Stiftskirche Quedlinburg

Stiftskirche Quedlinburg
Stiftskirche von Süden

St. Servatius (auch als St. Servatii oder Quedlinburger Dom bezeichnet) in Quedlinburg ist ein den Heiligen Dionysios und Servatius geweihtes Denkmal hochromanischer Baukunst. Die flachgedeckte dreischiffige Basilika war die Kirche des Quedlinburger Damenstiftes. Die Kirche gehört seit 1994 zusammen mit der Quedlinburger Altstadt und dem Schloss zum Welterbe der UNESCO.[1]

Inhaltsverzeichnis

Innenraum

Das Mittelschiff wird abwechselnd von je zwei Säulen und einem Pfeiler (niedersächsischer Stützenwechsel) von den Seitenschiffen getrennt. Die Kapitelle und Kämpfer der Säulen und Pfeiler sind mit reichhaltigem Skulpturenschmuck versehen (Pflanzen- und Tiermotive, besonders Adler). Tiere sind auch das dominierende Motiv in den Friesen an den Obergaden.

Sowohl an den Außenwänden als auch in der Ornamentik des Innenraumes sind starke lombardische Einflüsse zu erkennen.

Baugeschichte

Grundplan der Kirche
Stiftskirche St. Servatius

Mit dem Bau wurde vor 997 auf den Überresten dreier Vorgängerbauten begonnen. Im Jahre 1021 wurde er beendet und die Kirche am 24. September 1021 in Anwesenheit des Kaisers Heinrich II. geweiht. Nachdem das Bauwerk 1070 teilweise durch Feuer zerstört worden war, wurde es in alter Form wiederhergestellt und Pfingsten 1129 in Anwesenheit von König Lothar III. erneut geweiht.

Aus vorromanischer Zeit ist bis heute die sogenannte Confessio in der Krypta und die Wegekapelle St. Nicolai in Vinculis mit ottonischer Zier erhalten.

Der Hohe Chor wurde unter der Äbtissin Jutta von Kranichfeld bis 1320 im gotischen Stil umgebaut.

Bei der umfassenden Restaurierung unter Ferdinand von Quast 1863 bis 1882 erhielt die Kirche zwei romanische Türme mit stilwidrigen rheinischen Helmen.

In den Jahren 1938 bis 1940 erfolgte die „Wiederherstellung“ des romanischen Chors im Innern – von außen blieb das gotische Erscheinungsbild des Chorraums unverändert. In dieser Zeit von 1938 bis 1945 war die Kirche von der SS unter dem Reichsführer SS Heinrich Himmler besetzt und kein Gotteshaus, sondern eine „Weihestätte“ der SS. Himmler wurde in seinem Umfeld nicht nur in Quedlinburg wegen seines intensiven Umgangs mit König Heinrich I. (Ostfrankenreich) selbst "König Heinrich" genannt und soll „Zwiesprache“ mit seinem Vorfahren gehalten haben.[2] Er ließ die angeblich bei Grabungen wieder aufgefundenen Gebeine Heinrichs I. – es handelte sich um am Schlossberg gefundene Knochenreste – 1937 in einer Zeremonie wieder in der bis dahin leeren Grabstelle neben seiner Frau Mathilde beisetzen. Im Schlossmuseum werden heute die Überreste des Sarkophages und eine Dokumentation über jene Zeit ausgestellt.

Heinrich Himmler bei der Heinrichsfeier 1938 in der Stiftskirche St.Servatius

Nach der Beschädigung der Turmhelme durch Artilleriebeschuss in Jahre 1945 wurden die Türme 1947 bis 1950 wiederhergestellt, jedoch mit dem romanischen Stil angepassten niedrigen Zeltdächern.

Die Krypta ist Grabstätte des Königs Heinrich I. und seiner Gemahlin Mathilde, deren Gebeine bis auf den heutigen Tag tatsächlich dort liegen. An der Decke der Krypta befinden sich Reste von Freskomalerei, biblische Motive darstellend, und an den Wänden eine Reihe von Grabsteinen ehemaliger Äbtissinnen. Eine umfangreiche Sanierung in den Jahren 2002–2009 sicherte die kostbare Deckenmalerei, im gleichen Zuge wurde erstmals eine umfangreiche Beleuchtung integriert.

Eine Treppe führt von der Krypta in die so genannte Fürstengruft, deren Raumklima dazu beiträgt, Leichen zu mumifizieren. Dort befinden sich die Särge von Aurora von Königsmarck, der Äbtissinnen Anna II. und Anna III., Maria Elisabeth, Herzogin von Holstein-Gottorp.

Die Stiftskirche St. Servatius wurde auch als Quedlinburger Dom bezeichnet, um den Rang der Äbtissin Mathilde als metropolitana auf der Stufe eines (Erz-)Bischofs anzuzeigen, obwohl die Kirche nie eine Bischofskirche gewesen ist.

Die Ausstattung der Stiftskirche

Das moderne Kreuz (2006)

Die Kirche diente den Stiftern Heinrich I. und seiner Gemahlin Mathilde sowie den Quedlinburger Äbtissinnen als Grablege. Die Grabanlage der Stifter hat sich ohne Monument überliefert, von den Äbtissinnen künden ihre bis heute erhaltenen und in der Forschung immer wieder untersuchten Grabplatten.

Der hohe Chor war von einem fast 7 × 7 m großem Knüpfteppich geschmückt, der von Agnes II von Meißen in Auftrag gegeben und dem hl. Servatius gestiftet über 20 Jahre in Handarbeit auf dem Schlossberg angefertigt wurde. Dieser ist in Fragmenten erhalten geblieben und seit Ende 2006 wieder zu besichtigen.

Zum Osterfest 2006 kam ein modernes Kreuz in die Stiftskirche. Es ist vom Künstler Thomas Leu (Halle) als Auftragsarbeit aus Aluminium geschaffen. Der Entwurf gewann einen Wettbewerb, nachdem der gotische Chorpus (eine Leihgabe aus Freyburg) wieder zurückgegeben werden musste. Dieses Triumphkreuz soll die Verbindung des Jesus am Kreuz mit der sich auflösenden Gestalt des aufstrebenden und auferstandenen Christus darstellen.[3] Neue Altarleuchter ergänzen das Kreuz [4].

Die romanischen und gotischen Grabplatten

In der Krypta finden sich als romanische und gotische Bildhauerarbeiten die Grabplatten der Quedlinburger Äbtissinnen:[5]

  • Äbtissin Mathilde, Tochter Ottos I., Enkeltochter von Heinrich I.
  • Äbtissin Adelheid I. († 1044), Schwester Ottos III.
  • Äbtissin Beatrix I. († 1062), Tochter Heinrichs III., Schwester Heinrichs IV.
  • Äbtissin Agnes II. von Meißen († 1203), Tochter des Markgrafen Konrad von Meißen
  • Äbtissin Bertrada von Korsigk († 1231)
  • Osterlinde von Falkenstein († 1232)
  • Äbtissin Gertrud von Amfurt († 1270)
  • Äbtissin Margareta von Schrappelaw († 1379)

Ferner findet sich die Grabplatte eines Ritters mit Schild und Schwert:

  • Grabplatte für Friedrich von Hoym († 1391)

Domschatz

Der Domschatz befindet sich in der Domschatzkammer Quedlinburg (siehe dort).

Orgel

Die heutige Orgel wurde, nachdem die Vorgängerorgel aufgrund von Feuchtigkeitsschäden nicht mehr zu erhalten war, auf der Südseite im hohen Chor eingebaut. 1971 war die feierliche Übergabe des von der Firma Alexander Schuke (Potsdam) gebauten Instrumentes. Instrumentenbauer war Hans-Joachim Schuke, die Orgel führt die Bezeichnung op. 420.[6]

Disposition der Orgel mit der Registeranordnung laut Spieltisch:[7]

I Hauptwerk
Pommer 16′
Prinzipal 8'
Rohrflöte 8'
Oktave 4'
Spitzflöte 4'
Nassat 22/3'
Oktave 2'
Mixtur 6f
Zymbel 3f
Trompete 8'
II Unterwerk
Gedackt 8′
Spillpfeife 4'
Prinzipal 2'
Waldflöte 2'
Terz 13/5'
Quinte 11/3'
Oktave 1'
Scharff 4f
Vox Humana 8'
Tremulant
Pedal
Subbass 16'
Oktave 8'
Bassflöte 8'
Nachthorn 4'
Mixtur 5f
Posaune 16'
Trompete 8'
Feldtrompete 4'

Heutige Nutzung

Türklinke der Stiftskirche

Die Kirche wird vom evangelischen Kirchspiel Quedlinburg [8] genutzt. In ihr finden im Sommer evangelische Gottesdienste statt. Die katholische Gemeinde St. Mathilde begeht am 14. März ihr Patronatsfest mit einem Gottesdienst.

Des Weiteren wird die Kirche touristisch genutzt. Führungen durch die Kirche und die Domschatzkammern werden angeboten. Wegen der Sanierung der Krypta ist diese seit 2002 nicht zugänglich, wird aber zum Mathildentag (14. März) 2009 mit einem Festgottesdienst wiedereröffnet werden und ist danach für eine begrenzte Anzahl Besuchern wieder zugänglich. Im Sommer ist die Kirche Veranstaltungsort des Quedlinburger Musiksommers. In Zusammenarbeit mit dem Nordharzer Städtebundtheater wurde im Mai und Juni 2007 erstmals ein Theaterprojekt „Der Name der Rose“ umgesetzt und aufgrund der großen Resonanz im Jahr 2008 wiederholt.

Bilder

Literatur

  • Klaus Voigtländer: Die Stiftskirche St. Servatii zu Quedlinburg. Geschichte ihrer Restaurierung und Ausstattung, mit einem Beitrag von Helmut Berger. Berlin 1989. ISBN 3-05-000580-7
  • Friedemann Goßlau, Rosemarie Radecke: Die Stiftskirche zu Quedlinburg. Eine Führung durch den romanischen Kirchenbau und den Domschatz. Quedlinburg 1999. ISBN 3-9806120-7-4
  • Tim Lorentzen: Ideologische Usurpation: die nationalsozialistische Umgestaltung der Stiftskirchen zu Braunschweig und Quedlinburg als Zeichenhandlung. Wolfenbüttel 2005.
  • Antje Middeldorf Kosegarten: Die häßlichen Äbtissinnen: Versuch über die frühen Grabmäler in Quedlinburg, In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, 56/57.2002/03(2004), S. 9–47.
  • Kerstin Hengevoss-Dürkop: Äbtissinnengrabmäler als Repräsentationsbilder: die romanischen Grabplatten in Quedlinburg. In: Die Repräsentation der Gruppen: Texte, Bilder, Objekte / Otto Gerhard Oexle [Hrsg.]. Göttingen 1998 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 141), S. 45–87.
  • Helga Wäß: Form und Wahrnehmung mitteldeutscher Gedächtnisskulptur im 14. Jahrhundert. Ein Beitrag zu mittelalterlichen Grabmonumenten, Epitaphen und Kuriosa in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Nord-Hessen, Ost-Westfalen und Südniedersachsen (= Band 1), Katalog ausgewählter Objekte vom Hohen Mittelalter bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts (= Band 2), S. 510 ff., Bristol u.a. 2006 – ISBN 3-86504-159-0
  • Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen: Ein Kreuz für die Stiftskirche: Katalog der eingereichten Entwürfe aus dem Wettbewerb für ein Kreuz in der Stiftskirche in Quedlinburg, Verlag Cuno, M., ISBN 978-3-935971-19-5

Quellen

  1. Eintragung von Collegiate Church, Castle, and Old Town of Quedlinburg auf der Welterbeliste der UNESCO
  2. Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, Augsburg (Weltbild) 1995, S. 145.
  3. Quedlinburger Gemeinde wählt „Lichtgestalt“ zum neuen Triumphkreuz
  4. http://www.thomas-leu.de/proj-02.html
  5. Vgl. Wäß 2006, S. 511 ff. mit ausführlicher Beschreibung der einzelnen Werke.
  6. Werkverzeichnis seit 1820. Alexander Schuke Potsdam Orgelbau GmbH, S. 10. Abgerufen am 15. März 2009. (PDF)
  7. Gottfried Biller: Spielstätte St. Servatii Quedlinburg. Quedlinburger Musiksommer. Abgerufen am 15. März 2009.
  8. Evangelisches Kirchspiel Quedlinburg – Stiftskirche

Weblinks

51.78581388888911.1368305555567Koordinaten: 51° 47′ 9″ N, 11° 8′ 13″ O


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