- Rheinlande
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Während der Duden, Das Standardwerk zur deutschen Sprache, unter dem Eintrag Rheinland die nichtamtliche Bezeichnung für die ehemalige preußische Rheinprovinz definiert, gibt er unter dem Begriff Rheinlande die historischen „Siedlungsgebiete der Franken beiderseits des Rheins“ an. [1] Dieser Wörterbucheintrag ist die Quintessenz der verschiedensten Auslegungen des Begriffs seit seiner Entstehung im 19. Jahrhundert. Auch die Gebiete des Deutschen Oberrheins werden in einigen Quellen dazu gezählt; diese Auffassung war indes von vornherein umstritten, und man folgt ihr heute nicht mehr.
Inhaltsverzeichnis
Rheinlande und Rheinland
Grundsätzlich handelt es sich um kein Synonym für das Rheinland, obwohl der Begriff zunächst in gehobener literarischer Sprachvariante so klingen mag und auch häufig auf dieses Kernland reduziert verwendet wird. Jedoch ist das Rheinland nach herrschender Auffassung von Historikern ein Territorialbegriff, der in erster Linie auf die preußische Rheinprovinz bezogen ist, die zwischen 1822 und 1945 Gebiete beiderseits des Rheins zwischen Kleve und Bingen umfasste. Rheinlande hingegen ist ein alternativ dazu in preußischer Zeit geprägter siedlungs- und kulturhistorischer Begriff, der, politisch motiviert, auf einen viel älteren Zeitraum zurückgreifen muss, um die Zusammengehörigkeit der Rheinregionen auf der Grundlage einer „Gefühlsgemeinschaft“ zu konstruieren.
Denn nach dem Untergang des Karolingerreiches waren die fränkischen Siedlungsgebiete im Bereich des Rheins in die drei Erzbistümer Köln, Trier und Mainz, zahlreiche weitere Bistümer, Fürstentümer und Grafschaften territorial so stark zersplittert, dass über Jahrhunderte hinweg von einer historisch gewachsenen Einheit aller dieser Länder am Rhein nicht die Rede sein konnte. Die Zusammenlegung von seit dem Mittelalter bestehenden Einzelterritorien 1822 in einer Rheinprovinz gestaltete sich deshalb zunächst als ein artifizieller Schritt. Erst im Laufe des darauffolgenden Jahrhunderts bis zur Weimarer Republik werden die Rheinlande als Kulturraum mit gemeinsamen Wurzeln, motiviert durch die Abgrenzungsbestrebungen gegen Frankreich, das den Rhein als "natürliche Ostgrenze" für sich beanspruchte, einerseits und gegen Preußen andererseits, aus verschiedenen Perspektiven durch Literaten, Philosophen und Historiker entdeckt und geschaffen. Je nach politischer Lage wird im Kaiserreich sowie in der Weimarer Republik der Begriff mal weiter und mal enger ausgelegt. Dabei verwischen sich häufig Mythen und Fakten, so dass noch heute das Rheinische als kulturelle Identität nur sehr schwer zu fassen und abzugrenzen ist.
Geografische Ein- und Abgrenzung: Die Siedlungsgebiete der Franken
Auszugehen ist bei der Definition von den ursprünglichen fränkischen Siedlungskernen am Niederrhein (Salfranken) und Mittelrhein (Rheinfranken = Francia rhinensis oder ripuarische Franken genannt), die seit dem 3. nachchristlichen Jahrhundert, als die Franken erstmalig in der Geschichte auftreten, in den Quellen belegt sind. Eine scharfe Grenzziehung ihrer Siedlungsgebiete ist in dieser frühen Zeit nicht möglich. Nördlich und westlich des Gebietes um Kleve waren die Friesen ansässig, östlich des Rheins saßen die Sachsen, Chatten und Thüringer, südlich von Mainz befand sich der Siedlungsraum der Alemannen und westlich des Mittelrheins hielten sich die langsam zerfallenden spätantiken Rückzugsstrukturen der gallo-römischen Kultur.
Von den Salfranken unter Chlodwig I. ging die Einigung der fränkischen Stämme unter Beseitigung des rheinfränkischen Königtums mit vormaligem Zentrum in Köln, die Expansion nach Westen und Eroberung Galliens sowie die Begründung des Merowinger-Reiches aus. In dieser Zeit verlagerte sich der Schwerpunkt des fränkischen Reiches nach Westen, und die ehemaligen Kerngebiete am Rhein wurden zur Randzone. Westlich vom Mittelrhein setzte sich bis zu einer Linie, die in etwa auch heute noch die Sprachgrenze zwischen der deutschen und der französischen Sprache konstituiert, die fränkische Sprache durch; westlich davon wurden die Franken romanisiert, und diese romanisierten Gebiete werden nicht zu den Rheinlanden gezählt.
Ein weiteres Stammgebiet der Franken lag östlich des Mittelrheins entlang und nördlich der Main-Linie, nach Unterwerfung der Thüringer und Chatten bis zur Werra und Fulda sowie in die Rhön hinein (d.h. weite Teile des heutigen Hessens umfassend), das schon im 6. Jahrhundert geschlossen war und unter Pippin dem Mittleren nach Südosten auf das heutige Franken hin expandierte. Dieses weit nach Osten reichende Gebiet sowie Mainfranken südlich des Mains zählt nicht zu den Rheinlanden. Nördlich etwa einer Höhe von Bonn stießen im 6. Jahrhundert die Sachsen so weit nach Westen vor, dass rechtsrheinisch zur Merowingerzeit am Niederrhein nur ein schmaler fränkischer Streifen verblieb, der als ungesichertes Terrain galt, so dass die Anbindung der rechtsrheinischen Niederrhein-Gebiete an den fränkischen Reichsverband nur sehr locker war.
Unter den Karolingern lag der gesamte Rhein von der Quelle bis zur Mündung in der Hand des Fränkischen Reiches. Die Alemannen und Friesen hatten sich zur Zeit Karls des Großen freiwillig dem fränkischen Reich subordiniert, die Sachsen waren mit Gewalt unterworfen worden. Nachdem Karl der Große seine Residenz in Aachen wählte und die schon zur Merowingerzeit begonnene Christianisierung mittels Klostergründungen, ausgehend von den Erzbistümern Trier, Köln und Mainz, auf einem weitgehend geschlossenen Gebiet zwischen Maas, Mosel und Rhein vollendet werden konnte, lag ein wichtiges kulturelles Zentrum des Frankenreiches wieder in den ursprünglichen Siedlungsgebieten am und westlich des Rheins.
Herkunft des Begriffs
Der im Sprachgebrauch des 21. Jahrhunderts antiquiert und literarisch anmutende Begriff „Lande“ als Plural von „Land“ ist zugleich ein historisierender, vgl. Land (historisch).
Er wurde ursprünglich auf das Haus Burgund im frühen 15. Jahrhundert angewandt. Dort sind die Niederen Lande (d.h. Flandern, Brabant, Holland und Luxemburg) von den Oberen Landen (d.h., dem burgundischen Kernland der heutigen Franche-Comté) unterschieden.
Der preußische Sprachgebrauch kennt die Bezeichnung "Lande" in anderen geographischen Zusammenhängen, wie beispielsweise die Hohenzollernsche Lande und die „Lande zwischen Rhein und Maas“. Letztere meinten die vier von den französischen Revolutionsarmeen nach 1794 in den Koalitionskriegen eingerichteten „Départements Réunis“ (d.h. das Saar-Departement, das Donnersberg-Departement, das Rur-Departement und das Rhein- und Mosel-Departement), die bis zum Wiener Kongress bestanden.
Eine Übertragung des „Lande“-Begriffs auf den Rhein ist erst im 19. Jahrhundert nachweisbar. 1829 wurde in Düsseldorf der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen gegründet, der im 21. Jahrhundert noch existiert. Georg Gottfried Gervinus definiert die Rheinlande 1855 in seiner „Geschichte des 19.Jahrhunderts“ als Gebiete am Rhein, die unter drei verschiedene Staaten getheilt an ihrem fremden Gesetzbuche festhingen. Damit meint er den - trotz Loyalität zu Preußen von ihm befürworteten - Erhalt des napoleonischen Code Civil in den 1815 nach der Auflösung der französischen Départements Réunis neu aufgeteilten Rhein-Ländern: Rheinhessen kam im Wiener Kongress zum Großherzogtum Hessen, die Pfalz an das Königreich Bayern, und alle übrigen Rheingebiete fielen Preußen zu, wo sie 1822 zur Rheinprovinz zusammengefasst wurden. Synonyme für dieses Territorium, das bis 1945 auch noch innerhalb des geeinigten Deutschen Reiches bestand, sind Rheinland, Rheinpreußen oder auch Preußische Rheinlande.
Als Zusammenhaltskriterien der „Rheinlande“ als dem „fränkischen Ausschnitt aus dem Stromgebiet des Rheins“ (Martin Spahn) stellen verschiedene Historiker der Weimarer Republik auf das Festhalten am Katholizismus, eine liberale Geisteshaltung und Distanz zum Preußentum, den Fluss als Verkehrsstraße sowie den damit geschaffenen homogenen Wirtschaftsraum ab.
Der Rheinlande-Begriff: Auslegungen
Die Integration der Preußischen Rheinlande in den Staat Preußen gestaltete sich als schwierig; separatistische Bewegungen entstanden, auch wenn diese sich am Ende nicht durchsetzten. Um sich von Preußen abzugrenzen, wuchs die linksrheinische Kernregion der Rheinprovinz enger zusammen. Forschungseinrichtungen und regionalhistorische Vereinigungen wurden in der Rheinprovinz gegründet, die den historisierenden Begriff Rheinlande in Anknüpfung an die gemeinschaftliche Tradition in ihrem Namen trugen.
Das 1920 von Hermann Aubin gegründete „Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande“ an der Universität Bonn, das ab 1925 von der preußischen Rheinprovinz mitfinanziert wurde, hatte ursprünglich den politischen Hintergrund, zur Abwehr französischer Ansprüche landesgeschichtliche, kirchengeschichtliche, alltagsgeschichtliche, soziale und linguistische Gemeinschaftsstrukturen dieser übergreifenden Gebiete am Rhein zu erforschen. Das Institut gibt es noch, und die Forschungsthemen haben sich bis heute wenig geändert, konzentrieren sich jedoch heute frei von diesen ideologischen Zwängen auf eine Kernregion des Rheins von Koblenz bis Düsseldorf unter Einbeziehung der Eifel. Verschiedene heimatkundliche Vereine, die ebenfalls in der Zeit der Weimarer Republik gegründet wurden, wirken eng mit diesem Institut auf dieser Verständnisbasis der Kernregion zusammen.
Eine gängige Auslegung des "Rheinischen" vom siedlungs- und kunsthistorischen Standpunkt bezieht sich auf Gebiete zwischen Maas als Westgrenze, Mosel als Südgrenze und Rhein als Ostgrenze.
Der „Geschichtsforschungen Rheinlande Verlag“ gibt Einzelpublikationen zu speziellen Kulturdenkmälern des Gebiets heraus.
Es existierte insbesondere im Zuge der nationalen Begeisterung nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, der mit der Eroberung linksrheinischer Oberrhein-Gebiete (Elsass und Lothringen) endete, auch die gegenläufige Tendenz, den Rheinlande-Begriff weiter auszulegen als es die altfränkisch-karolingische Tradition jemals erlaubt hätte. Der erste Reiseführer über die „Rheinlande“ von Karl Baedeker hatte in seiner Erstausgabe von 1874 den Oberrhein beiderseits bis Basel mit einbezogen. In dieser gesamtrheinischen Tradition, die den Begriff auf den Fluss von der Quelle bis zur Mündung bezieht und das Elsass sowie Lothringen integriert, verstand sich auch die von Wilhelm Schäfer von 1901 bis 1923 herausgegebene Zeitschrift Die Rheinlande. "Das Rheinische" war für Schäfer schlichtweg "Das Deutsche". Nach 1918, als das Elsass und Lothringen wieder an Frankreich zurück fielen, wurden aus dem Ressentiment über den Versailler Vertrag heraus von großdeutsch denkenden Geografen wie Friedrich Metz die Oberrheinlande (Gebiete beiderseits des Oberrheins) als einheitlicher deutscher Kulturraum postuliert. Kritiker haben in diesem Verständnis eine Vorstufe zum nationalsozialistischen Ansatz gesehen, der mit dem „Rheinischen Deutschland“ bzw. der „Rheinischen Zone“ den ganzen Rhein als deutschen Kulturraum zwischen der Schweiz und den Niederlanden meinte (z. B. Gustav Braun, 1936).
Nach 1945 spielen völkische Konzepte, verkörpert in dem Lied Die Wacht am Rhein, die derartigen Erweiterungen zu Grunde lagen, keine Rolle mehr. Vom kunst- und kulturhistorischen Standpunkt hat sich jedoch, auch wenn der Oberrhein außen vor bleibt, eine großzügige Auslegung des Rheinlande-Konzepts gehalten. Der „Geschichtliche Atlas der Rheinlande“, der in seiner Erstausgabe unter Wilhelm Fabricius 1897 nur die Preußischen Rheinlande gemeint hat, unterstützt in den seit 1981 neu herausgegebenen Kartenblättern einen erweiterten Kulturraum beiderseits des Rheins zwischen der niederländischen Grenze und Mainz südlich bis in die Rheinpfalz hinein. Untersucht werden die verschiedensten Aspekte (z. B. vorromanische Kirchenbauten, jüdische Besiedlung im Mittelalter, Bevölkerungsentwicklung vom Wiener Kongress bis heute).
Auch RECLAMs Kunstführer „Rheinlande - Westfalen“ (Ausgabe von 1959) ist – unter Einbeziehung Rheinhessens – um eine ganzheitliche Erfassung der Baudenkmäler beiderseits des Rheins bis Mainz bemüht. Auch einige zeitgenössische Kunstreiseführer stellen auf den Raum Mainz als Grenze zwischen zwei architekturgeschichtlich und ikonographisch unterschiedlichen Kunstregionen am Rhein ab.
Die „Rheinlande“ heute
So ungebräuchlich der unscharfe Begriff „Rheinlande“ im 21. Jahrhundert geworden ist, so persistent ist dennoch das Interesse am Thema geblieben. Dabei verwässern sich nunmehr die unterschiedlichen Begrifflichkeiten von Rheinland und Rheinlande, deren Unterscheidung nur in preußischer Zeit Sinn ergab (Territorium als künstliches Gebilde hier, Kulturlandschaft da); vielmehr wendet sich das heutige Interesse der Frage zu, was denn das „rheinische“ Selbstverständnis aus zeitgenössischer Sicht ausmacht.
In einer von Gunter E. Grimm und Bernd Kortländer 2005 herausgegebenen Aufsatzsammlung „Rheinisch. Zum Selbstverständnis einer Region“ werden dazu - abgesehen von den bekannten geografischen, historischen und politischen Zusammenhängen - noch die im Folgenden beschriebenen Themenkreise untersucht.
Rheinische Sprache
Auf dem Gebiet der ehemaligen preußischen Rheinprovinz werden kleverländische, südniederfränkische, ripuarische, moselfränkische und rheinfränkische Dialekte gesprochen, die sich so sehr voneinander unterscheiden, dass von einem homogenen rheinischen Dialektraum keine Rede sein kann. Sprachliche Übergänge markiert der Rheinische Fächer.
Die Vielfalt kann dazu führen, dass der eigene Dialektraum aus einer pars pro toto-Perspektive heraus als der genuin „rheinische“ beansprucht wird. So erklärte beispielsweise die Wikipedia-Definition auf Ripuarisch anfänglich einmal den ripuarischen Dialektraum zum Rheinland:
- Et Rhingland eßß dä Deijl vumm Rhing wu ma en Ripoarisch Sprooch schwaadt. Et jeijht vunn unjefähr Andernach beßß eruff noh Düsseldorf, unn inn et Vüürjebersch beßß Oche, unn op dä schääl Sigg beßß Bergisch Gladbach.
(Erläuterungen: Vüürjebersch = Vorgebirge, gemeint: nördliche Eifelvorland; schääl Sigg = rechte Rheinseite)
Übergreifende Untersuchungen phonetischer Besonderheiten der gesprochenen Hochsprache sowie regionaler Einfärbungen der historischen Schriftsprache beispielsweise in Gerichtsurkunden haben jedoch ergeben, dass, unter Berücksichtigung mehrerer sprachhistorischer Überlagerungsschübe, durchaus gemeinsame Merkmale der rheinischen Regiolekte auf einem großflächigen Terrain zwischen Nieder- und Mittelrhein vorliegen.
Rheinische Küche
In ländlichen Gebieten insbesondere am Niederrhein und in der Eifel waren viele Menschen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Selbstversorger. Kartoffeln, Kohl, Möhren, Lauch, Sellerie, Spinat, Salat, Gurken und Äpfel waren die autark erzeugten Grundnahrungsmittel, die im Sommer reichlich vorhanden waren und für den Winter konserviert wurden. Als Alltagsküche dienten vornehmlich Suppen und Eintöpfe, Speisen wurden gelegentlich mit deftigen Wurstresten angereichert (z. B. Himmel und Erde). Katholischer Tradition entspringend gab es Fleisch meist nur sonntags, häufig aus eigener Schlachtung. Der Freitag war Fisch-Tag (selbst geangelt: Aal, Forelle, Barsch), zur Saison auch Muscheln rheinische Art. Traditionelle Festtagsgerichte im Gegensatz zur einfachen Alltagsküche (z. B. Rheinischer Sauerbraten, Martins- und Weihnachtsgans, Karpfen blau zu Silvester) wurden im gesamten Rheinland bewusst gepflegt.
Ab ca. 1970 gingen wie überall in Deutschland die regionalen Traditionen zunächst in den urbanen Zentren, später aber auch im „Vüürjebersch“ zu Gunsten internationaler Einflüsse zurück. Auch kleine Orte hatten alsbald ihren eigenen „Italiener“ bzw. „Griechen“. Im 21. Jahrhundert bemühen sich einige Gastronomen, die überlieferten ländlichen Rezepturen verfeinert wieder auf den Tisch zu bringen. Im Vergleich zu anderen deutschen Regionalküchen hat eine „rheinische Küche“ jedoch noch keine außerhalb der Rheinlande wahrgenommene Beachtung erfahren.
Die Weinkultur an Mittelrhein, Ahr und Mosel-Saar-Ruwer ist von dieser regionalen Einschränkung nicht betroffen.
Rheinische Literatur
Der Rhein als mythologische Landschaft wurde durch die deutsche Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckt. Die beteiligten Autoren stammten aber nur teilweise vom Rhein, so Clemens Brentano (Koblenz-Ehrenbreitstein) und Heinrich Heine (Düsseldorf), aber z. B. nicht Friedrich Schlegel (Hannover) und Ernst Moritz Arndt (Rügen), von dem der Ausspruch vom Rhein als "Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze" stammt. Unter der unmittelbaren Erfahrung der französischen Okkupation wurde der Rhein als deutscher Kulturraum zu einem zentralen Thema. Die rheinischen Sagen und Mythen beziehen sich schwerpunktmäßig auf einen Abschnitt von kaum 50 km, das zwischen steilen Schieferfelsen verengte Mittelrheintal zwischen Koblenz und Bingen mit kleinen Orten und mittelalterlichen Burgen. Die bekannteste Sage ist die der Lorelei, bedichtet von Heinrich Heine (Ich weiß nicht, was soll es bedeuten). Zum Entstehungszeitpunkt war der Wiener Kongress gerade mal 9 Jahre her, die Rheinlande als geografischer Siedlungs- und Kulturraum noch nicht aufgearbeitet und ein rheinisches Regionalbewusstsein noch nicht ausgebildet.
Das ändert sich mit Wilhelm Schäfer und der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Die Rheinlande. Er propagiert das „Volkstümliche“ als Dreh- und Angelpunkt literarischer Kunst, interessiert sich vor diesem Hintergrund für die rheinischen Stoffe (Anekdoten, Sagen, Märchen) und gibt auch eigene Texte heraus („Die unterbrochene Rheinfahrt“, 1913). Schäfer bezeichnet sich selbst als erster „Rheinischer Dichter“.
Zum Bund rheinischer Dichter schlossen sich 1926 in Koblenz über 100 Autoren zusammen, die den Rhein in ihren Werken thematisierten. Dabei ist die gesamte deutschsprachige Rheinlandschaft gemeint. Zur Kerntruppe gehörten z. B. Adolf von Hatzfeld, Jakob Kneip, Alfons Paquet, Dettmar Heinrich Sarnetzki, Josef Winckler, Herbert Eulenberg, Kasimir Edschmid, Reinhard Goering, Josef Ponten, René Schickele, Walter Kordt, Heinrich Lersch, Alfred Mombert, Rudolf G. Binding, Leo Sternberg und Willi Schäferdiek. Sie trafen sich regelmäßig zu Arbeitstagungen und gaben Manifeste heraus. Das „rheinische“ Selbstverständnis, das diese Autoren verband, wurzelt in den literarischen Stoffen, die ihre Kreativität inspirierten, und ist konkret nur sehr schwer zu fassen. Im Nationalsozialismus musste der Bund seine Aktivitäten einstellen.
Als zeitgenössische Ausprägung rheinischer Literatur hat Helge Drafz die seit ca. 1980 aufgekommenen Regional-Krimis aus den Rheinlanden beschrieben. Bekannt sind die Eifel-Krimis von Jacques Berndorf, die Niederrhein-Krimis von Artur Leenders, Michael Bay und Hiltrud Leenders (auch Trio Criminale genannt), sowie die Köln-Krimis von Christoph Gottwald. Auch die im Rheinland angesiedelten Tatort-Folgen werden als Beispiele für Lokalkolorit in diesem Zusammenhang genannt.
Rheinische Musik
An Versuchen, das Konzept einer „rheinischen Musik“ zu entwerfen, hat es in der Weimarer Republik nicht gefehlt. Die Musikhistoriker Willi Kahl und Ludwig Schiedermair postulierten in Ludwig van Beethovens Musik den Inbegriff des Rheinischen als pars pro toto für das genuin Deutsche: das Temperamentvolle, Lebensbejahende, Volkstümliche und Melodische dieser Musik wird herauskristallisiert, bleibt aber ein vages Konstrukt.
Rheinische Musik bedeutet nach dem Verständnis der Musikhistoriker nicht die schiere Beschäftigung mit rheinischen Stoffen. So kommt niemand auf die Idee, Richard Wagner mit seiner im Siebengebirge angesiedelten Sage des Ring des Nibelungen damit zu assoziieren. Ebenso wenig spielt Robert Schumanns Rheinische Sinfonie (1850) für ein rheinländisches musikalisches Selbstverständnis eine Rolle, denn diesen Beinamen erhielt das Werk lediglich von seinem Düsseldorfer Konzertmeister; der Zwickauer Komponist kam erst im Alter von 40 Jahren an den Rhein, in dem er sich drei Jahre später umzubringen versuchte.
Jene Musikhistoriker, die Beethoven als Quintessenz des Rheinischen favorisierten, sahen in der Volksmusik des rheinischen Karnevals eine „artfremde“ Degeneration des „Berliner Schlagers“ (Willi Kahl). Landläufig werden jedoch heute die Wein, Weib und Gesang thematisierenden Lieder aus dem Karneval häufig als charakteristische „rheinische Musik“ verstanden und auch mit einer dementsprechenden „rheinischen Mentalität“ (Frohnatur, kontaktfreudig, feinsinnig-humorvoll) assoziiert. Ein Original der Mainzer Fastnacht insoweit war Ernst Neger, der singende Dachdeckermeister.
Im 21. Jahrhundert ist Köln erneut ein Zentrum zeitgenössischer Musikkultur. Die Provenienz von Bläck Fööss, Höhner, Brings ist im Karneval angesiedelt, die Performance jedoch schon lange nicht mehr auf diesen beschränkt.
Insgesamt ist alles das, was „Rheinische Musik“ genannt werden könnte, so vielschichtig, dass ein solcher Begriff per definitionem problematisch wäre. Es handelt sich deshalb auch nicht um einen wissenschaftlich etablierten Begriff. Mit dem rheinischen Volkslied hat sich der Musikwissenschaftler Professor Ernst Klusen, zeitweise Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte, in zahlreichen Arbeiten beschäftigt.
Fazit
Die Rheinlande sind als siedlungshistorisch nur annähernd beschreibbarer Kulturraum, aus der Geschichte des 19. Jahrhunderts heraus politisch motiviert, ein vielschichtiges Konstrukt. Im 21. Jahrhundert ist das Lemma nur noch in den Namensbestandteilen der in preußischer Zeit gegründeten Institutionen erhalten und wird gelegentlich noch in der Kunstgeschichte verwendet. Das Interesse am „Rheinischen“ als kulturhistorischem Selbstverständnis ist jedoch nach wie vor aktuell.
Quellen und Literatur
- Gebhardt: Handbuch der deutschen Geschichte. Bd 2. Deutschland im fränkischen Reich. Hrsg. v. Heinz Löwe. DTV, München 1973 (4. Aufl.). ISBN 3-423-04202-8
- Ludwig Mathar: Die Karolinger in den Landen zwischen Maas, Mosel und Rhein - Ein geschichtlicher Überblick. In: Eifel-Kalender. Stollfuß, Bonn 1943, S.32.
- Gunter E. Grimm, Bernd Kortländer (Hrsg.): Rheinisch. Zum Selbstverständnis einer Region. Metzler, Stuttgart 2001, Grupello, Düsseldorf 2005. ISBN 3-89978-037-X
- RECLAMs Kunstführer Deutschland. Bd 3. Rheinlande und Westfalen. Stuttgart 1959, 1975 (5. Aufl.). ISBN 3-15-008401-6
- Josef Smets, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? Untersuchungen zum Verhalten der linksrheinischen Bevölkerung gegenüber der französischen Herrschaft 1794-1801. In: Rheinische Vierteljahresblätter (1995), S. 79-122
- Josef Smets, Les pays rhénans à l'époque française, 1794-1814, Bern: Peter Lang Verlag, 1997
- Josef Smets, Von Dorfidylle zur preußischen Nation. Sozialdisziplinierung der Rheinländer durch die Franzosen am Beispiel der allgemeinen Wehrpflicht (1802-1814)?. In: Historische Zeitschrift (1996), S. 695-738
- Josef Smets, Économie paysanne et systèmes familiaux en Rhénanie aux 18e et 19e siècles. In: Revue Historique (1996), S. 125-144
- Franz Irsigler: Geschichtlicher Atlas der Rheinlande. Hrsg. von der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde. 11 Lieferungen mit Kartenblättern und Beiheften. Rheinl.-Verlag, Köln, Habelt, Bonn 1982-2008. ISBN 3-7927-0615-6
- Sabine Brenner (Sabine Brenner-Wilczek), "Das Rheinland aus dem Dornröschenschlaf wecken!" Zum Profil der Kulturzeitschrift »Die Rheinlande« (1900-1922), Bd. 10 der Schriftenreihe »Archiv – Bibliothek –Museum« des Heinrich-Heine-Instituts Düsseldorf 2004, 240 Seiten, ISBN 3-89978-022-1
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Duden Band I, Bibliographisches Institut Mannheim, Wien, Zürich, Dudenverlag, 24. Auflage, März 2006, Seite 853 und vorherige Auflagen
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