Ressourcenfluch

Ressourcenfluch

Mit dem Begriff Ressourcenfluch (englisch: resource curse) werden die verschiedenen negativen Folgen bezeichnet, die der Reichtum an natürlichen Ressourcen für ein Land und seine Bevölkerung haben kann, besonders das scheinbare Paradoxon, dass das Wirtschaftswachstum in Ländern, die viele mineralische und fossile Rohstoffe exportieren, in der Regel geringer ist als in rohstoffarmen Ländern. Der „Fluch“ sei dabei durch das Fehlverhalten der betreffenden Marktteilnehmer begründet. Daneben wird die Wirtschaft in Ländern mit Bürgerkriegen, hoher Korruption und bewaffneten Konflikten auf die lokalen Rohstoffe reduziert, was deren Rolle besonders hervorhebt.

Inhaltsverzeichnis

Die These

Lange wurde angenommen, dass Reichtum an natürlichen Ressourcen, insbesondere Erdöl, grundsätzlich ein Segen für ein Land sei und Entwicklung und Wohlstand garantiere. In den 1980er Jahren tauchte die Vorstellung auf, dass es sich hierbei eher um einen „Fluch“ handle. Zahlreiche Untersuchungen, wie die namhaften Arbeiten von Jeffrey Sachs und Andrew Warner, zeigten eine Verbindung zwischen Rohstoffreichtum und geringem Wirtschaftswachstum.[1] Der Begriff Ressourcenfluch wurde jedoch erst 1993 von Richard Auty geprägt, um zu beschreiben, warum rohstoffreiche Länder, wider Erwarten, oft nicht in der Lage sind, ihren Reichtum für einen wirtschaftlichen Aufschwung zu nutzen.[2]

Negative Folgen

Die „Holländische Krankheit“

Hauptartikel: Holländische Krankheit

Bei der Holländischen Krankheit handelt es sich um ein wirtschaftliches Phänomen, bei dem Einkünfte aus Rohstoffexporten den realen Wechselkurs der Landeswährung erhöhen. Hierdurch verliert das verarbeitende Gewerbe seine Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt, was bis zur Deindustrialisierung eines Landes führen kann. Die Abhängigkeit der Volkswirtschaft vom Rohstoffexport nimmt hingegen in einem Teufelskreis immer weiter zu. Die Wirtschaft wird außergewöhnlich anfällig für Preisschwankungen bei Rohstoffen, wobei die Produktivitätszunahme im Rohstoffexport meist geringer ist als in der Verarbeitung.

Übermäßige Verschuldung

Wenn der reale Wechselkurs steigt, sei es durch Kapitalzufluss (Kapitalimport) oder durch die Holländische Krankheit, dann werden die Zinsen für Schulden billiger. Dadurch werden die Regierungen ermutigt, Schulden anzuhäufen, selbst wenn sie gleichzeitig über Einkünfte aus dem Rohstoffexport verfügen. Hierbei erwarten sie in der Regel noch größere Einkünfte in der Zukunft, zum Beispiel durch eine Erhöhung von Ölförderquoten. Wenn die Ölpreise fallen und der reale Wechselkurs sinkt, verfügt die Regierung jedoch nicht mehr über ausreichend Geld, um die nun verhältnismäßig teuren Schulden zu begleichen.

Rohstoffreiche Länder versuchen dieser Tendenz durch die Anlage von Fonds zu entgegnen und die Rohstoffeinnahmen durch langfristige Investitionen im Ausland weniger wechselkursanfällig zu gestalten. Vorbild für viele derartige Staatsfonds war der Alaska Permanent Fund, der 1976 durch Volksentscheid eingeführt wurde. Der größte Fonds dieser Art, der Abu Dhabi Investment Authority, wurde ebenfalls 1976 gegründet. Der Statens pensjonsfond Norwegens ist nach diesem Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emirate der zweitgrößte Fonds dieser Art, obwohl Norwegen nur auf Platz 13 der Erdölförderländer steht.

Diktatur und Korruption

Zahlreiche rohstoffreiche Länder werden von autoritären oder diktatorischen und korrupten Regierungen gelenkt. Dies liegt zum Teil daran, dass der rohstoffreiche Sektor oft große Konzerne anzieht, von denen die Regierungen umfangreiche Bestechungen erhalten oder sie die Einnahmen aus dem Rohstoffexport nutzen können, um ihren Machterhalt zu finanzieren.[3] Beispiele für diese Entwicklung sind etwa Saudi-Arabien (größte Erdölvorkommen der Welt), der Tschad (Erdöl), Nigeria (Erdöl) und Myanmar/Burma (Erdgas). Angesichts der zeitweilig hohen Profitabilität der begrenzten natürlichen Ressourcen neigen die Machthaber zur Vernachlässigung der wirtschaftlichen Vielfalt.

Wenn Rohstoffausbeutung und -export nur einer schmalen Elite zugute kommen, trägt der Ressourcenreichtum weniger zur Steigerung des allgemeinen Wohlstands bei. In rohstoffreichen Entwicklungsländern herrscht eine besonders große Kluft zwischen Arm und Reich.

Am Beispiel Venezuelas wird nach Michael Penfold die Wechselwirkung von Öleinnahmen und mehr oder minder stabilen politischen Institutionen deutlich. Der Wechsel von einer ehemaligen Militärregierung zu einer stabilen Demokratie in den 1950ern und politischem Chaos bis zu einer autoritären Regimewechsel danach ist nicht mit den Öleinnahmen allein zu erklären sondern hat wesentlich mit politischem Handeln zu tun.

Politische Instabilität und bewaffnete Konflikte

Diamantenschürfen in Sierra Leone

Rohstoffreiche Entwicklungsländer sind oftmals politisch instabil oder gar von bewaffneten Konflikten betroffen. Beispiele waren die Bürgerkriege in Sierra Leone und Liberia (Westafrika), in denen es um die ergiebigen Diamantenfelder (sowie im Liberianischen Bürgerkrieg auch um Edelhölzer) ging, die Irakkriege, der jahrzehntelange Bürgerkrieg in Angola (den die Rebellen der UNITA mit Diamanten finanzierten) und der Kongokrieg, der von verschiedenen Rebellengruppen und Nachbarländern um die Erdöl-, Diamanten-, Gold- und Coltanvorkommen der Demokratischen Republik Kongo geführt wurde.[4] Nach dem Ende des Krieges im Kongo wurden die Minengesellschaften anschließend unter intransparenten Bedingungen zu geringen Preisen an westliche und chinesische Investoren privatisiert. Verschiedene Konflikte, z.B. im Sudan (Sezessionskrieg im Südsudan, Konflikt in Ostsudan), werden oft auf religiöse und ethnische Spannungen zurückgeführt, doch spielt in ihnen auch die Verteilung der Gewinne aus dem Erdölexport eine wichtige Rolle. Daneben spielen Einnahmen aus Rohstoffen (vgl. Blutdiamanten) auch eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von Waffen für lokale Bürgerkriege.

Vernachlässigung von Bildung und Gesundheit

Ein weiterer möglicher Effekt des Ressourcenfluchs ist die Vernachlässigung von Bildung oder Gesundheitssystemen.[5] Länder, die sich auf den Rohstoffexport verlassen, könnten die Ausbildung ihrer Bevölkerung vernachlässigen, da sie im Augenblick keinen Bedarf dafür sehen. Im Gegensatz dazu haben rohstoffarme Volkswirtschaften, wie zum Beispiel die so genannten „Tigerstaaten“, gewaltige Anstrengungen im Bildungswesen unternommen, was zu ihrem wirtschaftlichen Erfolg mit beigetragen hat. Andere Forscher hingegen widersprechen dieser Schlussfolgerung. Sie argumentieren, dass natürliche Ressourcen leicht zu besteuernde Renditen abwerfen, welche ebenso gut zu erhöhten Ausgaben für die Bildung führen könnten.[6]

Umweltzerstörung und Armut

Siehe auch: Umweltgerechtigkeit

Eine weitere Folge der Förderung der Rohstoffe ist unausweichlich eine gewisse Umweltzerstörung. Abhängig vom lokalen Bewusstsein für die Umwelt, der lokalen Umweltvorschriften und der mehr oder minder konsequenten Durchsetzung kann der Grad dieser Umweltfolgen allerdings stark unterschiedlich ausfallen. Betroffen sind sowohl die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen als auch die Natur mit Tieren und Pflanzen, sowie nicht zuletzt die Landschaft selbst. In Ländern, in denen die Bevölkerung in ihren Bedürfnissen gegen die herrschenden Mächte von Regierung und Wirtschaft wenig Durchsetzungsvermögen hat bzw. unterdrückt wird, also vor allem in Entwicklungsländern aber auch in weiter entwickelten Ländern mit überwiegender Orientierung an den Interessen der Industrieunternehmen sowie in Regionen, in denen die Korruption stark vertreten ist, fallen diese Umweltfolgen oftmals sehr drastisch aus.

Diese Umweltfolgen hängen stark vom jeweiligen Rohstoff ab und sind je nach Art sehr vielfältig. Von der Vergiftung von Flüssen, und damit Trinkwasser, über die Verseuchung von Ackerböden, die Belastung der Luft durch Schadstoffe, die Entwaldung ganzer Landstriche mit allen daran hängenden Folgen, einschließlich die der Erosion, bis hin zur Störung oder gar Umformung von sensiblen Ökosystemen sind die Folgen mannigfaltig. Korruption ist dabei ein wichtiger Verstärker für mögliche Umweltfolgen. Berüchtigt ist beispielsweise die Verseuchung der Umwelt im nigerianischen Nigerdelta durch die Erdölförderung.[4] Im Amazonasbecken, insbesondere in Ecuador, führt die Erdölförderung zur Zerstörung des Regenwaldes und der Lebensgrundlagen der indigenen Völker. Auch für Goldminen wie die Yanacocha-Mine in Peru oder die Ahafo-Mine in Ghana ist oft die Zwangsumsiedlung Tausender erforderlich. In vielen Fällen erhalten die Umgesiedelten keine adäquate Entschädigung für ihr Land, so dass sich ihre Armut vergrößert.

Alternativerklärung

Eine andere Erklärung kehrt die Ursache und Folgewirkung um – Korruption, Konflikte und Bürgerkriege reduzierten die lokale Wirtschaft auf Abbau und Export seltener natürliche Ressourcen, nicht umgekehrt. Der Ressourcenreichtum vieler Industrieländer hindert nicht deren wirtschaftlichen Erfolg.[7]

Empirie zur These

Zahlreiche Untersuchungen, wie die namhaften Arbeiten von Jeffrey Sachs und Andrew Warner, zeigten eine Verbindung zwischen Rohstoffreichtum und geringem Wirtschaftswachstum.[1] Dieses Missverhältnis wird z.B. deutlich am Beispiel der ölproduzierenden Länder. In den Jahren von 1965 bis 1998 nahm in den Ländern der OPEC das Bruttonationaleinkommen (früher: Bruttosozialprodukt) pro Kopf im Durchschnitt um 1,3 % ab, während in den restlichen Entwicklungsländern das Pro-Kopf-Wachstum im Durchschnitt bei 2,2 % lag.

Eine Studie der britischen Nichtregierungsorganisation Oxfam stellt darüber hinaus fest, dass der Lebensstandard der Menschen in rohstoffreichen Ländern gemessen am Human Development Index niedriger ist, als vom statistischen Pro-Kopf-Einkommen her zu erwarten wäre.

Jedoch auch die Entwicklung unter den ressourcenreichen Ländern unterscheidet sich teils gravierend. Ein Gegenbeispiel zu den Wirkungen des Ressourcen-Fluchphänomens ist die Entwicklung Norwegens, einer stabilen konstitutionellen Monarchie mit einem parlamentarischen Regierungssystem, mit außerordentlich geringer Korruption. Es besteht im Gegensatz zu vielen afrikanischen Ländern keine fragile Verwaltung und ein staatlicher Fonds verwaltet dort den Rohstoffreichtum im Sinne des Gemeinwohls. Trotz Ölreichtums, wie auch Territorialkonflikten, und erheblichen wirtschaftlichen Gegensätzen zum Ausland (die norwegisch-russische Grenze weist das weltweit höchste Wohlstandsgefälle auf) blieb das Land auch von Bürgerkrieg und kriegerischen Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarn verschont.[8] Als außergewöhnlich gilt auch die wirtschaftlich vergleichsweise stabile Entwicklung von Malaysia. Mögliche Gründe dafür sind die Nichtanschließung an die Sowjetunion und aber ebenso das Nichtbefolgen der wirtschaftsliberalen Veränderungsvorschläge vom IWF, wesentliche Bildungsinvestitionen und effektive Programme zur Förderung von Minderheiten.[9]

Eine in Stanford veröffentlichte Studie (Working Paper) von 2007 ermittelte anhand der langfristigen Entwicklungen u.a. in den Ländern Mexiko, Ecuador, Venezuela und Norwegen keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Ressourcenreichtum und Mangel an Demokratie. Die Autoren sehen die entgegengesetzten Ergebnisse anderer Studien aufgrund ihrer Ergebnisse als fragil an.[10]

Einzelnachweise

Dieser Artikel basiert in den Anfangsbearbeitungen auf dem Artikel en:Resource curse.

  1. a b Jeffrey D. Sachs, Andrew M. Warner: Natural resource abundance and economic growth., 1995. NBER Working Paper 5398.
  2. Richard M. Auty: Sustaining Development in Mineral Economies: The Resource Curse Thesis. London: Routledge, 1993.
  3. Interview mit Joseph E. Stiglitz auf misik.at, 20. November 2006
  4. a b bpb, Axel Harneit-Sievers: Rohstoffe für den Export, 5. Dezember 2005
  5. tagesschau: "Aus dem Fluch kann ein Segen werden" (nicht mehr online verfügbar), Interview mit Rohstoff-Experte Kristian Lempa 24. September 2009
  6. Jean-Philippe Stijns: Natural resource abundance and human capital accumulation, 2006.World Development,Volume 34, Issue 6, June, Pages 1060-1083.
  7. Tierney, John, Rethinking the Oil Curse, Linking Natural Resources to Slow Growth and More Conflict. C. N. Brunnschweiler1 and E. H. Bulte. Science 2 May 2008: Vol. 320. no. 5876, pp. 616 - 617, Kommentar in der New York Times
  8. Susanne Giese : Fluch des Öls, E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit 2010/05, Tribüne, Seite 206-207
  9. Project Syndicate, 2007: Das Wunder von Malaysia, Joseph E. Stiglitz
  10. Haber, Stephen and Victor Menaldo (2007). "Do Natural Resources Fuel Authoritarianism?". Stanford Center for International Development, Working Paper 351

Weblinks


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