Egon Eiermann

Egon Eiermann
Egon Eiermann auf einer deutschen Briefmarke aus dem Jahr 2004

Egon Eiermann (* 29. September 1904 in Neuendorf, heute Teil von Potsdam-Babelsberg; † 19. Juli 1970 in Baden-Baden; vollständiger Name: Egon Fritz Wilhelm Eiermann) war ein deutscher Architekt, Möbeldesigner und Hochschullehrer. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Architekten der Nachkriegsmoderne. Eiermann war ordentlicher Professor an der Architekturfakultät der Technischen Hochschule Karlsruhe.

Inhaltsverzeichnis

Architektonisches Werk

Ausbildung und erste Erfolge

Nach dem Architekturstudium an der Technischen Hochschule Berlin bei Hans Poelzig 1923 bis 1927 ging Egon Eiermann in das Baubüro der Rudolph Karstadt AG in Hamburg (unter Leitung von Philipp Schaefer) und anschließend zu den Berliner Elektrizitätswerken.

Ab 1931 entwarf er in einem zusammen mit Fritz Jaenecke gegründeten Büro zunächst diverse Wohnhäuser in Berlin und Umgebung. Die Auftragslage verbesserte sich dabei rapide. Jaenecke stieg 1934 wegen persönlicher Differenzen mit Eiermann aus der Büropartnerschaft aus. Zwischen 1934 und 1938 wurden nach Vorgaben und unter Leitung von Eiermann sämtliche Geschäftsstellen des Berliner Bestattungsunternehmens Grieneisen in einheitlichem Corporate Design umgestaltet (Fassaden, Innenausstattung, sowie als Logo ein dreiarmiger Leuchter mit Schriftzug und Jahreszahl).[1] Für die Propagandaaustellung Gebt mir vier Jahre Zeit, die 1937 in Berlin zu sehen war, gestaltete Eiermann die Haupthalle der Ausstellungshalle am Funkturm unter anderem mit einem 18 Meter hohen Hitlerportrait und einer ausgeklügelten Licht- und Tonregie.[2] Ab 1938 plante das Büro Industriebauten, z. B. für die Auergesellschaft in Berlin (1938), die Total-Werke Foerstner & Co. in Apolda (1939–1942), die Fa. Märkischer Metallbau in Oranienburg (1939–1941) und die Rickmerswerft in Bremerhaven (1940–1941). 1942 entwarf Eiermann ein Ausweichkrankenhaus in Beelitz-Heilstätten bei Berlin. 1943 bis 1945 verlegte er sein Büro aus Berlin nach Beelitz-Heilstätten.

Nachkriegszeit

Da sich Eiermann im nationalsozialistischen Deutschland vorrangig dem Industriebau widmete, konnte er sich unbehelligt weiter stilistisch in einer modernen Richtung entwickeln. Er setzte seine Leichtigkeit und Frische vermittelnde, den Fortschritt symbolisierende Architektur selbst bei Rüstungsbetrieben, wie z. B. der Rickmerswerft in Bremerhaven, ohne politische Bedenken um. Es gelang ihm, seine Karriere ungehindert im Nachkriegs-Westdeutschland fortzusetzen, was ihn schließlich zu einem der einflussreichsten Architekten seiner Zeit werden ließ. Seine in Stahlskelettbauweise ausgeführten Industriebauten, wie die 1949 bis 1951 entstandene Taschentuchweberei in Blumberg, eine klar gefügte Fabrikanlage, für die er den Hugo-Häring-Preis erhielt, erlangten in den Jahren des Wiederaufbaus Vorbildcharakter.

1946 bis 1948 war er zunächst selbstständiger Architekt in Mosbach im Odenwald. 1951 bis 1953 wurde im Pforzheimer Stadtteil Arlinger nach Plänen von Egon Eiermann die Matthäuskirche erbaut. Der Turm wurde erst 1956 ergänzt. Die gestalterischen Elemente sind ein einfaches Betonskelett, das erlaubt, die Wandflächen mit Wabenfenster-Elementen mit bunten Dickglasscheiben zu füllen. Die Verwendung von Trümmerschutt des zerstörten Pforzheims gab materiell ein Beispiel für das Weiterleben nach dem Tod. Die Färbung der Wabenfenster der Matthäuskirche, vom Designer Hans Theo Baumann gestaltet, kann im Vergleich zu der später entstandenen Berliner Gedächtniskirche als expressiv bezeichnet werden. Die Fenster hinter dem gekreuzigten Jesus – über dem Altar von der Decke durch ein symbolisches Himmelstor abgehängt – sind rot und am Vormittag direkt von der Sonne hinterleuchtet. Die Matthäuskirche gehört zu den wichtigsten Kirchenneubauten der Nachkriegsmoderne. Vorbild für Eiermanns Kirchengebäude war sicher die französische Kirche Notre-Dame in Le Raincy in der Nähe von Paris des Architekten Auguste Perret (1922).

Auf Studienreisen in die USA lernte er 1950 Walter Gropius und Marcel Breuer kennen, 1956 auch Ludwig Mies van der Rohe.

Neckermann-Zentrale – Auffällig sind die Schächte und Treppen an der Fassade.
Raffinerie-Gebäude in Karlsruhe

Einen weiteren Höhepunkt seiner Karriere markierte die international beachtete, in Zusammenarbeit mit Sep Ruf entstandene Realisierung des Deutschen Pavillons für die Weltausstellung in Brüssel, die er als eine Pavillongruppe aus acht eleganten, transparenten Glaskuben errichtete. Dieses Gebäude wurde, ähnlich wie der Kanzlerbungalow von Sep Ruf in Bonn, zum Symbol eines neuen, bescheidenen und weltoffenen Deutschland der Nachkriegszeit.

Im Jahr 1967 hatte Egon Eiermann den Vorsitz der Jury im Architekturwettbewerb für den Olympiapark in München. Der Vorschlag von Behnisch & Partner mit der berühmten Zeltdachkonstruktion ging dabei als Sieger unter 93 Einsendungen hervor.

Eiermanns Hochhaustürme (Mitte) in der Bürostadt Frankfurt-Niederrad

Die wichtigsten Bauten der letzten Schaffensperiode sind der Eiermann-Campus für IBM in Stuttgart (1967–1972) sowie die auf trichterartigen Betonpfeilern erhobenen Hochhaustürme der Firma Olivetti in Frankfurt am Main (1968–1972), die erst zwei Jahre nach seinem Tod fertiggestellt wurden.

die „Hortenkacheln

Ein viel kritisierter Aspekt in Eiermanns Biografie ist seine Tätigkeit für die Horten AG in Stuttgart. Dort war er beteiligt an einem Kaufhausneubau an der Stelle des berühmten Kaufhauses Schocken von Erich Mendelsohn. Um seinen eigenen Bau zu realisieren, nahm er einen Abriss dieses architektonischen Jahrhundertwerks trotz massiver Proteste in der Bevölkerung in Kauf.[3] Der Neubau für Horten war eines der ersten Gebäude mit einer vorgesetzten abstrakten Fassade, die das Gebäude nahezu vollständig bekleidet, dabei keinen Bezug auf den stadträumlichen Kontext nimmt und die innere Gliederung sowie den Maßstab des Gebäudes nicht ablesbar macht. Da sich mit diesen Hortenkacheln die Gebäudegrundrisse sehr flexibel und mit einem Höchstmaß an Stellfläche durch die Vermeidung von Fenstern ausbilden lassen, fand dieses Fassadensystem in den Folgejahren viel Anklang beim Neubau von Kaufhäusern. Es ist auch als früher Versuch zu werten, durch bauliche Vereinheitlichung und Ornament eine Corporate Identity aufzubauen.

Weitere wichtige Werke

  • 1936: Wohnhaus Paul Henckels in Kleinmachnow, Am Weinberg 5[4]
  • Für die Neckermann Versand AG baute er die sechsgeschossige, 300 Meter lange Firmenzentrale in Frankfurt am Main (1958–1961).[5]
  • Für die Essener Steinkohlen-Bergwerke AG (später Ruhrkohle AG, RAG) entwarf er das Ruhrkohlehaus II (erbaut 1956 bis 1960). Das Gebäude steht heute unter Denkmalschutz und wurde 1994 von Kohl:Fromme Architekten für die STEAG AG saniert und erweitert. Auffallend ist die Gestaltung der Fassade mit schwarzen keramischen Fliesen.
  • In Baden-Baden entstanden zwischen 1958 und 1962 zwei von ihm geplante Privathäuser: Sein eigenes Wohnhaus (Krippenhof 16–18) und das Wohnhaus Graf Hardenberg (Hermann-Sielcken-Straße 47).
  • Eiermann gewann 1956 den für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin ausgeschriebenen Wettbewerb. Nach einer Überarbeitung des Entwurfs bekam er 1957 den Zuschlag für die Realisierung, unter der Bedingung, dass die Ruine des Turms erhalten bleiben musste. Im 1959–1963 realisierten, endgültigen Entwurf wurde die historische Turmruine auf einer durch Stufen abgehobenen Plattform von einem achteckigen Hauptbau und einem sechseckigen, schlanken Turm in die Mitte genommen.
  • Die Deutsche Botschaft in Washington, D.C. (1959–1964) konzipierte er als terrassenförmige Anlage für 140 Angestellte, die der Geländeform Rechnung trägt.
  • 1967 entstand unter Eiermanns Leitung ein Anbau für das Hotel Prinz Carl in Buchen (Odenwald). Dieser Bau ist heute noch einschließlich der selbst entworfenen Zimmer und Einrichtungen erhalten und in Betrieb.
  • Verwaltungsgebäude der Hochtief AG in Frankfurt am Main (1966–1968), 2004 abgerissen[6]
  • Das Abgeordneten-Hochhaus des Bundestags in Bonn (1965–1969), später auch Langer Eugen tituliert, zeigt die charakteristische filigrane Struktur von Eiermanns Architektur.
  • 1969 entwarf Eiermann eine Reihe von Musterhaus-Bungalows in Offenbach-Lauterborn für Neckermann Versand. Diese haben alle ein weitläufiges Atrium.

Eiermann als Lehrender

1947 folgte Egon Eiermann einem Ruf als Professor an die Fakultät für Architektur an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Er lehrte dort bis kurz vor seinem Tod im Jahre 1970 und prägte für lange Zeit das Profil der Hochschule.

In der Architektur und auch in der Lehre war er der Antipode des in Berlin lehrenden Hans Scharoun, dessen organischer Architektur Eiermann die geometrische Strenge und Präzision moderner Architektur in der Tradition eines Ludwig Mies van der Rohe entgegensetzte.

Design

SE 68
SE 18

Nicht nur als Architekt war Eiermann geschätzt, auch im Möbeldesign hat er nachhaltig eine Design-Generation geprägt. Eiermann war der erste, der in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg (1948/1949) Serienmöbel entwickelte, die internationalem Maßstab an Form und Funktionalität Stand hielten. Ihm ist es zu verdanken, dass Deutschland nach den Jahren der nationalsozialistischen Isolation wieder an seine Vergangenheit (Deutscher Werkbund, Bauhaus) anknüpfen und in den Kreis der vorbildlichen Designnationen eintreten konnte. Als führendes Haupt der Zweiten Moderne auf dem Gebiet des Möbeldesigns ist Eiermanns Rolle für die moderne deutsche Möbelgestaltung nicht zu unterschätzen.

1953 entwarf Egon Eiermann das Tischgestell Eiermann 1 mit schrägen, in einer Ebene liegenden Kreuzstreben. Ein leicht abgewandeltes Gestell von 1965, das unter der Bezeichnung Tischgestell Eiermann 2 bekannt ist, stammt nicht von Eiermann selbst. Der Werkstattleiter an der Technischen Hochschule Karlsruhe, Adam Wieland, modifizierte das Original so, dass es zerlegbar und leicht transportabel war. Diese Version des Tischgestells wird noch heute in Karlsruhe hergestellt und vertrieben.[7]

Anfang der 1960er Jahre entwickelte Eiermann für das Berliner Bestattungsunternehmen Grieneisen, für das er bereits in den 1930er Jahren tätig war, innovative Särge z. B. für Überführungen per Flugzeug.[1]

Zu seinen wegweisenden Entwürfen zählen u. a. der Stahlrohrstuhl SE 68 (1950), der Korbsessel E 10 (1952), der Holzklappstuhl SE 18 (1953; ausgewählt für das Museum of Modern Art in New York) und der Kirchenstuhl SE 121 (1960/1961) – immer noch zu sehen in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Viele seiner Entwürfe sind noch heute erhältlich.

Der Name Eiermann haftet noch heute einigen Gegenständen an. So steht das oben erwähnte Eiermann-Gestell noch heute in fast jedem Architekturbüro. Die vor allem in Karlsruhe fälschlicherweise Eiermann-Schiene genannte Seilschiene zum Tuschezeichnen wird man dort nur noch selten antreffen. Der für den Möbelhersteller Wilde + Spieth entworfene Schreibtischstuhl ist bis heute als Eiermann-Stuhl bekannt.

Bewertung und Wirkung

Egon Eiermanns Architektur und Werk zeichnen sich insgesamt durch Einfachheit, strenge Geometrie und unmittelbare Erkennbarkeit der Funktion aus. Wie bei vielen Architekten der Zeit nehmen Eiermanns Werke in der Regel keinen Bezug auf die umgebende Stadtlandschaft. Zu seinen Schülern gehört Oswald Mathias Ungers.[8]

Ehrungen

Anlässlich seines 100. Geburtstags erschien im September 2004 eine Sonderbriefmarke der Bundesrepublik Deutschland (Nennwert 100 Eurocent).

Literatur

  • Annemarie Jaeggi (Hrsg.): Egon Eiermann (1904–1970). Die Kontinuität der Moderne. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2004, ISBN 3-923344-63-5 und ISBN 3-7757-1436-7 (Mit Beiträgen von Sonja Hildebrand, Friederike Hoebel, Annemarie Jaeggi, Gerhard Kabierske, Kai Kappel, Clemens Kieser, Carsten Krohn, Arthur Mehlstäubler und Wolfgang Pehnt).
  • Wulf Schirmer (Hrsg.): Egon Eiermann 1904–1970. Bauten und Projekte. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1984, ISBN 3-421-02805-2 (Mit Beiträgen von Immo Boyken, Rudolf Büchner, Brigitte Eiermann, Klaus Lankheit).
  • Arthur Mehlstäubler: Egon Eiermann. Die Möbel. INFO-Verlag, Karlsruhe 1999, ISBN 3-88190-236-8.
  • Egon Eiermann: Briefe des Architekten. 2. Auflage, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997, ISBN 3-421-03071-5.
  • Sven Vorderstrase, Markanto: Design made in Germany. Köln 2001, ISBN 3-935611-00-5.

Weblinks

 Commons: Egon Eiermann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Ahorn-Grieneisen.de: Geschichte des Unternehmens, (PDF 34KB)
  2. Christoph Kivelitz: Die Propagandaaustellung in europäischen Diktaturen. Dissertation, Berlin 1999, S. 93.
  3. Thomas Borgmann: Eine fünfzig Jahre alte Sünde. In: Stuttgarter Zeitung vom 6. Mai 2010
  4. http://vilmoskoerte.wordpress.com/2007/09/01/wohnhaus-paul-henckels-in-kleinmachnow
  5. Egon-Eiermann-Gesellschaft [1]
  6. vgl. Liste der Hochhäuser in Frankfurt am Main
  7. zeichentisch.com: Geschichte des Tischgestells „Eiermann 2“, in: Adam Wieland Metallwerkstatt-Firmengeschichte
  8. Akademie der Künste: Oswald Mathias Ungers

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