- Genter Altar
-
Der Genter Altar ist ein Flügelaltar in der Genter St.-Bavo-Kathedrale. Er wurde von Jan van Eyck und möglicherweise dessen Bruder Hubert van Eyck geschaffen und 1432 oder 1435 von Jan van Eyck in der Kathedrale aufgestellt.[1] Die lange als recht sicher angenommene Mitwirkung Hubert van Eycks, die einer lokalen Genter Tradition entspricht und auch auf einer später zugefügten Inschrift auf dem Altarbild beruht, wird inzwischen von der Forschung weitgehend verworfen.[2] Stifter des Bildes waren der Genter Kaufmann Jodocus Vijd und seine Frau Elisabeth Borluut.
Thema des Retabels ist die Anbetung des Gotteslammes – die Schlussszene der Apokalypse des Johannes und der Einzug der Auserwählten nach dem Jüngsten Gericht in das Neue Jerusalem.
Inhaltsverzeichnis
Beschreibung
Maße
- Maße in geschlossenem Zustand (ohne Rahmen): 375 × 260 cm
- Maße in geöffnetem Zustand (ohne Rahmen): 375 × 520 cm
Die Alltagsseite, der geschlossene Zustand
Die Innenseite des Altars wurde nur an den hohen christlichen Festen gezeigt: an Weihnachten, Ostern und an Allerheiligen. An den übrigen Tagen blieben die Flügel geschlossen.
Die geschlossene Seite ist in drei Zonen aufgebaut. Die untere Zone zeigt vier Nischen mit Rundbogenarkaden. In den äußeren Nischen sind links und rechts die beiden knienden Stifter, Jodokus Vijd und seine Frau, dargestellt.
In den mittleren beiden Nischen, den Stiftern zugewendet, stehen Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist. Van Eyck hat sie in Grisaille ausgeführt, als Skulpturen auf mehreckigen Sockeln mit Namensinschriften. Der Täufer ist an seinen üblichen Attributen zu erkennen, dem Untergewand aus Fell und dem Lamm, auf das er mit dem Zeigefinger der rechten Hand zeigt. Der Evangelist hält in der Hand einen Kelch mit mehreren Schlangen, der auf eine Legende anspielt, die sagt, dass Johannes vergifteter Wein gereicht wurde, er den Kelch aber gesegnet habe und daraufhin das Gift den Kelch als Schlange verlassen habe. Johannes der Täufer ist der Stadtpatron von Gent und war der Vorgänger des Heiligen Bavo als Patron der Kirche. Johannes der Evangelist ist der Autor des Bibelbuchs Apokalypse, das vom Altar thematisiert wird.
Die mittlere Zone zeigt eine Verkündigungsszene. Die vier Tafeln präsentieren einen durchgehenden, niedrigen Innenraum, aus dem ein Biforienfenster den Blick in eine flämische Stadt öffnet. Die schmale Wandnische, die durch ein Dreipassfenster erhellt wird, birgt eine Waschvorrichtung mit einer spiegelblanken Schale, einer kunstvollen, glänzenden Wasserkanne und einem weißen Handtuch. Diese Gegenstände können, nicht zuletzt wegen ihrer auffallend zentralen Position, als Symbole der Gottesmutter Maria zu gedeutet werden.
In der linken Tafel ist der Verkündigungsengel dargestellt, auf der entsprechenden gegenüberliegenden Tafel die kniende Maria, die an ihrem Betpult überrascht worden ist und aufblickt. Über ihrem Kopf schwebt die Taube des Heiligen Geistes. Die Antwort auf den Ave-Gruß des Engels – ecce ancilla domini (siehe [ich bin] die Magd des Herrn) – steht auf dem Kopf, so als sollten die Taube oder der Prophet, der sich aus der darüberliegenden Lünette vorbeugt, sie besser verstehen können. Damit könnte eine räumliche und geistige Verbindung zwischen mittlerer und oberer Zone zustande kommen.
Die obere Zone wird durch Rundbogenabschlüsse der darunter liegenden Tafeln gebildet. In den Lünetten rechts und links sind die Propheten Sacharja und Micha und dazwischen die Eriträische und die Cumerische Sibylle dargestellt. Die beiden Sibyllen sind farbenprächtig gekleidet, die eine in ein orientalisches Phantasiekostüm, die cumerische trägt ein Kleid nach der Mode der Isabella von Portugal, der dritten Frau des Burgunders Philipp III. So war Isabella von van Eyck auf einem – inzwischen verschollenen – Porträt gemalt worden.
Die beiden Propheten und die beiden Sibyllen sind mit Spruchbändern ihrer jeweiligen Prophezeiungen versehen. Bei Sacharja heißt es: Exulta fatis filia syon jubil[…], Ecce rex tuus venit (Juble laut Tochter Sion..., siehe dein König kommt, Sach. 2,14) und bei Micha: Ex te egreditur qui sit dominator in Isr[ae]l (aus dir wird einer hervorgehen, der Herrscher in Israel sein soll, Mich. 5,1).
Die Inschrift
Auf dem unteren Rahmen der Flügelaußenseiten hat man bei einer Reinigung des Bildes im 19. Jahrhundert folgende, zum Teil dann wegen Unleserlichkeit ergänzte Inschrift in lateinischer Sprache entdeckt, aus der die Annahme einer gemeinsame Urheberschaft der Brüder Jan und Hubert beruht:
- PICTOR HUBERTUS EEYCK. MAIOR QUO NEMO REPERTUS
- INCEPIT. PONDUS. QUE JOHANNES ARTE SECUNDUS
- (FRATER) PERFECIT. JUDOCI VIJD PRECE FRETUS
- VERSV SEXTA MAI. VOS COLLOCAT ACTA TVERI
- Übersetzt: Maler Hubert van Eyck, einen größeren gab es nicht, hat dies Werk begonnen und sein Bruder Johannes, der zweite in dieser Kunst, hat im Auftrag von Jodocus Vijd die schwere Aufgabe vollendet. Durch diese Verse vertraut er Eurer Obhut das an, was am 6. Mai entstand.
Aus den Buchstaben des letzten Satzes, die gleichzeitig römische Ziffern sind und in roter Farbe geschrieben waren, haben Kunsthistoriker die Jahreszahl 1432 entschlüsselt. Allerdings haben Röntgenuntersuchungen 1950 und 1979 gezeigt, dass die Inschrift erst nachträglich zugefügt worden ist.
Die Festtagsseite
Mit geöffneten Flügeln zeigt der Altar seine Festtagsseite. Sie ist unterteilt in zwei Zonen. Der das Bild beherrschende obere Mittelteil zeigt Gottvater oder Christus oder auch beide in einer Person – die Frage ist bis heute unter den Kunsthistorikern umstritten – als Pantokrator, den thronenden Weltenherrscher, sowie Maria und Johannes der Täufer. Auf den Seitenflügeln wird die Gruppe jeweils von musizierenden Engeln und von Adam und Eva begleitet.
Der untere Teil zeigt auf fünf Teilen, die durch eine einheitliche Landschaft miteinander verbunden sind, die Auserwählten, die um das Lamm versammelt sind, um es anzubeten.Die Deesis
Zur Darstellung des Jüngsten Gerichts gehört traditionell auch eine Gruppe aus drei Personen, die man in der byzantinischen Kunst eine Deesis nennt: Maria, der Pantokrator (Allherrscher) und Johannes der Täufer. Maria und Johannes haben hier die Funktion von Bittstellern oder Vermittlern. Van Eyck weicht in einigen Punkten von der Tradition ab. So ist Maria sitzend, vertieft in ein Buch, dargestellt, wie es in einer Verkündigungsszene üblich ist, und sie trägt eine Kronen die mit den Mariensymbolen Rose, Maiglöckchen und Lilie geschmückt ist. Johannes der Täufer trägt zwar sein härenes Untergewand, aber hat von Johannes dem Evangelisten den grünen Mantel und als Attribut das Evangelienbuch, statt seines üblichen Lamms.
Der Weltenrichter ist ganz in Rot gekleidet. Untergewand und Mantel sind mit kostbaren goldenen mit Perlen bestickten Bordüren besetzt, auf denen zu lesen ist: REX REGUM ET DOMINUS DOMINANTUM (König der Könige und Herr der Herren), auf dem Kopf trägt er eine kostbare, mit Edelsteinen geschmückte Tiara.
In der Apokalypse heißt es entsprechend:
- Auf dem Haupt trug er viele Diademe; und auf ihm stand eine Name, den nur er allein kennt. Bekleidet war er mit einem blutgetränkten Gewand und sein Name heißt „Das Wort Gottes“... Auf seinem Gewand ...trägt er den Namen „König der Könige und Herr der Herren“. (19,12-16).
Über dem Thron auf dem Bogentor steht geschrieben:
- Dies ist Gott der Allmächtige, mächtig durch seine göttliche Majestät,
- Der Allerhöchste, der Beste durch seine liebreiche Güte,
- Der Allerhöchste Belohner durch seine grenzenlose Freigiebigkeit.
Der Thron ist bedeckt mit einem Teppich, dessen Muster – der Pelikan, der seine Jungen mit dem eigenen Blut nährt – als ein Symbol für Christus, der sein Blut für das Heil der Welt aufgeopfert hat zu lesen ist. Die dominierende Figur des Bildes ist also nicht eindeutig identifizierbar, da er sowohl die bildlichen Züge „Gott Vaters“ als auch Christi trägt. Zudem bildet er, zusammen mit der Taube als Symbol des Heiligen Geistes und dem Lamm als Verkörperung Jesu („Gottes Sohn“) ein Abbild der Dreifaltigkeit.
Zu seinen Füßen liegt eine kostbare Krone, zusammen mit seinem Zepter, Zeichen seiner Königswürde und vielleicht auch eine Anspielung auf die der weltlichen Macht übergeordnete geistliche Macht. Auf dem Absatz hinter der Krone steht geschrieben:
- „Leben ohne Ende strahlt von seinem Haupte aus. Der Glanz ewiger Jugend liegt auf seinem Antlitz. Freude ohne Trübung auf seiner Rechten. Sorglose Sicherheit auf seiner Linken.“
Die Engel
Auf der rechten und linken Seite der Deeisgruppe steht jeweils ein musizierender Engelchor. Sie sind gekleidet in kostbare Brokatgewänder und tragen Diademe, die mit Perlen, Juwelen oder einem Kreuz geschmückt sind. Van Eyck hat die jugendlichen Engel ohne Flügel gemalt, eines der frühen Beispiele flügelloser Engel in der Kunstgeschichte. Die Gestalten tragen keine individuellen Züge sondern sind allesamt Vertreter ein und desselben geschlechtsneutralen Typs von Engeln.
Die linke Gruppe ist um ein gotisches Pult versammelt, das einem in den damaligen Kirchen verwendeten Kantorenpult entspricht. An den unterschiedlichen Mundstellungen der singenden Engel erkennt man, dass diese unterschiedlichen Text singen, hier also eine Darstellung polyphonen Gesanges vorliegt. Die rechte Gruppe bildet ein Trio aus Orgelspieler, Harfenist und Violaspieler, hinter dem sich eine kleine Sängergruppe aufgestellt hat.
Die grünlichen Fliesen des Fußbodens tragen Prägemuster von Blättern, Blumen und Christusmonogrammen wie das IHS und das Alpha und Omega (Α und Ω) der Apokalypse.Adam und Eva
Adam und Eva, nackt und übergroß dargestellt, erinnern an den Sündenfall und an die Vertreibung aus dem Garten Eden. Adam ist schreitend dargestellt. Dabei scheint sein rechter Fuß aus der Bildebene hinauszuragen - neben der Gestaltung der Fußböden der inneren Tafeln der oberen Zone des Altars ein weiteres Beispiel perspektivischer Darstellung. Eva hält in der Hand die Frucht vom Baum der Erkenntnis, hier nicht als Apfel sondern als Zitrusfrucht dargestellt. Beide bedecken ihre Scham mit Feigenblättern – der Sündenfall ist also bereits geschehen. Diese Darstellung ist für ein Altarbild ungewöhnlich; das Bild, das den Opfertod Christi verherrlicht, soll auch die Ursache für den Opfertod zeigen.
Die halben Lünetten oberhalb der Figurennischen zeigen Episoden aus dem Bibelbuch Genesis: Abel und Kain opfern Gott ihre Gaben, aber nur das Lamm Abels ist Gott wohlgefällig. Andererseits sieht man den Brudermord Kains an Abel. Beides ist zu lesen als Präfigurationen des geopferten Lamm Christi, also als Vorauszeichen aus dem Alten Testament auf das Neue.
In St. Bavo befinden sich heute noch Tafeln aus dem 19. Jahrhundert, auf denen man Adam und Eva bekleidet darstellt.
Die Verehrung des Lammes Gottes
Im Gegensatz zu dem oberen Teil der Innenseite wirkt die untere, aus fünf Tafeln bestehende Zone stärker als kompositorische Einheit. Inhaltlich bezieht sich diese auf die Offenbarung des Johannes (Offb 7,9 EU), das letzte Buch des Neuen Testaments der christlichen Bibel.
„Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm!“
– Die Offenbarung des Johannes – Kapitel 7, Vers 9
Auf einer sich über alle Tafeln erstreckenden paradiesischen Landschaft wird die Verehrung des Lammes dargestellt und zwar durch insgesamt neun unterschiedliche Gruppen: Engel mit Weihrauchfässern bzw. Leidenswerkzeugen rings um den Altar, auf den beiden linken Seitenflügeln die gerechten Richter und berittene Heilige und davor die gemischte Gruppe von alttestamentlichen Propheten (zu erkennen an den Büchern), Juden und anderen Ungetauften sowie spiegelbildlich angeordnet auf der gegenüberliegenden Seite die beiden Gruppen aus Päpsten, Bischöfen und anderen Priestern sowie den von einem hünenhaften Christophorus angeführten Eremiten. Der Kreis schließt sich durch die beiden oberhalb des Altars heranströmenden endlos erscheinenden Prozessionen von heiligen Jungfrauen und von Priestern, die durch Palmwedel als Märtyrer gekennzeichnet sind.
Mittelpunkt des Bildes ist das Lamm auf dem Altar, aus dessen Seite Blut in einen Kelch strömt. Da man bei der Brüsseler Restaurierung nach dem Zweiten Weltkrieg offenbar wegen der Ungeduld der Genter die Arbeit abbrechen musste, hat dieses Lamm vier Ohren, die zarten ursprünglichen, jetzt wieder freigelegten Öhrchen, sowie die großen der späteren Übermalung. Auf dem Antependium stehen Zitate aus dem Johannesevangelium: ECCE AGNUS DEI QUI TOLLIT PECCATA MUNDI und JHESUS VIA VERITAS VITA (Jesus der Weg, die Wahrheit, das Leben). Aus dem Springbrunnen – achteckig wie ein mittelalterliches Baptisterium – unterhalb des Altars ergießt sich Wasser in eine edelsteingeschmückte Wasserrinne, stellvertretend für die vier Paradiesströme. Auf dem Brunnenrand ist zu lesen: HIC EST FONS AQUAE VITAE PROCEDENS DE SEDE DEI +AGNI (Dies ist der Quell des lebendigen Wasser der ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes).
Oberhalb des Altars schwebt die Taube des Heiligen Geistes, der mit seinen goldenen Strahlen Licht über das Paradies ergießt.
Interpretation des Agnus Dei
Das Lamm ist eines der ältesten Symbole für Christus. Das Symbol selbst ist außerordentlich vielschichtig und fruchtbar für vielfältige Assoziationen. Zunächst war das Lamm ein Opfertier im jüdischen Kult (Exodus, 12; ) (s. auch Pessachfest) und Worte des Propheten Jesaja über das Lamm, das sich willig zur Schlachtbank führen lässt (Jes 16,1), wurden traditionell in der Theologie auf Jesu Gang nach Golgota bezogen. Der letzte der großen Propheten, Johannes der Täufer, nennt Jesus ... das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinwegnimmt. ((Joh 1,29 EU)) In der Apokalypse des Johannes kommt der Begriff sehr oft vor (Off. 5, 1-14; 6, 1-17; 7, 17; 12,11; 14, 1-5; 22, 10 u. a.) Der Agnus Dei genannte feste Teil der katholischen lateinischen Messe hat ebenfalls diese Vorstellung zum Thema.
Schließlich schwingt noch die Vorstellung von Jesus als dem Guten Hirten mit, der oft mit dem Lamm auf der Schulter dargestellt wird und ein vertrautes und ein häufiges Motiv vor allem in der frühchristlichen Kunst ist.Die Landschaft
War auf mittelalterlichen Landschaften die himmlische Sphäre in der Regel durch einen Goldgrund symbolisiert, so stellt van Eyck das Paradies buchstäblich als Garten Eden da. Aus der Vogelperspektive gesehen breitet er eine ideale Landschaft unter einem heiterem Himmel mit federleichten Wölkchen aus. Mit Wiesen und Baumgruppen bedeckte Hügel reihen sich aneinander, hinter denen die Kirchtürme niederländischer Städte aufragen, Symbole für das himmlische Jerusalem der Apokalypse (Offb 21,10 EU):
„… die heilige Stadt Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel kam“
– Die Offenbarung des Johannes – Kapitel 21, Vers 10
Viele der Blumen und Pflanzen sind so genau dargestellt, dass sich leicht Orangen- und Granatapfelbäume, Palmen und Zypressen, Rosenbüsche und Weinstöcke sowie Lilien, Iris, Pfingstrosen, Maiglöckchen, Waldmeister und Gänseblümchen identifizieren lassen.
Hubert oder Jan van Eyck?
Die Frage nach dem Autor des Genter Altars gehört zu den bisher ungelösten Fragen der Kunstwissenschaft. Noch Dürer, der den Altar am 10. April 1521 sehen konnte, spricht nur von Jan van Eyck, von des Johannes taffel; das ist ein über köstlich, hoch verständig gemähl, und sonderlich die Eva, Maria und Gott der vatter sind fast [=sehr] gut.
Die intensive Diskussion über die jeweiligen Anteile der Brüder Hubert und Jan an dem Altar begann erst mit der Entdeckung der Inschrift auf dem äußeren Rahmen im Jahre 1823. Für die Kunstwissenschaft stellte sich sofort die Frage einer „Händescheidung“, die bisher nicht befriedigend und schlüssig beantwortet werden konnte, und die bisher jeder, der sich mit der Frage auseinandergesetzt hat, unterschiedlich beantwortet hat. Es gibt keine gesicherte Lehrmeinung, der sich die Mehrheit der Forscher anschließen möchte. Es sieht vielmehr so aus, dass die Unsicherheit über Abgrenzung oder die Zuschreibung von Gesamtkonzept, einzelner Tafeln oder von Bildanteilen mit dem Zuwachs der Untersuchungen und der Kenntnisse über das Bild eher zu- als abnimmt.
Herzner hat sich in seiner umfangreichen Arbeit, in der erstmals auch die frühen Quellen zu dem Bild vollständig veröffentlicht worden sind, ausführlich mit der Forschungsgeschichte auseinandergesetzt. Er hält die Inschrift nicht nur wegen der unstrittigen, aber zeitlich nicht zu rekonstruierenden Zufügung für nicht authentisch. Jan van Eyck, der viele seiner Werke signiert hat, habe das niemals in der Form einer Panegyrik, wie es in der Rahmeninschrift der Fall ist, getan.
Ein weiteres Argument für ihn ist, dass Jan Hofmaler war, verschiedene hochrangige Auftraggeber hatte und um 1430 bereits ein hochgeschätzter Künstler war, während sich nach Herzner von Hubert "kein einziges Werk, das sich etwa durch Dokumente, eine Inschrift oder alte Überlieferungen für Hubert van Eyck sichern ließe" bekannt ist. (S.10).
Zudem weist er nach, dass für die Mehrzahl der Bildelemente, auch in der mittleren Paradiestafel, die in einem altertümlicheren Stil als die oberen oder die Außentafeln gemalt zu sein scheint und gerne Hubert zugeschrieben wurde, motivische und formale Vorläufer in Jans Werk zu identifizieren sind.
Er kommt in seiner Argumentation zu dem Schluss, das der Genter Altar in Konzept und Ausführung allein das Werk Jan van Eycks ist.Nils Büttner sieht die Motive für die Hinzufügung der Inschrift im Genter Lokalpatriotismus des 16. Jahrhunderts. Denn Jan van Eyck kam aus Brügge, war also kein Genter, während der zufällig namensgleiche Hubert als Genter Maler belegt war. Gent und Brügge standen seit jeher in Konkurrenz. Es war bei humanistischen Gelehrten beliebt, die eigene Heimatstadt mit einem „Städtelob“ zu feiern. Dabei ging es natürlich nicht an, dass das berühmteste Kunstwerk der Stadt von einem Auswärtigen geschaffen worden war. Weil Hubert van Eycks Name in Gent überliefert war, wurde er kurzerhand zum Bruder Jan van Eycks gemacht und dem auswärtigen Jan vorangestellt. Der konkrete Anlass war – immer nach Büttners Hypothese – die Versammlung des Ordens vom Goldenen Vlies in der Genter St. Bavo-Kirche im Jahr 1559, für die die Kirche ausgeschmückt wurde. Damals wurde in der Kapelle, in der der Genter Altar stand, ein Gedicht angebracht, das Hubert van Eyck als Meister des Altares rühmt. Dazu passt die Inschrift auf dem Rahmen, die nicht wie im Mittelalter üblich den Stifter und sein Seelenheil an erster Stelle nennt, sondern mit dem Künstler und dem Lob seines Werkes beginnt, wie es dem Kunstverständnis der Renaissance entspricht. Mit dem Namen Hubert van Eyck ist auch das aus der Inschrift erschlossene Datum 1432 hinfällig. Tatsächlich stiftete de Vijd erst 1435 eine Messe in der Kapelle. Vorher wird auch der Altar nicht entstanden sein.
Geschichte des Genter Altars
Der Altar ist ein Auftragswerk des reichen Genter Patriziers Jodocus Vijd und seiner Frau. Er war bestimmt für die ebenfalls von ihm gestiftete Seitenkapelle in St. Bavo. Der Auftrag wurde um 1420 an van Eyck vergeben und um 1433 vollendet. 1435 vermachte Vijd der Kirche ein Stück Land, damit von dessen Erträgen auch in Zukunft an dem Altar Messen für die Stifter gelesen werden konnten.
Der Altar steht zwar heute wieder – fast vollständig – in der St.-Bavo-Kathedrale, aber nicht an seinem ursprünglichen Bestimmungsort, der Vijd-Kapelle mit ihrem bildrelevantem Licht im südöstlichen Kapellenkranz der Kirche. Das Bild blickt auf eine wechselvolle und abenteuerliche Geschichte zurück.
Im 16. Jahrhundert wurde es zum ersten Mal einer Restaurierung unterzogen, bei der angeblich die Predella vernichtet wurde. 1550 reinigten die Maler Lancelot Blondeel und Jan van Scorel das Bild. Während des niederländischen Bildersturms versteckte man das Bild im Kirchturm und brachte es erst nach der Rekatholisierung Flanderns 1569 wieder an seinem Platz in der Vijd-Kapelle zurück. 1578 demontierten die Calvinisten das Bild erneut und stellten es im Rathaus auf. Es kehrte zwanzig Jahre später wieder nach St. Bavo zurück. 1662 wurden die Tafeln in einen barocken Altaraufbau eingesetzt. 1781 mussten die Tafeln mit Adam und Eva entfernt werden, angeblich, weil Kaiser Joseph II. an den nackten Voreltern Anstoß nahm. Allerdings passte der Stil der Gemälde auch nicht mehr in den frühklassizistischen Zeitgeschmack. Nach der Eroberung Flanderns durch französische Truppen im Zusammenhang mit den Kriegen um die französischen Revolution wurden die Mittelteile des Altars nach Paris verschleppt und dort im Musée Napoléon ausgestellt, dem heutigen Louvre, während man die Flügel rechtzeitig verstecken konnte. Nach Waterloo wurden die Haupttafeln der Stadt Gent zurückgegeben. Die Seitentafeln aber waren zu diesem Zeitpunkt – nach Auffassung der Zeit durchaus legal – an einen Händler verkauft und von diesem an den englischen Kaufmann Edward Solly weiter veräußert worden. Dieser verkaufte die Seitentafeln 1821 für 400.000 Gulden an den preußischen König Friedrich Wilhelm III. 1823 entdeckte in Berlin Gustav Christoph Waagen die übermalte Inschrift. 1829 wurden die nach Berlin gelangten Tafeln in eine Vorder- und eine Rückseite zerteilt, damit man beide Seiten besser betrachten konnte. Das Bild wurde zunächst im 1830 eröffneten Alten Museum von Karl Friedrich Schinkel aufgestellt, als Hauptwerk der Berliner Galerie direkt neben den Hauptwerken der italienischen Renaissance-Sammlung. 1904 kam es wieder, mit einem eigenen Kabinett hervorgehoben, im neuen Kaiser-Friedrich-Museum zur Präsentation. Im neu geplanten Deutschen Museum im Nordflügel des heutigen Pergamonmuseum sollte es seit 1907 eine zentrale Stellung erhalten. Doch nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wurde Deutschland im Vertrag von Versailles verpflichtet, das Bild gemeinsam mit den in der Münchener Alten Pinakothek aufbewahrten Tafeln des Löwener Altars von Dierek Bouts an Belgien auszuliefern, obgleich sie 1821 rechtlich legal erworben worden waren und die Haager Kriegskonvention von 1904 die Kompensation von Kriegsschäden mit Kulturgütern verbietet. Bis weit in die dreißiger Jahre hinein wurde gegen die Auslieferung der Tafeln in Deutschland protestiert, noch 1936 richteten die Berliner Museen im Deutschen Museum im Pergamonmuseum ein Gedenkkabinett ein. In Belgien wurden die zersägten Tafeln wieder zusammengefügt, mit den inzwischen im Brüsseler Museum gelandeten Adam- und Eva-Flügeln vereinigt und in der Genter St.-Bavo-Kirche wieder als Hochaltar aufgestellt. 1934 wurden die Tafeln mit den gerechten Richtern und Johannes dem Täufer gestohlen. Letztere wurde zurückgegeben. Für die gerechten Richter wurde jedoch ein Lösegeld von einer Million belgische Francs gefordert. Da die Summe nicht gezahlt wurde, bleibt das Bild bis heute verschollen. Das ausgestellte Bild ist eine Kopie.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Bild nach Südfrankreich (Schloss Pau) gebracht, wo es von den Nationalsozialisten entdeckt wurde. Sie verschleppten es zunächst nach Neuschwanstein und 1944 in das Salzbergwerk bei Altaussee.
Nach dem Krieg wurde es in Brüssel einer umfassenden Restaurierung unterzogen und von später zugefügten Malschichten soweit wie möglich befreit. Anschließend wurde es wieder am Ort seiner Bestimmung, der Vijd-Kapelle aufgestellt. Seit 1989 steht es nach erneuter umfänglicher Restaurierung in der tageslichtfreien nördlichen Turmseitenkapelle von St. Bavo in einer hermetischen Panzerglasvitrine, die eine Klimatisierung des im großen und ganzen sehr gut erhaltenen Werkes sowie Schutz erlaubt. Allerdings lässt die grünliche Tönung des dicken Panzerglases die originale Farbigkeit nicht mehr erkennen, insbesondere bei der ausschließlichen Beleuchtung durch Kunstlicht. Auch ist die Betrachtung des geschlossenen Zustands dadurch unmöglich geworden, mithin die Einheitlichkeit von dessen Bildmotiven – Verkündigung, Stifter und beide Johannes – zerrissen.
Im Moment (September 2010) wird der Altar erneut einer Renovierung unterzogen, allerdings unter den Augen der Öffentlichkeit. Die Arbeiten an den einzelnen Bildtafeln finden in der Turmseitenkapelle hinter einer Panzerglasscheibe statt. Von der ganzen Pracht des Altars erhält man in der ursprünglichen Vijd-Seitenkapelle mit Tageslicht eine Vorstellung, wo eine originalgroße Farb-Fotokopie des Altars aufgestellt ist, so dass alle Bildtafeln zu sehen sind und der Altar auch im geschlossenen Zustand betrachtet werden kann. Mithilfe eines Audioguides, der in unterschiedlichen Sprachen zu haben ist, wird die Komposition des Altars sehr ausführlich erklärt.
Literatur
- Nils Büttner: Johannes arte secundus? Oder: Wer signierte den Genter Altar?. In: Thomas Schilp (Hrsg.): Dortmund und Conrad von Soest im spätmittelalterlichen Europa. Bielefeld 2004, S. 179–200. Volltext in ART-Dok der Universität Heidelberg
- Elisabeth Dhanens: Van Eyck. The Ghent Altarpiece. Lane Press, London 1973, ISBN 0-7139-0407-0.
- Esther Gallwitz: Ein wunderbarer Garten. Die Pflanzen des Genter Altars. Insel-Verlag, Frankfurt/M. 1996, ISBN 3-458-33553-6.
- Volker Herzner: Jan van Eyck und der Genter Altar. Edition Werner, Worms 1995, ISBN 3-88462-125-4.
- Caterina Limentani Virdis, Mari Pietrogiovanna: Flügelaltäre. Bemalte Polyptychen der Gotik und Renaissance („I polittici“). Hirmer Verlag, München 2001, ISBN 3-7774-9520-4.
- Otto Pächt: Van Eyck. Die Begründung der altniederländischen Malerei. 4. Aufl. Prestel Verlag, München 2007, ISBN 978-3-7913-2720-4.
- Erwin Panofsky: Die altniederländische Malerei. Ihr Ursprung und Wesen („Early Netherlandish Painting“). DuMont, Köln 2001, ISBN 3-7701-3857-0 (2 Bde.).
- Peter Schmidt: Der Genter Altar. 2. Aufl. Verlag Urachhaus, Stuttgart 2007.
- Peter Schmidt: Het Lam Gods. Davidsfonds, Leuven 2005, ISBN 90-77942-03-3.
- Norbert Schneider: Jan van Eyck, Der Genter Altar. Vorschläge für eine Reform der Kirche. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 1997, ISBN 3-596-23933-8.
Weblinks
Commons: Genter Altar – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Inigo Bocken: The viewers in the Ghent Altar Piece, Vortrag auf der VLAC-Konferenz Material and Vision, Flemish Academic Centre for Science and the Arts, Brüssel, 25. November 2010.
- Ferdinand Dupuis-Panther: Jan van Eyck und das Geheimnis des Lamm Gottes, in: Reisejournalismus-Portal Schwarz auf Weiss
Einzelnachweise
- ↑ Nils Büttner: Johannes arte secundus? Oder: Wer signierte den Genter Altar?. In: Thomas Schilp (Hrsg.): Dortmund und Conrad von Soest im spätmittelalterlichen Europa. Bielefeld 2004, S. 184.
- ↑ Nils Büttner: Johannes arte secundus? Oder: Wer signierte den Genter Altar?. In: Thomas Schilp (Hrsg.): Dortmund und Conrad von Soest im spätmittelalterlichen Europa. Bielefeld 2004, S. 185. Siehe dort auch die Anmerkungen 44 und 45.
Dieser Artikel wurde am 16. September 2006 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen. Kategorien:- Wikipedia:Lesenswert
- Gemälde (15. Jahrhundert)
- Altar
- Gent
- Kunst (Niederlande)
- Jan van Eyck
Wikimedia Foundation.