Marinelli-Formel

Marinelli-Formel
Szintigraphie eines Patienten mit M. Basedow vor und nach der Radioiodtherapie

Die Radioiodtherapie (RIT, auch Radiojodtherapie, RJT) ist ein nuklearmedizinisches Therapieverfahren zur Behandlung der Schilddrüsenautonomie, der Basedow-Krankheit, der Schilddrüsenvergrößerung und bestimmter Formen des Schilddrüsenkrebses. Eingesetzt wird das radioaktive Iod-Isotop 131Iod, das ein überwiegender Beta-Strahler mit einer Halbwertszeit von acht Tagen ist und im menschlichen Körper nur in Schilddrüsenzellen gespeichert wird.

Die RIT unterliegt in vielen Ländern bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen und kann in Deutschland nur stationär durchgeführt werden. Die Therapieform wird seit den 1940er Jahren angewendet und gilt als nebenwirkungsarm und auch in der langjährigen Verlaufsbeobachtung als sicher. In Deutschland existieren etwa 150 Therapieeinrichtungen, in denen etwa 60.000 bis 70.000 Behandlungen jährlich durchgeführt werden.[1]

Inhaltsverzeichnis

Anwendungsgebiete

Die Radioiodtherapie ist ein nuklearmedizinisches Therapieverfahren, das bei verschiedenen Erkrankungen der Schilddrüse durchgeführt wird. Die häufigsten Indikationen sind die autonomen Funktionsstörungen der Schilddrüse (Autonomes Adenom, multifokale Autonomie, disseminierte Autonomie), die Basedow-Krankheit (Morbus Basedow) und diejenigen Formen des Schilddrüsenkrebses (Schilddrüsen-Karzinom), die Iod speichern: das papilläre und das follikuläre Schilddrüsenkarzinom. Auch eine Schilddrüsenvergrößerung (Struma) ohne Funktionsstörung wird zunehmend mittels Radioiodtherapie behandelt.[1]

Schwangerschaft gilt als absolute Kontraindikation für die Radioiodtherapie bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen. Aus allgemeinen strahlenbiologischen Erwägungen wird empfohlen, bis zu 6 Monate nach der RIT eine Schwangerschaft zu vermeiden. Tritt in dieser Zeit doch eine Schwangerschaft ein, so ist dies aber kein ausreichender Grund für einen Schwangerschaftsabbruch. Es wird jedoch empfohlen, eine genetische Beratung in Anspruch zu nehmen. Für die Radioiodtherapie beim Schilddrüsenkrebs in der Schwangerschaft gilt, dass zwar die theoretische Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer genetischen Schädigung berechenbar ist, solche Schäden in der Realität aber bisher nicht aufgetreten sind.[1]

Alternative Behandlungsverfahren sind für die Funktionsstörungen die verschiedenen Formen der Schilddrüsenoperation. Der Morbus Basedow kann in einem Teil der Fälle unter der medikamentösen Behandlung mit Thyreostatika vorübergehend oder dauerhaft in seiner Aktivität nachlassen (Remission), als endgültige („definitive“) Therapie kommt neben der RIT auch die Operation in Frage. Bei den Schilddrüsen-Karzinomen kann nur beim papillären Karzinom im Frühstadium pT1a nach der Operation auf die Radioiodtherapie verzichtet werden. Zur Behandlung der gutartigen Schilddrüsenvergrößerung werden medikamentöse Therapie, Operation und RIT eingesetzt.

Wenn die Wahl zwischen Operation und Radioiodtherapie besteht, sprechen folgende Argumente für die RIT: Wenn die Schilddrüse bereits operiert worden war oder bereits eine (einseitige) Lähmung des Stimmbandnervens (Rekurrensparese) vorliegt, bei Patienten in höherem Lebensalter oder mit schweren Begleiterkrankungen, wenn die Schilddrüse relativ klein ist oder der Patient unter Operationsangst leidet. Jugendliches Alter gilt nicht mehr als Kontraindikation. Folgende Argumente sprechen dagegen für die Operation: Verdacht auf Bösartigkeit (Malignität), durch Iod verursachte Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose), Schwangerschaft und Stillzeit, floride Augenbeteiligung bei Morbus Basedow (endokrine Orbitopathie), Zeichen einer Einengung (Kompression) der Nachbarstrukturen (Luftröhre: Stridor, Speiseröhre: ausgeprägte Schluckstörung, Halsgefäße: obere Einflussstauung), Strahlenangst oder größere kalte Gebiete der Schilddrüse.

Gesetzliche Voraussetzungen

In den meisten Ländern unterliegt die Durchführung der Radioiodtherapie bestimmten gesetzlichen und quasi-gesetzlichen Regelungen. In vielen Ländern kann die Radioiodtherapie ambulant durchgeführt werden.

In Deutschland regeln die Strahlenschutzverordnung und die vom Länderausschuss für Atomkernenergie herausgegebene Richtlinie „Strahlenschutz in der Medizin“ die Durchführung der Radioiodtherapie. Sie legen fest, dass die Therapie nur auf einer nuklearmedizinischen Therapiestation durchgeführt werden darf. Der durchführende Arzt muss eine entsprechende Umgangsgenehmigung haben, deren Erteilung unter anderem an die „Fach- und Sachkunde auf dem Gebiet der Anwendung radioaktiver Stoffe in der Diagnostik und Therapie“ geknüpft ist. Die Anwesenheit eines Medizinphysikexperten ist notwendig. Den Erfordernissen des Strahlenschutzes ist in Bezug auf bauliche und personelle Aspekte Rechnung zu tragen. Insbesondere muss eine geeignete Abklinganlage für radioaktiv kontaminierte Abwässer vorhanden sein. Das betreuende Personal muss regelmäßig im Strahlenschutz unterwiesen werden.

Ambulante Therapien sind in Österreich möglich. Die Grenzaktivitäten sind gesetzlich festgelegt. Auch in Österreich ist die Anwesenheit eines Medizinphysikexperten vorgeschrieben.

In der Schweiz dürfen Radioiodtherapien mit einer applizierten Aktivität bis 200 MBq ambulant durchgeführt werden.

In den USA dürfen Radioiodtherapien bis zu einer Aktivität von 1110 MBq ambulant durchgeführt werden. Die Mehrzahl der Therapien bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen kann damit ambulant vorgenommen werden.

Therapieprinzip und physikalische Grundlagen

Bleiverpackung für 131I-Natriumiodid

Das verwendete radioaktive Iod-Isotop 131Iod steht in Kapselform und flüssig zur Verfügung. Es wird in der Regel peroral verabreicht, kann in Ausnahmefällen (zum Beispiel bei ausgeprägten Schluckstörungen) auch intravenös appliziert werden. Bei peroraler Aufnahme wird das Iod rasch über die Magenschleimhaut aufgenommen und an das Blut abgegeben (Resorption). Über den Natrium-Iodid-Symporter gelangt das Iod in die Schilddrüsenzelle und wird letztlich im Schilddrüsenfollikel gespeichert. Unter der Wirkung von TSH oder TSH-Rezeptor-Autoantikörpern ist die Aufnahme von Iod in die Schilddrüsenzellen erhöht. Autonome Anteile der Schilddrüse nehmen Iod unabhängig vom TSH auf.

Die besondere Eleganz der Radioiodtherapie liegt darin begründet, dass nur Schilddrüsenzellen Iod – und damit auch Radioiod – aufnehmen, andere Organe speichern kein Iod. Das nicht in der Schilddrüse gespeicherte Iod wird innerhalb kurzer Zeit über die Nieren und die Harnblase aus dem Körper eliminiert. Geringe Mengen werden von den Schweißdrüsen und über den Darm ausgeschieden. In geringem Maße wird Iod zwar von den Speicheldrüsen und der Magenschleimhaut ausgeschieden, über den Magen-Darm-Trakt aber wieder aufgenommen. Wegen dieser besonderen Eigenschaften des Iod-Stoffwechsels ist es möglich, sehr große Strahlendosen im Zielgewebe zur erreichen, während die übrigen Gewebe nur eine geringe Strahlenexposition haben.

131Iod ist ein in Kernreaktoren hergestelltes Nuklid und hat eine Halbwertszeit von 8,02 Tagen. Bei seinem Zerfall zu stabilem Xenon wird ein Beta-Strahl mit der maximalen Energie von 0,61 MeV und einer mittleren Reichweite von 0,5 mm frei. Diese Strahlung ist für die therapeutische Wirkung verantwortlich. Darüber hinaus wird auch Gammastrahlung mit dem Hauptpeak bei 364 keV frei, die die Schilddrüse verlassen kann und daher einerseits für die unerwünschte Strahlenexposition des Patienten und der Umgebung verantwortlich ist, andererseits aber auch für die Bildgebung und den Radioiodtest verwendet werden kann.

Die Betastrahlen bewirken in der Umgebung der Schilddrüsenzellen Schäden in der DNA, insbesondere Doppelstrangbrüche, die letztlich zur Einleitung des programmierten Zelltods (Apoptose) führen (→ Wirkungsmechanismus der Strahlentherapie).

Die Radioiodtherapie bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen

Vorbereitung

Iodkarenz

Amiodaron

Um eine optimale Aufnahme des Iods in die Schilddrüse zu erreichen, sollen vor dem Radioiodtest und der Therapie mit radioaktivem Iod zusätzliche Iodquellen gemieden werden (Iodkarenz). Solche Iodquellen sind insbesondere iodhaltige Kontrastmittel, das Antiarrhythmikum Amiodaron und bestimmte iodhaltige Desinfektionsmittel. Bei wasserlöslichen Kontrastmitteln reicht eine Karenzzeit von 6 Wochen. Nach der Anwendung fettlöslicher Kontrastmitteln oder des ebenfalls fettlöslichen Amiodaron kann die Schilddrüse für viele Monate blockiert sein.

Iod in nennenswerten Mengen ist in vielen Multivitaminpräparaten und Nahrungsergänzungsmitteln enthalten, sowie in Seefisch, Meeresfrüchten und bestimmten Produkten aus Algen. Diese Iodquellen sollen für etwa eine Woche vor Iodtest und Therapie vermieden werden. Die Einnahme von Iod aus iodiertem Speisesalz und von mit diesem zubereiteten, industriell gefertigten Lebensmitteln ist praktisch nicht vollständig zu vermeiden.

Stoffwechseleinstellung

Thyroxin

Die Radioiodtherapie soll möglichst nicht bei manifest hyperthyreoter Stoffwechsellage durchgeführt werden, da die Überfunktion durch Freisetzung der Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) verstärkt werden kann. Daher sollen mit der niedrigsten möglichen Dosis von Thyreostatika in den Wochen vor der RIT normale Werte für T4 und T3 eingestellt werden. Allerdings vermindern Thyreostatika die Iodaufnahme in die Schilddrüse, so dass empfohlen wird, diese wenigstens ein bis zwei Tage vor der Radioiodtherapie abzusetzen.

Bei der Schilddrüsenautonomie soll der TSH-Wert supprimiert sein, um über den thyreotropen Regelkreis die Iodaufnahme in nicht-autonome Anteile der Schilddrüse zu minimieren. Gegebenenfalls müssen hierfür zur Vorbereitung Schilddrüsenhormone gegeben werden. Bei der euthyreoten Struma wird die Therapie in der Regel ohne begleitende Schilddrüsen-gerichtete Medikamente durchgeführt.

Ermittlung der geeigneten Therapie-Aktivität

Die deutsche Richtlinie „Strahlenschutz in der Medizin“ schreibt vor: Bei der Planung einer nuklearmedizinischen Behandlung ist die Dosis für die zu behandelnden Organe oder Gewebe [...] im voraus zu ermitteln und die danach zu verabreichende Aktivität zu bemessen. Soweit patientenspezifische Parameter benötigt werden, sind hierfür individuelle Messungen und Daten heranzuziehen.[2]

Bei der Ermittlung der zur Therapie notwendigen Aktivität ist in Deutschland und in Österreich neben dem Nuklearmediziner auch ein Medizinphysikexperte hinzuzuziehen. In die Berechnung gehen die Zieldosis, das Zielvolumen und das Integral der Aktivität in der Schilddrüse über die Zeit ein.

Das Zielvolumen der Radioiodtherapie und die im Zielvolumen angestrebte Energiedosis richten sich nach der zu behandelnden Erkrankung. Beim Morbus Basedow, bei der Schilddrüsenvergrößerung ohne Autonomie und bei der disseminierten Autonomie wird das sonografisch bestimmte Gesamtvolumen der Schilddrüse als Zielvolumen angenommen, bei der unifokalen und multifokalen Autonomie nur das Volumen der Adenome. Die angestrebten Zieldosen laut Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin zur Radioiodtherapie bei benignen Schilddrüsenerkrankungen sind in folgender Tabelle angegeben.

Angestrebte Zieldosis bei der Radioiodtherapie[3]
effektive Halbwertszeit[1]
Erkrankung
angestrebte Zieldosis
Euthyreose
Hyperthyreose
Unifokale Autonomie etwa 300 bis 400 Gy 4,8 Tage 4,2 Tage
Multifokale Autonomie etwa 150 Gy 5,5 Tage 4,8 Tage
Disseminierte Autonomie etwa 150 Gy 5,5 Tage 4,8 Tage
Morbus Basedow     4,2 Tage
Ablatives Konzept etwa 200 bis 300 Gy    
Funktionsoptimiertes Konzept etwa 150 Gy    
Struma zur Verkleinerung etwa 120 bis 150 Gy 5,5 Tage  

Das Aktivitäts-Zeit-Integral kann mit dem Radioiodtest ermittelt werden. Hierzu wird eine geringe Menge Radioiod verabreicht (meist peroral): etwa 1 bis 5 MBq 131Iod oder – seltener – 5 bis 10 MBq 123Iod.[1] Zu bestimmten Zeitpunkten wird die Aktivität über der Schilddrüse gemessen und ins Verhältnis zur Ausgangsaktivität und ihrem natürlichen Zerfall gesetzt. Zu bestimmen sind die maximale Aufnahme (uptake) in Prozent und die effektive Halbwertszeit in Tagen. Je mehr Messpunkte vorliegen, desto genauer kann die Fläche unter der Kurve bestimmt werden. Aus Gründen der praktischen (ambulanten) Durchführbarkeit wird meist nur nach 24 und 48 Stunden gemessen, unter Umständen auch nur nach 24 Stunden. Beim Morbus Basedow wird wegen des beschleunigten Iodumsatzes eine erste Messung bereits nach vier bis acht Stunden gefordert. Zur genauen Bestimmung der effektiven Halbwertszeit wird eine weitere Messung nach vier bis acht Tagen notwendig. Wegen nur geringer Unterschiede der effektiven Halbwertszeit zwischen den einzelnen Patienten mit gleicher Erkrankung und gleicher Stoffwechsellage, kann die effektive Halbwertszeit auch als empirisch ermittelter Wert angenommen werden (siehe Tabelle).

Die anzuwendende Therapie-Aktivität kann dann nach der Marinelli-Formel berechnet werden.[4] Hierbei ist A die zu errechnende Aktivität, HD die angestrebte Herddosis, V das bestimmte Zielvolumen, K eine empirisch ermittelte Konstante von 24,67, Umax der maximale uptake und t0,5 eff die effektive Halbwertszeit.

 A = \frac {HD \cdot V \cdot K} {U_\text{Max} \cdot t_\text{0,5 eff}}

Cortison-Vorbehandlung bei endokriner Orbitopathie

Eine endokrine Orbitopathie (eO) bei Morbus Basedow kann sich unter der Radioiodtherapie verschlechtern oder erstmals auftreten. Bei vorbestehender eO wird daher ab dem Tag der RIT oder dem Tag zuvor eine Behandlung mit Glucocorticoiden (Cortison) empfohlen, die Dosierung richtet sich nach dem Schweregrad der Augenerkrankung. Beim Morbus Basedow ohne endokrine Orbitopathie ist die prophylaktische Gabe von Glucocorticoiden umstritten. Die möglichen Nebenwirkungen und Kontraindikationen der Cortison-Therapie (Diabetes mellitus, Magengeschwüre und Elektrolytstörungen) sind zu beachten.[1]

Aufklärung

Vor Beginn von Radioiodtest und Radioiodtherapie erfolgt eine Aufklärung. In dieser wird der Patient auf den Ablauf von Test und Therapie hingewiesen. Neben den Risiken und Nebenwirkungen der RIT ist in den Ländern, in denen die RIT nur stationär durchgeführt werden kann, insbesondere die Tatsache, dass nach Gabe der Therapieaktivität der Patient die Therapiestation nicht verlassen darf, Gegenstand des Aufklärungsgespräches. Der Patient wird außerdem darauf hingewiesen, dass regelmäßige Nachuntersuchungen medizinisch geboten und gesetzlich vorgeschrieben sind (siehe → Abschnitt Nachsorge).

Durchführung

Nach der meist peroralen – in Ausnahmefällen intravenösen – Gabe des 131Iod muss in Deutschland der Patient mindestens 48 Stunden auf der Therapiestation verbleiben. Es wird empfohlen, etwa eine Stunde nach peroraler Einnahme nüchtern zu bleiben, bis das Radioiod weitgehend resorbiert ist.[1]

Üblicherweise erfolgen dann regelmäßige Messungen der Strahlung, diese lassen Rückschlüsse auf die im gesamten Körper des Patienten beziehungsweise in der Schilddrüse verbliebene Aktivität. Erstere ist wichtig für den Zeitpunkt der Entlassung nach der Therapie, letztere im Maximalwert und im zeitlichen Verlauf zur Kontrolle des Therapieerfolges. Es lassen sich nämlich der tatsächlich erreichte maximale Uptake (Umax) und die tatsächlich erzielte effektive Halbwertszeit (t0,5 eff) ermitteln und durch Umstellung der Marinelli-Formel (siehe oben) die tatsächlich erzielte Herddosis (HD) bestimmen. Das Zielvolumen V und die empirisch ermittelte Konstante K sind unverändert.

 HD = \frac {A \cdot U_\text{Max} \cdot t_\text{0,5 eff}} {V \cdot K}

Sollte die Herddosis vom geplanten Wert wesentlich nach oben abweichen, so ist mit höherer Wahrscheinlichkeit mit der Entwicklung einer Schilddrüsen-Unterfunktion nach der Therapie zu rechnen und die Nachsorge entsprechend zu planen.

Sollte die Herddosis dagegen wesentlich nach unten abweichen, kann noch während des stationären Therapie-Aufenthaltes eine zusätzliche Gabe von Radioiod erfolgen, um die erwünschte Zieldosis noch zu erreichen und den Therapieerfolg zu sichern. Dabei ist zu beachten, dass aufgrund der Frühwirkung der Radioiodtherapie („stunning“) der Uptake der zweiten Dosis regelmäßig niedriger liegt, als der der ersten.

Durch die Gabe geringer Mengen nicht-radioaktiven Iods oder von Lithium nach der Gabe des Radioiods lässt sich das Verbleiben des Radioiods in der Schilddrüse und damit die effektive Halbwertszeit t0,5 eff verlängern und eine um bis zu 30 % höhere Herddosis erzielen. Hierbei sind insbesondere beim Lithium Risiken und Nebenwirkungen sowie die geringe therapeutische Breite zu beachten.[1]

Risiken und Nebenwirkungen

Strahlenexposition

Aufgrund der biologischen Eigenschaften von Iod und der physikalischen Eigenschaften von 131Iod verursacht die Radioiodtherapie nur eine geringe Strahlenexposition der Organe, die kein Radioiod aufnehmen. Die Strahlenexposition ist in den der Schilddrüse benachbarten Strukturen wie dem Kehlkopf oder den Nebenschilddrüsen gering – bedingt durch die geringe Reichweite der Betastrahlung aus der Schilddrüse. Einige Gewebe, die den Natrium-Iodid-Symporter exprimieren, darunter die Speicheldrüsen, Magen und die Weibliche Brust, reichern vorübergehend Iod an. Nieren, Harnblase und Darm sind an der Ausscheidung des Anteils Radioiod, der nicht in der Schilddrüse gespeichert wird, beteiligt. In allen diesen Geweben liegt ein geringes Aktivitäts-Zeit-Integral vor, die Strahlenexposition ist entsprechend gering. Sie wird bei einem Uptake des Radioiods in die Schilddrüse von 25 % für die Magenwand mit 0,46 mGy/MBq angegeben, für die Ovarien mit 0,04 mGy/MBq, das rote Knochenmark 0,07 mGy/MBq, die Leber 0,035 mGy/MBq und die Hoden mit 0,028 mGy/MBq.[5] Im Zielgewebe Schilddrüse liegt dagegen die (erwünschte) Strahlendosis um vier bis fünf Zehnerpotenzen höher: bei einem Uptake von 25 % bei 350 mGy/MBq.[5]

Die Kohortenstudien von Hall 1992 mit über 45.000 Patienten[6] und Ron 1998 mit über 35.000 Patienten[7] haben keine erhöhte Krebsmortalität der mit radioaktivem Iod behandelten Patienten festgestellt. Die American Thyroid Association (amerikanische Schilddrüsengesellschaft) weist auf eine mögliche, minimal erhöhte Inzidenz von Schilddrüsen-Karzinomen nach einer Behandlung hin.[8]

Akute Nebenwirkungen

Nur in wenigen Fällen kommt es zu akuten Nebenwirkungen, diese sind meist harmlos. Am häufigsten ist die Radiothyreoiditis, eine schmerzhafte Entzündungsreaktion der Schilddrüse bedingt durch die akute Strahlenwirkung, die etwa drei bis fünf Tage nach Einnahme des Radioiods auftreten kann. Durch Kühlung und entzündungshemmende Medikamente wie nichtsteroidale Antirheumatika oder Glucocorticoide lassen sich die Beschwerden, die innerhalb weniger Tage abklingen, meistens gut lindern. Die die Entzündung der Schilddrüse begleitende Schwellung kann lediglich bei vorbestehender Verengung der Luftröhre (Trachealstenose) zu ernsthaften Problemen wie Atemnot führen, so dass in diesen Fällen eine vorbeugende entzündungshemmende Behandlung empfohlen wird.[1]

Entzündliche Schwellungen der Speicheldrüsen kommen meist nur bei höheren Therapie-Aktivitäten vor.

Bei vorbestehender Schilddrüsenüberfunktion kann sich diese etwa sieben bis zehn Tage nach Beginn der Behandlung verschlechtern, bedingt durch den beginnenden Zellzerfall und die damit verbundene Freisetzung von Hormonen, die in der Schilddrüse gespeichert waren. Diese Komplikation kann durch eine gute Einstellung einer normalen Stoffwechsellage vor der Behandlung vermieden werden.

Eine seltene Nebenwirkung nach einer Radioiodtherapie wegen einer Schilddrüsenautonomie (zum Beispiel Autonomes Adenom) ist das zusätzliche Auftreten einer immunogenen Hyperthyreose wenige Wochen später. Dieses Phänomen wird Marine-Lenhart-Syndrom genannt und limitiert sich meistens selbst. Die Häufigkeit wird mit 0,5 bis 1 % angegeben.[1] In einem Teil der Fälle muss aber wegen der neu aufgetretenen Schilddrüsenüberfunktion eine zweite Radioiodtherapie durchgeführt werden.

Entlassung nach der Therapie

In Deutschland beträgt die Mindest-Aufenthaltsdauer auf der Therapiestation 48 Stunden. Die Entlassung hängt von der im Körper verbliebenen Restaktivität ab. 1999 wurde der Grenzwert für die Restaktivität erhöht: die Dosisleistung darf in 2 Meter Abstand vom Patienten 3,5 µSv/h nicht überschreiten, wodurch innerhalb eines Jahres bei einem Abstand von 2 Metern eine Strahlenexposition von 1,0 mSv nicht überschritten wird. Dies entspricht einer Restaktivität von etwa 250 MBq. Ähnliche Regelungen gelten für Österreich. In der Schweiz sind 5 mSv in 1 Meter Abstand zulässig, wodurch eine höhere Restaktivität bei Entlassung möglich ist.

In Deutschland beträgt die mittlere Verweildauer noch etwa drei bis fünf Tage und hängt im Wesentlichen vom Zielvolumen ab. Bei sehr großen Strumen kann die Aufenthaltsdauer auch zehn Tage erreichen.[1]

Bei Entlassung wird der Patient auf eventuell nach Entlassung noch zu beachtende Strahlenschutzmaßnahmen hingewiesen. Diese betreffen insbesondere den Umgang mit kleinen Kindern und Schwangeren. Auf mögliche Probleme mit Radioaktivitätsmessungen – an Flughäfen, Kernkraftwerken, Abfallbeseitigung – ist der Patient hinzuweisen, gegebenenfalls wird dem Patienten eine entsprechende Bescheinigung mitgegeben.

In besonderen Fällen – zum Beispiel eine akute Erkrankung des Patienten, die eine Untersuchung und Behandlung des Patienten außerhalb der Therapiestation notwendig machen – ist in Deutschland eine vorzeitige Entlassung möglich. Diese muss bis zu einer Dosisleistung von 17,5 µSv/h der Aufsichtsbehörde angezeigt werden, ab 17,5 µSv/h muss eine Genehmigung eingeholt werden. Bei Verlegung des Patienten auf eine andere Station muss der zuständige Strahlenschutzbeauftragte dafür sorgen, dass dort geeignete Maßnahmen zum Strahlenschutz ergriffen werden, zum Beispiel vorübergehend ein Kontrollbereich eingerichtet wird.

Nachsorge und Erfolge

In Deutschland ist der Arzt, der die Radioiodtherapie durchgeführt hat, auch für die Nachbetreuung verantwortlich. Es hat der für die Durchführung der Behandlung verantwortliche, fachkundige Arzt die Wirkung und die Nebenwirkungen der nuklearmedizinischen Behandlung durch geeignete, in angemessenen Zeitabständen erfolgende, Nachuntersuchungen zu erfassen und zu dokumentieren; ggf. hat er eine Behandlung einzuleiten. Der Nuklearmediziner kann Teile der Nachsorge an einen fachlich geeigneten Arzt übergeben, der diesem die Ergebnisse der Nachsorge mitzuteilen hat. Das enthebt den Nuklearmediziner aber nicht von seiner Verantwortung für die Nachsorge.[2]

Je nach behandelter Erkrankung der Schilddrüse und Stoffwechsellage beziehungsweise medikamentöser Vorbehandlung werden die ersten Kontrollen der Schilddrüsen-Laborwerte nach vier bis sechs Wochen durchgeführt, beim Morbus Basedow gegebenenfalls auch eher, um die Entwicklung einer Schilddrüsenunterfunktion rechtzeitig zu erkennen. Insbesondere bei vorbestehender endokriner Orbitopathie kann eine Unterfunktion ungünstige Auswirkungen haben und muss daher frühzeitig behandelt werden.

In den meisten Fällen tritt die vollständige Wirkung der Radioiodtherapie in den ersten drei bis sechs Monaten ein, so dass nach diesem Zeitraum eine abschließende Untersuchung zur Beurteilung des Therapieeffektes und -erfolges ansteht. Diese Umfasst üblicherweise neben der Bestimmung der Schilddrüsenhormone auch ein Schilddrüsen-Sonogramm und ein -Szintigramm. Da in einem Teil der Fälle auch nach sechs Monaten noch eine gewisse Spätwirkung der Radioiodtherapie zu erwarten ist, soll die Indikation zu einer Wiederholung der Behandlung nicht zu früh gestellt werden.

Für die verschiedenen Indikationen zur Radioiodtherapie gelten unterschiedliche Therapieziele und Erfolgsquoten. Für die Autonomie der Schilddrüse ist das Ziel die Ausschaltung der autonomen Anteile der Schilddrüse. Es wird bei einer angestrebten Herddosis von 300 bis 400 Gy eine Erfolgsquote von über 90 % angegeben. Etwa 10 % der Patienten müssen wegen einer Schilddrüsenunterfunktion nach der Therapie dauerhaft mit Schilddrüsenhormonen behandelt werden („Substitution“). Bei der fokalen Autonomie kann mit einer Abnahme des Volumens der autonomen Gebiete um etwa 80 % gerechnet werden. Die Abnahme des Volumens der Gesamtschilddrüse liegt bei 20 bis 50 %.

Beim Morbus Basedow ist das Ziel die dauerhafte Beseitigung der Überfunktion. Beim ablativen Therapiekonzept mit angestrebter Herddosis von 200 bis 300 Gray liegt die Erfolgsquote bei über 90 %. Allerdings sind anschließend 80 bis 90 % der Patienten dauerhaft von einer Substitution mit Schilddrüsenhormonen abhängig. Beim sogenannten funktionsoptimierten Konzept mit einer angestrebten Herddosis von etwa 150 Gray liegt die Rate an behandlungsbedürftigen Unterfunktionen zwar nur bei 40 %, allerdings die Erfolgsquote auch nur bei etwa 70 %. Insbesondere bei schwierigen Verläufen mit medikamentös nur schwer einstellbarer Überfunktion, Augenbeteiligung (endokrine Orbitopathie) oder wiederholten Rückfällen ist diese niedrige Erfolgsquote nicht akzeptabel, so dass inzwischen überwiegend das ablative Therapiekonzept angewendet wird. Für das alternative Therapieverfahren zur RIT, die Strumaresektion, ist ebenfalls regelhaft mit einer behandlungsbedürftigen Unterfunktion zu rechnen.

Das Therapieziel bei der Struma ohne Überfunktion ist vor allem eine Verminderung der Schilddrüsengröße und die Beseitigung eventuell durch die Größe der Struma verursachter Beschwerden. Bei einem Ausgangsvolumen von 50 bis 100 ml ist mit einer Größenreduktion um etwa die Hälfte zu rechnen, bei sehr großer Struma mit einem Volumen von über 250 ml nur mit einer Reduktion um etwa 30 bis 40 %. In insgesamt über 80 % der Fälle wird eine Besserung der Beschwerden erreicht.

Die Radioiodtherapie bei bösartigen Schilddrüsenerkrankungen

Histologisches Präparat eines papillären Schilddrüsenkarzinoms

Grundlagen

Hauptartikel: Schilddrüsenkrebs

Die epithelialen Karzinome der Schilddrüse, nämlich die häufigsten Untertypen papilläres Karzinom (etwa 70 %) und follikuläres Karzinom (etwa 20 %), und ihre Absiedlungen (Metastasen) haben noch ausgeprägte Ähnlichkeiten mit ihrem Ursprungsgewebe. Zum Einen exprimieren sie den Natrium-Iodid-Symporter und haben daher die Fähigkeit zur Iodspeicherung, zum Anderen produzieren sie Thyreoglobulin, das daher als Tumormarker dienen kann. Schilddrüsenkarzinome werden nicht selten als kalte Knoten in einer Schilddrüsenszintigraphie auffällig, das heißt die Neigung zur Iodspeicherung ist geringer ausgeprägt als bei umgebendem gesundem Schilddrüsengewebe. Unter der Stimulation mit hohen Spiegeln von TSH besteht aber auch bei bösartigen (malignen) Schilddrüsenzellen eine Aufnahme von Iod.

Anwendung

Zu unterscheiden sind die Radioiodtherapie zur Entfernung (Ablation) eventuell vorhandener Reste gesunden Schilddrüsengewebes im Sinne einer unterstützenden und die Nachsorge vereinfachenden (adjuvanten) Therapie von der Behandlung eventuell vorhandener Tumorreste oder -absiedlungen (Metastasen) unter einem Anspruch auf Heilung (kurative Therapie) oder zumindest auf Lebensverlängerung und Linderung der Beschwerden (palliative Therapie).

Eine Indikation zur ablativen Radioiodtherapie besteht bei fast allen Fällen der epithelialen Schilddrüsenkarzinome. Lediglich beim papillären Mikrokarzinom (Größe kleiner als 1 cm, pT1 N0 M0) kann unter Umständen auf eine ablative RIT verzichtet werden.[9]

Keine Indikation zur Radioiodtherapie besteht meist beim medullären und beim anaplastischen Schilddrüsenkarzinom, da diese Tumoren in der Regel kein Iod speichern. Schwangerschaft und Stillzeit gelten als absolute Kontraindikation.[9]

Vorbereitung

Operation

Vor der Radioiodtherapie beim epithelialen Schilddrüsenkarzinom steht grundsätzlich die Schilddrüsenoperation, meist als Thyreoidektomie durchgeführt. Ein kleiner Rest von gutartigem Schilddrüsengewebe verbleibt dabei fast immer. Bei operationstechnisch schwierigen Verhältnissen – zum Beispiel bei sehr großer Struma oder voroperierten Patienten – kann dieser Rest auch größer ausfallen, was für die weitere Behandlung der Patienten und ihre Überlebensaussichten (Prognose) aber keinen Nachteil bedeutet. Daher wird nicht empfohlen eine absolut vollständige Entfernung der Schilddrüse anzustreben, um eine Schädigung des hinter der Schilddrüse verlaufenden Nervus laryngeus recurrens zu vermeiden.[1]

Wenn Tumorreste verblieben sind, bereits Absiedlungen (Metastasen) bestehen oder ein lokaler Rückfall (Rezidiv) vorliegt, soll zunächst operativ versucht werden, die Menge an bösartigem Gewebe so weit wie möglich zu reduzieren.

Iodkarenz

Mehr noch als bei der Radioiodtherapie gutartiger Schilddrüsenerkrankungen (siehe oben) muss in der Phase vor der RIT des Schilddrüsenkarzinoms darauf geachtet werden, dem Patienten kein zusätzliches Iod zukommen zu lassen.

Stimulation des Schilddrüsengewebes und Iodtest

Um für die ablative Therapie die Aufnahme (uptake) des Radioiods in den Schilddrüsenrest zu erhöhen, beziehungsweise für die kurative oder palliative Therapie überhaupt eine nennenswerte Aufnahme zu erreichen, müssen die verbliebenen Schilddrüsenzellen mit einem hohen Spiegel an TSH angeregt (stimuliert) werden. Der TSH-Wert soll über 30 µU/l liegen[9], normal sind (je nach Labor) etwa 0,4 bis 4 µU/l. Dieser hohe Wert wird üblicherweise dadurch erreicht, dass der Patient zunächst nach der Operation nicht mit Schilddrüsenhormonen behandelt wird (Substitution), wie es sonst nach einer vollständigen (Thyreoidektomie) oder weitgehenden Schilddrüsenentfernung (subtotale Strumaresektion) bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen üblich ist. Etwa drei bis vier Wochen nach der Operation befindet sich der Patient dann in einer tiefen Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose). Häufig besteht durch die Unterfunktion Arbeitsunfähigkeit und die Patienten sind darauf hinzuweisen, in dieser Phase wegen der verminderten Reaktionsfähigkeit kein Kraftfahrzeug zu führen und keine gefährlichen Maschinen zu steuern.

Vor der ablativen Radioiodtherapie soll ein (verkürzter) Radioiodtest (siehe oben) von 24 Stunden durchgeführt werden. Bei einem hohen uptake wird die Therapie mit verminderter Aktivität durchgeführt, bei sehr hohem uptake ist eine Zweitoperation zur Verminderung des Schilddrüsengewebes zu erwägen.

Als Alternative zur Unterfunktion steht seit einigen Jahren gentechnisch hergestelltes, rekombinantes, humanes TSH (rhTSH) zur Verfügung, das intramuskulär gegeben werden kann und mit dem sich durch Injektionen an zwei aufeinander folgenden Tagen TSH-Spiegel am dritten und vierten Tag von meist deutlich über 30 µU/l erreichen lassen.

Als mögliche Vorteile der Anwendung von rhTSH gegenüber der Hypothyreose können gelten: besseres Allgemeinbefinden; erhaltene Arbeitsfähigkeit; Fehlen eines anhaltenden Wachstumsreizes auf eventuell noch vorhandene Krebszellen durch mehrwöchig erhöhtes TSH; niedrigere Konzentration des 131Iod im Serum und damit geringere Strahlenexposition. Die Erfolgsraten der ablativen Radioiodtherapie sind in Unterfunktion und mit rhTSH gleich hoch.[9]

Als mögliche Nachteile sind zu erwähnen: deutlich verkürzte effektive Halbwertszeit; erhöhte Mengen an nicht-radioaktivem Iod im Körper des Patienten durch die fortgesetzte Gabe der (iodhaltigen) Schilddrüsenhormone; fehlender Nachweis einer Gleichwertigkeit bei der Behandlung von Metastasen; fehlende Möglichkeit, an eine Diagnostik mit Radioiod eine Therapie anzuschließen, da der TSH-Spiegel innerhalb von wenigen Tagen wieder abfällt; hohe Kosten.

Durchführung

Die Standardaktivität für die ablative Radioiodtherapie beträgt 3,7 GBq. (Dies entspricht in der veralteten Einheit Curie 100 mCi.) Wenn nach der Operation und vor der ersten (ablativen) Radioiodtherapie nennenswerte Reste von Schilddrüsengewebe verblieben sind, wird üblicherweise eine geringere Aktivität von 1,1 bis 1,85 GBq (entsprechend 30 bis 50 mCi) eingesetzt, um eine strahlenbedingte Entzündung benachbarter Gewebe zu vermeiden.

Wenn – auch nach Ausschöpfen der operativen Möglichkeiten – noch anzunehmen ist, dass bösartiges Gewebe im Körper des Patienten verblieben ist, also ein Resttumor, ein Lokalrezidiv oder Metastasen vorliegen, werden höhere Aktivitäten angewendet. Diese liegen meist im Bereich von 3,7 bis 11,1 GBq (100 bis 300 mCi), in Einzelfällen auch deutlich darüber.

Nach der Therapie wird ein Ganzkörperszintigramm angefertigt. Die Therapie wird in etwa dreimonatigen Abständen wiederholt, bis weder das Szintigramm, das Ultraschallbild der Halsregion, noch der Tumormarker Thyreoglobulin einen Hinweis auf verbliebenes Schilddrüsengewebe (gutartig oder bösartig) geben. Eine Gesamt-Aktivität über alle durchgeführten Radioiodbehandlungen von bis zu 74 GBq (2000 mCi) wird bei sonst gesunden Patienten meist problemlos vertragen. Darüber ist mit einem erhöhten Risiko für eine dauerhafte Schädigung des Knochenmarks als blutbildendes Organ zu rechnen.

Bezüglich der Entlassung nach der Therapie gelten die gleichen Fristen und Grenzwerte, wie bei der Therapie gutartiger Schilddrüsenerkrankungen (siehe oben).

Risiken und Nebenwirkungen

Bei den unerwünschten Effekten der Radioiodtherapie sind die kurzfristig und akut auftretenden von den langfristig und chronisch auftretenden Nebenwirkungen zu unterscheiden und ihre jeweiligen Häufigkeiten und Tragweiten („Risiken“) zu beachten.

Im Vergleich zur Therapie gutartiger Schilddrüsenerkrankungen werden beim Schilddrüsen-Karzinom zum Teil wesentlich höhere Aktivitäten eingesetzt. Mit der erwünschten höheren Strahlendosis im Zielgewebe sind damit auch höhere Strahlendosen in anderen Geweben verbunden.

Relativ häufig treten während der Therapie Appetitverlust, Veränderung der Geschmacksempfindung, Übelkeit und Speicheldrüsenreizung auf; selten finden sich Nackenschmerz oder - schwellung, Kopfschmerz oder vorübergehende Veränderungen des Blutbildes.[10]

Schwerwiegende Langzeitauswirkungen sind selten und betreffen meist Speichel- und Tränendrüsen (vor allem verminderte Tränen- bzw. Speichelproduktion), Knochenmark (sehr selten bei Patienten >45 Jahren Knochenmarksdepression oder myeloische Leukämie), Lungen (sehr selten strahleninduzierte Lungenentzündung, besonders Verschlechterung bei vorbestehender Pneumonie, bzw. Neuauftreten bei diffusen Lungenmetastasen) und Ovarien (vorübergehend fehlender Eisprung, gering erhöhte Missbildungsrate bei Schwangerschaft innerhalb des ersten Jahres nach Therapie) bzw. Hoden (Azoospermie - selten dauerhaft).[11] Der Nutzen der Radioiodtherapie übersteigt die Nebenwirkungsrate um das 4 - 40 fache. Die zu erwartende Inzidenz von Zweitkarzinomen oder Leukämie ist dosisabhängig. Eine minimale Zunahme von Zweitkarzinomen fand sich in den Organen (Speicheldrüsen, Dickdarm und Blase), in denen sich während der Therapie vorübergehend auch 131Iod in nennenswerter Menge ansammelt.[10] In einer englischen Studie an 7417 Patienten zeigte sich eine statistisch signifikante Abnahme des Auftretens von Krebs der Luftwege (Bronchien und Luftröhre).[10]

Nachsorge: Radioioddiagnostik

Erst nach vollständiger Entfernung des nach der Operation verbliebenen Restes (Ablation) ist Thyreoglobulin als Tumormarker zu verwenden.

Geschichte

Im Vorfeld des Einsatzes der Radioiodtherapie wurde beim Schilddrüsenkarzinom postoperativ eine Nachbestrahlung (mit Röntgenstrahlen) allgemein eingesetzt und als effektiv angesehen.[12][13] Die Diagnose des Schilddrüsenkarzinoms bereitete jedoch noch Mitte des letzten Jahrhunderts große Probleme,[14] sodass Begriffsüberschneidungen in der Literatur dieser Zeit wahrscheinlich sind.

1939 und 1940 veröffentlichte Joseph G. Hamilton Arbeiten über den Iodmetabolismus der Schilddrüse, wobei er radioaktives Iod bei gesunden Probanden und solchen mit Struma unterschiedlicher Pathogenese einsetzte.[15][16] Bereits in den Vorjahren hatte er zur Wirkung von Radioaktivität auf den menschlichen Körper geforscht.[17][18]

1942 wendeten S. Hertz und A. Roberts erstmals die Radioiodtherapie beim Morbus Basedow an.[19][20] Im selben Jahr beschrieben A.S. Keston e.a. in einer Kasuistik die aus therapeutischen und diagnostischen Zwecken durchgeführte Anwendung radioaktiven Iodes bei einer im Oberschenkelknochen sitzenden Metastase eines Schilddrüsenkarzinoms, das auf die damals übliche Therapie mit Röntgenstrahlen nicht angesprochen hatte.[21] Eine andere Kasuistik aus dem Jahr 1942 zeigt, dass es sich dabei noch keineswegs um ein Routinevorgehen beim Schilddrüsenkarzinom handelte.[22] Noch 1949 veröffentlichte Henry A. Sloviter ein Tierexperiment, in dem er die lebensverlängernde Wirkung von Iod131 beim Schilddrüsenkarzinom darstellte.[23]

Weiterführende Informationen und Belege

Literatur und Quellen

  • F. Grünwald, C. Menzel. Radioiodtherapie. In: T. Kuwert, F. Grünwald, U. Haberkorn, T. Krause. Nuklearmedizin. Stuttgart, New York 2008, ISBN 978-3-13-118504-4
  • Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin (DGN): Radioiodtherapie (RIT) bei benignen Schilddrüsenerkrankungen online
  • Leitlinie der DGN: Verfahrensanweisung zur Radioiodtherapie (RIT) beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom online

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l F. Grünwald, C. Menzel. Radioiodtherapie. In: T. Kuwert, F. Grünwald, U. Haberkorn, T. Krause. Nuklearmedizin. Stuttgart, New York 2008, ISBN 978-3-13-118504-4
  2. a b Richtlinie "Strahlenschutz in der Medizin" (zur StrlSchV) PDF (1,74 MB)
  3. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin (DGN): Radioiodtherapie (RIT) bei benignen Schilddrüsenerkrankungen
  4. Marinelli LD, Quinby EH, Hine GJ. Dosage determination with radioactive isotopes. Practical considerations in therapy and protection. Am J Röntgenol 1948; 59:260 - 81
  5. a b Robertson IS. Dosimetry of radionuclides. In: Falk S (Hrsg.). Thyroid disease. New York: Raven 1997. Zitiert nach: F. Grünwald, C. Menzel. Radioiodtherapie. In: T. Kuwert, F. Grünwald, U. Haberkorn, T. Krause. Nuklearmedizin. Stuttgart, New York 2008, ISBN 978-3-13-118504-4
  6. Hall P, Boice JD Jr, Berg G, Bjelkengren G, Ericsson UB, Hallquist A, Lidberg M, Lundell G, Mattsson A, Tennvall J, et al. Leukaemia incidence after iodine-131 exposure. Lancet. 1992 Jul 4;340(8810):1-4. PMID 1351599
  7. Ron E, Doody MM, Becker DV, Brill AB, Curtis RE, Goldman MB, Harris BS 3rd, Hoffman DA, McConahey WM, Maxon HR, Preston-Martin S, Warshauer ME, Wong FL, Boice JD Jr. Cancer mortality following treatment for adult hyperthyroidism. Cooperative Thyrotoxicosis Therapy Follow-up Study Group. JAMA. 1998 Jul 22-29;280(4):347-55. PMID 9686552
  8. Homepage der American Thyroid Association; zuletzt eingesehen am 13. März 2008
  9. a b c d Verfahrensanweisung zur Radioiodtherapie (RIT) beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom
  10. a b c Chow S.M.: Side effects of high-dose radioactive iodine for ablation or treatment of differenciated thyroidcarcinoma, Hong Kong College Radiologist, 2005, (:127 - 135; zuletzt eingesehen am 13. März 2008
  11. Handelman D.J., e.a.: Azoospermia after iodine-131 treatment for thyroid carcinoma, British Medical Journal, 1980, 281:1527; zuletzt eingesehen am 13. März 2008
  12. Smith A.M.: Virginia M. Monthly, 69:318-324. 1942; zuletzt eingesehen am 10. März 2008
  13. Leddy, E. T. [Mayo Clinic, Rochester, Minn. M. Clin. North Amerika, 25:973-1009. 1941; zuletzt eingesehen am 10. März 2008]
  14. Bonne, C.: Over Maligne Schildkliergezwellen, (Malignant tumors of the thyroid), South African M, J., 15:1477-152, 1941; zuletzt eingesehen am 10. März 2008
  15. Joseph G. Hamilton and Mayo H. Soley: Studies in iodine metabolism of the thyroid gland in situ by the use of radio-iodine in normal subjects and in patients with various types of goiter, Am J Physiol -- Legacy Content, Oct 1940; 131: 135 - 143.
  16. Joseph G. Hamilton and Mayo H. Soley: Studies in iodine metabolism by the use of a new radioactive isotope of iodine, Am J Physiol -- Legacy Content, Sep 1939; 127: 557 - 572.
  17. Joseph G. Hamilton and Gordon A. Alles: The physiological action of natural and artificial radioactivity, Am J Physiol -- Legacy Content, Jan 1939; 125: 410 - 413.
  18. Joseph G. Hamilton: The rates of absorption of the radioactive isotopes of sodium, potassium, chlorine, bromine, and iodine in normal human subjects, Am J Physiol -- Legacy Content, Nov 1938; 124: 667 - 678.
  19. Hertz, S., Roberts, A.: Application of radioactive iodine in therapy of Grave´s disease, J div 21 (624) (1942) zuletzt eingesehen am 10. März 2008
  20. Paschke, R. e.a.: Therapie der uni- oder multifokalen Schilddrüsenautonomie, Dtsch Arztebl 2000; zuletzt eingesehen am 10. März 2008
  21. Keston, A. S., Ball, R. P., Frantz, V. X., and Palmer, W. W.: Storage of radioactive iodine in a metastasis from thyroid carcinoma. Science, 95:362-363. 1942; zuletzt eingesehen am 10. März 2008
  22. Wikle, H. T., and Ritzmann, A. J.: The course of carcinoma of the thyroid gland. Report of an unusual case. Am.JL SurE., 5 6 : 507-512, 1942; zuletzt eingesehen am 10. März 2008
  23. Sloviter H.A.: The distribution and action of a radioactive oxaxine dye in tumor-bearing mice, Cancer Research, 9:677-80, 1949; zuletzt eingesehen am 10. März 2008

Weblinks

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