wird er nicht suspendiert und muss seine Schüler auf ein Zeltlager begleiten. Dieses Zeltlager findet in den Osterferien statt. Es dient als vormilitärische Ausbildung, die von einem alten Feldwebel befehligt wird. In dieser Zeit lernen die Jungen Dinge wie Schießen und Marschieren. Es ist Pflicht für die Schulen, ihre Schüler jedes Jahr in ein solches Zeltlager zu schicken. Der Lehrer dient nur als Aufsichtsperson. In einem kleinen idyllischen Dorf angekommen, hat der Lehrer ein langes Gespräch mit dem örtlichen Pfarrer. Dieser meint, dass Gott gerecht sei, weil er auch straft, dass Gott aber auch das Schrecklichste auf der Erde sei. Den Lehrer spornt dieser Satz zum Nachdenken an, da er schon lange nicht mehr an den gerechten Gott glaubt. Nach einigen Tagen im Zeltlager wird ein Fotoapparat gestohlen. Daraufhin kontrolliert der Lehrer die aufgestellten Wachen und bemerkt, dass Z von einem fremden Jungen einen Brief entgegennimmt. Er vermutet, dass Z Kontakt zu einer Diebesbande hat, die er zuvor beim Überfallen einer alten, blinden Frau beobachtet hatte.

Im Kopf des Lehrers setzt sich der Gedanke fest, diesen Brief zu lesen. Er will Z jedoch nicht darum ersuchen. Am nächsten Morgen beklagt sich ein Schüler, der mit Z und N das Zelt teilen muss, über die ständigen Streitereien von Z und N. So erfährt der Lehrer, dass Z ein Tagebuch führt, das er in einem Kästchen mit Schloss aufbewahrt, und wird noch neugieriger.
Als die Buben nicht im Lager sind, bricht er das Kästchen mit einem Draht auf, wobei er das Schloss beschädigt, und liest das Tagebuch des Z. Er erfährt darin, dass Z ein Verhältnis mit der Anführerin (Eva) der Räuberbande hat. Außerdem steht in dem Tagebuch geschrieben, dass Z jeden umbringen wird, der sein Tagebuch liest. Als Z von seiner Patrouille zurückkommt, bemerkt er wegen des kaputten Schlosses sofort, dass sein Tagebuch geöffnet worden ist, und beschuldigt N, sein Tagebuch gelesen zu haben. Es beginnt ein heftiger Streit zwischen den beiden. N bittet den Lehrer, ihm zu glauben, dass er das Tagebuch nicht gelesen hat, und ihm zu helfen. Der Lehrer schweigt jedoch und gesteht nicht, dass er das Tagebuch gelesen hat. Er schämt sich, sein Vergehen vor der versammelten Schülerschaft zu offenbaren. Er nimmt sich aber vor, Z noch in derselben Nacht über sein Vergehen zu informieren und damit N zu entlasten. In der Nacht verliert er aber wiederum den Mut und verschiebt das Geständnis auf den nächsten Morgen.
Am nächsten Tag verschläft der Lehrer. Als er aufwacht, sind die Schüler bereits aufgebrochen. Sie kehren am Abend ohne N zurück. Der Lehrer hat eine schreckliche Vermutung, insbesondere nachdem Z ihm erzählt, dass N gestanden habe, das Tagebuch gelesen zu haben. Am nächsten Tag wird N von zwei Waldarbeitern erschlagen im Wald aufgefunden. Eine Mordkommission beginnt Untersuchungen anzustellen. Nachdem ein Schüler von dem Vorfall mit dem Tagebuch von Z und dessen Morddrohung gegen N erzählt, gesteht Z, N erschlagen zu haben. Nach Durchsicht des Tagebuchs wird außerdem seine Liaison mit der Chefin der Verbrecherbande, mit Eva, bekannt. Eva wird kurz darauf ebenfalls gefangen genommen. Der Mordfall kommt vor Gericht, Z gesteht zwar weiterhin, den Mord begangen zu haben, doch er kann sich an keine Einzelheiten erinnern. Des Weiteren versichert seine Mutter, dass er keinen Kompass hatte, der am Tatort gefunden wurde und der nicht dem Opfer gehört, was darauf hinweist, dass sich noch eine Person am Tatort befunden haben muss. Auch der Richter will ihm nicht glauben. Es wird vermutet, dass er Eva aus Liebe decken will.

In einer Verhandlungspause vernimmt der Lehrer eine innere Stimme, die er als Gott erkennt, und bekommt Mut, nun endlich die Wahrheit zu sagen. Im Zeugenstand erzählt er, dass er das Tagebuch gelesen und Z zusammen mit Eva beobachtet habe. Der Mut dieser Aussage bringt Eva auch dazu, die Wahrheit zu sagen. Sie sagt aus, dass ein fremder Junge mit „Fischaugen“ N getötet habe. Bei diesen Worten muss der Lehrer an T und seine kalten Augen denken. Dieser starrt ihn unentwegt an, wie beim Begräbnis von W. Niemand glaubt jedoch Eva. Sie wird beschuldigt, den Mord an N begangen zu haben. Der Prozess gegen Eva soll in drei Monaten stattfinden, bis dahin wird Eva im Gefängnis verwahrt. Der Lehrer ist vom Gedanken besessen, dass nicht Eva die Mörderin von N ist, sondern T. Mit der Hilfe von Julius Cäsar und einigen verschworenen Schülern, die einen Klub gebildet haben, wird T beschattet und somit mehr über ihn in Erfahrung gebracht. T bemerkt dies und tappt nicht in die Falle des Lehrers. Dieser führt ein Gespräch mit ihm, doch T streitet alle Tatsachen energisch ab. T erzählt dem Lehrer, dass er Fischaugen habe und die Schüler ihm deshalb den Namen Fisch gegeben haben. Die Schüler aus dem Klub erzählen dem Lehrer dann aber, dass die Schüler ihm nicht den Spitznamen Fisch, sondern den Spitznamen „Neger“ wegen seiner Aussagen über diese gaben und nur T ihn "Der Fisch" nannte.

Der Pfarrer, mit dem er das Gespräch im Dorf des Zeltlagers geführt hat, kommt zu Besuch bei ihm vorbei, um ihn zu seinem Mut, vor Gericht die Wahrheit zu sagen, zu gratulieren. Da der Lehrer aufgrund seines Verhaltens seine Stelle und somit auch seine Pension verloren hatte, macht der Pfarrer ihm das Angebot, eine Lehrerstelle in Afrika anzunehmen. Der Lehrer erzählt dem Pfarrer von seinem Verdacht bezüglich T. Der Pfarrer rät dem Lehrer, unverzüglich die Mutter von T über seinen Verdacht zu informieren. So sucht der Lehrer die Mutter von T auf, die aber keine Zeit für ihn hat. Dafür trifft er auf T selbst, der aufgrund der Anwesenheit des Lehrers und dessen Vorhaben, mit seiner Mutter über ihn zu sprechen, nervös wird. Nach einigen Tagen wird der Lehrer mitten in der Nacht von einem Kommissar aufgesucht und zum Haus des T geführt. Dort wurde T erhängt aufgefunden. Er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen, auf dem „Der Lehrer trieb mich in den Tod“ zu lesen ist. Da ein Abriss fehlt, vermutet der Lehrer noch einen zweiten Teil. Er hält eine leidenschaftliche Rede, nach der Ts Mutter zusammenbricht. Sie lässt den zweiten Teil des Zettels aus ihrer Hand fallen. Auf dem zweiten Teil ist zu lesen: „Denn der Lehrer weiß, dass ich den N erschlagen habe. Mit dem Stein –“. Der Lehrer spürt jetzt, dass Gott in dieses Haus eingezogen ist, weil ein gerechter Gott auch straft. Daraufhin wird Eva aus dem Gefängnis entlassen und vom Pfarrer aufgenommen. Der Lehrer verabschiedet sich von Julius Cäsar und dem Klub der hilfreichen Schüler und fährt nach Afrika.
In seinen Gedanken fährt er als „Neger zu den Negern“.

Interpretation

Der Titel des Werkes „Jugend ohne Gott“ drückt die Charakter-, Gedanken- und Lieblosigkeit der Jugend im Dritten Reich aus. Ihr gleichgültiges Verhalten wird durch die Namensgebung verstärkt: Die Schüler werden nur mit Buchstaben benannt (z. B. T oder N), sie sind also nur „Nummern“ ohne eigene Individualität. Diese Anonymisierung zeigt aber auch, dass hier nicht einige wenige Einzelpersonen, sondern die Masse der Mitläufer und Opportunisten kritisiert werden soll. Gegen Ende des Romans stellt Horváth eine Gleichung auf, die dem Titel einen echten Sinn gibt - als nämlich der Ich-Erzähler zur Erkenntnis kommt: „Gott ist die Wahrheit.“ Diese Wahrheit ist der Jugend abhandengekommen.
Er schildert die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge aus der Sicht des Lehrers, der hier als Ich-Erzähler auftritt. Der Roman ist in 44 kurze Kapitel gegliedert, deren Überschriften oft erst nach dem Lesen mit dem Kapitelinhalt in Zusammenhang gebracht und entschlüsselt werden können. Die Handlung (erzählte Zeit) erstreckt sich über ca. sieben Monate (Frühjahr bis Herbst) und spielt sich größtenteils in einem geschlossenen Milieu ab: die meisten Schüler sowie der Lehrer stammen aus der besser verdienenden Mittelschicht. Dieser Roman ist in einer stilisierten, bewusst einfachen Sprache geschrieben, an der die kurzen Sätze charakteristisch sind. Er enthält eine große Anzahl innerer Monologe.

Die Figuren in „Jugend ohne Gott“ teilen sich in zwei Lager: Das der (alten) christlich-humanistisch geprägten Ordnung und das der (neuen) nationalsozialistisch geprägten Ordnung.

Der Lehrer ist als Protagonist Vertreter der alten Ordnung.
Seine Schüler stehen ihm als Gegner, nämlich Vertreter der neuen Ordnung, gegenüber. Sie stehen für den neuen Zeitgeist und die Staatsmacht. In ihrer Haltung werden sie vom Radio, dem Medium des Faschismus, und teilweise von ihren Eltern bestärkt. Die einzige Ausnahme bildet der "Klub", der erst gegen Ende hin auftaucht und den Lehrer in der Auflösung des Verbrechens unterstützt.

Der Pfarrer und Julius Caesar sind die wichtigsten Gesprächspartner des Lehrers. Ihre Dialoge transportieren das Thema des Romans und entwickeln die Struktur weiter (Julius Caesar die detektivische, der Pfarrer die religiöse). Die beiden Figuren sind ebenfalls Vertreter der alten Ordnung. Gemeinsam mit dem Lehrer bilden sie eine Front gegen die Gesellschaft und sind deswegen Außenseiter.

Der Schulleiter, der Feldwebel und die Eltern des Lehrers stehen zwar auf der Seite des Faschismus, sind aber dem Lehrer wohlwollend gesinnt.

Zu Eva hat der Lehrer eigentlich keine Beziehung. Dennoch sieht er in ihr ein Instrument Gottes, weswegen er ihre Unschuld beweisen will. Zu Gott selbst hat der Lehrer ein sehr angespanntes Verhältnis, das eine intensive Entwicklung durchmacht.

Die sozialkritische Struktur verläuft nicht wie bei den anderen beiden in einer Entwicklung, sondern erscheint nur partiell und hintergründig. Der neue Zeitgeist und sein Einfluss auf den Lehrer („Ich lasse den Satz so stehen, denn was einer im Radio redet, darf kein Lehrer im Schulheft streichen.“ (S. 13)) und die Schüler („Sie pfeifen auf den Menschen! Sie wollen Maschinen sein, Schrauben, Räder, Kolben, Riemen- doch noch lieber als Maschinen wären sie Munition: Bomben, Schrapnells, Granaten.“ (S. 24)) wird eher in Nebensätzen beschrieben.

Im Gespräch mit dem Dorfpfarrer wird die Rolle der Kirche im Staat dargestellt („Und der Kirche, Herr Lehrer, ist leider nicht die Macht gegeben, zu bestimmen, wie ein Staat regiert werden soll. Es ist aber ihre Pflicht, immer auf Seiten des Staates zu stehen […]“ (S. 49)).

Weiterer Teil der sozialkritischen Struktur ist die Gesellschaftskritik, die unter anderem in der Beschreibung der Sozialstruktur der Jugend („Wenn ihr schon rauft, dann raufe einer gegen einen!“( S. 16)), der familiären Verhältnisse (von N (S. 17); von Z (S. 94); indirekt von Eva (S. 41f)) und der Frauen (wie Eva (s.o.)) und den Mädchen der anderen Schulklasse („Lauter mißleitete Töchter der Eva!“ (S. 40)) deutlich wird.

Der Lehrer stellt dabei den Knotenpunkt dieser Strukturen dar. Zuerst beobachtet er die Handlung und wird später zur handelnden Figur der detektivischen Struktur des Romans. Er reflektiert Ergebnisse und seine Beobachtungen, was ihn zurück zu Gott und in die religiöse Struktur führt. So wie er von einer passiven Beobachterrolle in eine aktive Rolle zurückfindet, findet er wieder in den Glauben hinein.

Die Geschehnisse werden dabei in „Ich“-Form geschildert, mit dem Lehrer als erlebende Person. Allerdings ist er zweigeteilt, in das erlebende und das reflektierende Ich, sozusagen die Protagonisten der oben beschriebenen Handlungs- und der Reflexionsebene.

In der ersten Hälfte des Romans wird die Handlung als etwas Zurückliegendes beschrieben, während die Reflexion gegenwärtig stattfindet. Daher stehen die Passagen der Handlungsebene im Präteritum, die der Reflexionsebene im Präsens. Im weiteren Verlauf verwendet Horváth jedoch vornehmlich das Präsens, was die Vergegenwärtigung des Geschehens und die Verschmelzung der Erzählstrukturen verdeutlicht.

Horváth orientiert sich stark an der Umgangssprache. Er benutzt viele ausdrucksschwache Wörter wie überflüssige Modal- und Hilfsverben, blasse Adjektive und Füllwörter wie halt, nun und nun mal. Dies verleiht den Aussagen sowohl Unbestimmtheit als auch Allgemeinheit.

Die Syntax ist oft unvollständig, was das Denken des Lehrers auf der Reflexionsebene hervorhebt. Dies wird durch Einwortsätze und Ellipsen unterstützt.

Horváth gebraucht Wendungen, die das jeweilige Umfeld einbeziehen. Dazu gehören Sinnbilder des Krieges im Ausbildungslager („Wir stehen alle im Feld. Doch wo ist die Front?“ (S. 35)), der Religion während der gesamten Handlung („Nicht nur Eva, auch Adam hat sich zu verantworten“ (S. 70)) und der Justiz während der Ermittlungen („Ich werde den Z begnadigen. Und auch das Mädel. Ich lasse mich nicht unschuldig verurteilen!“ (S. 71)).

Anmerkung: Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Jugend ohne Gott Suhrkamp, 1970, ISBN 3518365177.

Das Zeitalter der Fische

Die Bezeichnung „Das Zeitalter der Fische“ ist eine treffende Formulierung des ehemaligen Altphilologen Julius Cäsar für die Ära des nationalsozialistischen Regimes. Die Kinder werden zu teilnahmslosen Mitläufern erzogen, die ohne eigenständiges Denken propagandistische Formulierungen aus dem Radio übernehmen. Emotionslos und kalt erleben sie, was um sie herum geschieht, schwimmen aber nie aus dem schützenden Schwarm heraus, da sie sich nur von außen leiten lassen und sich nur Wenige über sich selber oder die momentane gesellschaftliche Situation Gedanken machen.

Der Lehrer

Der 34-jährige Lehrer ist zu Beginn des Romans ein Opportunist. Zwar ist er ein Feind des Regimes, ist jedoch nicht in der Lage, klar Stellung zu beziehen. Als Lehrer ist er dazu gezwungen, seinen Schülern das ihm Vorgeschriebene beizubringen. Passiven Widerstand leistend, schwimmt er jedoch im Strom des Nationalsozialismus mit, um sich seine Pension zu sichern.

Im Laufe des Geschehens entfernt er sich von seiner Rolle als passiver Zuschauer immer mehr. Er findet seinen Glauben an Gott und distanziert sich schließlich völlig von der Masse der gleichgeschalteten Nationalsozialisten, als er vor Gericht die Wahrheit sagt und zugibt, das Kästchen des Z aufgebrochen und damit unheilvolle Ereignisse in Gang gebracht zu haben. Mit dieser Aussage tritt er für das Recht ein und verhindert, dass weiteres Unrecht geschieht.

Als Folge seines Vorgehens wird er zwar vom Dienst suspendiert und damit zum Außenseiter in einer Kleinbürger- und Spießergesellschaft, findet aber seine eigene Identität und Wahrheit.

Die Bedeutung des Glaubens

Wie schon im Titel erkennbar, spielt Gott eine sehr wichtige Rolle in diesem Roman. Dennoch ist Jugend ohne Gott nicht unbedingt ein religiöses Buch. Gott steht hier für die Wahrheit und für das Gewissen des Einzelnen. Die Jugend wird als gottlos bezeichnet, weil sie ohne Gerechtigkeitsempfinden und Mut zur Wahrheit aufwächst. Die vorgegebenen Moral- und Wertevorstellungen sind nur hohle Phrasen eines auf das eigene Wohl bedachten Kleinbürgertums.

Auch der Lehrer hat im Ersten Weltkrieg – trotz streng gläubiger Eltern – seinen Glauben an Gott verloren. Die erlebten Schrecken haben ihn zum opportunistischen Mitläufer gemacht, der sein eigenes Wohl ins Zentrum seiner Bemühungen stellt. Damit hat er den Zugang zu seiner inneren Stimme und damit den Zugang zu Gott verloren. Das Gottesbild des Lehrers wandelt sich im Roman: Kommt er am Anfang als reine Floskel vor, wird er im weiteren Verlauf als furchteinflößend beschrieben: Als er den Pfarrer zu Hause besucht, sagt ihm dieser, dass er Gott für „das Schrecklichste auf der Welt“ hält. Als die Nachricht vom Tod des N den Lehrer erreicht, kommentiert er dies mit der Aussage, Gott sei gekommen, er habe ihn bereits erwartet. Hier steht Gott für das Bekanntwerden der Wahrheit. Kurz vor der Verhandlung, als er sich Zigaretten kaufen will, trifft der Lehrer ein altes Ehepaar im Laden und hört dort Gottes Stimme. Dadurch erlangt er die Stärke, im Prozess die Wahrheit zu sagen und damit seinem Gewissen zu folgen. Man könnte dies auch so deuten, dass sein Verantwortungsgefühl gegenüber Z und Eva bewirkt, dass sein Gewissen sich immer lauter regt: Er hört die Stimme seines Gewissens und beschließt, sich für die beiden einzusetzen. Nicht zuletzt ist sein Bekenntnis zur Wahrheit auch ein Aufbegehren gegen den Zeitgeist der Lüge, der bisher auch sein Leben bestimmt hat.

Der Mörder wird jedoch nicht identifiziert, da, obwohl auch Eva wahrheitsgemäß aussagt, ihr nicht geglaubt wird. In ihrer Aussage behauptet sie, dass sie zwar den N hätte töten wollen, aber ein anderer ihr den Stein weggenommen habe, mit dem N weggelaufen wäre und ihn dann später hinterrücks ermordet habe, sie den Täter aber nicht kenne. Der Richter schenkt ihr kein Vertrauen, weil sie sich als „Ausreißerin“ nicht regelkonform verhalten hat. Aus diesem Grund braucht er keinen Beweis, um sie zu verurteilen. Erst später begeht der wahre Täter „T“ Selbstmord, entweder aufgrund seiner Schuldgefühle oder weil er aufgrund seiner Eltern nie wirklich Liebe oder andere Gefühle erfahren hat, und jetzt mit so starken Gefühlen nicht umgehen kann und nur noch den Ausweg im Suizid sieht.

Gott und Wahrheit kontrastieren mit dem neuen Zeitgeist und der Lüge. Der Lehrer findet im Laufe des Buches von einem Standpunkt zwischen Gott und neuem Zeitgeist hin zu Gott und der Wahrheit. Er handelt am Ende nicht mehr nur, um seine Existenz zu sichern, sondern um Wahrheit und Gerechtigkeit gelten zu lassen. Damit handelt er endlich im Einklang mit seinem eigenen Gewissen, er hat Gott gefunden.

Zeitliche Einordnung

Jugend ohne Gott kritisiert die Zustände nach der Machtübernahme (in nationalsozialistischer Terminologie: „Machtergreifung“) Hitlers, des ‚Oberplebejers‘, wie Horváth ihn im Roman nennt. Da ist auf der einen Seite der Lehrer, ein Opportunist, der aus Angst davor, seinen Lebensunterhalt zu verlieren, nicht für seine moralischen Werte eintritt; auf der anderen Seite stehen die Kinder, die, ebenso wie ihre Eltern, die NS-Propaganda verinnerlichen, das eigenständige Denken aufgeben und sich von der Diktatur beherrschen lassen.

Es wird deutlich, dass die schulische Erziehung nur noch auf den bevorstehenden Krieg ausgerichtet war, nicht auf das Entwickeln selbständigen Denkens oder moralischer Werte.

„Jugend ohne Gott“ basiert auf Horváths Dramenfragment „Der Lenz ist da! Frühlingserwachen in unserer Zeit“, das vermutlich 1934 entstand. Dieses handelt vom Konflikt einer Jugendbande aus dem ländlich-bäuerlichen Milieu und einer städtischen Schulklasse. Die Leitmotive im Fragment finden sich auch im Roman wieder: ein militärisch-autoritärer Staat, sozialkritische Elemente und die Liebe. 1935 begann Horváth den Stoff zum Roman umzuarbeiten. Nachdem er das Konzept mehrfach verändert hatte, schrieb er 1937 den Roman in wenigen Wochen nieder. Da Horváth kurze Zeit selbst im Dritten Reich gelebt hat, dann aber gezwungen war zu emigrieren, stellt das Werk eine zeitgenössische Gesellschaftskritik dar. Vor allem die Motivik des Buches ist charakteristisch für Horváths Werk. Die Kritik am Faschismus und am Kleinbürgertum wird deutlicher denn je und die religiöse Thematik ist nicht nur im Titel stark ausgeprägt. Da Horváth vor allem Dramen geschrieben hat, wird in seinen wenigen Romanen wie „Jugend ohne Gott“ seine Nähe zum Theater durch viele innere Monologe, innere Dialoge, häufige Dialoge und zahlreiche Kapitel, die an Szenen erinnern, deutlich.

Rezeption

Der Roman erschien 1937 in Amsterdam, wurde gleich ein großer Erfolg und in acht andere Sprachen übersetzt. Auf Antrag der Gestapo wurde das Werk 1938 in die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ aufgenommen.

Hermann Hesse schrieb 1938 an seinen Bekannten, Alfred Kubin: „Ein kleines Buch empfehle ich Ihnen, eine Erzählung 'Jugend ohne Gott' von Horváth. Sie ist großartig und schneidet quer durch den moralischen Weltzustand von heute.“ [1]

Verfilmungen

  • Noch unmittelbar vor seinem Unfalltod am 1. Juni 1938 verhandelte Ödön von Horváth in Paris mit dem Regisseur Robert Siodmak über die Verfilmung seines Romans; nach dem Tod des Autors ließ Siodmak das Vorhaben fallen.
  • Verfilmung unter dem Titel "Nur der Freiheit gehört unser Leben", D 1969, Regie: Eberhard Itzenplitz, Drehbuch: Herbert Knopp
  • Verfilmung unter dem Titel "Wie ich ein Neger wurde", D 1971, Regie: Roland Gall
  • 1996 drehte die französische Regisseurin Catherine Corsini – frei nach Horváths Romanvorlage – den Fernsehfilm Jeunesse sans Dieu.[3]

Ausgaben

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott, Suhrkamp, Mainz, 1970, ISBN 3518365177, Einleitung (Seite 2)
  2. Jugend ohne Gott (1991)
  3. Jugend ohne Gott (1996)

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