Carl Paul

Carl Paul
Carl Paul (1927)

Carl Paul (* 4. Februar 1857 in Lorenzkirch bei Strehla; † 10. Oktober 1927 in Schweta bei Mügeln) war ein deutscher evangelisch-lutherischer Theologe, Pfarrer, Missionswissenschaftler und Autor.

Er war Direktor des Leipziger Missionswerks und Honorarprofessor für neuere Missionsgeschichte und Missionskunde an der Universität Leipzig. Paul war Nestor der Missionswissenschaft in Sachsen und galt Anfang des 20. Jahrhunderts als angesehenster Fachmann für Kolonialmission in Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Carl Paul wurde am 4. Februar 1857 im Pfarrhaus von Lorenzkirch geboren. Sein Vater unterrichtete ihn schon früh in Geographie. Er lernte ab 1870 an der humanistischen Thomasschule zu Leipzig und erlangte sein Abitur ebenda. Er begeisterte sich in seiner Schulzeit insbesondere für Kirchenmusik. Er studierte von 1877 bis 1880 Theologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen und der Universität Leipzig. Danach wurde er 1880 für zwei Jahre als Kandidat Hauslehrer der Großkaufmannsfamilie Karl Vietor in Bremen. In der Hansestadt pflegte er erste Kontakte zu Missionaren und lernte Englisch. 1882 war er Vikar in Großstädteln. Als Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens war er von 1882 bis 1884 am Predigerkolleg St. Pauli in Leipzig tätig, zuletzt als Studieninspektor. Außerdem bildete er sich 1884 als Stipendiat in den Niederlanden (Amsterdam), Belgien (Antwerpen) und England (London und Oxford) sowie in den deutschen Städten Barmen, Berlin, Bielefeld, Bremen, Elberfeld, Hannover, Hermannsburg und Kaiserswerth weiter. Von 1884 bis 1887 wirkte er als Pfarrer in Rothschönberg bei Meißen und von 1887 bis 1911 in dritter Generation in seinem Geburtsort in Lorenzkirch. Vor seinem Wegzug aus Lorenzkirch stiftete er dem Ort ein Heimatmuseum[1], das während der Ereignisse am 25. April 1945 in Lorenzkirch vollständig geplündert wurde.

1887 gründete er die Sächsische Missionskonferenz, deren Schriftführer er war und an deren Jahrbuch er mitwirkte. Darüber hinaus war er Autor für das Evangelisch-Lutherischen Missionsblatt und die Allgemeine Missions-Zeitschrift. Er verfasste Artikel für die Londoner und Südamerikanische Missionsgesellschaft. Er referierte bei überregionalen Konferenzen wie der Kontinentalen Missions-Konferenz in Bremen und ab 1902 beim Deutschen Kolonialkongress in Anwesenheit von Friedrich Fabri, Richard Grundemann, Johannes Hesse und Gustav Warneck (später verfasste er die Festschrift zu dessen 70. Geburtstag). Er übernahm verantwortungsvolle Aufgaben im Deutschen Evangelischen Missionsausschuss unter Wilhelm Oehler (1877–1966) und Paul Otto Hennig. Von 1988 bis 1911 war er Komiteemitglied des Sächsischen Missionshauptvereins. 1900 rief er Pressekorrespondenzen ins Leben, die der Tagespresse regelmäßig Informationen zu Missionsthemen zur Verfügung stellte. Von 1898 bis 1908 veröffentlichte er sein Hauptwerk in vier Bänden Die Mission in unseren Kolonien mit den Büchern Togo und Kamerun (1898), Deutsch-Ostafrika (1900), Deutsch-Südwestafrika (1904) und Deutsche Südseeinseln (1908). Mit dem Afrikaforscher Hans Meyer war er befreundet. Er forschte zum Islam in Indien an der Universität Kairo.

Zu seinem Freundeskreis gehörten der Landschaftsmaler Pedro Schmiegelow[2], der Bildhauer Professor August Schreitmüller[3] und der Schriftsteller Otto Eduard Schmidt[4].

Im Jahr 1909 verlieh ihm die Universität Leipzig in Würdigung seiner missionsgeschichtlichen Arbeiten die theologische Ehrendoktorwürde (Dr. theol. h. c.). Außerdem wurde er 1912 ordentlicher Honorarprofessor für neuere Missionsgeschichte und Missionskunde in Leipzig und hielt dort bis zum Wintersemester 1926/27 folgende Vorlesungen: Entwicklungsstufen der Heidenmission, dargestellt an der Mission auf den deutschen Südsee-Inseln, Mission und Kolonialpolitik in ihren Beziehungen zu einander, Christentum und Islam im Wettbewerb um unsere afrikanischen Kolonien, Deutschlands Anteil an den Missionsbestrebungen der christlichen Kirche in der Gegenwart, Die Mission in ihrer Bedeutung für die kulturelle Entwicklung der deutschen Kolonien und missionswissenschaftliche Seminare zu Die Pflege des Missionssinnes in der heimischen Kirche, Die Leipziger Mission in Deutsch-Ostafrika und Die Ausbreitung des Islam. Zudem erweiterte er den Buchbestand der Bibliothek des missionswissenschaftlichen Seminars. Zu seinem Antritt sprach der Dekan der Theologischen Fakultät Ludwig Ihmels folgende Worte:

„Die Fakultät ist stolz darauf, dass unsere Landeskirche einen Mann zu den Ihrigen zählt, der weit über die Grenzen Sachsens hinaus als einer der bedeutendsten Kenner und Förderer des weltumspannenden Werkes der Mission bekannt ist.“

Von 1911 bis 1923 war er aufgrund seiner Erfahrung in der Äußeren Mission als Nachfolger Karl von Schwartz Missionsdirektor des Leipziger Missionswerkes, danach kurz Vorsitzender des Leipziger Missionskollegiums (Nachfolger von Ludwig Ihmels). In seinem Amt reiste er von 1912 bis 1913 nach Ostafrika und Südostindien. Er versuchte die Kolonialpolitik und Mission miteinander zu verbinden. Dabei lehnte er jedoch die Niederschlagung der Aufstände der Herero und Nama und den deutschen Kolonialismus als „brutalen Kolonialegoisten“, wie er selbst schrieb, ab. Er vertrat ein konservatives Luthertum und lehnte ökumenische Bestrebungen (gemeinsam mit Anglikanern und Presbyterianern) in den Missionsgebieten, ebenso wie die Ausbildung afrikanischer Theologen ab. Das Ergebnis des Ersten Weltkrieges brachte eine tiefe Zäsur in die Arbeit von Carl Paul. 1916 wurde die Seminararbeit eingestellt und erst wieder 1919 aufgenommen. In der Umstrukturierung wurden die indischen Gebiete 1915 der Schwedischen Kirchenmission (CSM) und die ostafrikanischen 1922 der amerikanischen Augustanasynode anvertraut. Nach einem Missionsfest in Hermannsburg 1919 wurde er mit August Cordes und Max Ahner zum wichtigen Befürworter eines Hilfsausschusses für in Not leidende Deutsche und Lutheraner in der Sowjetunion. Sie erhielten schließlich vom Nationalen Lutherischen Konzil der USA unter John Alfred Morehead den Auftrag. Es sollte die Zusammenarbeit mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland vorangetrieben werden. Er organisierte 1920 in Leipzig eine länderübergreifende lutherische Missionskonferenz und 1923 in Eisenach den Lutherischen Weltkonvent (Vorgänger der Weltmissionskonferenz des Lutherischen Weltbundes).

Seinen Alterssitz nahm er in Schweta bei Mügeln, wo er 1927 nach einem Schlaganfall starb. Bei der Gedächtnisfeier sang der Leipziger Thomanerchor das Kirchenlied Welt, ade, ich bin dein müde von Johann Rosenmüller. Der Theologe Emil Balla sprach für die Leipziger Universität und der Missionswissenschaftler Carl Mirbt für den Deutschen Missionsbund. Der schwedische Theologe und spätere Friedensnobelpreisträger Nathan Söderblom schrieb nach seinem Tod:

„Ihrem Werke hat der Heimgegangene große Dienste geleistet, und auch wir hier in Schweden werden nicht vergessen, was er als Ihr Repräsentant und wir in ernster, schwerer Zeit gemeinsam durchlebt haben.“

Familie

Paul entstammte einer sächsischen Pfarrerfamilie. Er hatte sieben Geschwister. Der Vater Simeon Fürchtegott Paul (1814–1890) und der Großvater mütterlicherseits Christian Gotthelf Heyme (1784–1872) waren in Lorenzkirch als evangelisch-lutherische Pastoren tätig. Der Vater meißelte die Wahlsprüche der Familie 1854 in die beiden Pfosten[5] der Zufahrt zum Pfarrhaus: Pax Dei Nobiscum (deutsch: Gottes Friede sei mit uns) und Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen. Dieser Wahlspruch ist der Bibel entnommen und findet sich im Buch Josua (Jos 24,15 EU).

Zu seinen Vorfahren zählen angesehene Persönlichkeiten: unter anderem der Leipziger Bürgermeister Hieronymus Lotter[6] (um 1497–1580), der Theologe Johannes Olearius[7] (1546–1623), dessen Sohn Gottfried Olearius (1604–1685) und Enkel Johann Gottfried Olearius (1635–1711).

Er heiratete Elisabeth Fritzsche, Tochter eines Pfarrers aus Streumen und war Vater des Forschungsreisenden Johannes Paul (1902–1958) und von insgesamt vier Töchtern. Sein zweiter Sohn starb als Offizier am Ende des Ersten Weltkriegs. Einer seiner Neffen war der Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Paul.

Das Doppelgrab von Carl Paul und seiner Frau befindet sich auf dem Friedhof von Lorenzkirch vor der Sakristei der Sankt Laurentiuskirche. Daneben steht das Epitaph für seinen gefallenen Sohn Martin Paul.

Auszeichnungen

Nachrufe und Würdigungen

  • Der Erzbischof von Schweden Nathan Söderblom schrieb am 20. Oktober 1927 an das Missionswerk in Leipzig: "Ihrem Werke hat der Heimgegangene große Dienste geleistet, und auch wir hier in Schweden werden nicht vergessen, was er als Ihr Repräsentant und wir in ernster, schwerer Zeit gemeinsam durchlebt haben."
  • Dr. Jobst Reller, Hermannsburg, 20. August 2011: "Bedenkt man das Leben und Wirken Dr. Carl Pauls, so beeindruckt mich vor allem eins, die Gabe der feinen und sensiblen Beobachtung, die Fähigkeit zur rechten Zeit die meisten Chancen zu ergreifen, auch Kompromisse zu schließen um der Sache willen."[8]

Werke (Auswahl)

  • Die Mission in unsern Kolonien, 4 Bde. Leipzig 1898–1908.
  • Was tut das evangelische Deutschland für seine Diaspora in überseeischen Ländern?, Leipzig 1903.
  • Die Leipziger Mission – daheim und draußen, Leipzig 1914.
  • Das Verhältnis unserer deutsch-ostafrikanischen Mission zur Kolonisation, 1914.
  • Christentum und Islam im Wettbewerb um die afrikanischen Negervölker, 1914.
  • Die Mission unter dem Kreuze, Leipzig 1915.
  • Vom Missionsfeld vertrieben. Ein Kriegserlebnis der Leipziger Mission, Leipzig 1916.
  • Mission und Auslandsdeutschtum, Gütersloh 1918.
  • Die Welt des Islam als Missionsproblem, 1923.

Literatur

  • Carl Heinrich Ihmels: Die Leipziger Mission unter dem Direktorat von D. Paul In: Neue Allgemeine Missionszeitschrift 1927 (Heft 2/3), S. 35 ff.
  • August Cordes: Zum 70. Geburtstag von Carl Paul. Evangelisch-lutherisches Missionsblatt. Ev.-luth. Mission, Leipzig 1927, S. 25 ff.
  • Martin Weishaupt: D. Pauls Heimgang und letzte Fahrt. Evangelisch-lutherisches Missionsblatt. Ev.-luth. Mission, Leipzig 1927, S. 250 ff.
  • Albrecht Oepke: D. Carl Paul als lutherischer Missions- und Kirchenmann. In: W. Gerber: Lutherisches Missionsjahrbuch für das Jahr 1929. Verlag H. G. Wallmann, Leipzig 1929.
  • Lebensbeschreibung von Carl Paul. In: Amtskalender für evangelisch-lutherische Geistliche in Sachsen. 1930, S. 134.
  • Paul Fleisch: Hundert Jahre Lutherischer Mission. Leipzig 1936.
  • Kurzer Lebenslauf von Carl Paul: In: Walter Ruf: Die bayerische Missionsarbeit einst und jetzt. Bayerische Missionskonferenz, Neuendettelsau 1953, S. 50 f.
  • Markus Hein, Helmar Junghans (Hrsg.): Die Professoren und Dozenten der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig von 1409-2009. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2009, ISBN 978-3-374-02704-0, S. 1423 f. (=BLUWiG, Reihe A, Bd. 8)

Weblinks

 Commons: Carl Paul – Sammlung von Bildern und/oder Videos und Audiodateien
 Commons: Evangelisch-lutherisches Missionswerk Leipzig – Sammlung von Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Archive

  • Archiv des Leipziger Missionswerks, Ev.-Luth. Mission zu Leipzig/Ev.-Luth. Missionswerk Leipzig, II.3.1.II. Prof. D. Carl P., II.10.3. Konferenz der luth. Missionsdirektoren 1919-1920. Dieses Archiv befindet sich mit Ausnahme aktueller Vorgänge im Archiv der Franckeschen Stiftungen, Franckeplatz 1 Haus 24, 06110 Halle (Stand 2010).
  • Pfarrarchive der Ev.-luth. Kirchengemeinde Rothschönberg in Nossen und der Ev.-luth. Kirchengemeinde Lorenzkirch.

Einzelnachweise

  1. Quelle: Lorenzkirch – sein Markt und sein Heimatmuseum. (Verfasserangabe: -z). In: Die schwarze Elster. Unsere Heimat in Wort und Bild. Kostenfreie Beigabe zum Liebenwerdaer Kreisblatt. Nr. 207 vom 9. Oktober 1913.
  2. Pedro Schmiegelow malte auf Wunsch von Carl Paul Aquarelle und Gemälde von Lorenzkirch. Im Heimatmuseum von Lorenzkirch befand sich ab 1911 ein Gemälde im Format 1,5 x 4 Meter mit einer Ansicht von Lorenzkirch und seiner Umgebung. Das Bild ist seit 1945 verschollen.
  3. August Schreitmüller gestaltete als Bildhauer auf Wunsch von Carl Paul zwei Kreuzigungsgruppen: 1906 in der Sankt Laurentiuskirche Lorenzkirch und 1913 in der Kapelle des Missionshauses in Leipzig. In Lorenzkirch stehen ein Fischer und ein Bauer aus Lorenzkirch unter dem Gekreuzigten und in Leipzig eine Inderin mit Kind und ein Dschagga-Krieger. Pedro Schmiegelow bemalte diese Kreuzigungsgruppen.
  4. Otto Eduard Schmidt beschreibt in seinem Werk Kursächsische Streifzüge einen Besuch bei Carl Paul in Lorenzkirch. Quelle: Otto Eduard Schmidt: Kursächsische Streifzüge. Dritter Band: Aus der alten Mark Meißen. Seite 152-176. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dritte Auflage, Dresden 1924.
  5. Abbildungen finden sich hier.
  6. Verwandtschaftsberechnung
  7. Verwandtschaftsberechnung
  8. Quelle: Erinnerung an den Lorenzkircher Pfarrer und Leipziger Missionsdirektor Dr. Carl Paul

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