Jesuitenreduktion

Jesuitenreduktion

Als Jesuitenreduktion wird eine von den Jesuiten errichtete Siedlung für die indigene Bevölkerung in Südamerika bezeichnet. Jesuitenreduktionen waren ein jesuitisches Missionswerk in der Zeit von 1609 bis 1767. Dabei wurden Hunderttausende[1] Indios der indigenen Bevölkerung Südamerikas in festen Siedlungen, genannt „Reduktionen“, zusammengeführt (reducir; reducciones (spanisch) = zusammenführen; Niederlassung, Siedlung). Wegen der später erlangten weitgehenden Unabhängigkeit von der spanischen Obrigkeit, wurden die Jesuitenreduktionen oft als „Jesuitenstaat“ bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Die Entdeckung Amerikas Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts durch die damaligen europäischen Großmächte Spanien (Juan Díaz de Solís) und Portugal und die darauf folgende schrittweise, grausame Eroberung[2] (genannt Conqista Lateinamerikas) erschloss enorme Mengen an neue Rohstoffvorkommen. Von Anfang an war beabsichtigt, die Ureinwohner mittels des Encomienda-Systems zu unterwerfen, um die immensen Bodenschätze (besonders Gold- und Silbervorkommen) der neuen Welt ausbeuten zu können.[3]

Weil sich die Großmacht Spanien als Verbreiterin des Christentums im Auftrag Gottes sah, glaubte sie sich zur Eroberung berechtigt. Die Eroberer jedoch suchten Reichtümer, nicht zu bekehrende Seelen. Die Indios wurden weniger als Menschen, denn als Arbeitskräfte gesehen. Dagegen behandelte der Dominikaner und Bischof Bartolomé de Las Casas anfang des 16. Jahrhundert Indios menschlich.[3] Der Franziskaner Luis de Bolaños kam 1575 nach Asunción und entwickelte die Idee der «reducciones» für Indios, um sie so vor der Ausraubung zu schützen.[4]

Zu einer Zeit als die Sklaverei weit verbreitet war, versuchten die eingedrungenen europäischen Unternehmer indigene Arbeitskräfte auch gewaltsam zu rekrutieren. Viele Indios, die sich wehrten, kamen dabei ums Leben. Im 17. Jahrhundert lebten z. B. in der Provinz Santiago del Estero 80.000 Indios, 1750 waren es nur noch 80; in der Provinz Córdoba 40.000, 1750 noch 40.[5] Gleichzeitig waren die portugiesischen und spanischen Kolonialisten bestrebt, die europäische Kultur und das Christentum zu verbreiten.

Die ersten missionarischen Schritte hatte die Katholische Kirche in direktem Zusammenhang mit den Eroberungsfeldzügen der Konquistadoren unternommen. Schon im Zeitraum von 1547 bis 1582 wurden in Paraguay, Tucumán und Buenos Aires Diözesen errichtet.[5] Die frühesten Glaubensverkünder im Subkontinent waren Wanderprediger als Gefolge oder Vorhut der erobernden Armeeteile. Deren Wirkung war mäßig, da sich die neuen Glaubensansichten mit dem Heidentum vermischten. Diese Missionierung in Verbindung mit der gewaltsamen Eroberung, traf meistens auf ablehnende, oft auch feindselige Reaktionen der Ureinwohner, die nun nicht nur ihre sozio-politische, wirtschaftliche und kulturelle Selbständigkeit, sondern auch ihre religiösen Anschauungen verlieren sollten.

Aus diesen Erfahrungen rührte bei einigen Kolonialisten der Versuch, den christlichen Glauben auf neue Weise zu verbreiten. Daraufhin entstanden Vorformen der späteren Reduktionen. Diese gab es schon in der Frühzeit der Kolonialisierung Amerikas als Mittel zur besseren Ausbeutung der indianischen Arbeitskraft auf den Antillen. Dort wurden die Reduktionen im heutigen Guatemala von Franziskanern, Mercedariern, Kapuzinern, Dominikanern und Hieronymiten erstmals als Instrument der Glaubensverkündigung angewendet.[6]

Staat und Kirche

Im 17. und 18. Jh. waren in Portugal und Spanien Staat und Römisch-katholische Kirche miteinander verbunden. Die jeweilige Monarchie bestimmte, wer als Missionar zugelassen wurde, die Obrigkeit setzte die Missionsmethode fest, verfügte Bischofsernennungen und Kirchenorganisationen. Die missionarische Durchdringung Südamerikas konnte nur mit dem militärischen Schutz und der materiellen Unterstützung der Krone gelingen. Durch den Strukturverbund von Staat, Kirche und Missionswerk entstanden ernsthafte Spannungen.

Heiliges Experiment

Kurz nach der Gründung der Gesellschaft Jesu durch Ignatius von Loyola (1540) bat ihn Portugals König Joâo III um Entsendung einiger Patres in die amerikanischen Besitzungen der portugiesischen Krone. Dies weil die Jesuiten bei deren Missionen zur Verbreitung des Glaubens besondern Wert auf Anpassungsfähigkeit („Akkommodation“) und Kulturaustausch legten, um auf diese Weise den menschlichen Bedürfnissen der Indios und deren Würde am besten gerecht zu werden. Darauf betraten die ersten Jesuiten 1549 amerikanischen Boden, allerdings nicht mehr als die ersten Missionare. Man versprach sich von ihnen eine große Hilfe zur Förderung des Friedens, um dadurch eine Verbesserung der Bekehrung und Ausbildung der Einheimischen zu erreichen.

Eine 1603 abgehaltene Synode sprach sich für Maßnahmen gegen die Ausbeutung der Indios aus, indem man diese von Spaniern trennen sollte um eine erfolgreiche Missionierung zu erreichen. Damit erhielten die Jesuiten das Recht, ihr Reduktionssystem innerhalb des spanischen Kolonialgebietes anzuwenden. Dieses Unternehmen wurde bald bewundernd und später spöttisch als „Heiliges Experiment“ bezeichnet.

Nachdem die Jesuiten zuerst nur unter den Kolonisten Südamerikas wirkten, beteiligten sie sich ab 1576 an der Mission unter den Indios. Diese begannen zuerst im Osten Perus am Titicaca-See, wo Vorstellungen und Modelle für die Indiomission erarbeitet wurden, um die schwer zugängliche indigene Bevölkerung im Tiefland zum Evangelium zu gewinnen. Die ersten Erfahrungen waren wegweisend für die integrierende Missionierung in anderen Teilen des Kontinents, wie in Ecuador, Bolivien und besonders ab 1588 in Paraguay, bei den dort ansässigen Guaraní.[3]

Die Anstrengungen der Jesuiten konzentrierte sich auf die Vermeidung der Schwierigkeiten des Encomienda-Systems wie Unterdrückung der der Indios mit Gewalt mit folgender Verabscheuung der Religion der Unterdrücker und deren Beispiel. Der Geist der Reduktionen entsprach daher einem anti-kolonialen Experiment, und war so letztlich nicht kompatibel mit den Zielen der Kolonialmächte – ja diesen diametral entgegengesetzt.[7] Dieses Vorhaben der Jesuiten, das vom spanischen König Felipe III. mächtig unterstützt wurde, provozierte eine Feindseligkeitswelle der Kolonisten. Dagegen erließ der König eine Anzahl von Dekreten und erlaubte finanzielle Zuwendungen aus der Staatskasse um das Problem der Unterdrückung der Indios auf diese Weise legal zu regeln.[5]

Ausbildungsstätten und erste Reduktionen

Neben der Gründung von Schulen, Kollegen, Gymnaisen und Retreats in vielen Gegenden (z. B. in Santiago del Estero, Asunción, Córdoba (Argentinien) (hat seit 1621 eine Universität), Buenos Aires, Corrientes, Tarija, Salta, San Miguel de Tucumán, Santa Fe (Argentinien), La Rioja (Argentinien)) wurden auch Reduktionen zum Schutz der Indios erstellt. Der 5. General der Jesuiten, Claudio Aquaviva insistierte auf die Erstellung von Zentren an den attraktivsten Orten. Dies wurde durch den ersten Leiter der 1606 gegründeten Provinz Paraguay Diego de Torres Bollo gemäß einem neu beschlossenen einheitlichen Modell der Missionierung umgesetzt, so dass sechs Jahre später – nach anfänglich nur sieben – 113 Patres hier im Einsatz waren.[5]

Gemäß einer königlichen Cédula Real vom 30. Januar 1607 war es zukünftig verboten zu Christen getaufte Indios als Leibeigene einzusetzen. Ungetaufte Indios wurden lediglich als minderwertige „Wilde“ angesehen. Die königliche Cédula Magna vom 6. März 1609 schrieb noch weiter gehend vor: „Die Indianer sollen so frei sein wie die Spanier“.[5]

Mit dem Begriff „Reduktion“ wurde die Grundlage für eine humane, erfolgreiche Missionierung und Glaubensverkündigung bewiesen: Der Zusammenzug der bisher als Jäger und Sammler, allenfalls zwischendurch auch Ackerbau treibenden, nomadisch verstreut lebenden und sich selbst versorgenden Indios in gemeinsamen Siedlungen zur Sesshaftwerdung.

Die ersten Reduktionen wurden in der damaligen Provinz Guayra (heute Bundesstaat Paraná in Brasilien) aufgebaut: 1609 in Loreto del Pirapó am Fluss Paranapanema, gefolgt 1611 von einer weiteren in San Ignacio Miní. Bis 1630 wurden weitere 11 Siedlungen mit total 10.000 zu Christen getauften Indios aufgebaut. All dies gelang den Jesuiten nicht zuletzt, weil die die Indios fortwährend von Sklavenjägern und Plünderern aufgescheucht wurden. Sie flüchteten scharenweise in die Reduktionen wo sie sicheren Unterschlupf fanden. Das Territorium der Reduktionen unterstand nämlich direkt der Gerichtsbarkeit/Rechtsprechung der Krone.

Aufbau weiterer Reduktionen

Da sich die Reduktionen offensichtlich bewährten wurden sukzessive weitere aufgebaut, so dass es letztlich total rund 100 Siedlungen wurden. Deren Bewohnerzahlen variierten beträchtlich, da es immer wieder Epidemieattacken gab, denen die Indios wegen mangelnder biologischer Resistenz oft erlagen.

Bei den Guaraní entstanden im Raum des heutigen Paraguay sowie in den heutigen argentinischen Provinzen Misiones und Corrientes und im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul letztendlich 30 Guaraní-Reduktionen, mit im Jahr 1732 maximal über 140.000 Bewohnern. Im Zeitraum 1610-1768 wurden dort über 700.000 Indios als Christen getauft. Im Raum der Chiquitos, im Nordwesten des derzeitigen Bolivien, wurden zwischen 1696 und 1790 10 Chiquitos-Reduktionen mit im Jahr 1765 23.288 Bewohnern (4.981 Familien) aufgebaut. In den 3 Reduktionen der Taruma (zwischen den Guaraní und den Chiquitos in San Joaquin, San Estanislao und Belen) wohnten 1766 3.777 Menschen in 803 Familien. Bei 11 verschiedenen Indio-Stämmen im Gran Chaco wurden zwischen 1735 und 1767 15 Reduktionen gegründet mit über 17.000 Bewohnern, davon wurden 5.000 christianisiert. Weitere Reduktionen wurden bei den Chiriguanos und Mataguayos in Tucumán und Nord-Patagonien (Terra Magallonica) errichtet wie z. B. Nuestra Señora del Pilar.[5]

Verteidigung der Reduktionen

Die durch den Erfolg der Reduktionen gespürte Konkurrenz löste zunehmende Feindseligkeiten seitens der Konquistadoren, der zivilen Händler und Unternehmer aus. Diese entluden sich in Schikanen und periodischen Angriffen auf die Jesuitenreduktionen. Um 1630 wurden ganze Dörfer überfallen und niedergebrannt, Zehntausende von Indios wurden entweder dem Sklavendienst zugeführt oder ermordet. Vergeblich erbaten die Jesuiten bei den spanischen und portugiesischen Autoritäten Schutz; diese wollten oder konnten nicht helfen. Aufgrund dieser grausamen Erfahrungen erhielten dann die Jesuiten vom König Philipp IV. die Erlaubnis zum Aufbau einer bewaffneten Miliz zur Verteidigung der Reduktionen. So entstand bis 1640 ein mit Schusswaffen bewehrtes, gut diszipliniertes Indioheer. Diese Maßnahme sollte sich bei einem weiteren Angriff der Bandeiranten (auch genannt Paulistas) 1641 in einer Abwehrschlacht bewähren.[8]

Die Hauptstärke der Reduktionenverteidigung war deren Kavallerie. Diese wurde vom König oder Gouverneur oft für die Abwehr von Paulistas oder bei Auseinandersetzung mit den Portugiesen und den Engländern, die Buenos Aires bedrohten, eingesetzt. Von 1537 bis 1735 wurden die Verteidigungsdienste der Reduktionen auch vom König über 50mal beansprucht, oft mit vielen Opfern und Verlusten unter den Indios.[5]

Anlage der Reduktionen

Die meistens neben einem Fluss auf einer Anhöhe großzügig angelegten Dorfgemeinschaften boten je ab 350 bis 7.000 und mehr Indios ein gemeinsames, sicheres Zuhause. Die Felder für den Anbau von Getreide, Zuckerrohr, Baumwolle, Mate, etc. dehnten sich in weitem Umkreis aus. Weiter entfernt standen Industriegebäude wie z. B. eine Ziegelei, Getreidemühle, Gerberei oder ein Stampfwerk etc. Jede Reduktion verfügte auch – oft in weiter Entfernung liegend – über eine Estancia (Landwirtschaftshof) für die Herstellung pflanzlicher oder tierischer Erzeugnisse. Diese Höfe waren je nach Gefährdung mit Schutzgräben oder -wänden, Pfahl- oder Dornenzäunen umgeben. In der Estancia von Jesús María wurde auch der erste amerikanische Wein für den Export angebaut.

Im Mittelpunkt jeder Reduktion stand die beeindruckende, dreischiffige, sorgfältig und kunstvoll mit Kruzifix und Marienstatue ausgestattete, von Bäumen beschattete Kirche mit Glockenturm. Diese war flankiert einerseits vom Wohnhaus der Patres mit der Schule und auf der anderen Seite vom mit einer Säulenhalle ausgestatteten Friedhof mit Totenkapelle. Neben der Patres-Unterkunft befand sich das Volkshaus mit den Vorratsspeichern und den Werkstätten. Ebenfalls gab es ein Witwenhaus (gotiguazu) und ein Hospital. Um den imposanten Kirchplatz gliederten sich reihenweise aufgestellt die einstöckigen aus Lehmziegeln oder Steinen solide erbauten Wohnhäuser der Indios. Die Dächer waren aus Feuerschutzgründen ausnahmslos mit Ziegeln bedeckt. Die pro Haus 4 bis 6 Wohnräume für Familien mit 4 bis 6 Personen waren ca. 4.5 mal 6 Meter groß und durch geflochtene Zwischenwände unterteilt. An den Vorder- und Hinterseiten der Häuser war ein Säulengang angebracht, so dass sich jedermann auch bei Regen in der Siedlung bewegen konnte. Die Straßen waren oft auch befestigt. Am Dorfrand stand ein Besucherhaus.

Um die Kommunikation und den Verkehr zwischen den einzelnen Reduktionen zu ermöglichen wurden leistungsfähige Straßen und Wege über oft große Distanzen erstellt. Auch wurden die vorhandenen Wasserwege benutzt: Die Missionare hatten nicht weniger als 2.000 kleinere und größere Boote allein auf dem Río Paraná im Einsatz, wie etwa gleich viele auf dem Río Uruguay mit seinen Häfen wie z. B. Yapeyú.[5]

Interne Organisation

In der Regel leiteten zwei Jesuiten eine Reduktion, wobei einer nach Gesetz offiziell Vertreter des spanischen Königs war. Die Jesuiten organisierten und leiteten den ganzen Betrieb. Sie wirkten nicht nur als Seelsorger sondern auch als Organisatoren, Ratsherren, Richter, Ärzte, Architekten, Musiker, Kirchen- und Instrumentenbauer, Handwerker, Kaufleute, Ingenieure, etc.

Weiße Siedler und Mestizen, auch Vertreter der Regierung oder etwa der Bischof,[8] hatten offiziell keinen Zugang zu den Reduktionen. Die indigenen Männer konnten von ihren Kaziken, den traditionellen Sippenhäuptern, in eine Gemeindeverwaltung nach spanischem Vorbild berufen werden. Innerhalb der Reduktionen gab es kein Geld und auch kein privates Eigentum an Produktionsmitteln.

Für den Aufbau der ersten Reduktion wurden die Missionare vom Heimatstaat finanziell unterstützt; es wurde aber erfolgreich angestrebt, die Siedlungen wirtschaftlich unabhängig zu machen. Dazu mussten die vom Temperament her trägen Indios zur täglichen Arbeit angehalten werden. Ohne die Arbeit wären sie auf dem Stand von Halbheiden verblieben. Durch das Know-how der Jesuiten und die organisierte Zusammenarbeit entwickelten sich die Reduktionen zu prosperierenden wirtschaftlichen Zentren.

Das Land (Felder für die Indios und die Gemeinschaft), die Gebäude, die Vieherden und alle Einrichtungen der Reduktionen waren grundsätzlich Eigentum der ganzen Dorfgemeinschaft. Durch die Patres wurde das bebaubare Landwirtschaftsgebiet für die Indios auf die Kaziken aufgeteilt, die dieses den einzelnen Familien zuteilten. Die mit eigenen Anstrengungen erzielten Felderträge waren unbeschränktes Eigentum dieser Familie, das sie auch für den internen Tauschhandel verwenden konnten. Die landwirtschaftlichen Gerätschaften und das Weidevieh wurden vom Gemeinschaftsbestand ausgeliehen. Niemandem war gestattet sein Grundstück oder Haus (genannt abamba d. h. Eigenbesitz) zu verkaufen. Diese Familienfelder wurden gelegentlich untereinander ausgetauscht. Die Erträge der Gemeinschaftsfelder wurden in Speichern der Gemeinschaft gelagert. Diese wurden teilweise auch für die Armen, Kranken, Witwen und Waisen, Kirchendiener etc. genutzt, ebenfalls als Saatgut oder zum Tauschhandel gegen andere Erzeugnisse.

Die Frauen waren zusätzlich zu ihren Haushaltsaufgaben verpflichtet mitzuhelfen beim Schneidern von Kleidern und Ernten von Baumwolle usw. Ebenfalls mussten sie pro Woche eine bestimmte Menge Faden zu spinnen für den Verbrauch in der Gemeinschaft. In einigen Reduktionen konnte die selbstgepflückte Baumwolle in einer eigenen Spinnerei abgegeben werden. Die Männer, denen keine besondere Aufgabe auferlegt war, waren verpflichtet wöchentlich an zwei Tagen bei Gemeinschaftsarbeiten auf den Feldern oder in den öffentlichen Gebäuden zu arbeiten. Während den Erntezeiten mussten alle mitarbeiten. Karten- und Würfelspiel war nicht erlaubt. Obwohl die Indios mehr oder weniger für die verschiedenen Aufgaben befähigt waren, bildeten sich unter ihnen keine Klassen oder Personengruppen, die Macht ausüben konnten.

Betätigungen in den Reduktionen

Der Alltag – Gebet, Arbeit und Freizeit – war streng geregelt und wurde mit Glockenschlägen angezeigt. Arbeit (8-Stundentag), Schule und Essen hatten ebenso ihre Zeit wie Unterhaltung und Tanz. An arbeitsfreien Sonn- und Feiertagen wurde aufwändig mit Musik und Gesang Gottesdienst gefeiert. Knaben und Mädchen saßen in der Kirche getrennt und wurden täglich religiös unterrichtet. Die Kirchenmusik wurde sorgsam gepflegt, die Chöre der Indios wurden oft zu Besuchen in spanische Städte eingeladen. Die Schullehrer waren von Patres ausgebildete Indios. Schüler waren vor allem Kinder von Katziken und anderen wichtigen Indios, die im Lesen, Schreiben und Rechnen ausgebildet wurden. In dieser Hinsicht waren die Reduktionen besser organisiert als die spanischen Kolonien, was bei Kolonialisten Neid auslöste.

Das Essen wurde durch die Familien zubereitet. Dazu brauchten sie die Erzeugnisse aus ihren Äckern, ergänzt mit anderen Lebensmitteln aus den Gemeinschaftsspeichern. Zusätzlich wurde den Indios in regelmäßigen Intervallen das sehr begehrte Fleisch aus den gemeinschaftlichen Schlachthäusern abgegeben. Um zu verhüten, dass die Indios die Ration Fleisch an einem einzigen Tag verschlingen, wurden sie veranlasst, einen Teil des Fleisches zu charqui zu machen, d. h. es an der Sonne zu trocknen und dann zu pulverisieren. Den Kranken wurden spezielle Mahlzeiten abgegeben, die im Pfarrhaus zubereitet wurden. Die Kinder erhielten das Morgen- und Abendessen gemeinsam im Vorhof des Pfarrhauses.

Zweimal pro Jahr erhielt jede Familie die notwendige Menge Woll- und Baumwollstoff, woraus die Frauen neue Kleider nähten. Alle Bewohner der Reduktionen (außer die Patres) waren gleich gekleidet, nur bei den Kaziken gab es leichte Abweichungen. Stoffe von besserer Qualität wie z. B. für den Altarschmuck, mussten importiert werden. Knaben heirateten schon 17-jährig, Mädchen mit 15 Jahren. Die Familien hatten durchschnittlich 4 Kinder.

Die Krankenpflege war gut organisiert. Jede Reduktion hatte bis 8 gut ausgebildete Pflegerinnen (curu zuya), die täglich den Patres rapportierten. Medikamente waren prinzipiell einheimische Medizinkräuter. Daneben gab es aber auch eine Apotheke, sowie medizinische Fachbücher. Mehrere Patres und Laienbrüder waren medizinisch ausgebildet. Besonders berühmt war diesbezüglich der gebürtige Innsbrucker Jesuit Sigismund Aperger (1678 bis 1772).[5]

Erzeugnisse der Reduktionen

Jede Reduktion suchte ihren eigenen Weg zur Prosperität und konzentrierte sich auf bestimmte Produktzweige. Untereinander wurden die Notwendigkeiten und Erfahrungen ausgetauscht. Die Patres widmeten sich mit besonderem Einsatz der Landwirtschaft.

Die Indios konnten ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen mit dem Anbau von Maniok (Yuca), verschiedenen Knollengewächsen für Nahrung und wenig Baumwolle. Die Reduktionen bauten ihre Kapazitäten aber auch für weitere Produkte aus und überflügelten damit bald einmal die Erträge der Siedelungen der Spanier, auch bezüglich Rationalität und Vielfalt. Neben der Produktion von Fleisch und Leder, den üblichen Felderzeugnissen wie Weizen und Reis etc. wurde auch Tabak, Indigo, Zuckerrohr und vor allem Baumwolle kultiviert. Ebenfalls wurden erfolgreich verschiedenste Früchte angebaut. Auch heute noch findet man in der Wildnis Zeichen der großartigen Obstgärten der Reduktionen, speziell von Orangenhainen. Mit dem versuchten Weinanbau erreichte man jedoch nur mäßigen Erfolg.

Eines der erfolgreichsten Exportprodukte für den Export war der sogenannte Paraguay-Tee herba (Mateblätter kleingeschnitten, getrocknet). Auch in den Reduktionen war dieser Tee das beliebteste Getränk und ersetzte so die Rauschgetränke der meistens alkoholabhängigen Indios. Nachdem es den Reduktionen gelang diesen Tee auch in ihren Siedlungen anzupflanzen, weckte dies bei den Kolonialisten Eifersucht. Sie unterdrückten diesen Erfolg mit allen Mitteln.

Weitere Naturprodukte wie Tropenhölzer, Bienenhonig, Bienenwachs, aromatische Harze etc. wurden zur sinnvollen Verwendung umgearbeitet. Mit kleinem Aufwand wurde sogar versucht Roheisen zu gewinnen. Eine große, einträgliche Entwicklung glückte mit der Rinder- und Schafzucht in diesen Ländern mit riesigen Grasflächen. Einige Reduktions-Farmen hatten bis zu 30.000 Schafe und über 100.000 Rinder. Solche Zahlen übertrafen diejenigen der spanischen Haziendas. Die Rinderherden wurden periodisch vergrößert und deren Züchtung durch die sorgfältige Auswahl und Einzucht von wildlebenden Rindern verbessert. Ebenfalls im großen Stil wurden Pferde, Maultiere, Esel und Geflügel aufgezogen. Zum Unterhalt trugen auch Fischen und die Jagd bei.

Industrien der Reduktionen

Da der Import von Gütern aus Übersee schwierig und teuer war und sich eine große Nachfrage nach notwendigen Gütern bildete, begannen besonders die Reduktionen der Guaranís mit der Ausbildung von Fachleuten für gesuchte Industriezweige. Diese Indios eigneten sich besonders für fast alle Handarbeiten. So wurden sie angeleitet als Baumeister, Zimmermänner, Maurer, Ziegelbrenner, Bildschnitzer, Hausmaler, Maler, Tischler, Drechsler, Bildhauer, Steinhauer, Eisen- und Goldschmiede, Zinn- und Glockengießer, Töpfer, Vergolder, Instrumenten- und Orgelbauer, Waffenmechaniker, Buchbinder, Weber, Färber, Schneider, Bäcker, Metzger, Gerber, Schuhmacher, Kopierer, Kalligraphen, Viehzüchter, Imker usw. Wieder andere wurden beschäftigt in Mühlen für die Produktion von Pulver, Tee oder Maismehl. Jeder Berufszweig hatte seinen Vorgesetzten der laufend mit den Patres in Kontakt stand.

In einigen Reduktionen wie Corpus, San Miguel, San Xavier, Loreto, Santa Maria la Mayor, waren Buchdruckereien eingerichtet, wo vorwiegend Bücher für die Liturgie und die Askese hergestellt wurden. Der hohe Grad der industriellen Entwicklung nach Ende des 17. Jahrhunderts war erst zu erreichen als eine größere Anzahl Jesuiten aus Deutschland (z. B. Johann Kraus oder Joseph Klausner, der die erste Zinngießerei in der Provinz Tucuman einführte), der Schweiz (z. B. Martin Schmid) und Holland in Paraguay ankamen. In den spanischen Kolonien wurde damals Kunst und Kunsthandwerk völlig vernachlässigt.[5]

Zusammenarbeit der Reduktionen

Der florierende Austausch von Waren erfolgte, auch unter den Reduktionen selbst, grundsätzlich ohne Geld. Dieses spielte erst im zentralisierten Außenhandel eine Rolle. Ausfuhrgüter waren hauptsächlich Baumwolle und Matetee neben Rinderhäuten. Aus den nach der Bedarfsdeckung erzielten Erlösen der Reduktionen wurden Steuern an die spanische Krone abgeliefert.

Bei feierlichen Prozessionen oder Festanlässe wurden auch Pferde eingesetzt. Die Reduktion „Los Santos Apostelos“ besaß einmal 599 solcher Caballos del Santo.

Kulturtransfer

Verständigung

Die Jesuiten missionierten in unkonventioneller Weise, indem sie das Denken der Indios respektierten und sich deren Schulungs- und Lebensgewohnheiten anpassten. Um die Zusammenarbeit mit den Indios effizient zu gestalten, lernten die Missionare ihre Sprachen.[6] Dazu verfassten sie Wörterbücher, übersetzten die Bibel und andere Texte die sie selber druckten. Auf diese Weise blieben die Indiosprachen erhalten; in besonderen Fällen (Guaraní und Chiquito) entstand aus einer Vielfalt von Dialekten eine gemeinsame neue Sprache. Die Sprache der Guaraní hat sich in Paraguay neben Spanisch als offizielle Sprache bis heute erhalten.

Der in den Reduktionen generierte Reichtum wurde, neben den Steuern an die Spanier, auch in kulturelle Werte wie Bildung, Kunst sowie wunderbare Kirchenbauten investiert.[1]

Der Musikstaat

Mit diesem Begriff wird eine wichtige Komponente der Inkulturation bezeichnet. Neben all den handwerklichen und ruralen Transfers wurden den Indios auch musische Werte vermittelt. Singen und Musizieren wurde von den Einheimischen mit besonderer Begeisterung angenommen und von den Jesuiten gefördert. Auch wurden Musikinstrumente nach europäischen Mustern gebaut. Ebenfalls entstanden ein neuer Musikstil und neue Musiknoten. Musik begleitete den Weg zur Arbeit und prägte Gottesdienste, Feste und Feiern.

Der größte Komponist und Organist war Domenico Zipoli, der nach seinem Wirken von 1716 bis 1726 ein großes Werk hinterließ. Seine Musiknoten wurden vom Architekt Hans Roth[9] in den alten Jesuitenkirchen in Bolivien neu entdeckt. Der paraguayanische Dirigent Luis Szarán hat die wieder gefundenen Noten in den letzten Jahren neu bearbeitet und veröffentlicht. Diese Klänge der alten Reduktionenmusik sind heute wieder in südamerikanischen Kirchen und in hunderten Konzerten in Paraguay und Europa zu hören.[10]

Erfolg/Misserfolg

Die Reduktionen waren das stärkste Bollwerk der spanischen Herrschaft. Die Tatsache, dass die Indios in den Reduktionen Schutz vor Versklavung, gesicherte Tagesabläufe, Gemeinschaft und, besonders bei den Guaraní, spirituelle Begleitung erhielten, erscheint als Hauptgrund für den großen Erfolg dieser Siedlungen. Auch die Überlegenheit der Jesuiten in der Organisation und reibungslosen Funktion der Gemeinwesen sowie der Landwirtschaft trugen dazu bei.

Schon zur Zeit des Jesuitenstaates waren Gläubige und Ungläubige, Intellektuelle wie Aufklärer, Dichter und Historiker fasziniert vom „heiligen Experiment“ der Reduktionen, indem es die Religion mit der Idee der Menschlichkeit verband.[11] Auch die Sozialisten der Aufklärungszeit fanden dieses Experiment als vorbildliche Quelle für Reformen.

Das grundsätzliche Bestreben der Jesuiten war die Bekehrung der Indios zum Christentum. Nicht beabsichtigt war die Verbindung von vorgefundenen Stammesstrukturen mit den Gemeinschaftsstrukturen eines europäischen Ordens zur fruchtbaren Begegnung zweier Kulturen, um ein Vorbild zu schaffen für eine wegweisende künftige Gesellschafts- oder Staatsordnung. Hierzu fehlte der Ansatz der wirklichen Emanzipation der eher zu Trägheit neigenden Indios. Auf diese Weise waren und blieben die Rollen verteilt: Die Indios verblieben auf der Stufe der Abhängigen. Auch von gut gesinnten Stellen wurde erklärt, dass die Indios nicht zur Autonomie ausgebildet worden seien und dass die Jesuiten ihnen ermöglichten in einer Unmündigkeit zu verharren.[8] Ein Austausch in Partnerschaft auf gleicher Ebene konnte so nicht zustande kommen.

Das verlorene Paradies

Die Unabhängigkeitsbestrebungen der lokalen Führer der sogenannten Antequera-Unruhen (Usurpator Antequera) und der Comuneros-Aufstand in Neugranada bedrängten die spanische Krone schon 1721 bis 1735 und später erneut. Doch hielten die Indios dem König Philipp V. immer die Treue, die von ihm an einer großartigen Feier per Dekret am 28. Dezember 1743 bestätigt wurde. Im Gegensatz zu den Kolonialisten stellten sich die Missionare auf die Seite der bedrängten Urbevölkerung. Die unterlegenen Aufständischen konzentrierten ihre Wut nun auf die Jesuiten und die in den Reduktionen lebenden Indios.

Die unheimliche Kritik der Kolonialisten an den Reduktionen wurde immer lauter. Die europäischen Sklavenhändler und Grundbesitzer waren verärgert über die Abschottung der Indios in den Reduktionen und das strikt verordnete Betretungsverbot des Reduktionenterritoriums durch Spanier. Auf den durchschlagenden Erfolg der Jesuiten in den Reduktionen wurden die europäischen Händler, Kaufleute und örtlichen Kolonialbehörden immer neidischer. Den Reduktionen wurde unterstellt, dass die Patres den Indios die spanische Sprache nicht beibrachten aus dem Grund, dass sie somit die Geheimnisse der Jesuiten nicht gefährden könnten. Von den Jesuitengegnern wurden nun wildeste Gerüchte und Verleumdungen in Umlauf gebracht. Man dichtete den Reduktionen viele Unwahrheiten an, wie z. B. Jährlicher Teeexport von 4 Mio. Pfund, 300'000 Indios als Arbeitskräfte in den Reduktionen. Ebenso entwickelten sich auch in Europa aus geschürtem Hass und gieriger Missgunst fantasievolle Gerüchte und Mythen voller Lügen: Von Zusammenraffung immenser Reichtümer der Jesuiten aus kolossalen Handelserträgen, Goldminen in den Reduktionen, großen Rinderherden auf den Farmen und Rebellionsabsichten mit Hilfe der Indioarmeen.

Die Vertreter der Krone nahmen diese Vorwürfe ernst: Schon 1640 und dann auch noch 1657 durch den damaligen Rektor der peruanischen National-Universität Juan Blásquez de Valverde, wurden entsprechende Untersuchungen durchgeführt. In beiden Fällen wurden die vorgebrachten Vorwürfe jedoch widerlegt: Nach offiziellen Quellen betrug der Jahresexport von Tee nur 150.000 Pfund, im besten Fall arbeiteten 150'000 Erwachsene und Kinder in den Reduktionen. Die Vorhaltungen hielten sich aber hartnäckig weiter, so dass sich nun die freidenkenden Minister von Frankreich Étienne-François de Choiseul, von Portugal der Marquis von Pombal und von Spanien der Graf von Aranda Pedro Pablo Abarca de Bolea verständigten, bei deren Königen zu intervenieren. Die Regierung war gezwungen mehrere weitere Untersuchungen anzuordnen.

Der Vertrag von 1750

Die Schwierigkeiten zwischen Spanien und Portugal bezüglich der Grenzstreitigkeiten ihrer amerikanischen Besitzungen gab dem einflussreichen portugiesischen Minister Pombal – einem Todfeind der Jesuiten – die Gelegenheit, ein Abkommen zu schließen, das den Interessen Portugals und Pombals persönlicher Abneigung gegenüber den Jesuiten dienlich war. Der in Madrid am 25. Januar 1650 geschlossene Vertrag beinhaltete, dass Spanien die umstrittene Kolonie San Sacramento an der Mündung des Uruguay behalten kann, und dass im Gegenzug Portugal die sieben Reduktionen am linken Flusslauf des Uruguay an Portugal abgetreten werden, d. h. etwas 2/3 der heutigen Provinz Rio Grande do Sul sowie einer der wertvollsten Teile des Gebietes La Plata. Weiter war vereinbart, dass alle Missionare und ihre 30.000 in den Reduktionen lebenden Indios die Reduktionen unverzüglich mit Sack und Pack verlassen müssten, um sich auf dem rechten Uruguay-Ufer wieder anzusiedeln. Die betroffenen Missionare und Indios waren vorgängig nicht informiert.[5][6][8]

Dieser Beschluss, der nach 150 Jahren Aufbauarbeit vernünftiger Kolonialpolitik oder Wirtschaftlichkeit eher zuwiderlief, bezeichnete Robert Southey als „eine der tyrannischsten Verfügungen, die je durch die Rücksichtslosigkeit einer gefühllosen Regierung ausgegeben wurde“. Er merkte auch an, dass der damalige schwache König Ferdinand VI von der Bedeutung dieses Vertrages keine Ahnung hatte.

Die spanische Kolonie La Plata wurde durch diesen Vertrag überrascht und reagierte empört. Proteste vom Vizekönig Perus José de Andonaegui, der königlichen Real Audiencia von Charcas usw. sowie Eingaben der Jesuiten waren erfolglos. Daher befahl der damalige Generalobere der Jesuiten Ignazio Visconti widerwillig, dem Vertrag Folge zu leisten und die Indios entsprechend zu informieren.

Ab 1654 änderte man den Namen „Reduktionen“ offiziell in „Doctrinas“. Die Missionsstationen wurden als Pfarrbezirke behandelt, jedem Pfarrbezirk standen ein Pfarrer und ein Vikar vor, in größeren Pfarrbezirken mehrere Pfarrer.

Nach Umsiedelungsbefehl

Die Indios baten um einen Aufschub der Maßnahmen und unternahmen Anstrengungen, um einen Widerruf zu erreichen und verrichteten lediglich ihre Aufgaben, um dem Vorwurf des Ungehorsams entgegenzutreten. Ihre Position wurde durch das Verhalten der spanischen und portugiesischen Bevollmächtigten verschlimmert, besonders auch durch die Haltung des vom General und vom König ernannten Vertragvollziehers Luis Altamirano SJ, welcher seine Ordensbrüder wie Rebellen behandelte, obschon sie ihm empfahlen, sorgfältig und mäßig vorzugehen. Trotz Einsprüchen der Patres bewaffneten sich die Indios und entfesselten 1753 den sogenannten „Krieg der sieben Reduktionen“ in dem sie bitter geschlagen wurden. Die Indios, die sich nicht ergaben, flohen in die Wälder, um erfolglos weiter zu kämpfen. Die größere Anzahl Indios folgte dem Rat der Patres und zog in die Reduktionen am rechten Ufern des Uruguay oder denen am Paraná um. 1762 wohnten in 17 Reduktionen noch total 11.084 Indios in 2.497 Familien. 1781 waren total 14.018 Indios in 3.052 Familien in ihr altes Zuhause zurückgekehrt, denn in diesem Jahr annullierte Spanien den Vertrag von 1750 und gestand dadurch den damals gemachten Fehler ein.

Der „Krieg der sieben Reduktionen“ wurde von den schärfsten Gegnern der Jesuiten nun als Hauptvorwurf verwendet. Von einer skrupellosen Presse, welche Pombal kontrollierte, wurde eine Flut von Verleumdungs-Druckschriften, gefälschten Dokumenten und Fabeln durch die Anti-Jesuiten-Partei über Europa verbreitet. Obgleich ihr unhistorischer Charakter seit langem offenbar nachgewiesen worden ist, fahren diese Publikationen noch weiter fort, die historische Darstellung dieses Zeitraums zu verdrehen.[5]

Vertreibung der Jesuiten

Nachdem die Jesuiten schon 1759 aus Portugal, 1764 aus Frankreich und 1767 in Spanien vertrieben wurden, erging es ihnen in den Reduktionen gleich: Sie wurden über Nacht verhaftet und in ihre europäische Heimat ausgeschafft.[1] Die Jesuiten fügten sich demütig dem traurigen Schicksal, obwohl sie sich vermutlich mit Gewalt erfolgreich dem Verdikt hätten widersetzen können.[11] Am 2. April 1767 unterzeichnete der schwache und übertölpelte König Karl III den Erlass, der die Verbannung der Jesuiten vom spanischen Besitz in Amerika verordnete. Dies bedeutete den Todesstoss für die paraguayanischen Reduktionen. Die Vertreibung der Reduktionenbewohner wurde durch Gouverneur von La Plata Bucarelli unter Anwendung brutalster Gewalt vollzogen. Hierzu schreibt Robert Cunninghame Graham: „Die Jesuiten in Paraguay bestätigten überzeugend ihre Loyalität gegenüber der spanischen Krone, zumindest durch ihr Verhalten in ihren letzten öffentlichen Handlungen. Nichts wäre für sie leichter gewesen, als den erschöpften Truppen die Bucarelli zur Verfügung hatte, zu trotzen, um einen Jesuitenstaat aufzubauen, der die letzten Möglichkeiten der spanischen Regierung überfordert hätte. Sie verzichteten aber auf Gegenwehr und fügten sich wie Schafe die dem Metzger zugeführt werden.“ (loc. cit., 267)[5]

Zu jener Zeit umfasste die Jesuitenprovinz in Paraguay 564 Jesuiten, 12 Gymnasien, 1 Universität, 1 Noviziat, 3 Erholungsheime, 2 Hauptsitze, 57 Reduktionen mit total 113.716 christlichen Indios. Das Abschiednehmen der den Indios war herzzerreißend. Vergeblich flehten sie, dass ihnen erlaubt würde ihre Patres behalten zu dürfen oder sicher zu sein, dass sie zurückkehren werden. Sie kehrten nie zurück.

Die Reduktionen nach der Vertreibung der Jesuiten

Aus diesen Ereignissen resultierte ein fortschreitender wirtschaftlicher Niedergang. Anfangs 19. Jh. bildeten sich die Staaten Paraguay, Argentinien und Brasilien in vielen kriegerischen Auseinandersetzungen um die Festlegung der Landesgrenzen. Dabei wurden viele Reduktionen zerstört, doch es entwickelten sich aus ehemaligen Reduktionen oder deren Farmen und Landgüter auch größere Ortschaften wie z. B. Alta Gracia.

Die erste Auswirkung der Vertreibung war bitterste Enttäuschung. Außer den prächtigen Verzierungen der Kirchen, von denen ganze Wagenladungen abtransportiert wurden, fand man außer unbedeutenden Geldbeträgen keinen der erhofften Schätze. Die den Reduktionen vorgeworfenen kolossalen Handelserträge entpuppten sich als falsche Annahmen. Die großen Rinderherden konnten nicht als Vermögen angerechnet werden, da die große Anzahl Rinder, die weit verstreut weideten, niemandem wirklich besaß.

Manche Reduktionen wurden in der Folge von bewaffneten Expeditionstrupps ausgeraubt und zerstört, viele Bewohner wurden als Sklaven verkauft. Die Führung der Reduktionen wurde im Rahmen des Kolonialstaates zivilen Verwaltern anvertraut, die geistliche Verwaltung der Reduktionen den Franziskanern und anderen Geistlichen übertragen. Ab 1768 wurden die Reduktionen von der spanischen Zivilverwaltung geleitet; für alle Ämter wurden geeignete Personen neu berufen. Den Führern der Indios wurden wichtige Positionen in der Verwaltung und im Militär anvertraut.

Nach der Jesuitenvertreibung drängte der spanische Vizekönig Bucarelli in seinen Instruktionen an seinen Nachfolger darauf, das System der Isolation der Indios in deren Interesse beizubehalten. Es wurde versucht, die meisten der von den Jesuiten eingeführten Institutionen zu behalten. Doch der schnelle Niedergang der Reduktionen (die Guaraní Reduktion beispielsweise zählte im Jahr 1772 80.881 Einwohner, 1796 nur noch 45.000; bald nachher blieben nur noch wenige Überreste) zeigte, dass ihre frühere wirtschaftliche und politische Bedeutung erloschen war. Nach den Unabhängigkeitskriegen sowie schließlich der despotischen Herrschaft der ersten republikanischen Präsidenten und Diktatoren Francia und Lopez waren die Reduktionen praktisch bedeutungslos.

Rezeption

Die jesuitischen Reduktionen wurden, vor allem unter katholischen Kreisen, jahrhundertelang als utopisches Experiment gefeiert, das vielen Zeitgenossen zufolge "christlichen Opfermut" und eine enorme Fortschrittlichkeit durch einen christlichen Orden verhieß.

Konrad Haebler schreibt im Jahrbuch der Geschichtswissenschaft 1895: „Was immer man sagen kann über die Jesuitenmissionen, sie verdienen absolut das Lob, dass ihre Siedlungen die einzigen waren, wo die Indios nicht ausstarben, sondern sich vermehrten.“ Stein-Wappäus: „Die Erinnerungen an die Missionare leben noch weiter als Segen unter den Indianern, die von den Regeln der Patres als ihrem Goldenem Zeitalter sprechen.“ (loc. cit., 1013). Karl von den Steinen: „Tatsache ist, dass die Vertreibung der Jesuiten ein schwerer Schlag war für die Ureinwohner von La Plata und die Amazonasgebiete, von dem sie sich nie wieder erholten.“ Ein Gelehrter des Gymnasium von Córdoba resümierte: „Die Jesuiten führten die Reduktionen – so seltsam es scheint – nicht wie ein Geschäft, sondern eher als eine Utopie: Diese dummen Kerle denken Glück sei Vermögen vorzuziehen“.[5]

Doch die Reduktionen wurden auch kritisch gesehen. Vielernorts wird kritisiert, dass die jesuitischen Reduktionen ideologisch, für die katholische Kirche und für kommunistische Utopisten, vereinnahmt worden wären, da diese auch eindeutig politischen und religiösen Zielen dienten. Außerdem gibt es den Vorwurf, dass innerhalb des Jesuitenstaates ausschließlich die Jesuiten die Amtsgewalten innegehabt hätten, sodass die Indianer von ihnen abhängig waren. Zudem sei die spätere Auflösung der Jesuitenorden eher als Folge der Ablehnung klerikaler Einflussnahme durch den aufkommenden Absolutismus zu erklären und nicht primär durch Neid und Missgunst. Doch auch durch ihre politische Loyalität zu Spanien und damit deren häufige Niederschlagung von indianischen Aufständen handelten sich die Jesuiten ebenfalls Kritik ein sowie der üppigen Zuteilung der Gewinne an die Jesuitenkirche.[12]

Die Reduktionen heute

Die in den Reduktionen erbauten Kirchen im lokal abgewandelten Kolonialbarock (hölzerne Hallenbauten)[13] sind teilweise zerfallen oder Ruinen, viele davon sind vom Schweizer Hans Roth SJ ab 1972 bis 1979 von Grund auf erneuert worden und werden noch benutzt.

Welterbe

Heute markieren meistens nur noch schöne Ruinen die Stellen, wo einmal die großen christlichen Gemeinwesen standen. Andere sind mit großem Aufwand wieder hergestellt worden. Folgende Kirchen und Reduktionseinrichtungen sind als UNESCO-Welterbe anerkannt.[9]

  • Chiquitos in Bolivien: San Francisco Javier, Concepción, Santa Ana, San Miguel, San Rafael, San José[16]
  • Córdoba in Argentinien: Jesuitenquartier mit Barockkirche, Universität, Kollegium[17]

Darstellungen

Theater, Film

Literatur

  • Clovis Lugon: La république comuniste chrétienne des Guaranis (1610-1768); Edition „Ouvrières Économie & Humanisme“, Paris 1949
  • Heinrich Boehmer (Hrsg. Kurt Dietrich Schmidt): Die Jesuiten; Stuttgart K.F. Koehler 1957
  • Hans-Jürgen Prien: Die Geschichte des Christentums in Lateinamerika; Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht, 1978, ISBN 3-525-55357-9
  • Peter Strack: Vor Gott, Gemeinschaft und den Gästen: Funktionen und Wandel traditioneller Festsymbolik; Bielefeld Verl. für Regionalgeschichte 1991, ISBN 3-927085-51-0

Fachliteratur

  • Philip Caraman: Ein verlorenes Paradies. Der Jesuitenstaat in Paraguay; Kösel, München 1979, ISBN 978-3-466-42011-7
  • Peter Claus Hartmann: Der Jesuitenstaat in Südamerika 1609–1768. Eine christliche Alternative zu Kolonialismus und Marxismus; Konrad, Weißenhorn 1994, ISBN 3-87437-349-5.
  • Gerd Kohlhepp: Jesuitische Guaraní-Reduktionen in Nord-Paraná. In: Paulus Gordan (Hrsg.): Um der Freiheit willen. Eine Festgabe für und von Johannes und Karin Schauff; Neske, Pfullingen 1983, ISBN 3-7885-0257-6, S. 194–208.
  • Horst Pietschmann: Staat und staatliche Entwicklung am Beginn der spanischen Kolonisation Amerikas; Münster 1980, ISBN 978-3-402-05820-6.
  • Wolfgang Reinhard: Gelenkter Kulturwandel im 17. Jahrhundert. Akkulturation in den Jesuitenmissionen als universalhistorisches Problem; In: Historische Zeitschrift, 223, 1976, S. 535–575.
  • Elman R. Service: Spanish-Guarani Relations in Early Colonial Paraguay; University of Michigan, 1954.

Belletristik

  • Alfred Döblin: Amazonas; Romantrilogie, dtv, München 1991 ISBN 3-423-02434-8. (Erstausgabe Amsterdam 1937/1938).
  • Fritz Hochwälder: Das heilige Experiment. Schauspiel; Reclam, Stuttgart 1964, ISBN 3-15-008100-9.
  • Drago Jančar: Katharina, der Pfau und der Jesuit. Roman, Folio, Wien 2007, ISBN 978-3-85256-374-9. (Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof.)

Weitere Quellen

  • Ruiz de Montoya: Conquista Espiritual ; Madrid 1639.
  • Nicolás de Techo: Historia Provinciae Paracuaria Societatis Iesu ; Lüttich 1673.
  • A. Kobler (Hrsg.): Pater Florian Baucke, ein Jesuit in Paraguay (1748–1766). Nach dessen eigenen Aufzeichnungen; Pustet, Regensburg 1870.

Tonträger

  • CD: Domenico Zipoli, Martin Schmid, Francisco Varayu: Barocke Jesuitenmusik aus den Urwäldern Südamerikas; Dirigent Luis Szarán, Dia-Dienst-Medien München T 2008 CD 05146
  • CD: Klaus Väthröder SJ Hrsg, Jesuitenmission.de: „Weltweite Klänge 3“, Konzert des internationalen Jugendorchesters der Jesuitenmission in Nürnberg am 13. November 2008, Gesamtleitung Luis Szarán.

Einzelnachweise

  1. a b c Buch: Peter Balleis: Leidenschaft für die Welt, Echter Würzburg 2007, ISBN 978-3-429-02885-5 S. 34, 35, 36
  2. kriegsende.de: Bericht eines Landsknechts im Dienst der Conquistadoren
  3. a b c Hans-Theo Weyhofen: Die Jesuitenreduktionen in Lateinamerika
  4. Neue Zürcher Zeitung vom 2. April 2008, Beat Ammann: Social Engineering an Indios in Bolivien.
  5. a b c d e f g h i j k l m n „The Catholic Encyclopedia“: Reductions of Paraguay (Englisch)
  6. a b c Uwe Schmengler: Der Jesuitenstaat vom Paraguay: Zielsetzung und Methode der Mission
  7. Prospekt Die Jesuitenmissionen – Ein unvergessenes Missionswerk in den Urwäldern von Südamerika 1609-1767
  8. a b c d Bernhard Kriegbaum: Die Jesuitenreduktionen (1609-1767)
  9. a b Wiener Zeitung vom 9. April 2004, Bernhard Matuschak: Pater Schmids Vermächtnis
  10. Wiener Zeitung vom 22. Januar 2011, Julia Urbanek: Mozart statt Pflasterstein
  11. a b Buch: Heinrich Krauss/Anton Täubl: Mission und Entwicklung des Jesuitenstaates in Paraguay; Fünfteiliger Kurs im Medienverbund; Kösel München 1979, ISBN 3-466-36051-X S. 158, 170
  12. http://www.scribd.com/doc/40529164/Jesuitenreduktionen-als-Grenzwall
  13. Historisches Lexikon der Schweiz: Kurzbiografie von Martin Schmid
  14. UNESCO-Welterbe: Jesuitenmissionen der Guaraní in Paraguay (Englisch)
  15. UNESCO-Welterbe: Jesuitenmissionen der Guaraní in Brasilien und Argentinien (Englisch)
  16. UNESCO-Welterbe: Jesuitenmissionen der Chiquitos (Englisch)
  17. UNESCO-Welterbe: Jesuitenquartier und Reduktionen (Englisch)
  18. Matthias Herndler Referat: „Das Heilige Experiment“
  19. referate.online: „Das Heilige Experiment“

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Jesuitenreduktionen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Jesuitenreduktionen der Guaraní — Jesuitenreduktion San Ignacio Miní Die Jesuitenreduktionen der Guaraní sind von den Jesuiten geschaffene Siedlungen (von spanisch reducciones = zusammenführen; Niederlassung, Siedlung). für die Guaraní. Ziel waren vor allem die christliche… …   Deutsch Wikipedia

  • Jesuiten-Reduktionen — Die Jesuitenreduktion La Santísima Trinidad Die Jesuitenreduktion São Miguel das Missões, in Brasilien …   Deutsch Wikipedia

  • Jesuitenstaat — Die Jesuitenreduktion La Santísima Trinidad Die Jesuitenreduktion São Miguel das Missões, in Brasilien …   Deutsch Wikipedia

  • Trinidad (Distrikt in Paraguay) — Die Jesuitenreduktion von Trinidad Trinidad ist ein Distrikt im Departamento Itapúa von Paraguay. Er besteht seit dem 31. August 1966. Die Ursprünge gehen auf das Jahr 1706 zurück, in dem der Jesuitenpater Juan de Anaya zusammen mit einer Gruppe… …   Deutsch Wikipedia

  • Jesus de Tavarangue — Die ehemalige Jesuitenreduktion von Jesús de Tavarangue liegt etwa 10 km nordwestlich von Trinidad im Südosten Paraguays. Das Dorf wurde bereits 1658 gegründet erst im Jahr 1763 ließen sich dort Jesuiten nieder. Von ihnen wurde eine imposante… …   Deutsch Wikipedia

  • Jesús de Tavarangue — Die ehemalige Jesuitenreduktion von Jesús de Tavarangue liegt etwa 10 km nordwestlich von Trinidad im Südosten Paraguays. Das Dorf wurde bereits 1658 gegründet erst im Jahr 1763 ließen sich dort Jesuiten nieder. Von ihnen wurde eine imposante… …   Deutsch Wikipedia

  • PY-7 — Strukturdaten Hauptstadt: Encarnación Fläche: 16.525 km² Einwohner: 453.052 (Zensus von 2002) Bevölkerungsdichte: 27,42 Einw./km² …   Deutsch Wikipedia

  • Trinidad (Itapúa, Paraguay) — Trinidad Basisdaten Staat Paraguay Departamento Itapúa Fläche …   Deutsch Wikipedia

  • Jesús (Distrikt in Paraguay) — Jesús Basisdaten Staat Paraguay Departamento Itapúa Fläche …   Deutsch Wikipedia

  • La Santisima Trinidad de Paraná — Ruinen der Jesuiten Reduktion von Trinidad Ruinen der Jesuiten Kirche von Trinidad Trinidad ist ein kleiner Ort und eine Jesuitenreduktion in …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”