Ostfälische Sprache

Ostfälische Sprache
Das Ostfälische (7) innerhalb des niederdeutschen Sprachraumes

Ostfälisch ist ein Großdialekt der Niedersächsischen Sprache (Plattdeutsch), der in Niedersachsen ungefähr südöstlich einer Linie Uelzen - Celle - Hannover - Stadthagen - Bückeburg (einschließlich dieser Städte), also in der südlichen Lüneburger Heide und im Raum Hannover, Hildesheim, Braunschweig und Göttingen sowie in Sachsen-Anhalt in der Magdeburger Börde und im nordöstlichen bzw. nördlichen Harz / Harzvorland gesprochen wird (bzw. wurde), somit in einem Großteil des historischen Ostfalen.

Im Gegensatz zum Nordniedersächsischen, das im Radio und Fernsehen noch häufiger vorkommt und das noch ein größeres zusammenhängendes Sprachgebiet besitzt, wird Ostfälisch nur noch von wenigen, meist älteren Menschen gesprochen, hauptsächlich im häuslichen Bereich und in Mundartgruppen.

Der Begriff Ostfälisch entstammt der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts, die sich erstmals nahezu flächendeckend mit den Dialekten in diesem Raum befasste und dabei die hier (ansatzweise) beschriebenen Gemeinsamkeiten und Eigenheiten feststellte. Da diese sich z.T. bis zu den (spärlichen) Schriftzeugnissen der altniederdeutschen Zeit zurückverfolgen lassen, wurde der seitdem untergegangene Name des östlichen Teils des ehemaligen altsächsischen Stammesherzogtums für diesen Zweck reaktiviert. — Auch wenn dieser Name seit dem Ende des 20. Jahrhunderts auch in anderen Zusammenhängen Verwendung findet (z.B. Deuregio Ostfalen [1]), hat er im täglichen Leben der Region höchstens marginale Bedeutung. Das gleiche gilt für den davon abgeleiteten Namen des Dialekts: die wenigen aktiven Sprecher reden / kȫr’n Platt, zur Unterscheidung von anderen Varianten dienen Umschreibungen wie unser / ūsĕ und euer / jūĕ Platt, da auch die alten Gau- und Landschaftsnamen kaum noch gebräuchlich sind (abgesehen von Namen wie Papenteich / Popp’ndīk, die bei der Schaffung der Einheitsgemeinden ab 1974 verwandt wurden).

Der Ostfale sagt mik und dik, der Nordniedersachse mi und di (jeweils für hochdeutsch mir und mich bzw. dir und dich). Im Braunschweiger Land , sowie im Hildesheimer Land und anderen Regionen werden außerdem st und sp nicht wie scht und schp gesprochen. Dort "s-tolpern de Lüe ower’n s-pitz’n S-tein", jenseits der Grenze des Halberstädtischen Richtung Magdeburg "schtolpern de Lüe ower’n schpitzen Schtein". Es gibt im Ostfälischen Wörter wie "drieschakeln" (triezen, ärgern), "täuwen/täuw'n" (warten) oder "hille" (eilig).

Die ostfälische Sprache ist für die meisten Menschen aus anderen (Bundes-)Ländern schwer zu verstehen, da sie zum einen durch viele ungewöhnliche Wörter gekennzeichnet ist, diese für jede Region (s.u.) unterschiedlich sind und die Aussprache sich zum Teil von Dorf zu Dorf verändert. So gibt es für die Vokabel "aber" mindestens drei Varianten im Ostfälischen: "aver", "åver" und "obber". Aufgrund dieser Verschiedenheit lässt sich der Dialekt auch nicht einfach verschriftlichen.

Der Wortschatz des Ostfälischen wird beschrieben im Niedersächsischen und im Mittelelbischen Wörterbuch.

Inhaltsverzeichnis

Regionale Varianten

Sprachliche Kennzeichen

Die erwähnten Personalpronomina mik und dik (gegenüber nordniedersächsisch mi und di, nedersaksisch, ostfriesisch je) sind nur Beispiele, da dieser Unterschied auch für die Formen ȫn(ĕ), üsch und jük gilt (nordnieders. em, u[n]s, jo [ju], hochdt. ihm/ihn, uns, euch). Das Ostfälische stimmt zwar mit allen niederdeutschen Dialekten (mit Ausnahme des südlichen Westfälischen) darin überein, das in den genannten Formen der Dativ mit dem Akkusativ zusammengefallen ist (im Hochdeutschen nur im Plural, weitere Einzelheiten/Sprachen hier → Personalpronomina der germanischen Sprachen), seine Besonderheit zeigt sich aber darin, dass sich bei allen diesen Formen der Akkusativ gegenüber dem Dativ durchgesetzt hat (im Nordniedersächsischen ist es genau umgekehrt). Einzig im Ostfälischen hat sich mit der Form üsch ein Akkusativ der 1. Person Plural bei einer westgermanischen Sprache erhalten (vergl. althochdt. unsih, altengl. ūsic [neben ūs])

Ein weiteres Merkmal des Ostfälischen ist die resthafte Erhaltung der Vorsilbe ge- als ĕ- beim Partizip II (Partizip Perfekt) der Verben; da diese Vorsilbe auch im Heideostfälischen verloren gegangen ist, steht z.B. bei Celle dessen wǟn ‚gewesen‘ südlichem ĕwǟ(s’)n [əˈvɛː(z)n̩] gegenüber.

Ein auffälliger Unterschied zwischen dem Ostfälischen und allen anderen niederdeutschen Dialekten ist das Ausbleiben (bzw. Rückgängigmachen) der Tondehnung in offener Silbe vor ‹-el, -en, er› in der Folgesilbe, z.B. ostfälisch Löpp’l [ˈlœpl̩], bett’n [ˈbɛtn̩], Peppă [ˈpɛpɐ] (‚Löffel, bisschen, Pfeffer‘) gegenüber nordniedersächsisch Läpel [ˈlɛːpl̩], bäten [ˈbɛːtn̩], Päper [ˈpɛːpɐ].

Charakteristisch für das Ostfälische (besonders im Vergleich zu anderen niederdeutschen Dialekten) ist der Lautwandel von [aɪ̯] zu [aː], insbesondere im mittleren und südlichen Teil des ostfälischen Dialektraums. Diese Entwicklung ist bis heute nicht abgeschlossen, erfasst immer mehr Worte und greift auch auf die lokale hochdeutsche Umgangssprache über, spottend herausgestellt mit Sprüchen wie "mit baad’n Baan’n in den Hildeshaama Wassa-aama" ‚mit beiden Beinen in den Hildesheimer Wassereimer‘ (ostfälisch: mē bā’n Bān’n in’n Hilmssă Wåtă-ammă). — Zusammen mit dem ebenfalls schon für die 1920er Jahre von Theodor Lessing in Hannover konstatierten Aussprache des hochdeutschen [aː] als /äö/ (Buchtitel JäöLiteratur; Merksatz: Konraad, sprich ein klaares Aa! – Jäö, Vadda, jäö!), dem "s-tolpan üba’n s-pitz'n S-taan" und der Aussprache des /r/ vor stimmlosen Plosiven als [x] (is doch gochkaan Themäö – ¸ist doch gar kein Thema‘) wird daraus ein neuer Dialekt auf hochdeutscher Grundlage stilisiert, obwohl es sich bestenfalls um Missingsch handelt, das in der alltäglichen Konversation Hannovers höchstens (noch) ein Nischendasein fristet (vergl. Braunschweigisch).

Zu den oben erwähnten "ungewöhnliche Wörtern" des Ostfälischen gehören Ǖtschĕ (‚Frosch‘, nordnieders. Pogg), Kempĕ (‚Eber‘, nordnieders. Äver, Ever) und Hāilĕbårt/Hallĕbot (‚Storch‘, nordnieders. Aadboor etc.). Es gibt aber auch auffällige Gleichungen (ererbte Gemeinsamkeiten) mit dem Englischen und/oder Norwegischen: Snåkĕ (‚Ringelnatter‘) – norweg. snok, engl. snake, Dråkĕ (‚Enterich‘) – engl. drake, Schårĕ (‚Elster‘) – norweg. skjor (Bokmål: skjære), Mul [mʊl] (‚Maulwurf‘) – engl. mole.

Auch beim Ausgleich der Altniederdeutschen Lautoppositionen, insbesondere bei der Reduzierung der in offener Silbe unterschiedenen Vokale, bezieht das Ostfälische eine eigene Position, indem es zwar stärker vereinfacht als das Westfälische (das in seinen südlichen Dialekten keine Reduktion kennt), aber nicht so weit geht wie der Kernbereich des Nordniedersächsischen (wo von ursprünglich 8 Vokalphonemen nur noch 3 geblieben sind). Trotz der Verschiedenheit der Laute im Einzelnen haben die meisten ostfälischen Dialekte also ein gemeinsames Lautsystem. (In diesem Falle bleibt neben dem Heideostfälischen auch das Göttingisch-Grubenhagensche – das sich hierin zum ostwestfälischen stellt – außenvor).

Weblinks

  • DAT OSTFÄLSCHE PLATTDUITSCH (Grammatik des südlichen Calenbergischen) – Ne Website von Christian Reineke [3]
  • OSTFALENPOST – Informationsblatt des Arbeitskreises Ostfälisches Platt e.V. [4]
  • Ostfälische Bibliothek − sehr umfangreiche Literaturliste
  • Vaterunser auf Ostfälisch (von Friedrich Wille) [5]

Wörterbücher

  • Christian Flemes: Das kleine Buch der hannoverschen Mundart. Sprüche und Redensarten in Calenberg-Stadthannoverscher Mundart mit Wörterbuch (Herausgeber: Wilhelm Netzel), Hannover 2005 (ISBN 3-923976-47-X)
  • Jürgen Hodemacher, Friedrich Binroth, Günter Bendt: Wie hait dat woll in Platt? ∙ Kleines Wörterbuch für ostfälisch Platt (ISBN 3-980021-98-X)
  • Albert Hansen: Holzland-Ostfälisches Wörterbuch. Besonders der Mundarten von Eilsleben und Klein Wanzleben, Ummendorf 1994
  • Heinrich Heike-Cramm: Auswahl aus dem Wortschatz der plattdeutschen Sprache Groß Gleidingens und Umgebung, Braunschweig 1970
  • Otto Rohkamm: Nordharzer Wörterbuch. Plattdeutsch. Auf der Grundlage der Mundart von Harzburg und der oberen Oker, Peine 2004 (ISBN 3-926560-47-9)
  • Hans-Friedrich Rosenfeld: Wernigeroder Wörterbuch, Neumünster 1975 (ISBN 3-352-94612-4)
  • Wilhelm Schrader: Plattdeutsches Wörterbuch für Helmstedt und Umgebung. Auf der Grundlage der Mundart von Emmerstedt,
    • Teil I: Hochdeutsch-Plattdeutsch, Peine ²1999 (ISBN 3-926560-38-X)
    • Teil II: Plattdeutsch-Hochdeutsch, Peine 2000 (ISBN 3-926560-31-2)
  • Heinrich Sievers und Heinrich Keese (Herausgeber: Werner Sührig): Ostfälisches Platt im Hildesheimer Land (Wörterbuch, Sprachlehre und Grammatik), Hildesheim 2002 (ISBN 3-487-11594-8)
  • Hans J. Toll: Das kleine Hannoversche Wörterbuch (Herausgeber: Wolfgang Risse), Hannover 2001 (ISBN 3-923976-36-4)
  • Franz Wrede: Plattdeutsches Wörterbuch des Kirchspiels Sievershausen, Kreis Burgdorf i. Hannover. Ein Beitrag zur Mundart der Südheide, Celle 1960
  • Wrede - Schierer - Gold: Hochdeutsch-Plattdeutsches Wörterbuch (Ostfälisch), Peine 1995 (ISBN 3-926560-32-0) (Basiert auf Franz Wredes Wörterbuch von 1960)

Literatur

  • Rolf Ahlers:
    • Sprechlehre und Schreiblehre für ostfälisches Plattdeutsch – Gedanken und Hinweise zum Sprechen und Schreiben, Wendeburg 2001 (ISBN 3-932030-13-3)
    • Un mit'n Mal was Kaffeetied - Plattdeutsche Dorfgeschichten, Wendeburg 2002 (ISBN 3-932030-21-4)
  • Edvin Brugge: Vokalismus der Mundart von Emmerstedt · Mit Beiträgen zur Dialektgeographie des östlichen Ostfalen, Lund (Schweden) 1944
  • Werner Flechsig: Ostfälische Sprichwörter. Volksweisheit und Volkshumor aus fünf Jahrhunderten zusammengestellt aus gedruckten und ungedruckten Quellen (Erstausgabe Braunschweig 1974)
  • Theodore le Singe (alias Theodor Lessing): Jäö oder wie ein Franzose auszog um in Hannover das „raanste“ Deutsch zu lernen. Friedrich Gersbach Verlag, Hannover 1919. Neu: Schmorl & von Seefeld, Hannover 2002. (ISBN 3-936836-05-1)
  • Wilhelm Pape (Herausgeber: Jürgen Pape): Vertell doch mol en betten Platt – Plattdeutsche Geschichten und Erinnerungen, 3. Auflage, Braunschweig 1981
  • Jürgen Schierer (Herausgeber): Twischen Bronswiek un Hannower. Plattdeutsches von Gestern und Heute [Sammelband mit Beiträgen verschiedener Autoren], Peine 1982 (ISBN 3-923500-02-5)
  • Jürgen Schierer (Herausgeber): weitere Sammelbände wie der obige, jeweils um die 400 Seiten:
  • Jürgen Schierer (Herausgeber): Wat de Lüe sik vertellt – Plattdeutsches aus dem Raum Peine, Peine 1978
  • Martin Selber (1924-2006): Stippsteereken in ostfälischer Mundart aus der Magdeburger Börde:
    • Mien Dorpspaijel. - Plattdeutsche Mundartgeschichten, Wanzleben 1981.
    • Ick bin Mieneken Musekeddel. - Plattdeutsche Mundartgeschichten, Zentralhaus-Verlag, Leipzig 1988
    • Ick un mien Bartchen. - Plattdeutsche Mundartgeschichten, Dr. Ziethen Verlag Oschersleben
    • Justel vorrtellt. - Plattdeutsche Mundartgeschichten, Dr. Ziethen Verlag Oschersleben
    • Schaulstunne bi Kanter Bosse. - Schulgeschichten aus der Magdeburger Börde im ostfälischem Platt, Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben 1994 (ISBN 3-932090-17-9)
    • Dat bist Du, mien Bördeland: Lehrreiches und Unterhaltsames zur Bördegeschichte, 1999 (ISBN 3-932090-60-8)
  • Erika Stegemann:
    • Bi üsch up′n Dorpe – Plattdeutsche Geschichten, 2. Auflage, Großmoor 1998
    • Mehr von üsch ut′n Dorpe – Plattdeutsche Geschichten, Großmoor 1999
  • Heinrich Vollmer (Herausgeber: Jürgen Schierer): Mek is noch sinnlich – Dat Lewen uppen platten Lanne (Hohenhameln-Soßmar, Kreis Peine), Lahstedt-Münstedt 1981
  • Friedrich Wille: De plattduitsche Baibel – et Aule Testament, de Laten Boiker, et Naie Testament – eine Familien- und Heimatbibel – oversettet von Friedrich Wille, Einbeck 1997

Quellen

  1. Deuregio Ostfalen e.V. (Helmstedt) [1]
  2. Die Mundarten des Harzes und des Harzvorlandes − mit Dialektkarte und Textproben
  3. Mundartprobe aus Riefensbeek (DSA-Archiv) [2]
  4. Kurzgeschichte in Hildesheimer Platt (pdf): Runas Gebiuert - Möine Swester kummt uppe Welt
  5. Die Mundarten des Harzes und des Harzvorlandes

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