- Werner Seelenbinder
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Werner Seelenbinder (* 2. August 1904 in Stettin; † 24. Oktober 1944 in Brandenburg an der Havel) war ein deutscher Ringer und Kommunist.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Die Familie kam 1909 nach Berlin und bezog eine Wohnung in Neukölln. Werner Seelenbinder nahm nach dem Besuch der Volksschule eine Tätigkeit als Transportarbeiter in der AEG-Fabrik Treptow (später VEB EAW Treptow) auf. Er trat einem Arbeitersportclub bei und trainierte als Gewichtheber und Ringer. Nebenbei studierte Seelenbinder die Schriften von Karl Marx und Lenin und näherte sich dem kommunistischen Gedankengut an. Im Jahr 1928 gewann Seelenbinder bei der Spartakiade in Moskau als einziger deutscher Arbeitersportler seinen Wettbewerb. Nach der Rückkehr trat er in die KPD ein und arbeitete hier an der Herstellung von Informationsmaterialien, auch von Flugblättern.[1]
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der Zerschlagung der Arbeitersportvereine 1933 trat er der Sportvereinigung Ost Berlin bei, engagierte sich heimlich in der Roten Hilfe und wurde 1933 von der KPD-Organisation seines Berliner Heimatbezirks Neukölln beauftragt, sich sportlich für internationale Wettkämpfe zu qualifizieren und die dadurch möglichen Auslandskontakte für die kommunistische Untergrundarbeit zu nutzen.
1933 gewann er den ersten von insgesamt sechs Titeln als Deutscher Meister im Ringen des Halbschwergewichts[1] und wurde kurz darauf erstmals auch von der Gestapo verhört.
Als Seelenbinder 1936 sich für die Olympischen Sommerspiele in Berlin qualifizierte, wollte er als Zeichen des Protests bei der Siegerehrung den erwarteten Hitlergruß verweigern. Nach zwei Niederlagen belegte Seelenbinder jedoch nur Platz 4 im olympischen Wettkampf, so dass die beabsichtigte politische Geste nicht zur Ausführung gelangte. 1937 und 1938 wurde er bei den Ringer-Europameisterschaften jeweils Dritter in seiner Gewichtsklasse und nutzte seine Sportreisen zum Austausch von Informations- und Propagandamaterial. 1939 wurde Seelenbinder aus dem Betrieb AEG ausgeschlossen und nach Berlin-Marienfelde in einen Rüstungsbetrieb zwangsverpflichtet. Dort gelang es ihm, eine illegale Widerstandszelle zu organisieren, in der an der Seite deutscher Kommunisten auch polnische Zwangsarbeiter mitwirkten.[1] In jener Zeit intensivierte Seelenbinder seinen Kontakt zu den Mitgliedern der kommunistischen Widerstandsgruppe um Robert Uhrig und Alfred Kowalke. Kowalke beschaffte für Seelenbinder eine Unterkunft im Bezirk Friedrichshain (Glatzer Straße 6). Als die Gruppe um Robert Uhrig zerschlagen wurde, nahm die Gestapo auch Seelenbinder am 4. Februar 1942 fest. Nach über zwei Jahren Haft in verschiedenen Konzentrationslagern und Zuchthäusern (unter anderem in Landsberg an der Warthe) wurde er vom Volksgerichtshof in Potsdam zum Tode verurteilt und am 24. Oktober 1944 im Zuchthaus Brandenburg enthauptet.
Unter diesem Datum ist Seelenbinders folgender Abschiedsbrief überliefert:
„Die Stunde des Abschieds ist nun für mich gekommen. Ich habe in der Zeit meiner Haft wohl alles durchgemacht, was ein Mensch so durchmachen kann. Krankheit und körperliche und seelische Qualen, nichts ist mir erspart geblieben. Ich hätte gerne gemeinsam mit Euch, mit meinen Freunden und Sportkameraden, die Köstlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens, die ich jetzt doppelt zu schätzen weiß, nach dem Krieg mit Euch erlebt. Es waren schöne Stunden, die ich mit Euch verlebt habe, und ich habe in meiner Haftzeit davon gezehrt und mir diese herrliche Zeit zurück gewünscht. Das Schicksal hat es nun leider nach langer Leidenszeit anders bestimmt. Ich weiß aber, daß ich in den Herzen von Euch und auch bei vielen Sportanhängern einen Platz gefunden habe, den ich immer darin behaupten werde. Dieses Bewußtsein macht mich stolz und stark und wird mich in letzter Stunde nicht schwach sehen.“
Sportlicher Werdegang
Werner Seelenbinder begann 1917 beim Athletenclub „Eiche“ Berlin mit dem Ringen und Gewichtheben. Später startete er beim Sportclub „Berolina“ Neukölln und konzentrierte sich auf das Ringen. Diese Vereine gehörten dem Deutschen Arbeiter-Athleten-Bund an. Zwischen 1918 und 1932 wurde er vielfacher Berliner Meister der Arbeiterringer vom Federgewicht bis zum Halbschwergewicht.
Im Einzelnen sind folgende Erfolge und Wettkämpfe bekannt:
- 1925, 1. Platz bei der Arbeiterolympiade in Frankfurt am Main im Ringen, griechisch-römischen Stil (GR), Halbschwergewicht (Hs)
- 1926, Sieger in einem Ländervergleichskampf der deutschen Arbeiterringer gegen die Sowjetunion in Berlin im GR, Hs
- 1926, 1. Platz beim internationalen Ringerturnier anlässlich des Arbeiter- Turn- und Sportfestes in Berlin, GR, Mittelgewicht (Mi)
- 1927, Teilnahme an einer Wettkampfreise einer Mannschaft des Arbeiter-Athleten-Bundes in die Sowjetunion. Einzelne Ergebnisse sind nicht bekannt
- 1927, 3. Platz, Turnier des finnischen Arbeiter-Sportverbandes TUL in Helsinki, GR, Hs, hinter Juha Juhola u. Timo Aalto, beide Finnland und vor Viljo Lindquist, Paavo Oksa und H. Rönkas, alle Finnland
- 1928, 1. Platz bei der internationalen Arbeiter-Spartakiade in Moskau, GR, Hs (kam einer Weltmeisterschaft der Arbeiterringer gleich)
- 1930, 1. Platz beim internationalen Turnier der Arbeiterringer in Moskau, GR, Hs
- 1931, 2. Platz, Weltmeisterschaft der Arbeiterringer in Oslo, GR, Hs
1933 erfolgte die Zwangseingliederung der Ringer des Arbeiter-Athleten-Bundes in den Deutschen- Amateur-Schwerathletik-Verband DASV von 1891. Werner Seelenbinder setzte seine Ringerkarriere bei der Sportvereinigung Berlin-Ost, die diesem Verband angehörte, fort und erzielte dabei folgende herausragende Ergebnisse:
- 1936, 4. Platz, Olympische Spiele in Berlin, GR, Hs, mit Siegen über Georg Argast, Schweiz und Franz Foidl, Österreich und Niederlagen gegen Edvins Bietags, Lettland und Axel Cadier, Schweden
- 1937, 3. Platz, Europameisterschaft in Paris, GR, Hs, mit Siegen über Umberto Silvestri, Italien, Henri Vermersch, Frankreich und Olaf Knutsen, Norwegen und Niederlagen gegen Nils Åkerlindh, Schweden und August Neo, Estland
- 1938, 3. Platz, Europameisterschaft in Tallinn, GR, Hs, mit Siegen über Tomasz Gwóźdź, Polen und Elmar Härmä, Finnland und Niederlagen gegen Umberto Silvestri und Nikolai Karklin, Estland
Bei den deutschen Meisterschaften im DASV erzielte er folgende Ergebnisse:
- 1933, 1. Platz, GR, Hs, vor Karl Engelhardt, Freising und Heinrich Heitmann, Dortmund-Hörde
- 1935, 1. Platz, GR, Hs, vor Karl Engelhardt und Paul Böhmer, Bad Reichenhall
- 1936, 1. Platz, GR, Hs, vor Erich Siebert, Mainz und Karl Ehret, Ludwigshafen
- 1937, 1. Platz, GR, Hs, vor Paul Böhmer und Josef Litters, Mannheim-Sandhofen
- 1938, 1. Platz, GR, Hs, vor Karl Ehret und Karl Engelgardt
- 1941, 1. Platz, GR, Hs, vor Gerhard Strumpf und Hans Brönnigmann, beide Berlin
Zwischen 1937 und 1941 vertrat er Deutschland in sieben Länderkämpfen, wobei er zwei Siege erzielte.
Siehe auch: Arbeitersport in Deutschland
Ehrungen
- Ihm zu Ehren wurden in der DDR zahlreiche Schulen (beispielsweise auch die Kinder- und Jugendsportschule in Berlin-Hohenschönhausen; Sportforum, heute Teil des Schul- und Leistungssportzentrums Berlin) sowie Straßen, Jugendklubs und Sportstätten auf seinen Namen getauft. So trug auch die Werner-Seelenbinder-Halle im Osten Berlins seinen Namen, in der von 1950 bis zur deutschen Vereinigung sowohl zahlreiche große Sportveranstaltungen als auch SED-Parteikongresse stattfanden, und auf deren Gelände nach ihrem Abriss das Velodrom entstand.
- Die Medaillen der von 1954 bis 1989 in der DDR verliehenen Ehrentitel Meister des Sports und Verdienter Meister des Sports tragen auf ihrer Vorderseite das Porträt Werner Seelenbinders.
- Die DDR hatte am Haus Glatzer Straße im Bezirk Friedrichshain eine Gedenktafel[2] anbringen lassen mit folgendem Text:[1]
In diesem Hause wohnte der antifaschistische Widerstandskämpfer Werner Seelenbinder, geb. am 2.8.1904. Von den Faschisten ermordet am 24.10.1944 in Brandenburg. Ehre seinem Andenken.
Weitere Tafeln gab es am Gebäude des EAW in der Hoffmannstraße, an der Seelenbinderstraße Ecke Mandrellaplatz in Berlin-Köpenick. In der Fritz-Riedel-Straße 53 in Berlin-Prenzlauer Berg befand sich eine Bronzebüste für den Kommunisten und Arbeitersportler.[1]
- Im Münchner Olympiapark von 1972 führt der Werner-Seelenbinder-Weg zum ehemaligen S-Bahnhof Olympiastadion.
- Am 24. Oktober 2004, dem 60. Jahrestag seiner Ermordung, wurde das Berliner Stadion Neukölln in Werner-Seelenbinder-Sportpark umbenannt.[3] 1945–1949 hieß es schon einmal „Werner-Seelenbinder-Kampfbahn“, und auf diesem Gelände ist seine Urne beigesetzt, nicht weit von seiner Wohnung 1920. Ende der 1980er Jahre war in West-Berlin schon die dortige Turnhalle an der Oderstraße in „Werner-Seelenbinder-Halle“ umbenannt worden.
- Unweit davon steht auch eine weitere Trainingsstätte von Werner Seelenbinder – die Konrad-Agahd-Grundschule, Thomasstraße 39, damals Nr. 17 – heute weist eine Berliner Gedenktafel darauf hin.
Literatur
- Rote Sportler im antifaschistischen Widerstand. Band 1. Biografisches über Ernst Grube, Bernhard Almstadt, Werner Seelenbinder, Fritz Lesch und Paul Zobel. Bundesvorstand des DTSB der DDR (Hrsg.), Berlin 1978
- Heinz Bergschicker: Deutsche Chronik 1933–1945. Ein Zeitbild der faschistischen Diktatur / Wiss. Beratung: Olaf Groehler. Verlag der Nation: Berlin 1981, 2. dgs. Aufl. 1982 (Abb. S. 175)
- Walter Radetz: Der Stärkere. Neuer Weg, 1981, ISBN 3-88021-035-7
- Karl Heinz Jahnke: Ermordet und ausgelöscht. Zwölf deutsche Antifaschisten. Ahriman, Freiburg i. Br. 1995, ISBN 978-3-89484-553-7, S. 106–114.
- Stephan Hermlin: Die erste Reihe. Verlag Neues Leben: Berlin 1951, Seite 77ff der fünften Auflage 1985
- Friedel Schirm: 33 Monate – Erinnerungen an Werner Seelenbinder. Militärverlag der DDR: Berlin 1984
Weblinks
Commons: Werner Seelenbinder – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Literatur von und über Werner Seelenbinder im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Friedrichshainer Chronik
- Einer von uns
- Profil von Werner Seelenbinder bei der Fédération Internationale des Luttes Associées (englisch) in der Ringer-Datenbank der Uni Leipzig
- Foto von Werner Seelenbinder als etwa Dreißigjähriger
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e Hans Maur: Gedenkstätten der Arbeiterbewegung in Berlin-Friedrichshain, hrsg. von der Bezirksleitung der SED, Bezirkskommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung in Zusammenarbeit mit der Kreiskommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Kreisleitung Berlin-Friedrichshain der SED, 1981; S. 64–66
- ↑ Gedenktafel am Haus Glatzer Straße 6 in Friedrichshain
- ↑ Protokoll der BVV-Sitzung (PDF)
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