Reichsvizekanzler

Reichsvizekanzler

Das Wort Kanzler (aus lateinisch cancellarius) bezeichnete im Mittelalter einen Hofgeistlichen, der in einer Kanzlei (von lat. cancelli, „Gitter, Schranken“), einem abgetrennten Raum, Urkunden ausfertigte.

Inhaltsverzeichnis

Kanzler (Staatswesen)

Heiliges Römisches Reich und Deutscher Bund

Seit Ludwig dem Deutschen stand an der Spitze der königlichen Hofkapelle (Amt) der Erzkaplan, der wegen der Kanzleifunktion der Hofkapelle bald Erzkanzler genannt wurde. Ab 870 bekleidete dieses Amt der Erzbischof von Mainz. Das Amt des Erzkanzlers gehörte zu den Erzämtern des Heiligen Römischen Reiches und wurde bis 1806 vom Kurfürst-Erzbischof von Mainz ausgeübt. Entsprechend übernahmen die Kurfürst-Erzbischöfe von Köln und Trier die Kanzler-Ämter für die mit dem Reich verbundenen Königreiche Italien (Lombardei) beziehungsweise Burgund.

Faktischer Leiter der Reichskanzlei war der Reichsvizekanzler, der vom Erzkanzler mit Zustimmung des Kaisers ernannt wurde. 1620 wurde die österreichische Abteilung der Reichskanzlei als Österreichische Hofkanzlei herausgelöst, welcher der Österreichische Hofkanzler vorstand. In Folge wurden immer mehr Agenden, auch die Außenpolitik und Diplomatie des Reichs betreffend, in der Österreichischen Hofkanzlei angesiedelt, der Einfluss der Reichskanzlei wurde Schritt für Schritt zurückgedrängt und sie bearbeitete nur mehr innere Angelegenheiten des sogenannten engeren Reichs (ohne die habsburgischen Erbländer). Die Österreichische Hofkanzlei entwickelte sich zum Kern der österreichischen Staatlichkeit und des kaiserlichen Behördenwesens, sie blieb dem Einfluss der Reichsstände und der Stände der österreichischen Länder völlig entzogen.[1] Ein bekannter Hofkanzler war z.B. Wenzel Anton Kaunitz.

Auch nach dem Ende des Heiligen Römischen Reichs wurde in den größten Teilstaaten des Deutschen Bundes Österreich und Preußen der Kanzlertitel geführt. So fungierte in Österreich der Fürst Metternich im 19. Jahrhundert lange als „Staatskanzler“, der Graf Beust 1868–1871 sogar als „Reichskanzler“. In Preußen amtierte ähnlich um 1820 Fürst Hardenberg als „Preußischer Staatskanzler“.

Deutschland

Deutsches Reich

Es dürfte die oben beschriebene Tradition der Staatskanzlerschaft gewesen sein, die Ministerpräsidenten Otto von Bismarck veranlasste, in seiner zusätzlichen Funktion als Regierungschef des Norddeutschen Bundes 1867–1871 den Titel Bundeskanzler anzunehmen, der nach der Reichsgründung von 1871 in Reichskanzler abgeändert wurde. Bismarck wurde später auch als „der eiserne Kanzler“ bezeichnet. Der „Reichskanzler“-Titel bezeichnete bis 1945 unter verschiedenen politischen Verfassungen den Regierungschef des Deutschen Reiches – zuletzt unter der NS-Diktatur Adolf Hitlers als „Führer und Reichskanzler“ (siehe auch Präsidialkanzler).

„Reichskanzler“ war die fortlaufende Amtsbezeichnung des Regierungschefs des Deutschen Reiches von 1871 bis 1945. In dieser Rolle stand er dem Kabinett – von 1871 bis 1918 der sogenannten Reichsleitung, von 1919 bis 1945 der Reichsregierung – vor.

Bis 1918 wurde der Kanzler vom Deutschen Kaiser ernannt, unterstand diesem direkt und war von dessen Vertrauen abhängig. Fast immer war der Reichskanzler auch preußischer Ministerpräsident.

In der Weimarer Republik (1918-1933) wurde der Reichskanzler vom Reichspräsidenten ernannt und war sowohl vom Vertrauen des Reichstags (Entlassung, wenn der Reichstag mit einfacher Mehrheit die Entlassung fordert) als auch des Reichspräsidenten (jederzeitige Entlassung möglich, aber nur einmal aus demselben Grund) abhängig. Nach dem Tod des Reichspräsidenten 1934 bestand das Amt formal weiter; allerdings wurde die von der Verfassung vorgesehene Kontrolle des Reichskanzlers durch den Reichspräsidenten dahingehend außer Kraft gesetzt, dass nach dem Tode Hindenburgs keine Wahl abgehalten wurde sondern das Amt des „Führers und Reichskanzlers“ an die Stelle des Reichspräsidenten trat. Parlamentarisch war die Stellung des Reichskanzlers dahingehend gefestigt, dass die NSDAP seit der Reichstagswahl von 1932 mit den bürgerlichen Parteien und nach Ausschaltung der KPD und Teilen der SPD auch alleine, eine absolute Mehrheit hatte.

Bundesrepublik Deutschland

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt der Vorsitzende der Bundesregierung in Deutschland den Titel Bundeskanzler. Dieser Titel drückt aus, dass der Regierungschef nicht etwa der Souverän ist, sondern nur im Auftrag der Legislative, gewissermaßen als Gehilfe, das Land verwaltet. Er wird vom Bundestag gewählt, bedarf also einer absoluten Mehrheit.

In ähnlicher Verwaltungstradition steht die vielfach übliche Bezeichnung der den Ministerpräsidenten deutscher Bundesländer beigeordneten obersten Landesbehörde als Staatskanzlei oder Senatskanzlei. Jedoch gibt es keinen Staatskanzler oder Senatskanzler. Der Regierungschef eines Landes führt die Bezeichnung Ministerpräsident, Regierender Bürgermeister von Berlin, Senatspräsident (Bremen) oder Erster Bürgermeister (Hamburg). Der Leiter der Staats- bzw. Senatskanzlei führt die Bezeichnung Chef der Staatskanzlei bzw. Chef der Senatskanzlei (jeweils CdS abgekürzt). In Baden-Württemberg dagegen ist die Behörde des Ministerpräsidenten das Staatsministerium wobei es zusätzlich aber auch noch einen Staatsminister bzw. einen Minister des Staatsministeriums gibt.

Österreich

Bereits 1526/27 wurde von Ferdinand I. die Österreichische Hofkanzlei gegründet, jedoch 1559 mit der Reichskanzlei des Heiligen Römischen Reichs vereinigt. 1620 erneut als selbständige Behörde etabliert, entwickelte sie sich wie oben beschrieben zum Kern der österreichischen Staatlichkeit.

Von 1920 bis 1938 und erneut ab 1945 trägt der Regierungschef der Republik Österreich den Titel Bundeskanzler. Von 1918 bis 1920 sowie von Mai bis Dezember 1945 war die Bezeichnung Staatskanzler.

Schweiz

Der Bundeskanzler bekleidet in der Schweiz nur das Amt des Leiters der Bundeskanzlei, nicht aber des Regierungschefs. Die Bundeskanzlei ist die Stabsstelle des Bundesrates, der Schweizer Bundesregierung.

Großbritannien

Der britische Finanzminister wird im deutschen Sprachraum auch als Schatzkanzler (englisch: Chancellor of the Exchequer) bezeichnet. Der britische Justizminister trägt den Titel Lordkanzler (Lord Chancellor); er war, bis zu seiner Ablösung durch den Lord Speaker, auch Präsident des House of Lords.


Siehe auch: Bundeskanzler (Österreich), Staatskanzler (Österreich), Bundeskanzler (Deutschland), Bundeskanzler (Schweiz)

Kanzler (Hochschule)

An einer deutschen Hochschule ist der Kanzler Leiter der Verwaltung. Er ist Dienstvorgesetzter des nichtwissenschaftlichen bzw. nichtkünstlerischen Personals und zuständig für den Haushalt, die Liegenschaften sowie für Rechts- und sonstige Verwaltungsaufgaben. Die Besoldung für dieses Amt hängt von der Größe der Hochschule ab, vor Einführung der W-Besoldung auch für diese Ämter in vielen Bundesländern lag die Vergütung zwischen A15 und B5.

Der Chancellor an Hochschulen in den USA, dem Vereinigten Königreich und den meisten Ländern des Commonwealth of Nations ist der formelle Vorsteher der Einrichtung, nimmt aber in der Regel nur eine repräsentative Funktion ein (Ehrenrektor). Der Titel des Chancellor wird oft an prominente Persönlichkeiten vergeben, z. B. ist Prinz Philip Chancellor der Universität Cambridge. An der Universität Durham gebührt dieses Amt dem jeweiligen Bischof von Durham, der zugleich Oberste Aufsichtsbehörde ist (Visitor), als Rechtsnachfolger des Gründers. Der Rektor der Hochschule im deutschen Sinne ist dahingegen der Vice-Chancellor. Der Kanzler der Hochschule im deutschen Sinne ist der Registrar (Universität Cambridge: Registrary).

Historisch ist der Kanzler der Vertreter des Kaisers oder des Papstes, der die Universität gestiftet hat oder ihre Errichtung genehmigt hat. Später dann auch der Vertreter des Landesherren bzw. der Staatsregierung. Ein ebensolcher Hintergrund ist für die Bezeichnung Chancellor an britischen Universitäten ursächlich, wobei diese Amtsträger (Bischöfe) bald Vice-Chancellors ernannten, welche die eigentlichen Aufgaben wahrnahmen. Verwaltungsleiter war stets der 'Herr der Akten', die damals auch 'Register' genannt wurden, daher die heutige Bezeichnung für den dortigen Verwaltungsleiter. An kirchlichen Hochschulen in Deutschland ist der Großkanzler (lat. Magnus Cancellarius) heute der oberste Repräsentant und unmittelbarer Ansprechpartner des Papstes bzw. der Kongregation für das Katholische Bildungswesen. Dies ist an diözesanen Einrichtungen der Ortsbischof, an päpstlichen Einrichtungen ist dies unterschiedlich: So ist der Generalobere des Jesuitenordens an der ordenseigenen Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom lediglich der Vizegroßkanzler, während das Amt des Großkanzlers vom Kardinalpräfekten der Kongregation für das Katholische Bildungswesen bekleidet wird. An der ebenfalls römischen Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz des Opus Dei ist hingegen der Prälat des Opus Dei Großkanzler und sein Generalvikar Vizegroßkanzler.

Kanzler (Diplomatischer Dienst)

Amtsbezeichnung in Deutschland

In Deutschland ist in den Besoldungsgruppen A 11 bis A 13 für Beamte im gehobenen auswärtigen Dienst die Amtsbezeichnung „Kanzler“ mit A 11 und „Kanzler Erster Klasse“ mit A 12 und A 13 verbunden. Kanzler leiten die Verwaltung einer Auslandsvertretung.

Spanien

Auch in Spanien gibt es einen Kanzler (Canciller) als Leiter von Auslandsvertretungen. In anderen spanischsprachigen Ländern ist der „canciller“ der Außenminister.

Kanzler (Leiter einer Kanzlei)

Allgemein kann unter Kanzler auch jeder Leiter einer Kanzlei, also einer Verwaltung, verstanden werden. Den Leiter der städtischen Kanzlei nannte man im Mittelalter und in der frühen Neuzeit zumeist Stadtschreiber.

Quellen

  1. Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter Teil 1. In: Herwig Wolfram (Hg.), Österreichische Geschichte 1522 - 1699. (Wien 2004), S. 394ff, ISBN 3-8000-3528-6

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